Heavy Metal (2)

5.

Carsten war am nächsten Tag vor allen anderen im Proberaum. Wie er später erzählte, war er morgens noch genauso betrunken aufgewacht, wie er ins Bett gegangen war und hatte daraufhin beschlossen, das Berufskolleg ausfallen zu lassen. Nach zwei weiteren Stunden Schlaf hatte er sich zumindest wieder in der Lage gefühlt, Gitarre zu spielen. Auch jetzt, am frühen Nachmittag, hatte sein Gesicht etwas Wächsernes, wenn es hinter dem bis zum Bauchnabel reichenden Haarvorhang auftauchte. Immerhin schien er sich die Haare gewaschen zu haben. Ihr blondes Leuchten stand in deutlichem Kontrast zu seiner ungesunden Gesichtsfarbe.

Als die anderen eintrudelten, saß, oder vielmehr: hing Carsten auf seiner Box und spielte immer wieder ein komplexes Solo durch, von dem Arndt das Gefühl hatte, dass er es kennen müsste.

Rafael sah Carsten eine Weile amüsiert zu.

„Megadeth „Lucretia“? Nicht schlecht, Alter“, sagte er schließlich.

„Geil oder?“, sagte Carsten, „hab den ganzen Morgen dafür gebraucht, das rauszuhören.“

„So stramm, wie du gestern warst, wundert es mich, dass du überhaupt irgendwas gehört hast, heute morgen.“

„Alter, ihr seid so bekloppt, dass ihr euch das Ganze im Fernsehen angeschaut habt. Das ging so ab in Dortmund. Irgendwann hab ich mit einer Frau geknutscht, die war fast nackt und komplett von Kopf bis Fuß schwarz-gelb angemalt. Ich hab sogar noch ihre Nummer heute morgen in meiner Jacke gefunden. By the way, Mike - was ist mit meinem Kasten?“

„Kriegst du am Wochenende“, sagte Mike ausweichend. Er sagte noch etwas, aber keiner verstand mehr ein Wort, weil Olli angefangen hatte, sich am Schlagzeug einzuspielen.

Das Set sollte mit „Kill your loved ones” starten. Schon nach wenigen Verszeilen merkte Arndt, wie ihn die Stimme verließ. Er zischte seinen Text nur noch und hielt sich das Mikrofon so nah vor den Mund, dass er immer wieder mit den Zähnen dagegen stieß, damit sich überhaupt noch Laute übertrugen. Bis sie zu dem „Extreme aggression“-Cover kamen, sagte keiner etwas, aber dann hob Carsten die Hand, und schaffte es nach ein paar Anläufen, dass die anderen stillhielten.

„Alter, Arndt, was machst du für komische Sachen mit deiner Stimme, heute?“, fragte Carsten.

„Nix“, sagte Arndt, „ich muss die einfach ein bisschen schonen, damit ich beim Auftritt richtig aufdrehen kann.“

„Boah, mach das bitte nicht beim Auftritt - das klingt echt scheiße.“

„Ist mir klar, Mann, keine Sorge. Mir geht es heute nur um die Einsätze, und die klappen ja wohl, oder?“

„Besser als vorgestern auf jeden Fall.“

Sie schafften es, dreimal das ganze Set durchzuspielen, beim letzten Mal tatsächlich ohne Abbrechen. Arndt blieb dabei, seine Texte nur zu flüstern, aber er spürte immer wieder Carstens misstrauische Blicke in seinem Rücken.

Am Ende waren sie alle so erschöpft, dass sogar Mike lieber direkt nach Hause wollte, statt noch zu kiffen. Arndts Hals fühlte sich einmal mehr wie eine einzige riesige Schürfwunde an. Obwohl er nüchtern geblieben war, hoffte er, dass niemand zuhause ihn ansprechen würde.



6.

Arndt kam mit dem Bus, da er der einzige war, der kein eigenes Material für den Auftritt brauchte. Er bog um die Ecke und betrat die Freifläche der ehemaligen Verladehalle der Mannesmann-Röhrenwerke. Seit mittlerweile zwanzig Jahren, länger als Arndt auf der Welt war, beherbergte die Halle das Kulturzentrum „Werkstatt“. Auf dem weitläufigen Parkplatz standen nur wenige Autos. Ollis alter Polo war unschwer auszumachen; zumal die anderen dabei waren, ihn zu entladen. Als Arndt näher kam, schlug ihm eine angespannte Stimmung entgegen. Als sein Blick auf die Rückseite des Autos fiel, ahnte er den Grund für diese Stimmung. Der Kofferraum stand offen, aber dort, wo man durch die Heckscheibe hätte hindurchsehen müssen, glitzerte ein feines Netz aus Glassplittern in der Sonne. Die anderen grüßten ihn verhalten.

Arndt wandte sich an Olli, der gerade zwei dicke Kabelrollen geschultert hatte.

„Auffahrunfall?“

Olli wandte sich schweigend ab und schleppte die Kabel weiter Richtung Halle.

Arndt warf den anderen fragende Blicke zu. Rafael erbarmte sich.

„Siehst du Mikes Box da?“

Arndt nickte.

„Was schätzt du, wie groß die ist?“

„Keine Ahnung, einszwanzig mal fünfzig?“

„Und, was würdest du schätzen: passt die so quer in Ollis Kofferraum?“

„Eher nicht.“

„Mmhm, hätten wir auch alle so gesehen. Alle außer Olli.“

„Nee, oder?“

„Ja, doch, ich bin noch hingesprungen und hab versucht ihn zu warnen, und er: bämm!“

Arndt gluckste. Dabei schwappte ein bisschen von dem Minzöl wieder hoch, von dem er kurz zuvor die Hälfte des Fläschchens in ein Glas Wasser entleert und getrunken hatte.

Rafael hob warnend die Hand.

„Pass bloß auf - wenn Olli dich lachen sieht, gibt er dir was aufs Maul.“

Arndt packte mit an. Schweigend und mit gesenkten Blicken schleppten sie nach und nach die übrige Ausrüstung in die Dunkelheit des Backstagebereichs – da fuhr plötzlich mit röhrendem Dieselmotor ein rostiger VW-Bus vor. Am Steuer saß ein kahlrasierter Kerl mit vielen Tätowierungen. Wie ein Schüler sah der nicht mehr aus- und auch irgendwie gefährlich. Auf dem Beifahrersitz erkannte Arndt Timo.

Timo sprang aus dem Bus, bevor der noch richtig stand. Der Kahlköpfige parkte, so nah es eben ging, an der stählerne Seitentür, die zum Backstage-Bereich führte.

„Boah, was macht der da“, sagte Carsten, „so kommen wir uns voll ins Gehege!“

„Arndt, du altes Hodenkrebshosenschwein“, rief Timo, „bist mal wieder überpünktlich!“

Rafael wandte sich zu Arndt. „Ist das deine Freundin?“

Arndt deutete einen Tritt an, dem Rafael geschmeidig auswich.

„Timo ist ein alter Kollege“, sagte Arndt.

„Ist klar“, sagte Rafael und grinste.

„Ach, verpiss dich“, sagte Arndt.

Im selben Moment stand Timo direkt vor Rafael und seine schief hochgezogene Oberlippe erlaubte einen Blick auf die Zahnruinen in seinem Mund.

„Gibt’s ein Problem?“, fragte Timo.

Rafael wich nicht zurück.

„Eure Karre steht da schlecht“, sagte er.

„Unsere Karre steht da eins A.“ Der Kahlköpfige war jetzt auch ausgestiegen und hielt Timo den Rücken frei. Carsten und Mike rückten dichter an Arndt und Rafael heran. Es begann ein feindseliges Starren. Da ging die Stahltür auf, und Olli schob seinen Kopf unter dem niedrigen Türrahmen hindurch ins Freie. Timo und der Kahlköpfige sahen ihn und bewegten sich ein Stück zurück zu ihrem Bus.

„Wie viele Pussis braucht ihr denn noch um ein bisschen Krach zu machen?“, fragte Timo.

„Sag bloss, ihr seid nur zu zweit“, sagte Arndt.

„Wir würden euch auch zu zweit an die Wand spielen“, sagte Timo, „aber keine Sorge, Lars Ulrich kommt gleich noch.“

„Alles klar“, sagte Rafael, „wie wär’s, wenn ihr bis dahin euren Luxus-Tourbus noch ein bisschen von der Wand abrückt, damit wir weiter abladen können?“

Timo sah zu dem Kahlköpfigen hinüber; der hielt seine restlos tätowierten Arme vor der Brust verschränkt, immer noch kampfbereit: Seine Sehnen und Adern lagen so dicht unter der Haut, dass man jede an ihren Ursprung zurückverfolgen konnte.

„Komm Rolf“, sagte Timo, „wir wollen den Mädels hier das Leben nicht unnötig schwer machen.“



7.

Der Typ hinter der PA-Anlage machte ihnen ein Zeichen, dass der Soundcheck abgeschlossen war. Das hinderte Olli nicht daran, noch einmal kurz und heftig auf das vom Veranstalter gestellte Schlagzeug einzudreschen.

„Das Teil geht gar nicht“, sagte er, als sie die Bühne für die netten Jungs von „God’s Will“ räumen mussten. „eigentlich voll unter meiner Würde, auf so was zu spielen!“

„Oh Mann, machst du jetzt auch einen auf Lars Ulrich“, sagte Mike, „du kannst schon froh sein, dass das Ding eine Double bass hat.“

„Ihr habt alle gut reden, ihr könnt auf euren eigenen Instrumenten spielen. Dich will ich mal sehen, wenn du auf so einer Supermarktgitarre spielen sollst!“

„Weißt du eigentlich, dass der Falter, den du neulich erschlagen hast, aus Afrika hierhergeflogen ist?“, fiel Arndt plötzlich ein. Er hatte tatsächlich noch gesucht, und den Totenkopffalter in einem der Nachschlagewerke, die seine Mutter für den Biologie-Unterricht verwendete, gefunden.

