Teil 3:
Desinteressiert, beobachtete sie, wie Stuart den Boden von Rumboraks Kaffee-Sabber-Sauerei befreite, und dabei aussah, wie jemand, dem gerade gesagt wurde, dass er seine eigenen Innereien neu sortieren müsse.
Was wollte Azazel noch von ihr? Sicherlich mehr als nur Smalltalk, oder sogar da weitermachen, wo sie zuvor aufgehört hatten. Oder vielleicht doch? Aber das wäre zu viel zu erwarten, nahm sie ihren früheren Gedankengang wieder auf, während sie einen Donut zerpflückte, der einsam und verloren vor ihr auf dem Teller lag.
»Entschuldigung, aber ich muss hier alles für den regulären Verkehr vorbereiten.«
Sie zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück, überließ Stuart ihren Teller. Vielleicht war sie aber auch einfach nur zu nervös um so etwas banales auch nur in Erwägung zu ziehen, und da war wirklich nicht mehr? Immerhin hatten sie sich einige Zeit nicht gesehen ...
»Sie verschwinden immer, weißt du?«
Erschrocken sah sie auf. Stuart stand vor ihr, den Teller mit ihrem halbzerpflückten Donut in der Hand. »Was?«
»Sie verschwinden immer bevor ich sie essen kann«, erklärte er ihr langsam, mit einem Blick, wie der eines Kindes, dass gerade erfahren hat, dass Weihnachten gestrichen wurde. »Weißt du warum?«
»Weil du hier in der Hölle bist, und das deine Strafe ist«, erklärte sie ihm abwesend.
Wie nicht anders zu erwarten, sah Stuart sie nur verständnislos an. »Ich wollte gestern nach Hause gehen, aber ich finde den Weg nicht mehr. Keine Donuts und kein Weg nach Hause ...«
Mit einem Seufzer stand sie auf und ließ Stuart in seiner Verwirrung und seinem ihm unverständlichem Elend einfach stehen. Es wäre wirklich einfacher und unterhaltsamer, wenn Leute wie Stuart und Co. wüssten was mit ihnen passierte, dachte sie wieder einmal, als sie Richtung Türe marschierte.
Draußen vor dem Hell's Diner wartete bereits der erste Ansturm von Gästen - einige Feuerdämonen, die sich angeregt darüber unterhielten, ob rohe Schnecken wohl saftiger schmeckten als rohe Frösche und was ihre Feuerkraft fördern würde, während kleine Flammen von einem auf den anderen übersprangen, etwas das die drei Harpyien, die in ihrer Nähe standen und offensichtlich Angst um ihre Federn hatten, mit Mistrauen beobachteten, während die Gruppe Tupilaks sie geflissentlich ignorierten und sich stattdessen in merkwürdigen Quietschlauten miteinander austauschten. Zumindest wirkte es wie ein Gespräch, aber ganz sicher war sie sich nicht.
Mit Mühe zwängte sie sich zwischen den kleinen Körpern der Naturgeister durch, die ihre Anwesendheit noch nicht einmal wahrzunehmen schienen. Wiedereinmal wunderte sie sich, wie diese kleinen Wesen, mit ihren halb tierischen, halb menschlichen Körpern sich überhaupt fortbewegen konnten. Es war eines der vielen Wunder, die man nur hier unten so gebündelt finden konnte, und die ihr immer wieder aufs neue bestätigten, dass sie damals die richtige Wahl getroffen hatte, als sie ihren Platz an der Sonne gegen einem am offenem Feuer eingetauscht hatte. Nirgends anders auf der Welt, weder als Mensch noch als Dämon, hatte sie jemals eine solche interessante und bizarre Artenvielfalt gesehen.
Sie blieb am Rand des kleinen Vorplatzes zum Hell's Diner stehen, und erlaubte sich für einen Augenblick nur zu beobachten, das Leben auf sich wirken zu lassen, es sie beruhigen zu lassen, und die Ordnung in dem bizarren Chaos, das diese Welt hier unten war zu bewundern.
»Na, Süße, so unentschlossen? Was hältst du von einem Drink?«
Allerdings unterschieden sich manche Dinge - wie blöde Anmachen - gar nicht mal so sehr von der Welt da oben. Sie verdrehte die Augen, aber bevor sie was sagen konnte, schrie das undefinierbare, stinkige Zottelwesen vor ihr auf und begann einen merkwürdigen, einbeinigen Hüpftanz aufzuführen. »Was war das für ein Biest?«, verlangte er zu wissen.
»Eins das auf gute Manieren steht, und weniger ein Biest ist als du«, mit diesen Worten materialisierte sich Azazel neben ihr. Mit einem 'Komm her, Kleine', hob er eine deutlich wütende Viper auf, die eine giftgrüne Farbe angenommen hatte und den Dämon (zumindest vermutete sie, dass es einer war) böse anzischte. »Es mag bei euch in Sibirien anders sein, aber unsere weiblichen Dämonen hier haben Stil. Ich würde mit einem Bad anfangen, wenn ich du wäre. Es könnte die Sache beim nächsten Mal weniger unangenehm machen.«
Der Dämon knurrte ihn wütend an, während er seinen Knöchel rieb und weiter versuchte seine Balance zu halten, verschwand dann aber hinter einem Felsen. »Was war das?«, fragte sie Azazel. »Ich hab so etwas noch nie gesehen ...«
»Ein Kelet. Äußerst unangenehme und unzivilisierte Zeitgenossen, allerdings treten sie glücklicherweise immer nur alleine auf. Wahrscheinlich können sie sich selbst nicht riechen. Ist wohl ein Neuzugang für einen Spezialauftrag, oder er spielt einfach nur Tourist. Ihr eigentlicher Wirkungsbereich ist Nordsibirien. Ich hoffe, wir haben dir nicht gerade eine potentielle Verabredung platzen lassen?«
Sie sah Azazel entsetzt an. »Bloß nicht, nein!«
»Das dachte ich mir. Komm mit. In meinem Büro ist es wohl etwas ruhiger«, sagte er und löste sich auch sofort auf.
