Hast du noch Poesie in dir?

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Art.Z.

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Hast du noch Poesie in dir?

Hast du noch Poesie in dir?
Den Funken, der zur Flamme wird
und niemals stirbt.
Hast du noch Poesie in dir?
Ich meine keine Sonnenuntergänge
oder Blumen, weil dir nicht besseres einfällt.
Hast du noch Poesie in dir?
Ein tiefes, quälendes Verlangen,
in jeder Zeile anzufangen,
das Leben anders zu betrachten
als all die kalten Wesen um dich?
Hast du noch Poesie in dir?
Ich meine nicht all die Schablonen
von Herbstgedicht bis Herzschmerzlied.
Ich meine dich und deine Sicht –
siehst du denn hin?
Hast du noch Poesie in dir?
Ein Wort, das keiner jemals vor dir
so sagte oder auch nur dachte.
Dein Wort!
Hast du noch Poesie in dir?
Ich meine keine feinen Reime.
Dein Fühlen muss sich gar nicht reimen,
damit es zum Gedicht gerinnt.
Vergiss doch Goethe, Schiller, alle,
sie reimten gut doch lange her
und keiner wird sie je erreichen.
Doch du kannst schreiben
wie es keiner kann.
Fang an!
Hast du noch Poesie in dir?
 
K

Kara

Gast
Poesie

Ein leidenschaftlicher Appell. Er verhallt nicht ungehört.
Sehr gut kann ich mir einen Vortragenden auf großer Bühne vorstellen!
Herzl. Grüße von
Uschi
 

Ralf Langer

Mitglied
Hast du noch Poesie in dir?

Das ist eine gute Frage. Sie führt mich erst einmal von diesem Text weg. Und in dieser Weite muss ich mich erst einmal fragen: Was ist das Poesie?
Nun ich denke eine Übersetzung die mehrheitsfähig ist wäre „Dichtkunst“.
Und also ist die Frage an das lyrdu eine Frage die lyrich zum einen sich selber stellt, und natürlich in einem Forum wie diesem, auch eine Frage an den Lesenden direkt.

Grundlage struktureller Natur in diesem Stück ist die Wiederholung der Frage:

„Hast du noch Poesie in dir“ taucht achtmal auf in diesem Stück. Es hat seine Berechtigung, wirkt auf mich aber redundant.

Nach den rhetorischen Fragefiguren erklärt lyrich dann seine Meinung. Interessanterweise an vielen Stellen durch eine Negierung, die den Antworten vorweg gestellt wird.

( Das erinnert mich an meinen alten Deutschlehrer, der uns immer dazu aufforderte zu sagen was „es“ ist -
und nicht zu sagen was „es“ nicht ist.)

Hier also:

Ich meine keine...
Ich meine nicht...
Ich meine keine...
Vergiss doch...

Ich sage mal so im strukturellen Sinne scheint das Sinn zu machen. Aber da dieser Text zum großteil darstellt was Lyrik/ Poesie nicht ist, werfe ich einmal all diese „Erklärungen“- die ja keine sind- kurzerhand heraus. Dann ergibt sich:

Hast du noch Poesie in dir?
Den Funken, der zur Flamme wird
und niemals stirbt.
Hast du noch Poesie in dir?
Ein tiefes, quälendes Verlangen,
in jeder Zeile anzufangen,
das Leben anders zu betrachten
Hast du noch Poesie in dir?
Ich meine dich und deine Sicht –
siehst du denn hin?
Hast du noch Poesie in dir?
Ein Wort, das keiner jemals vor dir
so sagte oder auch nur dachte.
Dein Wort!
Hast du noch Poesie in dir?
Dein Fühlen muss sich gar nicht reimen,
damit es zum Gedicht gerinnt.
Doch du kannst schreiben
wie es keiner kann.
Fang an!
Hast du noch Poesie in dir?

Hier erhalte ich dann Aussagen. Aussagen über die man sich einig sein kann, oder die strittig sind. Je nach des Lesers eigener Einschätzung bzw. Haltung zum Subjet.

Aber das Gedicht bietet auch ein Fazit, ein zweigeteiltes:

„Dein Fühlen muss sich gar nicht reimen,
damit es zum Gedicht gerinnt.
Doch du kannst schreiben
wie es keiner kann.“
 

Ralf Langer

Mitglied
( Dieser Teil meines Kommentars wurde warum auch immer beim ersten Mal nicht hochgeladen. Ich stelle ihn also hinterher)

„Fang an“

An dieser Stelle schreite ich ein und rufe dir zu „Nein“. In der Welt meiner Erfahrungen zur Lyrik, entsteht ein Gedicht nicht aus Gefühlen, Gedichte sind ein Konstrukt, sie sind das Ergebnis eines längeren bewussten Schaffensprozess. Ich will nicht widersprechen das zu Beginn eines Geichtes, ein Gefühl, ein Ereignis, manchmal nur der Klang eines Wortes stehen kann. Aber der Weg zum fertigen Gedicht ist Arbeit, und so gerinnt da auch nichts – ist das Gerinnen doch ein automatischer Prozess, etwas das dem Blut als Eigenschaft inne wohnt. In der Kunst des Gedichtes ruht diese Eigenschaft nicht.


„Fang an“

Ja, dem schließe ich mich an. Es gibt keinen Königsweg zum Gedicht, zur Poesie. Alles beginnt mit dem ersten Schritt.

Soweit meine Einschätzungen zu Struktur und Aussagelogik deines Stückes.

Nichtsdestotrotz, und obschon die gewählte Form nicht meine ist, sage ich aber das die Wiederholungen und auch die Negierungen im Wechselspiel mit den Anweisungen, dem Gedicht eine klare Form geben. In diesem Sinne lässt es sich auch als Ganzes und intakt lesen.
Und wie meine Vorredner schon anmerkte, denke ich auch, das es bei einem Poetry slam funktioniert.

Hm, was mir wirklich in seiner Einfachheit sehr zusagt ist der Titel:

Hast du noch Poesie in dir?

Eine Frage die ich mir selbst häufig stelle, und das Schweigen im Anschluss ist oft zum Verzweifeln.
Denn was ist wenn die Poesie tatsächlich etwas ist das zur Neige gehen kann?
Was ist wenn die Quelle versiegt und es keine Kräfte gibt die von Außen neue Nahrung bringen?

Und andersherum, wo sind die Gefilde, wo Kunst entsteht?
Kann Kunst überhaupt in der Mitte der Gesellschaft entstehen? Ist die Poesie nicht eher am Rande beheimatet, an einem Ort wo der Künstler „allein“ ist?
Ist es also nicht so, das nicht die Quelle versiegt, sondern der Dichter die Quelle verlässt, weil er das „alleine sein“ nicht tragen kann?

Ein Text der mich zwiegespalten zurücklässt.

Sprachlich und inhaltlich meiner Meinung nach eher dürftiger Natur -
Aber das Gedicht regte mehr als nur meine Phantasie an, und ich erspürte durch das Lesen eine zeit lang Inspiration.

Dir einen lieben Gruß

Ralf
 



 
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