Heimwärts

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Lakritze

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Mir gefällt dieser Abschied, der ohne Versatzstücke auskommt und auf so subtile Art traurig wird, daß man noch mal nachlesen muß, um herauszufinden, wie ... Ich mag es auch, wie die Hauptperson durch ein bißchen Drumrum charakterisiert wird, das viel mehr Geschichten erzählt, als hier zu lesen sind: ich ahne, daß das Käseschnittchen einmal von einer Frau geschmiert wurde, kann mir vorstellen, wozu er den Baum gepflanzt hat, etc.

Ich hänge noch ein paar Bemerkungen und eine Handvoll formalen Kleinkrams an.

[...]
Aber dann kämen sie doch, um ihn zu holen. [blue][würden sie doch kommen?][/blue]
Dies war er also, der letzte Morgen[red],[/red] an dem alles so war wie immer:
Der Kaffee tröpfelte durch den Filter und verbreitete sein Aroma in der Küche.
Das Käseschnittchen, mit Löwensenf bestrichen, lag auf dem alten Schneidebrett, daneben die Tageszeitung. [blue][mag ich: drei Dinge aufgezählt, und schon sind sie da, die Eigenheiten eines langen Lebens.][/blue]
[...]
Er las die Namen halblaut; studierte die kleinen Erinnerungstexte, fragte sich, ob diese wenigen Worte wohl das waren, was man die Essenz des Lebens der Verstorbenen nennen könnte, und hoffte, das[red]s[/red] für ih[red]n[/red] diejenigen[red],[/red] die blieben, auch einen passenden Satz finden würden.
So wie jenen neulich, den er sich auf einen Zettel notiert hatte, nur um doch zu vergessen[red],[/red] wo er ihn hingelegt hatte.
Die Erinnerung an die wenigen Worte und der Verbleib des Zettels waren beinahe greifbar [red]–[/red] und doch in ihm gänzlich versunken. [blue][»und doch ...« könnte auch weg][/blue]
Er leerte den Kaffee und schüttete nach.
„[red]N[/red]ie mehr selber Kaffee kochen“[red],[/red] dachte er, „[red]u[/red]nd auch die Käseschnitte werden mir nun andere schmieren.“
Er öffnete das Küchenfenster, legte ein Kopfkissen auf das Fensterbrett, lehnte sich mit gekreuzten Armen heraus [blue][hinaus][/blue] und schenkte seiner Welt einen letzten langen Blick.

Die Pappel auf dem Rasen vor seinem Haus hatte sich der Sturm geholt. [blue][auch geholt -- diesmal war es eine Naturgewalt][/blue]
Der Stamm war in der Nacht geborsten[red],[/red] und so hatte sein Schwiegersohn das Grünflächenamt gerufen. [blue][dem Sturm mit einem Amt begegnen -- schön absurd][/blue]
Ein paar Männer waren gekommen, [blue][müßte ab hier nicht Vorvergangenheit stehen?][/blue] die [strike]fällten[/strike] [blue]hatten [/blue]den Baum oberhalb der Grasnarbe [blue]gefällt[/blue], [strike]zersägten [/strike]den Stamm und die Äste in handliche Stücke [blue]zersägt[/blue] und [strike]fragten [/strike]ihn schließlich [blue]gefragt[/blue], ob er das Holz gebrauchen könnte.
„Nehmt[red]'[/red]s mit und gebt es einem[red],[/red] der Särge macht. Das ist gutes Holz. Hält lang die Würmer ab“, hatte er geantwortet. [blue][Was ja gerade bei Pappelholz nicht stimmt -- aber das weiß der alte Mann vermutlich ...][/blue]
Die Männer lachten, luden alles auf den Wagen [blue][hatten gelacht, alles auf den Wagen geladen][/blue] und waren davo[red]ng[/red]efahren.
Er hatte die Pappel selbst gepflanzt. Das war eine Ewigkeit her.
Jetzt sah er auf den Stumpf, sah[red],[/red] wie Licht und Schatten über die freigelegten Jahresringe wanderten, und versuchte vergeblich vom Fenster aus die Ringe zu zählen.
Dann kam das Auto.
Er ging hinaus. Sein Schwiegersohn lächelte.
[red]„[/red]... und[red],[/red] alles erledigt?“[red],[/red] fragte er ihn. [blue][»fragte er ihn« könnte auch weg][/blue]
„Ich habe das Fenster offen gelassen.“
Sein Schwiegersohn nickte.
„Ist nicht schlimm. Ich mach[red]'[/red]s zu, wenn wir das Bett holen!“ [blue][Ups. Erstes Gefühl von: es ist egal, was der Alte macht.][/blue]
Sie schwiegen.
Nach einer Weile seufzte der alte Mann.
„Weißt du, was die Männer vom Amt mit dem Holz machen?“
Der Schwiegersohn zuckte mit den Achseln:
„Wen interessiert[red]'[/red]s? [blue][Oweh. Das ist der Punkt, an dem ich das erste Mal denke: das war's dann wohl wirklich für den Alten; hier wird die Geschichte traurig, wo sie vorher sachlich oder zumindest gefaßt war.][/blue] Ich denke, es wird brennen. Ja, sie werden es verbrennen.“ [blue][Auch hier, passenderweise: Pappelholz taugt wenig zum Verbrennen, das wäre viel besser zum Schnitzen geeignet. Aber wen interessiert's?][/blue]
Dann stiegen sie ein und fuhren heimwärts. [blue][Was für ein böses Wort in diesem Zusammenhang.][/blue]
 

Ralf Langer

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Hallo Lakritze,
hab dank für deine kritischen Bemerkungen.
Ich muss gestehen, der Autor und der alte Mann haben wohl wenig Ahnung von Pappeln.
Ich wählte diese Sorte, weil sie sehr zügig wächst. Und ich wollte sozusagen einen Baum vor dem Hause haben, der auch in der Lebenszeit eines Menschen eine beachtliche Größe errreichen kann.