***
Es war nicht nur ruhiger, sondern auch gemütlicher.
»Setz dich«, sagte Azazel und deutete auf die dunkel-braune Ledersitzecke, die den meisten Platz im Raum einnahm.
Sie hatte kaum auf der Couch Platz genommen, da kam Azazels Viper auch schon angekrochen, und machte es sich in ihrer Lieblingsposition auf ihrem Schoss gemütlich. Abwesend streichelte sie das nun wieder schwarz-grüne und friedlich vor sich hinzüngelnde Tier. »Wie geht es Erik?«
»Oh, er ist wieder ganz der Alte. Irgendwie schien er sich auch plötzlich richtig auf das Treffen mit Adam zu freuen. Ein äußerst überraschender Sinneswandel«, sagte Azazel und reichte ihr ein Glass Rosé.
»Elena«, erklärte sie. »Sie hat es ihm wohl ziemlich angetan, und sie haben sich verabredet.«
»Sie scheinen zumindest auf einer Wellenlänge zu liegen, jedenfalls so weit es um Yvette ging. Es ist gut, vor allem für Elena. Vielleicht gewöhnt sie sich so schneller ein. Sie war etwas einsam nach dem sie nur knapp dem Mob entkommen konnte, der ihre ganze Familie auf dem Gewissen hat. Es wird beiden gut tun.«
Sie nickte zustimmend und nahm einen Schluck von ihrem Glas. Der Wein schmeckte köstlich. Er hatte gerade die richtige Temperatur und war weder zu süß noch zu bitter. »Elena scheint nett zu sein«, gab sie zögerlich zu. »Wenigstens hat sie keine Angst ihre Meinung zu sagen. Was war das eigentlich mit Carlos? Glaubt ihr ernsthaft das er auch nur mit dem Gedanken gespielt hat hier unten irgendwas zu ändern?«
Azazel lachte. »Natürlich nicht. Dafür ist er weder stark noch intelligent genug. Chaosdämonen sind für so was einfach nicht gemacht. Sie sind zu einfach gestrickt. Kassandra hat sich allerdings tatsächlich Sorgen gemacht, dass er seinen Fokus verlieren könnte. Scheinbar ja auch zu recht, und das war halt eine elegante Lösung ihn mal wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Außerdem können wir nicht das Risiko eingehen, dass unsere Existenz oben zu bekannt wird.«
»Ganz schön fies.«
»Nett sein ist weder zwangsläufig ein Teil unsere Natur noch kommt es mit unserer Berufsbezeichnung. Wir müssen dafür sorgen, dass aus euch was wird, mit allen Mitteln. Und das war noch vergleichbar harmlos mit dem was passieren hätte können, wenn wir noch gewartet hätten.« Seine Stimme war sachlich, aber sie hatte keinen Zweifel daran, dass ihm ernst damit war. Und verstehen konnte sie es auch irgendwie. »Du warst allerdings heute extrem ruhig. Wir haben uns vielleicht schon zu lange nicht mehr unterhalten. Gibt es irgendetwas, dass ich wissen sollte?«
Und da waren sie auch schon. Ganz genau wie sie befürchtet hatte. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, alles in bester Ordnung«, sagte sie und leerte das Weinglas in einem Zug. Nicht das es viel brachte. Das herkömmliche Drogen und Alkohol nicht wirkten, war einer der Nachteile, wenn man ein Dämon war.
Azazel sah sie nur mit diesem Blick an, der ihr immer durch Mark und Bein ging. »Das habe ich dir eben schon nicht geglaubt. Also, was ist los? Ärger mit einem deiner Projekte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Da läuft alles wie es sollte. Erst im Frühjahr habe ich uns ein Mafiamitglied gesichert, dass das Spiel noch mehr liebte als die Familie, seinen guten Ruf oder seine Seele - trotz streng katholischem Hintergrund. Es war ... inspirierend.«
»Deine Ablenkungsmanöver haben bei mir noch nie funktioniert, Magdalena. Also, was ist es dann? Dein großes Projekt?«
Sie zog innerlich eine Grimasse. Nicht das da jetzt noch viel anderes übrig blieb, oder das sie jetzt noch eine andere Chance hatte ... Manchmal hasste sie es, dass Azazel sie so gut kannte. Oder vielleicht war sie auch einfach nur eine zu schlechte Schauspielerin. Um noch etwas Zeit zu schinden nahm sie die Weinflasche und goss sich das Glas wieder voll. »Es ist nichts besonders. Ich komm damit schon alleine klar«, murmelte sie bevor sie das Glas ansetzte und einen tiefen Schluck nahm.