„Hä, welcher Falter?“ Olli inspizierte noch einmal sehr gründlich seine Drumstick-Sammlung.

„Ach, komm, du weißt genau, was ich meine, das fette Vieh mit dem Totenkopf auf dem Rücken, dem du den schwarzen Fleck an der Wand zu verdanken hast?“

„Wovon redest du?“

„Hast du einen schwarzen Fleck an der Wand, oder nicht?“

„Ich hab jede Menge Flecken an der Wand.“

„Ach, vergiss es.“

„Nee, komm - was willst du?“

„Ich wollte dir einfach noch mal sagen, wie scheiße ich das fand, dass du den einfach erschlagen hast.“

„Ich hab ihn nicht gebeten in mein Zimmer zu kommen. Soll er doch in Afrika bleiben, statt uns hier auf den Sack zu gehen!“

Rafael blickte von den Reglern seines Verstärkers auf. „Keine Faschosprüche, hier.“

„Alter, du weißt doch überhaupt nicht wovon wir reden.“

„Ist mir auch egal - keine Faschosprüche!“

Carsten baute sich vor ihnen auf. „Könnt ihr einmal euer beschissenes Gelaber lassen. Wir müssen den Auftritt nochmal durchsprechen - ich will dass das läuft.“

„Oh Mann, noch mehr Faschosprüche“, sagte Mike.



8.

Der Raum vor der Bühne füllte sich mit langen Haaren, glatten, lockigen, dauergewellten, blonden, braunen, schwarzen und schwarz gefärbten, dichten und schütteren, gewaschenen und fettigen, mit Milchgesichtern, Ziegen- und Zwergenbärten darunter, mit liebevoll bestickten Kutten, schwarzen Kapuzenpullovern, und schwarzen Lederjacken und -hosen. Auf zehn männliche Besucher kam eine Frau, schätzte Arndt, als er hinter der Bühne hervorspähte. In ihrer Aufmachung unterschieden sich die Geschlechter nur geringfügig.

Der Typ hinter der Theke kam kaum hinterher damit, das Bier in die durchsichtigen Plastikbecher zu zapfen. Das Auffälligste an ihm waren seine ordentliche Frisur und seine unauffällige Kleidung, die jeglicher Insignien der Subkultur entbehrte. Trotzdem schien er seine Arbeit gern zu machen und schenkte auch den finstersten Gestalten noch ein Lächeln zu dem Bier dazu. Langsam verschwamm seine Gestalt in immer dichterem Rauch und Bierdunst.

Schließlich wurde es dunkel im Zuschauerraum, die Bühnenscheinwerfer flammten auf und ließen die Metallteile am Schlagzeug, an den Mikrofonen und Verstärkern aufblitzen. Ein älterer Typ mit Pferdeschwanz, Halbglatze, und einem „Werkstatt“-T-Shirt, das über dem Bauch spannte, betrat die Bühne. Er klopfte mit dem Finger auf das Mikrofon, bevor er zu sprechen begann.

„Guten Abend!“

Irgendjemand grölte etwas Unverständliches zurück. Es klang wie „Orlando!“

„Ich freue mich sehr über euer zahlreiches Erscheinen zum dritten Teil unseres großen Werkstatt-Bandcontests…“

„Hau ab!“, brüllte jemand.

„Der heutige Abend steht unter dem Motto ‚Laut und Hart‘…“

Rafael lachte hinter der Bühne ihn sich hinein.

„Geht’s noch dämlicher?“ fragte er in die Runde.

„Wieso, stimmt doch“, sagte Olli.

„… und wir freuen uns hierzu folgende Bands zu begrüßen: Maniac Manson, die ihre Musik selbst als ‚Hardcore‘ beschreiben…“

Vor der Bühne wurde zaghaft gejubelt. Arndt sah zu Timo hinüber, der von seiner Ecke des Backstage-Bereichs aus obszöne Gesten in Arndts Richtung machte. Der Schlagzeuger hatte sich mittlerweile eingefunden, und er sah wirklich ein bisschen wie Lars Ulrich aus.

„Maniac Manson“, sagte Mike, „das war doch dieses bekloppte Computerspiel…“

„Ach“, sagte Rafael.

„Boah, haltet doch ein Mal die Fresse!“ Carsten war hinter seiner Matte verschwunden; er schien in sich gehen zu wollen.

Der Typ fuhr fort:

„… ‚Die Dicken Dosen‘ die sich als Punkrock-Band beschreiben…“

Aus einer anderen Ecke des Backstage-Bereichs grölten drei wirklich dicke Jungen. Wenn die drei Lampenfieber hatten, konnten sie das glaubhaft verbergen. Arndt konnte sich nicht erinnern sie schon einmal gesehen zu haben. Er tippte auf Holzkamp-Gesamtschule.

„..Blackard, Selbstbeschreibung: Death Metal…“

Mike und Olli klatschten ab, Rafael und Arndt grinsten sich an, Carsten verharrte regungslos hinter seinem Haarvorhang.

„..Hell-Copter, die nach eigener Aussage Powermetal machen…“

Arndt wandte sich an Rafael: „Ausgerechnet bei diesen Schönlingen von der Realschule grölen sie da draußen am lautesten.“

„Die sind ja auch nicht schlecht“, sagte Rafael, „nur ein bisschen langweilig.“

Arndt sah misstrauisch zu den Realschülern hinüber, die sich sichtbar Mühe gegeben hatten, ihre Idole so zu kopieren, wie sie in der „RockHard“ oder im “Metal Hammer“ porträtiert wurden.

„Wer seine Musik schon als Powermetal bezeichnet…“

„Ach, warum nicht“, sagte Rafael, „gibt ja schon ein paar interessante Acts in der Sparte.“

„…und last, but not least, als Vertreter des ‘White Metal’: God’s Will!”

Aus dem Zuschauerraum kam keine erkennbare Reaktion. Die Jungen von ‚God’s Will‘ schien das nicht zu stören; sie unterhielten sich angeregt weiter, so als gäbe es Wichtigeres als weltlichen Ruhm.

Rafael schüttelte den Kopf. „Undankbarer Ort, um die frohe Botschaft des Herrn zu verkünden.“

„Wart’s ab“, sagte Arndt, „am Ende gehen wir hier alle raus und sind ‚saved‘“

„…und jetzt heißt es: Bühne frei für Maniac Manson!“

Timo schnappte sich seine mit Aufklebern übersähte Gitarre, der Kahlköpfige seinen körperlosen Bass und zusammen mit dem Lars Ulrich-Verschnitt stürmten sie wie von der Leine gelassene Bullterrier auf die Bühne. Noch bevor das erste Scheinwerferlicht ihn traf, hatte Timo den Stecker in der Gitarre, und das erste maximal verzerrte dreckige Riff fegte über die überraschte Menge hinweg und blies die Mähnen nach hinten. Die drei machten sofort richtig Dampf und schon nach einer halben Minute kam Bewegung in die ‚Mosh Pit‘. Haare flogen, Bier wurde vergossen, und Schulter krachte gegen Schulter. Arndt beobachtete fasziniert, wie Timo es neben seinem irre schnellen Gitarrenspiel noch schaffte, irgendwelche unverständlichen Textpassagen ins Mikro zu kreischen. Auch der Kahlköpfige vollführte für sein fortgeschrittenes Alter erstaunliche Sprünge, während seine Finger über den Bass flogen. Wenigstens ist Lars Ulrich nicht wirklich Lars Ulrich, dachte Arndt. Die Schnitzer bei den Breaks hörte selbst er; da war Olli schon eine Liga drüber.

Nach 25 Minuten waren die ‚Dicken Dosen‘ dran. Die wenigen Punks, die zu ihrer Unterstützung angereist waren, versuchten Stimmung zu machen, aber sie hatten so viel Platz auf der Tanzfläche, dass mehrere von ihnen beim Pogo stürzten. Schmerz schien ihnen unbekannt, alle rappelten sich sofort wieder auf und rammten die Nietenbesätze ihrer Lederjacken erneut in den am nächsten hüpfenden Gesinnungsgenossen. Die Mehrheit der Langhaarigen und Kuttenträger stand dagegen am Rand, nippte am Bier, oder unterhielt sich, so gut das bei dem Krach ging. Die ‚Dicken Dosen‘ zeigten sich unbeeindruckt; trotz ihrer Körperfülle bewegten sie sich erstaunlich wendig auf der Bühne. Der Sänger und Bassist hüpfte vor dem Mikrofon auf und ab, während der Gitarrist um ihn herumsprang. Der Schlagzeuger drosch halb im Stehen auf alles ein, was ihm unter die Finger kam. Die Bühne bebte unter ihnen, aber die Heavy Metal-Fans waren aus Prinzip nicht zu gewinnen. Den ‚Dicken Dosen‘ schien das egal, sie freuten sich an ihrer Handvoll Anhänger, und halfen einigen von ihnen selbst auf die Bühne zum Stagediving, obwohl einer der Ordner immer wieder versuchte sie daran zu hindern. Eigentlich perfekt, dachte Arndt, nach der erbärmlichen Nummer werden wir richtig einschlagen. Die ‚Dicken Dosen‘ brachten es in den 25 Minuten glatt auf zehn Songs mit halb so vielen Akkorden und null Tempowechseln.

