Haus ohne Tür

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James Blond

Mitglied
Als Villa aus den Gründerjahren
war sie dereinst im Ort bekannt,
schon manches hatte sie erfahren,
jüngst hat man sie "Welcome" genannt

und ihr die Eingangstür genommen,
als Zeichen, das man weithin sah:
"Es sei ein jeder hier willkommen",
was daraufhin auch so geschah.

Erst kamen die verlornen Seelen
mit ihrer Hoffnung auf Asyl,
und andre wollten nur was stehlen,
dann wurde es in Zimmern kühl.

Der Villa fehlte bald die Therme,
das Wasser war schon abgedreht,
man zahlte nicht für Strom und Wärme
und stritt sich um ein Sparpaket.

Ein Vorhangtuch im Zwist zerrissen,
auch Scheiben gingen früh zu Bruch,
in Zimmern stank es vollgeschissen,
so kam zur Kälte noch Geruch.

Man schmachtete nach einer Heizung
und brachte sich sein Feuer mit,
das flammte kühn zur Seelenreizung,
genährt von Drogen und viel Sprit.

Als alle spritzten oder tranken,
verkam der Ort zum Elendsfleck,
geblieben waren Wunschgedanken,
die Schaffenden hingegen weg.

Gefeiert wurde umso heißer,
verheizt das gute Mobiliar,
bald sah selbst auch der letzte Scheißer,
dass hier das Spiel zu Ende war.

Ein Feuer fuhr rasch in die Balken,
die Villa brannte lichterloh,
man rief zwar nach Gesetzesfalken,
doch stoppte niemand mehr die Show.

Zu hitzig stritten sich die Köpfe,
als dass man hier zum Löschen kam,
kein Wasser mehr, nicht mal die Töpfe,
was schließlich kam, war späte Scham.

Ein Häuflein Asche war's, das blieb —
als Mahnung, treibt's der Mensch zu lieb.
 

Ubertas

Mitglied
Hallo @James Blond ,
Häuser brauchen Türen, um sie zu einem geschützten Raum werden zu lassen. Menschen brauchen diesen Raum, damit sie heimkehren können (ohne aus den Ankern gerissenen Flügeln)
Ein Gedicht zum Nachdenken!
Finde ich großartig.
Lieben Gruß ubertas
 

Mimi

Mitglied
Grüß Dich, James Blond,
besonders stark an Deinem Gedicht finde ich, wie Du den Zerfall der Villa als Spiegel gesellschaftlicher Prozesse zeigst.
Der lakonische Ton verstärkt die Wirkung noch. Die konsequente Reimform gibt dem Text trotz des düsteren Inhalts eine (fast) schon sarkastische Leichtigkeit.
Sehr eindrucksvoll – gerne gelesen und kommentiert!

Gruß
Mimi
 

petrasmiles

Mitglied
Da hat Mimi geschrieben, was ich auch so gedacht hatte - da möchte ich mich anschließen.
Scharfe Sauce, in der Tat!

Liebe Grüße
Petra
 

Winterling

Mitglied
Moin Moin James Blond,

beklemmend und realistisch, man muss einfach weiterlesen.

Den Verfall hast du hier gut verdichtet. Sehr gerne wiederholt gelesen.

Liebe Grüße Heike
 

James Blond

Mitglied
Ihr Lieben,
habt vielen Dank für eure Sternchen und Kommentare!
Ich hatte bei diesem unbequemen Thema eher mit kritischem Widerstand gerechnet und freue mich, dass ihr auch an schärferen Soßen Geschmack gefunden habt.

@SilberneDelfine
Ja, die Schlusszeile ist prägnant verkürzend. Jemanden als "zu lieb" zu bezeichnen, gilt oft als Kritik an seiner Naivität.

@Ubertas
Die Aufgabe des geschützten Raumes und ihre Folgen: Ein nachdenkenswertes Thema. Sehe ich auch so.

@Mimi
Du triffst den Nagel so gut auf den Kopf, dass ich mich darüber freue, wie das Gedicht bei dir angekommen ist.

@petrasmiles
Schön, dass du zu ähnlichen Gedanken gekommen bist, Mehrdeutigkeit lag hier auch nicht in meiner Absicht.

@Winterling
So beklemmend realistisch, wie es oft genug in unserer Welt zugeht, sollte es hier schon sein.

Viele Grüße
JB
 



 
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