»Das sehe ich. Also, was ist es?«
»Kannst du es nicht einfach auf sich beruhen lassen?«, fragte sie leicht entnervt, dann, als sie den warnenden Blick sah, »Es gab einige Komplikationen, aber es ist nichts, womit ich nicht klar komme. Ansonsten hätte ich es wohl eben erwähnt.«
»Oh, ganz sicher. Genau wie Yvette oder Erik. Ihr seid doch viel zu stolz um irgendetwas in dieser Art zuzugeben. Es liegt einfach nicht in unserer Natur solche Schwächen zu zeigen.«
»Wenigstens schließt du dich da nicht aus«, murmelte sie, schon wieder im Weinglas versunken.
»Warum sollte ich? Das ist Teil dessen was wir sind, unsere Natur. Ansonsten wären wir nicht besser als alle anderen. Aber jetzt genug damit. Was ist los? Hast du Probleme mit der Sippe? Wissen sie vielleicht was du bist? Immerhin hat dieses Volk ein besonderes Gespür für solche Dinge ...«
»Nein, sie haben keine Ahnung, denke ich. Ich habe ihnen auf jeden Fall nichts gesagt«, sagte sie, letzteres eher um weitere Fragen in dieser Richtung vorzubeugen. »Es ist ... was anderes. Ich würde es wirklich vorziehen nicht darüber zu reden, ich hab das schon alles im Griff«, versuchte sie es noch mal und legte extra viel Überzeugung in ihre Stimme.
»Und ich würde es vorziehen, wenn du mir endlich sagen würdest was los ist«, sagte Azazel und obwohl seine Stimme noch immer ruhig war, konnte sie eine gewisse unterliegende Schärfe nicht ignorieren, so sehr sie sich auch bemühte. Nicht das es ratsam war sich zu sehr zu bemühen. Azazel schien nach ihrem Treffen nicht mehr viel von seiner Geduld übrig zu haben.
»Fein. Ich bin um eine Erfahrung reicher geworden was unsere Natur betrifft in den letzten Jahren, das ist alles«, sagte sie, ihre Stimme überraschend scharf.
»Und was ist diese Erfahrung?«
»Etwas, das ihr uns offensichtlich vergessen habt zu sagen!«
»Das muss ja was ganz schlimmes gewesen sein, wenn man nach deiner Reaktion geht«, sagte Azazel trocken während er sich selbst neuen Wein nachgoss.
Sie sah Azazel böse an. Es war alles seine Schuld. Hätte er nur einen Ton gesagt, oder sonst irgendjemand hier, hätte es sie niemals aus so heiterem Himmel treffen können! »Das kommt wohl auf die Sichtweise an.« Dann sprang sie auf, so das die Schlange auf ihrem Schoss zu Boden fiel. Sie zischte einmal böse (oder vielleicht auch einfach nur beleidigt), bevor sie sich auf dem Boden vor einem der Feuer zusammen rollte.
Der Dämon sah sie neugierig an. »Das muss ja was ganz schlimmes sein. Lass mich raten ... das Mysterium der Unsterblichkeit wohl nicht. Vielleicht das Geheimnis, wie man Blei in Gold verwandelt?«
»Ha. Ha. Sehr, sehr komisch.«
»Eigentlich nicht, aber da ich dir ja jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen muss ...«
Azazel klang viel zu amüsiert für ihren Geschmack. Sie zog eine Grimasse, diesmal nicht nur innerlich. »In der Tat geht es eher um etwas viel elementareres«, sagte sie. »Nur war ich leider überhaupt nicht darauf vorbereitet. Es hat mich ... etwas aus dem Ruder geworfen.«
»Und was war es? Die Erfahrung, dass auch du manchmal das Ende deiner Kräfte erreichst und auftanken musst? Das du alles viel deutlicher wahrnimmst, als Menschen? Vielleicht sogar, dass du atmen musst? Ich dachte das hättest du alles schon vor einiger Zeit herausgefunden ...«
»Gefühle«, platzte sie endlich heraus. Wenn sie sich schon so unwohl fühlte, wollte sie nicht auch noch zur Belustigung des anderen Dämons beitragen.
Es schien zu wirken. Für einen Moment sah Azazel sie sprachlos an. »Gefühle«, echote er dann. »Und von welchen Gefühlen reden wir? Gefühle allgemein? Und was habe ich dir da verschwiegen? Mir war nicht bewusst, dass dir bisher noch nicht aufgefallen ist, dass du fühlst.«
Ihre Augen verengten sich. Eins musste sie ihm lassen, er hatte seine Selbstbeherrschung ziemlich schnell wieder gefunden. »Nein, eher Gefühle der spezifischen Art. Nur wesentlich stärker als normal und nicht für einen von uns!«
Azazel nickte nachdenklich in die folgende Stille, die verblüffend erdrückend auf sie wirkte. Wann hatte sie sich das letzte Mal so gefühlt? Sicherlich nicht mehr, seitdem sie gestorben war. Und es gefiel ihr heute genauso wenig wie damals. Sie zwang sich zu entspannen und setzte sich sogar wieder auf die Couch.
»Wer ist es? Die Tochter?«
Sie nickte, versuchte aber ihr Gesicht möglichst ausdruckslos zu halten. Sie konnte nur noch hoffen das, was immer jetzt kommen würde, schnell vorüber sein würde, so dass sie schnell verschwinden konnte und sich von dieser Schmach erholen - vorzugsweise mit dem Grund des selbigen.