Fünf Minuten Umbauzeit waren eigentlich nicht zu schaffen. Olli schraubte wie ein Irrer an Becken und Snares herum. Die Gitarren und den Bass hatten sie schon während der letzten zwei ‚Dosen‘-Songs aufeinander eingestimmt. Carsten und Mike drehten mit Kennermienen an den Verstärkerknöpfen herum, Arndt stellte den Mikrofonständer auf seine Höhe ein. Der ‚Dosen‘-Sänger hatte reichlich Speichel auf dem Mundstück zurückgelassen. Arndt fand in seiner Hose nur ein Papiertaschentuch, das schon einmal durch die Waschmaschine gegangen war. Es hinterließ mehr Fussel auf dem Mikrofon, als dass es irgendetwas säuberte. Und schon ging das Licht wieder an. Schnell schüttelten sie sich alle ihre Mähnen ins Gesicht und ließen ihre Köpfe hängen, wie sie es noch kurz vorher geübt hatten. Die Bühnenscheinwerfer strahlten eine Wand aus Haaren an. Von hinten erklangen wie in einem alten Monsterfilm langsame, ganz langsame, Schläge der bass drum. Die Erschütterungen breiteten sich von der Bühne her in den Zuschauerraum aus, und die Metalfreunde näherten sich neugierig, gebannt wie die Kinder von Hameln. Arndt zählte 16 Schläge, dann hob er den Kopf, sein Haarvorhang teilte sich und er stieß ihn aus, seinen ersten, seinen herrlichsten, markerschütterndsten, bösesten Schrei. Und wie er kam, wie er alles zeriss, zigfach verstärkt und verzerrt durch das Mikrofon, und wie sie dann gleichzeitig einfielen: Lead guitar, rhythm guitar, bass guitar, drums, und alles zum Beben brachten. Sofort ging es auch unter der Bühne richtig ab. Sie spielten viel schneller als bei jeder Probe zuvor, aber die Breaks klappten, die Einsätze kamen; dabei war der Sound auf der Bühne beschissen, sodass sie sich mehrfach durch Blicke verständigen mussten. Als das Gitarrensolo von „Carnival of Corpses“ kam, griff sich Arndt den Mikrofonständer, hielt ihn schräg wie eine Gitarre, sprang wild headbangend auf der Bühne herum und dachte nichts als: geil, geil, geil!

Als Olli den letzten Beckenschlag präzise mit den Fingern abgestoppt hatte, reckte Arndt die linke Faust mit ausgestrecktem Zeige- und Kleinfinger in die Höhe und brüllte: „This is Blackard!“ Und viele Hände reckten sich ihm mit der gleichen Geste entgegen, und etwas wie „Yeah!“ scholl ihm aus vielen Mündern entgegen. Er war völlig elektrisiert.

„Are you ready?“, brüllte Arndt

„Yeah!“, kam es zurück.

Und nochmal: „Are you ready?“

“Yeah!”

Und ein drittes Mal:

„Are you ready for ‚Slave saliva‘?”

“Yeah!”

Und wieder donnerten sie los, und die Haare flogen, und Olli warf seinen ersten durchgebrochenen Drumstick in die Menge, und die ersten Stage-Diver kletterten auf die Bühne und sprangen, bevor der Ordner sie erwischen konnte, auf die ausgestreckten Arme unter der Bühne.

Dann passierte es. Arndt setzte zu seinem nächsten mörderischen Schrei an, aber bevor er sich ganz entfalten konnte, erstarb er, und alles, was noch aus seinem Mund kam, war ein hohes Fiepen, fast wie von einer Rückkopplung. Er setzte noch einmal an, presste mit aller Gewalt; das Fiepen wurde nur höher. Panisch sah sich Arndt zu den anderen um, aber die galoppierten weiter, als sei nichts passiert. Arndt versuchte, mit dem Text wieder einzusetzen, aber es kam nicht mal ein Flüstern dabei heraus, seine Lippen bewegten sich, das war alles, als habe einer den Stecker gezogen. Noch hatte es auch keiner von den Zuschauern bemerkt, die meisten waren zu beschäftigt damit, ihre Haare in Bewegung zu halten, aber dann traf sein Blick den eines kleinen Kuttenträgers, dessen Locken zu sehr abstanden, als dass er sie in den richtigen Headbanger-Schwung hätte versetzen können. Und die Augen des Kleinen verengten sich, und seine Lippen verzogen sich zu einem bösen Lächeln, er stieß seinen moshenden Nachbarn an und zeigte mit dem Finger auf Arndt. Die beiden fingen an zu lachen. Weitere wurden aufmerksam. Arndt spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Die anderen auf der Bühne schienen immer noch nichts bemerkt zu haben. Fuck, dachte Arndt, fuck, fuck, fuck. Er versuchte es noch einmal. Nichts. Kein Geräusch ging über seine Lippen. Wut packte ihn: er warf den Mikrofonständer um, trat dagegen, dass der Ständer über den Bühnenrand kippte, und rannte zwischen seinen verblüfften Mitspielern hindurch in den Backstage-Bereich.

Im Rausrennen hörte er noch, wie sie durcheinanderkamen, die Linien der Instrumente sich ineinander zu einem einzigen Geräuschknäuel verknoteten, bis sie mitten im Song abbrechen mussten.

Arndt durchquerte den Backstage-Bereich, stolperte über ein Kabel, konnte sich gerade noch fangen, rannte weiter, und hielt erst inne, als er sich in einem der Klos eingeschlossen hatte. Inmitten dümmlicher Eddingschmierereien saß er auf dem heruntergeklappten Klodeckel und vergrub das Gesicht in den Händen.

Es dauerte keine zwei Minuten, da hörte er Schritte.

„Arndt!“ Carstens Stimme klang heiser und bedrohlich.

„Arndt bist du da drin?“

Arndt antwortete nicht. Carsten trommelte gegen die Tür. Arndt drehte den Verschlussknauf herum, Carsten stolperte in die Kabine und musste sich an Arndts Schultern festhalten, um nicht vollends das Gleichgewicht zu verlieren. Arndt schob ihn von sich weg und versuchte etwas zu sagen, aber nichts Hörbares kam über seine Lippen. Carsten sah ihn kurz fassungslos an. Dann brüllte er los:

„Bist du völlig bekloppt - komm sofort zurück auf die Bühne!“

Arndt bewegte die Lippen und deutete auf seinen Kehlkopf, der sich anfühlte, als stehe er in Flammen, als sei er ein Docht, der das flüssige Wachs aus den Halsweichteilen sog und verbrannte.

Carsten packte Arndt an dem Lederband, das dieser mit einem versilberten Keltenkreuz daran um den Hals trug. Er zog Arndt schon wieder ganz nah an sein verschwitztes Gesicht.

„Ist mir scheißegal, was mit deinem Hals ist!“ Carstens Stimme überschlug sich, „und wenn du deinen Text furzt - du kommst jetzt sofort zurück!“

Arndt versuchte sich aus Carstens Griff zu befreien, sie rangen in der Enge der Kabine, Arndt wand sich aus dem Lederband, das in seinen Hals schnitt, schubste Carsten auf die Kloschüssel und hechtete durch die Tür, aber Carsten warf sich sofort wieder auf ihn, bekam ein Büschel Haare zu fassen und riss daran, dass sich Arndts Kopf in den Nacken bog. Um nicht ganz das Gleichgewicht zu verlieren, musste Arndt sich wieder zu Carsten umdrehen, was der nutzte, um ihn in den Bauch zu boxen. Arndt krümmte sich, schaffte es dabei aber, Carsten seinen Kopf erst zwischen die Rippen zu rammen, um ihm dann im Hochkommen mit dem Hinterkopf einen Kinnhaken zu verpassen. Carsten wankte zurück, ein ausgerissenes Büschel von Arndts Haaren immer noch fest in der Faust. Seine Oberlippe war eingerissen, und das Blut lief ihm über die Zähne, die er bleckte wie ein Raubtier. Kaum hatte er das Gleichgewicht wiedererlangt, sprang er erneut auf Arndt zu, der jetzt schützend die Hände vors Gesicht hielt. Aus dem Augenwinkel sah Arndt, wie sich ein Schatten vor die Neonleuchte über den Waschbecken schob. Gerade als Carsten wieder über ihm war, spürte er einen eisernen Griff im Nacken, viel kräftiger als alles, was er von Carsten erwartet hätte. Etwas riss die beiden mit gewaltiger Kraft auseinander. Arndt schielte aus der Umklammerung in seinem Nacken nach oben: über ihm wölbte sich ein mächtiger Bauch in einem schwarzen Pullover und die schwarze Jeans neben seinem Gesicht verströmte den Geruch von erwachsenem Schweiß mit einem Hauch von Urin.

Der Ordner schleifte die beiden gnadenlos an der johlenden Menge vorbei in Richtung Hauptausgang. Oben auf der Bühne hatte Rafael den leer gewordenen Platz in der Mitte eingenommen und spielte scheinbar selbstvergessen ein virtuoses Bass-Solo, in das Mike und Olli halbherzig ein paar Akkorde und Schläge einstreuten. Kaum einer sah zur Bühne hinauf; alle ergötzten sich am Schauspiel des Rauswurfs. Arndt hatte den Eindruck, dass Rafael ihm von der Bühne aus zuzwinkerte.

Fehlt nur noch der Arschtritt, dachte Arndt, als der aufgepumpte Riese mit dem Fuß die Tür auftrat und die beiden Kontrahenten gleichzeitig in den milden Mai-Abend stieß. Sie taumelten V-förmig auseinander, aber schon im nächsten Augenblick kam Carsten wieder auf Arndt zu. Arndt sah die Mordlust in Carstens Augen. Er rannte los; er hörte Carsten hinter sich brüllen; seine Füße berührten kaum noch den Boden – war er jemals in seinem Leben so schnell gewesen? Ihm war, als flöge er über den rissigen Asphalt, seine Lungen pumpten wie zwei Blasebälge, die das Feuer unter seinem Hintern anfachten, seine Mähne wehte hinter ihm wie der Schweif eines galoppierenden Pferdes. Er war kein Mensch mehr, sondern eines der vielen Fabelwesen, die die Plattencover seiner Lieblingsalben schmückten, ein Zentaur, ein Greif, irgendwas mit überirdischen Kräften.