Mit der Benutzung des Plumquamperfekten hast du wohl recht.
Ich scheue mich diese Zeitform zu benutzen, weil sie M.E. sprachlich eher als Barriere daher kommt.


Einige andere Hinweise von dir werde ich gerne aufnehmen
lg
ralf
 

Ralf Langer

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Heimwärts

Der alte Mann schaute auf die Uhr.
Es war kurz nach Neun am Morgen. Noch war ein wenig Zeit.
Aber dann kämen sie doch, um ihn zu holen.
Dies war er also, der letzte Morgen an dem alles so war wie immer:
Der Kaffee tröpfelte durch den Filter und verbreitete sein Aroma in der Küche.
Das Käseschnittchen, mit Löwensenf bestrichen, lag auf dem alten Schneidebrett, daneben die Tageszeitung.
Sein erster Blick galt schon seit langem den Todesanzeigen.
Hier fand er vertraute Namen. Und wenn er sie fand, wurde seine Welt kleiner.

Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte ihn dies erschreckt.
Jetzt nicht mehr.
Er las die Namen halblaut; studierte die kleinen Erinnerungstexte, fragte sich, ob diese wenigen Worte wohl das waren, was man die Essenz des Lebens der Verstorbenen nennen könnte, und hoffte, dass für ihn, diejenigen, die blieben, auch einen passenden Satz finden würden.
So wie jenen neulich, den er sich auf einen Zettel notiert hatte, nur um doch zu vergessen, wo er ihn hingelegt hatte.
Die Erinnerung an die wenigen Worte und der Verbleib des Zettels waren beinahe greifbar - und doch in ihm gänzlich versunken.
Er leerte den Kaffee und schüttete nach.
„Nie mehr selber Kaffee kochen“; dachte er, „und auch die Käseschnitte werden mir nun andere schmieren.“
Er öffnete das Küchenfenster, legte ein Kopfkissen auf das Fensterbrett, lehnte sich mit gekreuzten Armen heraus, und schenkte seiner Welt einen letzten langen Blick.

Die Pappel auf dem Rasen vor seinem Haus hatte sich der Sturm geholt.
Der Stamm war in der Nacht geborsten und so hatte sein Schwiegersohn das Grünflächenamt gerufen.
Ein paar Männer waren gekommen, die fällten den Baum oberhalb der Grasnarbe, zersägten den Stamm und die Äste in handliche Stücke und fragten ihn schließlich, ob er das Holz gebrauchen könnte.
„Nehmt`s mit und gebt es einem der Särge macht. Das ist gutes Holz. Hält lang die Würmer ab“, hatte er geantwortet.
Die Männer lachten, luden alles auf den Wagen und waren davongefahren.
Er hatte die Pappel selbst gepflanzt. Das war eine Ewigkeit her.
Jetzt sah er auf den Stumpf, sah wie Licht und Schatten über die freigelegten Jahresringe wanderten, und versuchte vergeblich vom Fenster aus die Ringe zu zählen.
Dann kam das Auto.
Er ging hinaus. Sein Schwiegersohn lächelte.
„...und, alles erledigt?“, fragte er ihn.
„Ich habe das Fenster offen gelassen.“
Sein Schwiegersohn nickte.
„Ist nicht schlimm. Ich mach´s zu, wenn wir das Bett holen!“
Sie schwiegen.
Nach einer Weile seufzte der alte Mann.
„Weißt du, was die Männer vom Amt mit dem Holz machen?“
Der Schwiegersohn zuckte mit den Achseln:
„Wen interessiert´s? Ich denke, es wird brennen. Ja, sie werden es verbrennen.“
Dann stiegen sie ein und fuhren heimwärts.
 

Lakritze

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Ha! Dann war die Pappel ein dramaturgisch glücklicher Zufall. Schön!

Und zum Plusquamperfekt: Ich bleibe eher hängen, wenn das Zeitengefüge nicht stimmt, aber ich bin da vielleicht auch bissi arg streng ...

Apropos streng, wie kann man eigentlich seine Bewertung nicht anonym abgeben? Ich bin zwar eingeloggt, aber es scheint nicht zu gehen.
 

Ralf Langer

Mitglied
HAllo Lakritze,

zum Thema Bewertungen:
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ziemlich weit unten ist ein Punkt der heißt Bewertungen abgeben
oder so ähnlich.
Da kannst du mit ja oder nein entscheiden ob du anonym werten möchtest oder nicht

ralf
 



 
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