»Erzähl mir von ihr.«
»Was?« Sie sah ihn fassungslos an. Das war nicht wirklich das, was sie erwartet hatte.
»Ich wusste nicht, dass einem Gefühle auch auf die Ohren schlagen können«, sagte Azazel und verdrehte leicht die Augen. »Ich sagte: Erzähl mir von ihr.«
»Warum?«, fragte sie misstrauisch. Irgendetwas stimmte hier nicht. Sie war zumindest auf eine ewiglange und nervige Lektüre gefasst gewesen und obwohl Azazel ehrliches Interesse an den Tag zu legen schien, konnte sie ein unbestimmtes mulmiges Gefühl nicht unterdrücken.
Azazel zuckte mit den Schultern, beinahe gleichgültig, dann lächelte er leicht. »Jemand der dich so aus der Bahn wirft, muss was besonderes sein.« Sie sah ihn skeptisch an, nicht sicher, ob Azazel sich nicht gerade über sie lustig machte. Der Dämon seufzte. »Ich meine es ernst. Wir kennen uns jetzt wie lange? Vergiss nicht, ich habe dich schon vor deinem Tod beobachtet und als mögliche Kandidatin in Augenschein genommen und ich habe dich noch nie so erlebt.«
Sie ließ sich nach hinten auf die Couch fallen und schloss für einen Augenblick die Augen, versuchte sich zu sammeln, als es ihr auf einmal kam. Sie setzte sich auf und sah Azazel an. »Was wirst du mit den Informationen machen? Du wirst ihr nichts tun?«
»Warum sollte ich? Wir greifen nur in extremen Situationen ein, das solltest du mittlerweile wissen. Und bisher deutet nichts darauf hin, dass du in sonderlicher Gefahr schwebst, noch das irgendwas anderes darunter leidet. Also werde ich auch nichts machen. Es ist reine Neugier.«
Sie glaubte ein unausgesprochenes noch im Raum schweben zu hören. Es gefiel ihr ganz und gar nicht. »Versprich es mir!«, verlangte sie.
»Dich scheint es ja wirklich übel erwischt zu haben. Wenn es dich glücklich macht: Ich verspreche, dass ich nichts machen werde, solange es sich nicht negativ auf dich auswirkt, deine Arbeit nicht gefährdet ist, oder unsere Art«, sagte er mit einem leichten Augenverdrehen. »Zufrieden?«
»Fürs erste«, sagte sie und goss sich noch Wein nach, mehr um was zu tun zu haben, als aus irgendeiner anderen Notwendigkeit heraus. Sie war nervös. Mehr als das. Sie hatte noch niemals mit jemandem zuvor darüber geredet, und es mit Azazel zu tun, war nicht wirklich ihr Wunsch gewesen, auch wenn es wohl unausweichlich war. »Sie ist so alt wie ich. So alt wie ich war, als ich gestorben bin«, fügte sie hinzu, als sie Azazels amüsierten Ausdruck sah.
»Ende 20 und die Tochter des Klanoberhaupts. Und sie ist anders als jeder andere Mensch, dem ich jemals zuvor begegnet bin, sei es als Mensch oder Dämon. Sie ist ein reiner Wirbelwind an Energie, der dich einfach mitreißt, ob du es willst oder nicht, sogar bevor du es auch nur merkst«, sagte sie, und lächelte unwillkürlich, als sie sich an das erste Treffen zwischen ihnen erinnerte. Eigentlich wollte sie Sara nur kennen lernen, um Zugang zur Sippe zu bekommen. Es machte einfach mehr Spaß, wenn man von innen heraus agieren konnte. Die Ergebnisse waren um ein vielfaches befriedigender, als wenn man nur von außen die Fäden zog. Nur hatte sie nicht mit dem Rest gerechnet. Diese Anziehung, die sie beinahe sofort verspürte, und die dazu beigetragen hatte, dass nur wenige Stunden später eins zum anderen führte, und das sie jetzt in dieser merkwürdigen Situation war.
»Sie sprüht vor Leben. Und sie ist so ... leidenschaftlich, in allem was sie tut. Es gibt keine halben Sachen für sie. Es ist alles oder gar nichts. Entweder sie steht ganz hinter etwas und folgt ihrem Ziel bis zum Ende, oder sie fängt es gar nicht erst an.«
»Offensichtlich in wirklich allen Bereichen«, sagte Azazel, und sie merkte wie sie rot wurde. Sie, ein Dämon! Viel schlimmer konnte es wirklich nicht mehr kommen. Sie widerstand der Versuchung, ihrem Gegenüber einfach die Zunge rauszustrecken. Es gab wirklich keinen Grund, sich noch lächerlicher zu machen, als sie es eh schon getan hat. Auch nicht, wenn Azazel noch so sehr den Nagel auf den Kopf traf. Ihre Gedanken schweiften ab, zu dem ersten Kuss und der folgenden ersten Nacht zusammen, nur wenige Stunden nach dem sie sich ihr genähert hatte.
