Heimwehkristalle

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Der Mann


Eine warme Sommernacht treibt den Geruch von frischem Regen über das Pflaster, es nieselt noch. Die Luft ist schwül und feucht, wie eine Alte, die an Gliedmaßen knabbert. Zwischen vier Bänken, die zu einem Quadrat angeordnet sind, steht auf dem ansonsten menschenleeren Platz ein Mann im roten Kleid. Er hat die Hände auf die Schultern gelegt, als wolle er tanzen – dann tanzt er. Seine Hände machen kleine, zarte Bewegungen und seine Hüfte schiebt nach – kurze, flüssige Kreise, die sich um das Zentrum der Beine drehen. Er stockt und streckt die Arme aus, so dass sich das Kleid von seiner Brust löst. Plötzlich lacht er und ruft; „es ist wahr, Gott. Eine so schöne Nacht, wie soll man da unglücklich sein? Erst habe ich meine Sandalen verloren und jetzt noch mein Pech!“ Er hebt die Arme, als lägen sie in den Händen eines Tanzpartner, sein Körper beginnt rhythmisch zu schwingen, erst zögernd, dann ruckartig, ein Walzer. „Die Nocturne, Gott. Dein Lieblingsstück.“ Er lacht. Der Wind treibt den Regen über den Heldenplatz und die Blätter der Bäume, die ihn umstellt halten, hängen schwer und feucht zur Erde ab, wie traurige Denker, die die Augen gesenkt halten.



Die Frau

Sie sitzt am Fenster in nächster Nähe zu den Astern, sie sitzt so nahe an den Astern, dass sie ganz in ihre Bestürzung gefallen, ihrem Geruch, ihrem Blatt inhaftiert ist. Sie schaut heraus aus den Blättern auf die hastigen Zweibeiner, auf uns. Was ist das Leben für sie? Sie lebt nicht, sie lebt. Der Tod? Sie lebt nicht, sie lebt - sie ist ein lebendiger Blumenkadaver.

Jesus


Selbst im Wachen, war es ihm möglich mit einer bewunderungswürdigen Eleganz immer ein Stückweit an der Tragödie vorbeizuschlafen und aus einer müden Primitivität heraus exakt jenen Punkt zu treffen, an dem jedes Drama einer gewissen Albernheit nicht zu entbehren vermag; - das Momentum seiner Moral. – Ja, er war im Besitz einer eigenen Welt, in dem man das Tragische reduziert fand auf die Pointe – der Rest war Akzent. Er sprang von Drama zu Drama, wie auf einzelnen Punkten voran – erlebte Forderung auf Forderung und wie jene, war seine „Trauer“ damit von einer einzigartigen, albernen Musikalität, sein „Schluchzen“ wie ein vorsichtiges Instrument – alles was er empfand, verweigerte sich den gängigen Nerven und verzögerte sich stets auf die Lehre hin, dass es die Klarheit der Qual verpasste – er war eine Art musikalischer Troglodyt.

Samuel Beckett

Was ist sein Dasein? Ist er ein Schatten? Unergründlich! Aber zweifelhaft, ob er tief ist. Unergründlich! Aber ebenso zweifelhaft, ob er ein Rätsel ist. Er multipliziert das Sein mit etwas Fremden, mit sich. - Eine abgewandelte Existenz, die der Memoire mehrt.
 
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