Schon am Hoftor spürte er, wie sich der Abstand zwischen ihnen vergrößerte, aber er traute sich nicht zurückzuschauen, aus Angst, er könne stolpern. Als er das Gelände verließ, überlegte er kurz, ob er nach rechts zur Bahnunterführung laufen sollte, entschied sich dann aber, nach links Richtung Hauptstraße zu laufen. Der Bürgersteig zwischen den parkenden Autos und der hohen Mauer des alten Werkgeländes war schmal, ein Gewehrlauf, er schoß hindurch. Schon auf den letzten Metern vor der Hauptstraße spähte er in beide Richtungen nach einer Lücke zwischen den fahrenden Autos; er sah eine und beschleunigte noch einmal; er hatte knapp kalkuliert, aber er kam durch, erreichte die andere Straßenseite, hörte wie sich ein Auto hupend entfernte. Jetzt wagte er sich umzusehen – Carsten war noch nicht einmal an der Hauptstraße angelangt. Arndt rannte noch ein Stück weiter, bog um ein paar Ecken, wurde langsamer, wechselte vom Dauerlauf in ein schnelles Gehen und erreichte schließlich die zum Fahrradweg umgebaute Bahntrasse. Dort würde er Carsten von weitem kommen sehen – auch, wenn er nicht glaubte, dass der ihm noch folgte. Das Stechen in seinen Lungen war immer noch so stark, dass er darüber die Halsschmerzen kaum merkte. Ihm war schwindlig, der Schweiß brach ihm aus, er fühlte die einzelnen Tropfen, die ihm vorn am Brustbein hinunter und hinten zwischen den Schulterblättern entlangliefen.

Die Strecke durchschnitt die Stadt in gerader Linie bis ganz in die Nähe seiner Siedlung; es reichte, vor sich auf den Boden zu starren und einen Schritt vor den anderen zu setzen. Wenn er sich umsah, regte sich nichts hinter ihm, nur die Sonne brach immer wieder zwischen den bedrohlich aufgetürmten Wolken am Horizont hervor. Trotzdem spürte er Carsten noch in seinem Nacken. Bei jedem Rennradler, der vorbeischoss, zuckte Arndt zusammen. Die Brombeeren rankten so dicht zu beiden Seiten, dass er sich nur unter größten Schmerzen in die Böschung hätte schlagen können. War es doch eine schlechte Idee gewesen, über die Trasse zu fliehen? Er war sich nicht einmal sicher, ob Carsten wusste, wo er wohnte.

Er musste husten, aber gleich schmerzte sein Hals wieder so, dass er das Husten unterdrückte.

Carsten, dieser Psychopath! Was für ein Auftritt! Der Typ war ja noch viel durchgeknallter, als Arndt immer gedacht hatte. Vielleicht war es feige gewesen, angesichts der Blamage einfach von der Bühne zu rennen - aber deswegen eine solche Prügelei anzufangen? Um wie viel peinlicher war es denn gewesen, vom Ordner vor aller Leute Augen vor die Tür gesetzt zu werden? So ein Vollidiot!

Jetzt war doch jemand hinter ihm, aber so weit weg, dass Arndt im Gegenlicht nur eine Silhouette sah. Er ging wieder schneller. Der Abstand vergrößerte sich – oder doch nicht?

Man konnte der Trasse bis nach Dortmund folgen. Als Arndt an den Abzweig kam, der ihn nach Hause geführt hätte, war es schon fast dunkel, und es wurde schnell kälter. Trotzdem wollte Arndt nicht nach Hause gehen. Er lief weiter auf der Trasse, sah den Abendstern aufgehen und ihn begleiten. Unweit des Abendsterns war jetzt auch wieder Hale-Bopp sichtbar, der Komet, den zuletzt die Menschen im Mittelalter gesehen und für ein Zeichen Gottes gehalten hatten; das jedenfalls hatte sich Arndt aus der Reportage im WDR gemerkt.

Arndt sah nach und nach die Lichter in den Häusern angehen; schließlich auch in dem einen, auf das er nur halb bewusst zugesteuert hatte. Es stand so nah an der Trasse, dass man es von einer kleinen Straßenbrücke sehen konnte, weil dort kein Gestrüpp die Sicht versperrte. Arndt blieb auf der Brücke stehen und beobachtete, was sich hinter den erleuchteten Fenstern des Hauses tat.

Das Haus stand allein, ein Gründerzeit-Bau mit einer aufwändig restaurierten Stuckfassade, einer der wenigen in der Gegend, die den Bomben des zweiten Weltkriegs entgangen waren. Die Mauern waren bordeauxrot gestrichen, der Stuck gelb; die Fenster waren hoch und die Vorhänge nur selten zugezogen. Das Grundstück war von einer niedrigen Mauer umgeben; auf die Mauer waren Pfeiler mit flach zulaufenden Zinnen gebaut; die Pfeiler waren mit gusseisernen Gittern miteinander verbunden. An den Gittern rankten Rosen empor; zwar grünten sie schon, aber noch konnte man durch die Gitter in den dahinterliegenden Garten sehen. In wenigen Wochen würde ihr dichtes Blattwerk die Sicht auf Haus und Garten weitgehend versperren; das erinnerte Arndt aus dem Vorjahr; solange schon wollte er immer wieder wissen, was sich dort abspielte. Ob er Luise eines Tages gestehen durfte, wie oft er sie heimlich beobachtet hatte? Manchmal hatte er sie aus der Ferne mit ihrer kleinen Schwester verwechselt: die Silhouetten der beiden ähnelten sich sehr. Erst wenn sie sich durch die Räume bewegten, mal im einen, mal im anderen Fenster auftauchten, wusste er sie klar zu unterscheiden. Luises Schwester war viel lebhafter, und sie beschäftigte sich oft mit zwei Vögeln, die sich anscheinend frei im Haus bewegen konnten, während Luise die Tiere eher verscheuchte, wenn sie versuchten auf ihr zu landen. Luise telefonierte auch viel öfter als ihre Schwester, und stand dann oft lange an einem der Fenster und sah hinaus. Das waren Glücksmomente für Arndt, wenn er sich ganz in ihren Anblick vertiefen konnte, statt nur zu hoffen, und nie zu wissen, ob und für wie lange sie sich noch einmal am Fenster zeigen würde.

Zum ersten Mal an diesem schwarzen Tag hatte er Glück: als er an der Brücke hielt, stand Luise am gekippt stehenden Wohnzimmerfenster und telefonierte aufgeregt. Sie trug ein blauweiß gestreiftes Kleid, das viel von ihren geraden schon jetzt gebräunten Schultern sehen ließ. Sie schien so nah und blieb doch völlig unerreichbar.

Die übrigen Fenster im Erdgeschoss waren dunkel. Dort hatte Luises Mutter ihre Augenarzt-Praxis. Es war der einzige Teil des Hauses, den Arndt von innen kannte. Vor Jahren hatte er mit seiner Mutter dort gesessen. Die hatte sich damals gesorgt, dass er so häufig über Kopfschmerzen klagte. Luises Mutter, eine kleine, dunkle, sehr forsch auftretende Frau mit einem seltsam singenden Akzent, hatte ausgeschlossen, dass eine Sehschwäche die Ursache für Arndts Kopfschmerzen war. Damals hatte er sich vor dem Haus gefürchtet - von Luise wusste er da noch nichts. Heute bedauerte er, dass es keinen Grund für erneute augenärztliche Konsultationen gab.

Arndt hatte sich seit jenem Tag dem Haus nie wieder weiter genähert als bis zu der kleinen Brücke, von der aus man die ganze Rückfront des Hauses und Teile des Gartens im Blick hatte - solang die Rosen noch nicht wieder hoch und dicht genug gewachsen waren. Im Sommer konnte er nur manchmal den Stimmen aus dem Garten lauschen, wenn es spät abends still auf der Straße war.

Nach so viel Peinlichkeit hatte Arndt das Gefühl, nichts mehr verlieren zu können. Warum also nicht noch eine peinliche Situation riskieren? Er lief die Trasse ein kleines Stück zurück, bis zu dem Abzweig, der hinunter auf die Straße führte. Er überquerte die Straße und den Bürgersteig. Bevor er den Bürgersteig wieder verließ, sah er sich um. Kein Mensch war unterwegs, nur Vögel zwitscherten im Dickicht. Unterhalb der Trasse verlief ein Trampelpfad durch die Brennnesseln, der ihn bis an die Rückseite des Grundstücks brachte. Arndt sah sich noch einmal nach beiden Seiten um, dann schwang er sich neben einem der Mauerpfosten an dem eisernen Gitter hoch. Indem er sich bäuchlings von der Querstrebe des Gitters auf den abgeflachten Abschluss des Pfostens schob, vermied er es, sich an den lilienförmigen Spitzen des Gitters aufzuspießen. Vorsichtig hievte er seine Beine auf die andere Seite des Gitters, stieß sich dann mit den Füßen vom Gitter ab, während er sich mit den Händen oben am Pfosten festhielt, sodass er nur noch daran baumelte, und sprang dann ab. Er spürte wie sein Pullover und seine Hose an den Rosenbüschen zu beiden Seiten hängen blieben. Er bemühte sich, jeden Dorn einzeln aus seiner Kleidung zu lösen, besonders sein „Death Angel“-T-Shirt sollte keine Löcher abbekommen. Er trat zwischen den Rosenbüschen hervor in den dunklen Garten. Irgendwo plätscherte Wasser. Jetzt nur nicht in den Gartenteich fallen, dachte Arndt. Er machte einen Bogen um den Lichtkegel, den die Wandleuchten des Wohnzimmers über die Sandsteinfliesen der Terrasse hinaus ins Rosenbeet warfen. Von der dunklen Praxisseite her konnte er sich an der Hauswand entlang dem Wohnzimmerfenster nähern. Schließlich war er nah genug, um zu verstehen, was Luise am Telefon sagte:

„Das ist es nicht…- Nein, du sollst dich nicht ändern, das geht auch gar nicht, du bist schon okay, so wie du bist, aber ich bin einfach nicht die Richtige für dich…- ist mir klar, dass du das anders siehst, aber das, was du suchst, das kann ich dir nicht geben…- tu mir einfach den Gefallen: ruf nicht mehr an!“

Arndt hörte den Piepton beim Auflegen, und wie Luise die Luft durch halbgeschlossene Lippen ausblies. So nah war er ihr noch nie gewesen. Er hätte nur hervortreten und Luise Recht darin geben müssen, den anderen Typen, wer immer es war, abzuschießen, und ihn, Arndt, an dessen Statt zu ihrem neuen Günstling zu küren. Aber er blieb an die Hauswand gelehnt stehen, und schon entfernten sich ihre Schritte. Das Wohnzimmerlicht ging aus. Arndt blieb weiter stehen und malte sich die Szene, die sich gerade hätte abspielen können, weiter aus.