»Du kannst es auch fühlen nicht?«
Für einen Moment konnte sie die andere Frau nur anstarren. Sie fühlte sich komplett außer Balance. Ihre ganze Gefühlswelt war in Aufruhr. Nach einer halben Ewigkeit nickte sie leicht, kaum merklich, unsicher. Es war offensichtlich deutlich genug für Sara gewesen, die ihr so nahe kam, dass sie ihren Atem auf ihrer Haut fühlen konnte, wie eine warme Sommerbrise, die einem übers Gesicht strich ...
»Ich will dich, Magdalena«, sagte die andere Frau, ihre Stimme kaum mehr als ein leises Flüstern, das sie genauso sanft berührte, wie Saras Hand, die über ihre Wange streichelte. Sie konnte nur nicken, unfähig auch nur ein Wort zu formen.
Ganz langsam kamen sie einander noch näher, fast wie in Trance, bis ihre Lippen sich zu einem ersten, zögerlichen Kuss trafen.
Es war nur der Anfang gewesen. Das Zögerliche war nach dieser ersten, leichten Berührung verschwunden, als ob es niemals existiert hätte, zu Gunsten eines Hungers, der einfach nicht zu stillen war, als sie ihrer Leidenschaft in der Möglichkeiten Ausdruck verliehen, die allen Wesen gleich war, sich mit Mündern und Händen kennen lernten, als wenn es kein Morgen mehr geben würde.
Es war etwas, dass sich seit diesem einen Tag nicht geändert hatte, egal ob sie leidenschaftlich oder nur unendlich sanft und vorsichtig miteinander umgingen. Der Hunger, dieses innerliche Verzehren, was sie so aus heiterem Himmel getroffen hatte, ließ einfach nicht nach. Weder auf körperlicher noch auf emotionaler Ebene. Je mehr sie teilten, desto mehr wollte sie die andere Frau - in allen Bereichen. Es war verzehrender Wahnsinn, und sie wollte, dass es niemals aufhörte.
Das einzige was ansatzweise an diese Erfahrung drankam, war ihre Anfangszeit als Dämon, als das reine Wissen um ihre neue Natur, ihre zusätzlichen Kräfte, die geschärften Sinne, sie noch berauscht hatten. Aber sogar das verblasste im Gegensatz zu dem was sie und Sara teilten. Es war etwas einmaliges, etwas unvorstellbar wunderbares, etwas das sie immer wieder aufs neue in einen Rausch versetzte, sogar nach all den Monaten noch, die sie bereits zusammen waren.
Sie schüttelte ihren Kopf und schüttete dann den Inhalt ihres Glases in sich rein während sie sich zwang in das hier und jetzt zurückzukehren, auch wenn diese Realität so viel weniger angenehm war. Sie war sicher, dass sie die Farbe einer überreifen Tomate angenommen hatte, bei diesen -gerade absolut uneingeladenen und zeitlich unpassenden - Erinnerungen und Gefühlen. Das verstärkte sich noch als Azazel leise vor sich hin lachte. Sie sah ihn böse an. Er ignorierte sie, und schenkte ihr stattdessen aus einer neuen Flasche nach, von der ihr noch nicht einmal bewusst war, dass er sie geholt hatte. »So schlimm?«, fragte er nach einem Moment.
»Schlimmer.« Mit einem leisen Stöhnen, ließ sie sich wieder nach hinten auf das Sofa fallen. Sie konnte ihm nie wirklich lange böse sein. Azazel war einfach nur er selber. Ihm etwas nachzutragen brachte gar nichts, und war in etwas das gleiche, als würde man Regen vorzuwerfen, dass er nass war. »Ich hab so etwas noch niemals erlebt. Diese Gefühle ... ich kann es nicht beschreiben«, sagte sie hilflos. »Es ist wie ein Wirbelsturm, der dich mitreißt.«
»Willkommen im Leben«, sagte Azazel einfach nur. Sie öffnete ihre Augen um festzustellen, ob er sich über sie mokierte. Aber da war nichts. Er wirkte sogar für ihre Beziehung außerordentlich ernst. Sie war sich nicht ganz sicher, ob das nicht Grund zu Alarm war.
»Was meinst du?«
»Du bist ein Dämon, ein, wie die Menschen sagen, übernatürliches Wesen. Es sind nicht nur deine Sinne geschärft, sondern du reagierst auf gefühlsmäßig anders, stärker.«
»Aber Carlos und du --«
»Kannst du das was wir, oder du und Carlos, hatten als eine tiefergehende Beziehung beschreiben, oder war alles was du bisher hattest nicht eher vergleichbar mit Affären, wenn auch teilweise etwas länger andauernden? Es ist doch verständlich, dass man sich jemand sucht, mit dem man die Ewigkeit teilen kann, zumindest Teilstrecken davon. Was glaubst du, warum hier immer wieder alle zusammentreffen, auch wenn die meisten von uns sich noch nicht einmal ausstehen können? Warum auch ihr immer wieder zusammenkommen würdet, selbst wenn diese Treffen freiwillig wären?«
Sie sah ihn an, als wenn er den Verstand verloren hätte. »Oh komm, selbst wenn diese Treffen freiwillig wären, würdet ihr immer alle kommen - trotz all eurer Nörgelei. Ihr braucht nicht nur die Ablenkung, sondern auch die Gesellschaft, wie jedes Lebewesen zieht es uns zu anderen. Wie unter Menschen zieht es uns zum einen mehr hin als zum anderen. Das ist der Lauf. Allerdings ist es jetzt bei dir doch etwas komplizierter.«
Nicht das ihr das aufgefallen wäre.
