Heb Deine Füsse, Kindfrau ..

Nicki

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"Heb Deine Füsse!" .. hat meine Mutter immer gesagt. Und wenn ich heute, als Erwachsene, im Schnee laufe, fällt mir auf, was sie damals immer gemeint hat. Dann, wenn ich mich am frisch beschneiten Weg nach meinen eigenen Fussspuren umgucke. Zwischen den Schritten malen verschobene Schneeflocken eine Schleifspur von den Fersen. "Geh gerade!" .. und mir fallen meine Schuhe ein, deren Absätze immer nach innen verlaufend mehr abgetreten waren, als am äusseren Rand. Meine Füsse kippten nach innen, und hätte meine Mutter mich damals nicht bei jedem zweiten Schritt ermahnt, was mich mehr als nervte, und mir vom Orthopäden diese Folter-Einlagen verpassen lassen, hätte ich heute wohl so eine Fehlstellung, die X-Beinen gleichen würden. Aber diesen nach vorne hängenden Gang, den "Buckel" den ich beim sitzen immer mache, und die Schultern, die nach vorne kippen und somit meine Weiblichkeit im Magen versuchte zu verstecken, hat sie mir niemals abgewöhnen können. Psychologen analysieren so eine Körperhaltung, als ob etwas, oder jemand auf den Schultern sitzen würde, das nach vorne niederdrückt. Etwas, was nicht aufrichten, gross machen lässt.

Es ist wirklich schön, am halb zugefrorenen See vorbei zu laufen, auf dem sich Schneeflocken zum ausruhen hingelegt haben. Es ist schön zu sehen, dass die kahlen, traurigen Bäume ein weisses Kleid übergezogen und vom Himmel geschenkt bekommen haben. Es ist schön, an diesem kleinen Hügel vorbei zu gehen und lautes, fröhliches Kinderlachen, das auf Schneefahrzeugen Talwärts rutscht, zu hören. Einen Moment halte ich inne, und beobachte Kind und Mutter, Vater und Kind. Wäre ich ein Mann, würde ich schnell weitergehen, aus Angst für einen pädophilen Perversling gehalten zu werden, der Kindern hinter her spioniert. Aber ich bin eine Frau, und deshalb schaue ich den Kindern zu, die mir durch ihre blosse Anwesenheit ein Lächeln entlocken, obwohl sie mich nicht mal bemerken, so sehr sind sie in ihrem fröhlichen Spiel vertieft. Mit roten Backen laufen sie an mir vorbei. Bestimmt haben sie schon nasse Handschuhe, der Schnee schon längst unter die Thermohose gekrochen, die Haube feucht vom schwitzen. Ich habe es geliebt, fertig und völlig nass aber dennoch am Körper ganz warm nach Hause zu laufen, mit ebenso roten Backen. Die Kleidung musste ich schon vor der Wohnungstüre ausziehen, weil sich in jedem noch so kleinen Umschlag an der Hose, den Stiefeln oder den Ärmeln der Jacke Scheekügelchen versteckt hatten. Die genau dann im Vorzimmer das Weite suchten, wenn Mama im Begriff war einen Fuss auf den Boden zu setzen und sie, nur mit Strumphose bekleidet, unabsichtlich zertrat.

Ich bekomme Lust zum Haus zu laufen, in den Keller zu stürmen und den alten Schlitten zu dem Hügel zu ziehen. So wie damals, als die ersten Schneeflocken fielen und die halbe Schule am Rodelberg versammelt war. Irgendwie sehe ich mich auch schon darauf sitzen und jauchzend den Fahrtwind zu geniessen, der in mein Gesicht mit den roten Backen peitscht. Doch kralle ich mein Ströck-Sackerl mit den frischen Backwaren noch fester an mich, stecke die Fäuste in die Tasche und laufe weiter. Ich bin erwachsen, und kein Schlitten befindet sich, schon lange nicht mehr, in meinem Kellerabteil...
 



 
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