Gerade wollte er zurück zur Grundstücksgrenze schleichen, da knarrte der Hebel der Terrassentür. Arndt duckte sich hinter einen Busch. Luise trat auf die Terrasse. Sie hatte sich eine Strickjacke über ihr Kleid geworfen und rückte sich einen Gartenstuhl so zurecht, dass sie in den Garten blickte. Die abnehmende Mondsichel, die hin und wieder zwischen den Wolken hervortrat, gab zu wenig Licht, als dass sie bis in den hinteren Teil des Gartens hätte sehen können. Luise zog sich die Strickjacke fester um die Schultern und schlug ihre langen Beine übereinander. Arndt wagte kaum zu atmen hinter seinem Busch. Luise saß da und schaute; saß da und schaute. Arndt spürte wie ihm die Beine in der Hocke einschliefen. Die Erbärmlichkeit seiner Position quälte ihn mindestens so sehr wie ihn Luises Anblick erfreute. Aus dem Gebüsch neben ihm drang auf einmal ein seltsames Schnaufen und Zischen. Luise spähte zu seinem Busch hinüber, Arndt versuchte, noch stiller zu halten. Ein kleiner rundlicher Schatten löste sich aus dem Gebüsch und bewegte sich gemächlich über den Rasen auf das Rosenbeet vor der Terrasse zu. Luise stand auf, ging ihm ein Stück entgegen und beugte sich zu ihm herab. Der Schatten hielt kurz inne und Arndt konnte sehen, wie sich die Stacheln auf seinem Rücken aufstellten. Luise hielt ganz still, die Stacheln senkten sich wieder, und der Igel setzte seine Bahn fort. Luise erhob sich, sah ihm nach und kehrte dann zu Arndts großer Erleichterung nicht zu ihrem Stuhl zurück, sondern ging zurück ins Haus; mit einem leisen Quietschen schloss sich die Terrassentür hinter ihr.

Arndt erhob sich mühsam auf seinen eingeschlafenen Beinen. Jeder Schritt schickte einen Stromschlag von den Fußballen bis hoch in die Leisten. Er humpelte zurück zur Grundstücksgrenze. Allmählich kehrte das Gefühl zurück. Er musste noch ein paar Mal auf und ab treten, den Blick immer besorgt auf die Hausfront gerichtet, bevor er sich in der Lage sah, sein riskantes Klettermanöver in umgekehrter Richtung zu wiederholen.

Erleichtert ließ er sich zurück auf den Trampelpfad fallen. Auf einmal spürte er, wie ihn alle Kräfte verließen. Auch wenn ihn drei Jahre Pubertät zu einem Experten in Sachen Peinlichkeit hatten heranreifen lassen – der heutige Tag war auch für ihn zu viel gewesen: er setzte sich mitten auf den Pfad zwischen die Brennnesseln, zog die Beine an und vergrub sein Gesicht in den verschränkten Armen.

Er wusste nicht mehr, wie lange er so gesessen hatte; irgendwann wurde auch diese Position zu unangenehm. Er raffte sich auf und trottete zurück zur Trasse und nach Hause, die Haare vor dem Gesicht, den Blick auf den Boden vor seinen Füßen gerichtet.



9.

Am nächsten Morgen erwachte er aus wilden Träumen, als es an der Tür klopfte.

„Arndt, Telefon für dich“, rief seine Mutter hinter der Tür.

Arndt schwang sich aus dem Bett und streifte sich das verschwitzte „Death Angel“-T-Shirt noch einmal über. Missmutig stellte er fest, dass die Rosendornen doch ein paar kleine Löcher hinterlassen hatten. In seinem Hals war immer noch das fast schon zur Gewohnheit gewordene Brennen. Er öffnete die Tür und nahm seiner Mutter, die schon wieder ihre Tennissachen trug, das Telefon ab.

„Da ist ein Rafael dran“, informierte sie ihn noch, während er die Tür vor ihrer Nase wieder zuschob.

„Ja“, sagte Arndt immer noch tonlos.

„Moin“, sagte Rafael, „du lebst also noch.“

„Was dachtest du denn?“ Arndt spürte ein mulmiges Gefühl in sich hochsteigen.

„Naja, Carsten war echt im Killermodus gestern.“

„Der Typ ist krank.“ Arndt schüttelte sich.

„Vielleicht“, sagte Rafael, „aber Gitarre spielen kann er.“

„Wie ging es denn noch weiter?“

„Du meinst, nachdem der Ordner euch rausgeschmissen hat? Naja, mein Solo konnte es irgendwie auch nicht retten. Wir sind Vorletzter geworden, noch hinter den ‚Dicken Dosen‘. Nur die White Metaller haben noch weniger Stimmen gekriegt. Die Armen! Dabei haben die gar nicht schlecht gespielt. Nur ihr Gelaber kam irgendwie nicht so gut an. Ach ja, und dein durchgeknallter Freund mit seinem Skinhead-Bassisten und diesem schäbigen Lars Ulrich-Imitat - die haben gewonnen.“

„Und jetzt?“

„Tja, ich fürchte das war’s mit ‚Blackard‘. Für dich auf jeden Fall. Aber, ehrlich gesagt, habe ich auch keinen Bock mehr - nicht nach der Nummer. Ich glaube, ich werde mich wieder verstärkt meinem Jazz-Projekt widmen.“

„Jazz-Projekt?“

„Ja klar, falls du es noch nicht gemerkt hast: es gibt auch noch andere geile Musik außer Metal.“

„Ist mir schon klar. Ich steh auch auf Klassik, aber das konnte man bei den anderen ja nie laut sagen.“

„Du darfst dich einfach nicht so viel um das Gelaber der anderen kümmern.“

„Das sagt sich so leicht.“

„Ich kann dir jedenfalls nur empfehlen, mal was anderes auszuprobieren.“

„Hmm.“

„Naja, was soll’s, hat jedenfalls Spaß gemacht mit dir. Schade, dass der Auftritt ein solches Desaster geworden ist. Ich fand dein Gebrüll schon immer ziemlich cool, auch wenn du oft Schwierigkeiten hattest, den Takt zu halten. Aber scheint ja auch auf die Dauer nicht so gut für die Stimme zu sein.“

„Kann man wohl sagen. Ich habe alles gegeben, um es irgendwie wieder hinzukriegen, aber es ist immer schlimmer geworden.“

„Vielleicht probierst du es lieber mal mit einem Instrument.“

„Ich spiele Klavier, habe ich dir doch gesagt“

„Na guck, was denn so?“

„Na, mehr Klassik, halt.“

„Kannst es ja mal mit Jazz versuchen, dann können wir vielleicht eines Tages wieder zusammen spielen.“

„Wäre cool, ja.“ Arndt spürte zu dem Brennen noch einen Kloß in seinem Hals aufsteigen.

„Tja, dann… mach’s gut – und hey: mach dir nicht zu viel draus, sowas kommt vor, einfach weiter machen!“

„Danke“, presste Arndt hervor, „mach’s gut.“

Kaum hatte er aufgelegt, brachen ihm die Tränen aus den Augen. Kann doch nicht wahr sein, dass ich jetzt auch noch heule, dachte er.

Irgendwann ging es wieder. Susanne blockierte ausnahmsweise nicht das Bad. Er hatte sie noch gar nicht gehört. Wahrscheinlich schlief sie wieder bei ihrem Typen. Arndt duschte, bis das Warmwasser zur Neige ging. Er sammelte die ganze stinkende Wäsche vom Boden auf und stopfte sie in den Wäschekorb im Bad. Dann nahm er eines seiner wenigen unbedruckten T-Shirts aus dem Schrank und zog die am wenigsten enge Jeans an, die er besaß. Die Holztreppe knarrte unter seinen nackten Füßen. Er hatte auf einmal richtig, richtig Hunger. Aus der hintersten Ecke des Hängeschranks in der kleinen Einbauküche fischte er die größte Schüssel, die er finden konnte, eine grüne mit gelben Punkten; er schüttete sie voll Cornflakes, streute noch fünf Löffel Kakaopulver oben drüber und übergoss den Haufen bis zum Rand mit Milch. Ohne umzurühren fing er an zu schaufeln. Es krachte so wunderbar im Mund, bevor sich die Cornflakes vollsogen; der Zucker tat gut, und die Milch kühlte seinen brennenden Rachen. Da erst bemerkte er Johan, der reglos auf dem Ledersofa saß und durch die Panoramascheibe hinaus in den kleinen Garten starrte. „Was - “ noch ehe Arndt weitersprechen konnte, staubte das nicht aufgelöste Kakaopulver hinten in seinem Rachen - er musste husten und versuchte vorher noch schnell zu schlucken. Die Milch bahnte sich ihren Weg durch seine Nase nach draußen. Johan hatte sich zu ihm gewandt und beobachtete interessiert, wie Arndt mit den widerstreitenden Reflexen im Innern seines Mundes kämpfte.

„Was guckst du so?“, zischte Arndt ihn tonlos an.

„Was machst du da?“, fragte Johan.

„Sieht man doch, ich frühstücke – und was machst du da so still auf dem Sofa?“

„Ich bin wütend.“

„Ah, wieso?“

„Weil heute schon wieder keiner mit mir in den Film geht. Alle in der Schule reden seit über einer Woche von nichts anderem; und der einzige, der ihn noch nicht gesehen hat, bin ich?“

„Wo sind denn Mama und Papa?“

„Papa ist bei so einem Kongress, und Mama… was meinst du, wo die ist?“

„Nicht schon wieder beim Tennis?“

„Doch, klar.“

„So sportlich wie neuerdings war Mama noch nie.“

„Das hilft mir auch nicht.“

„Was hältst du davon, wenn ich mit dir ins Kino gehe?