»Es zieht uns zu den Menschen, aus den verschiedenen Gründen. Bei dir ist es eben dieser. Deiner Reaktion nach, scheint es allerdings weit über eine weitere Affäre hinauszugehen. Was bedeutet sie dir?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Nicht wirklich. Ich habe das noch nie so erlebt ... « Und verdammt, sie hasste dieses Gefühl der Hilflosigkeit, dass dieses Zugeständnis begleitete. Es war eine Sache, es sich selber zuzugestehen, aber eine komplett andere, es vor einem anderen Dämon zu tun. Allerdings sollte sie vielleicht einfach froh sein, das es hier in diesem kleinen Rahmen geschah und nicht vorher. »Wusstest du das eben schon?«
»Sollte ich. Immerhin kenne ich dich mittlerweile doch schon etwas länger, da wäre es ein Trauerspiel, wenn ich nicht merken würde, dass etwas nicht stimmt.«
»Danke, für die Vorzugsbehandlung«, sagte sie, und betonte das letzte Wort wie es auch Yvette nicht so lange zuvor getan hatte.
Azazel grinste. »Jederzeit. Es wird schließlich von uns erwartet, dass wir unsere eigenen Schützlinge vorziehen, und ich kann einfach niemanden enttäuschen. Wie ist ihr Name?«
»Sara.«
»Und wie sieht sie aus?«
»Gut«, sagte sie mit einem versonnenen Lächeln.
»Wenn ich dir weiter jedes Wort mühevoll aus der Nase ziehen muss, sollte ich euch vielleicht einfach in nächster Zeit mal einen Überraschungsbesuch abstatten. Dann erfahre ich vielleicht mehr.«
Sie warf ihm einen gespielt - geschockten Blick zu, dann lachte sie laut. »Du weißt, dass du immer willkommen bist. Nun ja, meistens, wenn du mich denn mal zu Hause erwischst und uns nicht gerade bei etwas störst.«
»Ich glaube, letzteres kann ich gerade noch so verhindern. Komm her.«
Sie folgte seiner Einwilligung nur zu bereitwillig und kuschelte sich an den anderen Dämon an. Sie seufzte innerlich zufrieden, als Azazel seine Arme um sie legte. Diese Nähe war auch etwas, dass sie vermisst hatte in den letzten Jahren. Von Anfang an war ihre Beziehung sehr eng gewesen, egal ob einfach nur so oder auf sexueller Ebene. Sie fühlte sich sicher mit Azazel. Sie konnte sich bei ihm einfach fallen lassen. Es war etwas, dass sie vorher nicht gekannt hatte, zumindest nicht in dieser Intensität. »Du wirst ihr nichts tun, oder?« Nicht das sie es wirklich befürchtete, sonst hätte der Dämon anders reagiert, aber sicher war sicher.
»Nein. Nicht solange niemand gefährdet ist und es sich auch sonst nicht negativ auswirkt. Das schließt dich natürlich mit ein. Passiert dir was von ihrer Hand, oder von irgendjemand aus ihrer Familie, kann ich dafür nicht mehr garantieren.« Sie akzeptierte es mit einem Nicken, schloss für einen Moment ihre Augen zufrieden und genoss einfach ihr zusammensein. »Wie lange kennst du sie schon?«
»Etwa zwei Jahre. Und sie hat dunkle schulterlange Haare, fast schwarze Augen und sieht auch ansonsten verdammt gut aus.
»Ich habe deinen Geschmack niemals angezweifelt.« Sie hörte ihn leise Lachen. »Sei aber trotzdem vorsichtig.«
»Bin ich das nicht immer?«
Er drückte sie so weit weg, bis sie halb saß und gezwungen war ihm direkt in die Augen zu sehen. »Ich meine es ernst. Du weißt um ihre besondere Fähigkeiten. Sie können uns nicht nur fühlen, wenn wir nicht aufpassen, sondern auch gegen uns angehen. Ich will nicht meinen vielversprechendsten Schützling verlieren. Und ihr steht euch sehr nahe. Du musst deine Natur immer unter Kontrolle haben. Es ist das A und O wenn wir uns mit Menschen einlassen und es ist in diesem Fall noch viel wichtiger.«
»Dein einziger Schützling«, verbesserte sie ihm mit einem kleinen Lächeln. Innerlich jedoch war sie berührt von seiner Sorge. Es war eine der Besonderheiten ihrer Beziehung. »Ich pass auf, versprochen«, sagte sie und küsste seine Hand vorsichtig. »Bisher ist doch immer alles gut gegangen und es wird es auch weiterhin.«
Azazel nickte nachdenklich. »Und sollte sich das jemals ändern, wirst du mich rufen. Versprich mir das.« Er zog sie wieder näher, nachdem sie genickt hatte, bis sie wieder halb auf ihm lag. »Ich denke es ist wohl in deinem Fall zu spät dich davor zu warnen, dich nicht zu sehr gefühlsmäßig zu involvieren, aber vergiss nicht, dass sie ein Mensch ist. Da kann vieles passieren.«
Er musste nicht deutlicher werden. Sara war nicht unsterblich. Es war etwas, dass ihr selber immer wieder durch den Kopf ging, und was ihr am meisten Sorge bereitete. Alleine der Gedanke, dass sie Sara verlieren könnte, zeriss sie innerlich fast.
»Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht? Ich will nicht das du leidest, wenn etwas passiert.« Dafür war es schon mehr als zu spät. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass Azazel sich dessen auch bewusst war. »Du weißt, dass es eine Möglichkeit gibt ...«
Sie setzte sich auf, so das sie ihn direkt ansehen konnte. »Würdest du es für mich denn tun? Ich selber bin noch nicht so weit. Zu viel könnte schief gehen ...« Natürlich war ihr die Möglichkeit schon in den Sinn gekommen, aber sie hatte noch nicht gewagt weiter darüber nachzudenken. Es gab zu viele Faktoren, die zu unsicher waren, eine davon Azazel. Das war nicht gerade ein Topic, über das sie bisher viel geredet hatten. Und dann war da noch Sara. Sie konnte es nicht gegen ihren Willen machen ... Sie nahm ihr Weinglas wieder auf und drehte es unbewusst nervös in ihrer Hand hin und her.
»Wenn sie dazu bereit ist. Ansonsten würde es nicht funktionieren. «
Desinteressiert, beobachtete sie, wie Stuart den Boden von Rumboraks Kaffee-Sabber-Sauerei befreite, und dabei aussah, wie jemand, dem gerade gesagt wurde, dass er seine eigenen Innereien neu sortieren müsse.
Was wollte Azazel noch von ihr? Sicherlich mehr als nur Smalltalk, oder sogar da weitermachen, wo sie zuvor aufgehört hatten. Oder vielleicht doch? Aber das wäre zu viel zu erwarten, nahm sie ihren früheren Gedankengang wieder auf, während sie einen Donut zerpflückte, der einsam und verloren vor ihr auf dem Teller lag.
»Entschuldigung, aber ich muss hier alles für den regulären Verkehr vorbereiten.«
Sie zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück, überließ Stuart ihren Teller. Vielleicht war sie aber auch einfach nur zu nervös um so etwas banales auch nur in Erwägung zu ziehen, und da war wirklich nicht mehr? Immerhin hatten sie sich einige Zeit nicht gesehen ...
»Sie verschwinden immer, weißt du?«
Erschrocken sah sie auf. Stuart stand vor ihr, den Teller mit ihrem halbzerpflückten Donut in der Hand. »Was?«
»Sie verschwinden immer bevor ich sie essen kann«, erklärte er ihr langsam, mit einem Blick, wie der eines Kindes, dass gerade erfahren hat, dass Weihnachten gestrichen wurde. »Weißt du warum?«
»Weil du hier in der Hölle bist, und das deine Strafe ist«, erklärte sie ihm abwesend.
Wie nicht anders zu erwarten, sah Stuart sie nur verständnislos an. »Ich wollte gestern nach Hause gehen, aber ich finde den Weg nicht mehr. Keine Donuts und kein Weg nach Hause ...«
Mit einem Seufzer stand sie auf und ließ Stuart in seiner Verwirrung und seinem ihm unverständlichem Elend einfach stehen. Es wäre wirklich einfacher und unterhaltsamer, wenn Leute wie Stuart und Co. wüssten was mit ihnen passierte, dachte sie wieder einmal, als sie Richtung Türe marschierte.
Draußen vor dem Hell's Diner wartete bereits der erste Ansturm von Gästen - einige Feuerdämonen, die sich angeregt darüber unterhielten, ob rohe Schnecken wohl saftiger schmeckten als rohe Frösche und was ihre Feuerkraft fördern würde, während kleine Flammen von einem auf den anderen übersprangen, etwas das die drei Harpyien, die in ihrer Nähe standen und offensichtlich Angst um ihre Federn hatten, mit Mistrauen beobachteten, während die Gruppe Tupilaks sie geflissentlich ignorierten und sich stattdessen in merkwürdigen Quietschlauten miteinander austauschten. Zumindest wirkte es wie ein Gespräch, aber ganz sicher war sie sich nicht.
Mit Mühe zwängte sie sich zwischen den kleinen Körpern der Naturgeister durch, die ihre Anwesendheit noch nicht einmal wahrzunehmen schienen. Wiedereinmal wunderte sie sich, wie diese kleinen Wesen, mit ihren halb tierischen, halb menschlichen Körpern sich überhaupt fortbewegen konnten. Es war eines der vielen Wunder, die man nur hier unten so gebündelt finden konnte, und die ihr immer wieder aufs neue bestätigten, dass sie damals die richtige Wahl getroffen hatte, als sie ihren Platz an der Sonne gegen einem am offenem Feuer eingetauscht hatte. Nirgends anders auf der Welt, weder als Mensch noch als Dämon, hatte sie jemals eine solche interessante und bizarre Artenvielfalt gesehen.
Sie blieb am Rand des kleinen Vorplatzes zum Hell's Diner stehen, und erlaubte sich für einen Augenblick nur zu beobachten, das Leben auf sich wirken zu lassen, es sie beruhigen zu lassen, und die Ordnung in dem bizarren Chaos, das diese Welt hier unten war zu bewundern.