„Im Ernst?“

„Ich schlag dir einen Deal vor: du begleitest mich zu was, wovor ich ein bisschen Schiss habe, und ich gehe dafür mit dir ins Kino.“

„Ist das gefährlich, wohin dich begleiten soll?“

„Für dich nicht.“

„Okay, ich bin dabei.“

"Wann fängt denn dein Film an?"

"Es gibt eine Vorstellung um elf und eine um drei."

"Elf schaffen wir nicht - also um drei."



10.

"Zum Friseur - bist du dir sicher?", fragte Johan.

Sie standen am Anfang der Fußgängerzone, gleich hinter dem Busbahnhof, neben der Passage, die zu Dr. Wehners Praxis führte. Es war Samstag und die Praxis war geschlossen. Dr. Wehner war vermutlich beim Tennis. Der Friseursalon aber war geöffnet, und da stand unmissverständlich: ‚Mit und ohne Termin‘. Arndt zögerte.

"Wenn ich mir sicher wäre, hätte ich dich nicht mitgenommen. Du stellst dich davor und sorgst dafür, dass ich nicht gleich schreiend wieder rauslaufe."

"Aber das dauert doch bestimmt lange, bei so vielen Haaren. Was mache ich denn die ganze Zeit?"

Arndt staunte wieder einmal über die Geschäftstüchtigkeit seines kleinen Bruders. Er setzte seinen Bundeswehr-Rucksack ab und fischte aus einer der Seitentaschen ein Fünfmark-Stück.

"Hier - gib nicht alles aus!"

Johan grinste, bedankte sich artig und flitzte ohne zu gucken über die Straßenbahnschienen zu der Trinkhalle am Busbahnhof.

Was für eine bekloppte Idee, die Straßenbahn durch die Fußgängerzone fahren zu lassen, dachte Arndt.

Er wartete nicht länger auf Johans Rückkehr, sondern betrat den Friseursalon, wie ein Westernheld den Saloon einer fremden Stadt betritt: auf das Schlimmste gefasst.

Es roch nach Fön, Haarspray und ätzenden Substanzen. Der Salon hatte viele Plätze; fast alle waren besetzt. Scheren klapperten, Haarschneider summten, Fönhauben bliesen, Wasser gurgelte in den Haarwaschbecken. Fast hätte Arndt erwartet, dass dieses Treiben für einen Augenblick stillstehen und alle ihn anstarren würden. In Wirklichkeit beachtete ihn niemand. Er blieb an der verwaisten Theke stehen und betrachtete die großformatigen Fotos perfekt frisierter Schönheiten. Schon wollte er sich wieder umdrehen, da löste sich eine kleine Frau mit blondierten kurzen Haaren aus dem Gewimmel und kam zur Theke.

"Sie haben einen Termin?", fragte sie schneidend.

"Ich - will mir die Haare schneiden lassen", sagte Arndt.

Die Blondine sah ihn misstrauisch an: "Haben Sie einen Termin?"

"Nein, aber da draußen stand doch: mit und ohne Termin."

Die Frau zuckte mit den Schultern.

"Aber Sie sehen ja, wie voll es gerade ist. Ich kann Ihnen höchstens anbieten, so gegen zwei nochmal wieder zu kommen."

Arndt überlegte - nein, er wollte Johan nicht enttäuschen; und es gab noch andere Friseure in der Stadt.

"Nein, vielen Dank", sagte er, "da kann ich nicht - auf Wiedersehen!"

"Tut mir leid", sagte die Frau und machte einen halbherzigen Versuch zu lächeln.

Arndt wandte sich zum Gehen - da kam jemand zum Tresen geeilt, ein schmaler junger Mann mit feinem Gesicht, der Arndt schon beim Hereinkommen aufgefallen war- der einzige Mann unter den Schneidenden; alle übrigen waren aufwändig frisierte Frauen mittleren Alters.

"Moni!" Er wandte sich gespielt vorwurfsvoll an die Blondine, "wolltest du gerade ernsthaft diesen wertvollen Rohstoff-Träger wieder wegschicken?" Er schob sich eine blonde Strähne aus der Stirn. Arnd starrte auf den silbernen Ring in seinem rechten Ohr.

"Ich kann ihn doch noch machen!", sagte der junge Mann.

"Ich dachte, du hast jetzt Pause", protestierte Moni.

"Ach, Pause, Pause kann ich auch noch später machen - komm mit, Hase!"

Hat der mich gerade ernsthaft 'Hase' genannt, dachte Arndt; aber er folgte brav zu einem der Kunstleder-Sessel. Gemeinsam betrachteten sie Arndts Mähne im Spiegel.

"Darf ich 'du' sagen?", fragte der junge Mann.

"Ja", krächzte Arndt.

"Wie heißt du denn?"

"Arndt", krächzte Arndt.

"Arndt, schöner Name - ich bin der Michi, du darfst mich ruhig auch duzen. Also Arndt: was darf's denn sein - einmal Spitzen schneiden?"

"Äh - nee."

"Sondern - sag bloß, ich darf dir eine richtige Frisur machen?"

"Ja."

Michi klatschte in die Hände.

"Mensch, heute ist mein Glückstag - ein jungfräulicher Kopf! Hast du irgendwelche besonderen Vorstellungen - oder soll ich einfach machen?"

"Mach einfach."

"Na, das lasse ich mir doch nicht zweimal sagen!"

Michi griff mit beiden Händen in Arndts immer noch feuchte Haare und sah dabei prüfend in Arndts Gesicht im Spiegel. Der wusste kaum, wo er den Blick hinwenden sollte.

"Gewaschen hast du sie auch schon", sagte Michi, " sehr aufmerksam von dir - da können wir gleich loslegen!"

Mit schwungvoller Geste, fast wie ein Torero, breitete Michi den schwarzen Umhang über Arndt aus. Dann befestigte er das widerliche Klebeband, von dem Arndt früher als Kind schon immer gedacht hatte, es würde ihn gleich erwürgen. Jedes Mal wenn er schluckte, zog sein Adamsapfel den Umhang ein Stück nach oben.

Michi zückte seinen Kamm. Arndt konnte seine Augen nicht am Tränen hindern, während Michi einen Knoten nach dem anderen löste und die schon befreiten Strähnen mit kleinen Klammern hochsteckte. Wenigstens konnte Arndt sich sicher sein, dass er hier auf keinen Freund oder Kumpel treffen würde, höchstens auf entfernte Bekannte. Letzteres wäre schlimm genug gewesen. Michi befeuchtete Arndts Haare mit einer Sprühflasche, wie sie Arndts Oma für ihre Orchideen benutzt hatte. Sie hatte immer geschimpft, wenn Johan und er die Dinger als Wasserpistolen missbrauchten. Das war jetzt auch schon lange her. Seit dem Schlaganfall kümmerte sich jemand anderes um die paar Orchideen, die noch auf ihrer Fensterbank im Heim Platz gefunden hatten.

Einen Augenblick lang glaubte Arndt nicht mehr, dass er es war, den er da im Spiegel sah; es musste ein Film sein mit jemandem, der ein ähnliches Gesicht hatte. Michi steckte den Kamm weg und zog die Schere aus ihrer Halterung am Gürtel.

"So, jetzt wird's ernst - wie hätten wir's denn gerne: an den Seiten kurz, und oben ein bisschen länger?"

Arndt versuchte eine bequemere Position auf dem Sessel zu finden.

"Okay."

"Kannst du eigentlich auch Sätze mit mehr als einem Wort sagen?", fragte Michi. Arndt sah Michis Spiegelbild verständnislos ins Gesicht und sagte nichts.

"Schon gut, ich verstehe schon, ist alles ein bisschen aufregend, gerade - wir müssen auch nicht reden."

Michi vertiefte sich in seine Arbeit, und Arndt sah immer noch ungläubig Strähne um Strähne auf den Umhang fallen.

Er erwachte erst aus seiner Starre, als Michi ihm irgendwann mit hoch zufriedener Miene durch den kurzen Schopf fuhr und sagte:

"So - das war's. Ich mache dir noch ein bisschen was rein, ja?"

"Okay."

Fasziniert beobachtete Arndt Michi, wie der sich mit zwei Fingern aus einer übergroßen Haargel-Dose bediente und dann auf seinem erstaunlich leicht gewordenen Kopf herumwuschelte. Jetzt sah er tatsächlich endgültig wie alle die Normalos aus, die er immer verachtet hatte. Wie ein Schlafwandler folgte er Michi zum Tresen, zahlte siebzehn Mark- wobei Michi ihm erklärte, dass er ihm eigentlich einen Damenhaarschnitt hätte berechnen müssen - warf noch eine Mark in ein rosa Sparschwein, auf dem 'Michi' stand und wankte dann durch die Lichtschranke, die jedes Mal ein lautes Bimmeln auslöste, wenn ein Kunde sie durchschritt.

Johan hatte es sich mit einer Tüte 'Nimm zwei' und einem 'Hulk'-Comic auf einer Bank vor dem Friseur bequem gemacht. Der Mülleimer neben der Bank musste schon vorher randvoll gewesen sein, aber da Johans Bonbonpapiere eine geschlossene Oberfläche darauf bildeten, sah es so aus, als habe er schon einen ganzen Eimer voll Bonbons gegessen. Als es beim Friseur bimmelte, sah er auf und ließ das Heft sinken. Dann rückte er seine Brille zurecht.

"Arndt - bist du das?"

Arndt verzog das Gesicht.

"Lass den Scheiß und komm; wir gehen ins Kino!"

Johan sprang auf, stopfte das Comic-Heft in den Rucksack und lief Arndt hinterher, der nicht auf ihn gewartet hatte. Johan überholte ihn und drehte sich dann wieder zu ihm um, um ihm ins Gesicht zu sehen.

"Das ist so abgefahren!", rief er immer wieder.

"Ist ja gut", sagte Arndt, und zum ersten Mal bekam er wieder etwas Ton in die Stimme, "krieg dich wieder ein."

"Du siehst auf einmal viel jünger aus!", sagte Johan.

"Na, hoffentlich lassen sie mich dann überhaupt rein, in deinen Film!"

"Der ist ab sechs, glaube ich - so jung siehst du jetzt auch wieder nicht aus."

"Na dann…



11.

Arndt fiel auf, dass die Frau am Schalter gar nicht hochschaute, während sie ihnen die Eintrittskarten verkaufte. Er war es so gewöhnt, dass normale Leute ihn erst einmal anstarrten, wenn er sich an sie wandte, dass es sich auf einmal anfühlte, als trüge er eine Tarnkappe. Er war so fasziniert, dass er gleich noch eine Packung Eiskonfekt bestellte - und wieder reichte die Frau sie ihm durch die Glasscheibe, ohne ihn anzusehen. Er hätte das Spiel gerne noch ein bisschen weiter gespielt, aber die Vorführung begann.

Als sie aus dem Kino kamen, gähnte Arndt.

"Normalerweise rege ich mich ja auf über die bekloppten Titel, die sie bei uns den amerikanischen Filmen verpassen - aber ich finde "Der Dummschwätzer" passt zu diesem Film schon ziemlich gut."

Johan starrte auf den Boden vor sich. "Ich fand ihn lustig."

"Habe ich gemerkt - freut mich auch für dich."

Jetzt sah Johan Arndt wieder direkt ins Gesicht:

"Danke Arndt, manchmal bist du echt ein toller großer Bruder!"

Arndt spürte, dass er rot wurde.

"Schon gut", sagte er, " komm, wir gehen wieder nach Hause."

"Ich hab aber Hunger."

"Von mir aus gehen wir auch noch an der Pommesbude vorbei." Arndt sah seinen kleinen Bruder kopfschüttelnd an: der würde es in dieser Welt weit bringen, wenn er so weitermachte.

In der Pommesbude, am Busbahnhof, im Bus, überall machte Arndt die gleiche Erfahrung: die Menschen sahen durch ihn hindurch. Er hätte seinem kleinen Bruder in einem Wettkampf die Hand führen können wie Siegfried dem Gunther - niemand würde ihn bemerkt haben.

Zuhause dagegen war die Aufmerksamkeit groß:

"Mei Büble, was siehst du fesch aus!", rief seine Mutter, als sie vom Tennis kam; "Mensch, Junge, du hast ja ein Gesicht", sagte sein Vater, als er von seinem Kongress heimkehrte; " Oah, nää, jetzt muss ich mir wieder jeden Tag deine Fresse reinziehen - das war so praktisch, mit dem Vorhang!", sagte seine Schwester.

Die einzigen, die keine Veränderung zu bemerken schienen waren die Skalare im Aquarium seines Bruders, die wie immer neugierig und in der Hoffnung auf Futter angeschwommen kamen, als sein Gesicht vor der Scheibe auftauchte. Johan schimpfte zwar immer, er solle seine Fische nicht dauernd füttern, das sei gar nicht gesund für die, aber Arndt liebte das Gefühl, wenn sie ihm die perverserweise selbst nach Fisch riechenden Flocken aus der Hand knabberten.

12.

Den Rest des Wochenendes verbrachte Arndt damit die Konsequenzen seiner neuen Frisur weiter zu erkunden, sehr zur Freude seines kleinen Bruders. Sie radelten zusammen ins Schwimmbad - wie gering der Luftwiederstand war! Arndt trat unter die Dusche - und zack! waren alle Haare nass! Er sprang ins Wasser - und kein Schweif bremste ihn! Er trat unter den Fön - und im Nu war alle Feuchtigkeit aus seinen Haaren verdampft! Abends im Bett ließ Arnd die Rasputin-Biographie liegen, und las stattdessen Foucault - ja, alles, alles war irgendwie neu!



13.

Am Sonntagabend hatte Susanne sich wieder zu ihrem Freund verzogen. Arndt ergriff die Gelegenheit und stahl sich in ihr Zimmer. Wenn schon, denn schon, dachte er, während sein Blick über die Dekorationen auf der Raufasertapete schweifte: zentral das Robbie Williams-Poster, daneben die Drahtleine, an der seine Schwester Fotos mit Wäscheklammern befestigt hatte; die zeigten sie mit ihrem Freund am Nordseestrand, mit ihren Freundinnen beim Mädelsabend, mit ihrem Tanzpartner beim Abschlussball. Neben ihrem Bett stand eingerahmt ein Fotostudio-Portrait ihres Freundes mit dem Bernhardiner der Familie. Arndt schauderte es: war das die Welt, zu der er ab jetzt gehören sollte? Es musste noch einen anderen Weg für ihn geben! Fürs erste galt es, die Provokation seiner Kumpels auf die Spitze zu treiben. Der Kleiderschrank knarrte beim Öffnen; Arndt sah verstohlen zur Tür. Er hörte unten in der Küche Töpfe klappern - wahrscheinlich räumte seine Mutter noch auf.

Der Stapel mit den T-Shirts lag gebügelt und auf Kante gefaltet in dem für ihn vorgesehenen Fach - größer hätte der Kontrast zu den Wäschehaufen in Arndts Zimmer nicht ausfallen können. Arndt ging den Stapel sorgfältig durch, bemüht nichts zu verrücken. Weit genug unten fand er, was er suchte: ein graues Unisex-Replay-T-Shirt. Vorsichtig zog er es aus dem Stapel und zog sich zurück, nachdem er sich noch einmal vergewissert hatte, dass alles so aussah, wie er es vorgefunden hatte.

Fehlte nur noch die passende Hose. Replay-Shirt und Stretch-Jeans - das ging gar nicht. Als Kompromiss blieb nur seine alte über den Knien abgeschnittene und schon ziemlich ausgefranste 501. Wenigstens die Turnschuhe waren neutral genug.



14.

Am nächsten Morgen nahm er extra noch einen Bus später als sonst, um ja nicht seiner Schwester zu begegnen. Die etwas längeren Haare an der Stirn hatte er sich zurückgegelt - ein eigenartig stachliges Gefühl, dass ihn an seine Konfirmation erinnerte; das war das letzte Mal gewesen, dass er versucht hatte, erwachsenen Vorstellungen von einem gepflegten Äußeren zu genügen. Er kam sich komplett verkleidet vor. Und tatsächlich begegnete er einigen flüchtigen Bekanntschaften auf dem Schulweg, die ihn nicht erkannten.

Am Gatter vor dem Schulhof standen Andi H. und Andi T. und unterhielten sich. Sie sahen nicht auf, als Arndt sich näherte. Andi T. sah nicht gut aus: er hatte einen Bluterguss unter dem linken Auge, der es ihm unmöglich machte, die Lider ganz zu öffnen. Mit zittrigen Fingern bemühte er sich, aus den letzten trockenen Krümeln in seiner Tabakpackung eine Zigarette zu drehen.

"Die Scheiß-Bullen sind immer auf uns drauf und haben die Glatzen in Ruhe gelassen", sagte er gerade, als Arndt zu ihnen trat, "ich sage dir: das sind selber alles Faschos!"

"Meinst du nicht, du machst es dir da ein bisschen zu einfach?", fragte Andi H., "diese ganze Gewalt führt doch nirgendwo hin. By the way, du kannst gerne eine Filterzigarette von mir haben."

"Lass mal, keinen Bock auf die Chemie in den Filtern. Weißt du Andi", sagte Andi T., "ich glaube, Politik ist nicht dein Ding. Du bist Künstler. Die sind auch wichtig für die Revolution. Aber aus dem Kampf gegen das System hältst du dich lieber raus!"

"Genau: weg mit dem Scheißsystem!", platzte Arndt in das Gespräch. Die beiden sahen ihn entgeistert an.

"Arndt, bist du das?" Andi T. kniff nun auch das gesunde Auge hinter seiner Nickelbrille zusammen. Arndt breitete die Arme aus wie ein Showmaster:

"Voilà: the new Arndt!"

Andi T. schüttelte ungläubig den Kopf. "Was ist passiert - haben sie dir einen Chip eingepflanzt, oder was?"

"Replay, nicht schlecht", sagte Andi H., "wird das so eine Art Performance?"

"Weder noch, Leute", sagte Arndt, " man muss sich einfach ab und zu neu erfinden?"

"Sagt wer?", fragte Andi T.

"Sage ich", sagte Arndt.

„Der neue David Bowie“, sagte Andi H.

In diesem Augenblick sprang Timo wie ein wildes Tier in ihre Mitte. Er brüllte wie ein Gorilla, und viel hätte nicht gefehlt, dass er sich auch noch mit den Fäusten auf die Brust getrommelt hätte. Stattdessen packte er die beiden Andis bei den Schultern.

"Call me the Winner!", rief er.

"Okay, Winner, komm mal runter", sagte Andi T.

"Heute ist irgendwie der Tag der neuen Namen - kennst du schon ‚The new Arndt‘?", fragte Andi H.

"Arndt, die feige Sau, der hat sich einfach von der Bühne verpisst…"

Andi H. nahm Timos Hand von seiner Schulter und drehte ihn daran zu Arndt herum, dem er bisher das Anarchie-A auf seinem Rücken zugewendet hatte.

Timo ließ seinen Unterkiefer filmreif fallen.

"Alter, das ist nicht wahr, oder?" Er griff mit seiner ungewaschenen Hand in Arndts gegelten Schopf. Das Gesicht, das er dabei machte, erinnerte Arndt an eine Darstellung des ungläubigen Thomas, der den Finger in die Wunde des auferstandenen Jesus bohrt. Das Bild hatte ihn jahrelang verfolgt, nachdem ihn sein Vater als Achtjährigen mit in die Kunsthalle Bonn genommen hatte. Arndt wand seinen Kopf mit Leichtigkeit aus Timos Griff - da war nichts mehr zum Festhalten.

"Finger weg von meinen Haaren!", krächzte er.

Timo schüttelte den Kopf. "Okay, du hast voll abgelost - echt scheiẞe, wenn einem so mitten im Konzert die Stimme wegbleibt - aber ganz ehrlich: das da ..." er zeigte auf den ganzen Arndt, "…ist ja wohl voll übertrieben!"

Arndt verschränkte die Arme.

"Wie wär's, wenn du das einfach mir überlässt, wie ich damit umgehe?"

"Wie wär's, wenn ich dir sage, dass du scheiße damit umgehst?", äffte Timo ihn nach.

Andi T baute sich vor Timo auf. "Er hat Recht: das ist seine Sache."

Timo fasste sich an die Stirn. " Boah, jetzt fängst du auch noch an - ich glaub's nicht! Egal - habt ihr uns am Freitag gesehen?"

"Ich hab's nicht mehr rechtzeitig geschafft", sagte Andi T., "wir mussten noch so viel vorbereiten für die Demo."

"Selbst schuld - wir waren lang geil!" Timo wandte sich an Andi H. "Warst du wenigstens da?"

"Ja, schon, aber, offen gestanden, waren mir sowohl euer Auftritt als auch der von Arndts Band zu aggro. Ich fand auch übel, wie sie am Ende diese Christ-Rocker ausgebuht haben. Dabei haben die echt ganz coole Musik gemacht. Sorry, aber so alles in allem war das nicht mein Ding." Arndt staunte über diese eindeutigen Worte aus Andi H.s Mund. Der bemühte sich sonst immer, damit jeder sich gut fühlte.

"By the way", fuhr Andi H. fort, "kommt ihr jetzt eigentlich zu meiner Party nächsten Samstag?"

"Wer kommt denn alles?", fragte Andi T.

"Ich weiß nicht genau; ich habe gefühlt die halbe Stadt eingeladen; ich gehe auch davon aus, dass die meisten kommen."

"Na klar, Pool-Party, wer lässt sich das denn zweimal sagen?" Timo hatte sein schmierigstes Grinsen aufgesetzt.

"Ich bin auf jeden Fall auch dabei", sagte Arndt.

"Aber zieh dir bitte was anderes an", sagte Timo.

"Keine Sorge, ich muss das T-Shirt eh meiner Schwester zurückgeben."

"Krass", sagte Andi T., "weiß Susanne, dass du ihr T-Shirt trägst?"

"Was denkst du?", fragte Arndt, "die würde mir die Augen auskratzen, wenn sie es wüsste."

"Das war es auf jeden Fall wert, für den Effekt gerade", sagte Andi H.



Über die zerbröckelte Betonskulptur in der Schulhofmitte hinweg sah Arndt hinten am Eingang zur Aula unter dem Wellblechdach Luise in einem türkisen Kaschmirpullover im Kreis ihrer Leibgarde stehen, und obwohl sie weit weg war, war er sich auf einmal sicher, dass sie zu ihm herüberlächelte.



15.

Andi H. hatte eine Diskokugel an der Wohnzimmerleuchte angebracht und rund herum rote, blaue und grüne Strahler verteilt, sodass bunte Lichtflecken über das Parkett kreisten. Auf dieser improvisierten Tanzfläche bewegten sich barfuß einige in sich gefangene Gestalten zu wabernder Musik. Andi T. schlängelte sich zwischen ihnen hindurch zur offenen Küchenzeile, die Andi H. in eine Bar verwandelt hatte, an der er persönlich den individuellen Cocktailwünschen seiner Gäste nachkam. Sandra und Nina buhlten auf den beiden Barhockern davor um Andi H.s Aufmerksamkeit, doch der blieb sehr beschäftigt damit, das Geschehen zu überblicken. Andi T. erreichte den Tresen. Die beiden Jungen begrüßten sich mit Handschlag, den Mädchen nickte Andi T. schüchtern zu, während diese ihn, und vor allem sein mittlerweile grün und braun umrandetes Auge, belustigt musterten.

"Fette Party, man", sagte Andi T.

"Freut mich, dass du das sagst", sagte Andi H., "ich hatte große Sorge in deinen kapitalismuskritischen Augen nicht bestehen zu können."

"Im Prinzip hast du Recht: wenn die Revolution kommt, wird sie all das hinwegfegen, und in eurem Pool werden die Kapitalisten in ihrem Ausbeuterblut schwimmen - aber bis es soweit ist, bin ich gerne noch Nutznießer deines Reichtums."

Sandra rümpfte die Nase. "Immer einen von Klassenkampf labern, aber sich dann hier von seinen reichen Freunden aushalten lassen: das sind mir die Richtigen."

Andi T. starrte sie an, erwiderte aber nichts.

"Kannst du dich einen Moment hier loseisen?" wandte er sich an Andi H., "ich muss dir was zeigen."

"Könntet ihr hier kurz die Stellung halten?", fragte er die beiden Mädchen, "wenn jemand etwas Ausgefalleneres will, könnt ihr sagen: ich bin gleich wieder da."

"Für dich machen wir das gerne", sagte Nina.

Andi H. folgte Andi T. an den Tanzenden vorbei zum Pool. Alle, die trocken bleiben wollten, hatten sich vom Poolrand zurückgezogen, weil sich darin vier Jungen in voller Bekleidung eine Wasserschlacht lieferten.

"Siehst du unsere Turteltauben?", fragte Andi T.

Andi H. sah zu Timo hinüber, der eifrig auf eine zwei Köpfe größere Blondine einredete, die leicht von ihm abgewendet rauchte, und dabei wiederholt den Rauch aus ihren Nüstern auf ihn niederblies.

"Du hast mich nicht deswegen von der Bar weggeholt?" fragte Andi H.

"Nein, die meine ich nicht; das ist doch das gewohnte Bild. Schau mal da drüben hinter den Palmenkübeln: siehst du, wer da sitzt?"

"Sieht nach Luise aus - und wer ist das andere?"

"Ich sage nur: neue Frisur, neues Glück!"

"Ernsthaft?"

"Guck doch."
 
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xavia

Mitglied
Hallo Felix, oh weh, wenngleich das Desaster vorherzusehen war, ist es doch qualvoll, es mitzuerleben. Interessante Wendung. Ich hatte zu Beginn des ersten Teile Probleme mit den vielen Namen, konnte mir zuerst nur Arndt und später Olli und Carsten vorstellen. Da die Geschichte mit großem Tempo beginnt, das gut zur Musik passt, sehe ich nicht, wie man da abhelfen könnte. Inzwischen geht es besser, weil jede der Personen Eigenschaften bekommen hat.
Ich freue mich auf die Fortsetzung. Im Anschluss noch ein paar Anmerkungen. Mit dem neuen Zitiersystem der LeLu kann ich leider nichts anfangen, daher in eigenem Stil. LG Xavia.

→der kein eigenes Material, für den Auftritt brauchte
Kein Komma hinter »Material«

→Im gleichen Moment stand Timo direkt vor Rafael
Im selben Moment

→Lederjacken und-hosen.
und -hosen

→gibt ja schon eine paar interessante Acts
ein

→aber sie hatten soviel Platz auf der Tanzfläche,
so viel

→Die Mehrheit Langhaarigen und Kuttenträger
der Langhaarigen – oder: Langhaariger

→Bass drum (mehrfach)
In Englisch wäre beides klein, eingedeutscht beides groß oder, so habe ich es in einem Musikgeschäft gesehen, konfliktvermeidend: Bassdrum

→Sie taumelten V-förmig aus einander
auseinander

→spähte er in beiden Richtungen nach einer Lücke
beide

→Um wie viel peinlicher war es den gewesen,
denn

→Trotzdem wollte Arndt nicht nach Hause zu gehen.
zu (weg)

→mit gusseisernen Gittern mit einander verbunden.
miteinander

→das viel von ihren geraden schon jetzt gebräunten Schultern offen ließ.
sehen ließ

→Nein, du sollst dich nicht ändern, das geht auch gar,
gar nicht,

→keinen Bock mehr -nicht nach der Nummer.
mehr – nicht

→und übergoß den Haufen
übergoss

→und Mama- was meinst du,
Mama - was
 
Hallo Xavia, vielen Dank für das ausführliche Lektorat! Ich staune, wieviele Schnitzer übriggeblieben sind, obwohl ich mir das Ganze laut vorgelesen habe. Ich werde mich so schnell wie möglich ans Ausbessern machen.
Viele Grüße

Felix
 

xavia

Mitglied
Hallo Felix, gern geschehen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie blind man manchmal beim eigenen Text sein kann. Aber diesem Text sieht man die Sorgfalt an. LG Xavia.
 
Hallo Felix,

nur ein paar Hinweise, was mir am Anfang aufgefallen ist (falls du den Text noch überarbeiten möchtest):

Carsten war am nächsten Tag als erster im Proberaum. Er hatte es vorgezogen, in seinem morgendlichen Zustand, der sich noch nicht wesentlich von dem des Vorabends unterschied, nicht im Berufskolleg zu erscheinen. Auch jetzt, am frühen Nachmittag,
Ziemlich viele Zeitzustände :)

Der Text sieht durch die vielen unnötigen Leerzeilen sehr zerfranst aus.

Ansonsten bin ich über die selben (und auch andere) Fehler gestolpert, die dir Felix schon genannt hat.


Schönen Sonntag.
LG, Franklyn Francis
 
Hallo Franklyn,

danke für die Hinweise. Bin prinzipiell immer zu Revisionen bereit, sind schließlich keine göttlichen Offenbarungen, die ich da niederschreibe:) Ich warte noch ein bisschen, was vielleicht noch an Hinweisen kommt, dann schaue ich, an welchen Stellen mir noch was Besseres einfällt.

Vielen Dank fürs kritische Lesen und viele Grüße

Felix
 
So Xavia und Franklyn, ich habe endlich Zeit gefunden, Eure Korrekturen einzuarbeiten, vielen Dank nochmal! Habe das zum Anlass genommen, nicht nur den verunglückten Satz mit den vielen Zeitangaben sondern gleich den ganzen etwas holprigen Absatz zu überarbeiten. So, und jetzt schnell zurück zum aktuellen Projekt...
 



 
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