»Na, Süße, so unentschlossen? Was hältst du von einem Drink?«
Allerdings unterschieden sich manche Dinge - wie blöde Anmachen - gar nicht mal so sehr von der Welt da oben. Sie verdrehte die Augen, aber bevor sie was sagen konnte, schrie das undefinierbare, stinkige Zottelwesen vor ihr auf und begann einen merkwürdigen, einbeinigen Hüpftanz aufzuführen. »Was war das für ein Biest?«, verlangte er zu wissen.
»Eins das auf gute Manieren steht, und weniger ein Biest ist als du«, mit diesen Worten materialisierte sich Azazel neben ihr. Mit einem 'Komm her, Kleine', hob er eine deutlich wütende Viper auf, die eine giftgrüne Farbe angenommen hatte und den Dämon (zumindest vermutete sie, dass es einer war) böse anzischte. »Es mag bei euch in Sibirien anders sein, aber unsere weiblichen Dämonen hier haben Stil. Ich würde mit einem Bad anfangen, wenn ich du wäre. Es könnte die Sache beim nächsten Mal weniger unangenehm machen.«
Der Dämon knurrte ihn wütend an, während er seinen Knöchel rieb und weiter versuchte seine Balance zu halten, verschwand dann aber hinter einem Felsen. »Was war das?«, fragte sie Azazel. »Ich hab so etwas noch nie gesehen ...«
»Ein Kelet. Äußerst unangenehme und unzivilisierte Zeitgenossen, allerdings treten sie glücklicherweise immer nur alleine auf. Wahrscheinlich können sie sich selbst nicht riechen. Ist wohl ein Neuzugang für einen Spezialauftrag, oder er spielt einfach nur Tourist. Ihr eigentlicher Wirkungsbereich ist Nordsibirien. Ich hoffe, wir haben dir nicht gerade eine potentielle Verabredung platzen lassen?«
Sie sah Azazel entsetzt an. »Bloß nicht, nein!«
»Das dachte ich mir. Komm mit. In meinem Büro ist es wohl etwas ruhiger«, sagte er und löste sich auch sofort auf.
***
Es war nicht nur ruhiger, sondern auch gemütlicher.
»Setz dich«, sagte Azazel und deutete auf die dunkel-braune Ledersitzecke, die den meisten Platz im Raum einnahm.
Sie hatte kaum auf der Couch Platz genommen, da kam Azazels Viper auch schon angekrochen, und machte es sich in ihrer Lieblingsposition auf ihrem Schoss gemütlich. Abwesend streichelte sie das nun wieder schwarz-grüne und friedlich vor sich hinzüngelnde Tier. »Wie geht es Erik?«
»Oh, er ist wieder ganz der Alte. Irgendwie schien er sich auch plötzlich richtig auf das Treffen mit Adam zu freuen. Ein äußerst überraschender Sinneswandel«, sagte Azazel und reichte ihr ein Glass Rosé.
»Elena«, erklärte sie. »Sie hat es ihm wohl ziemlich angetan, und sie haben sich verabredet.«
»Sie scheinen zumindest auf einer Wellenlänge zu liegen, jedenfalls so weit es um Yvette ging. Es ist gut, vor allem für Elena. Vielleicht gewöhnt sie sich so schneller ein. Sie war etwas einsam nach dem sie nur knapp dem Mob entkommen konnte, der ihre ganze Familie auf dem Gewissen hat. Es wird beiden gut tun.«
Sie nickte zustimmend und nahm einen Schluck von ihrem Glas. Der Wein schmeckte köstlich. Er hatte gerade die richtige Temperatur und war weder zu süß noch zu bitter. »Elena scheint nett zu sein«, gab sie zögerlich zu. »Wenigstens hat sie keine Angst ihre Meinung zu sagen. Was war das eigentlich mit Carlos? Glaubt ihr ernsthaft das er auch nur mit dem Gedanken gespielt hat hier unten irgendwas zu ändern?«
Azazel lachte. »Natürlich nicht. Dafür ist er weder stark noch intelligent genug. Chaosdämonen sind für so was einfach nicht gemacht. Sie sind zu einfach gestrickt. Kassandra hat sich allerdings tatsächlich Sorgen gemacht, dass er seinen Fokus verlieren könnte. Scheinbar ja auch zu recht, und das war halt eine elegante Lösung ihn mal wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Außerdem können wir nicht das Risiko eingehen, dass unsere Existenz oben zu bekannt wird.«
»Ganz schön fies.«
»Nett sein ist weder zwangsläufig ein Teil unsere Natur noch kommt es mit unserer Berufsbezeichnung. Wir müssen dafür sorgen, dass aus euch was wird, mit allen Mitteln. Und das war noch vergleichbar harmlos mit dem was passieren hätte können, wenn wir noch gewartet hätten.« Seine Stimme war sachlich, aber sie hatte keinen Zweifel daran, dass ihm ernst damit war. Und verstehen konnte sie es auch irgendwie. »Du warst allerdings heute extrem ruhig. Wir haben uns vielleicht schon zu lange nicht mehr unterhalten. Gibt es irgendetwas, dass ich wissen sollte?«
Und da waren sie auch schon. Ganz genau wie sie befürchtet hatte. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, alles in bester Ordnung«, sagte sie und leerte das Weinglas in einem Zug. Nicht das es viel brachte. Das herkömmliche Drogen und Alkohol nicht wirkten, war einer der Nachteile, wenn man ein Dämon war.
Azazel sah sie nur mit diesem Blick an, der ihr immer durch Mark und Bein ging. »Das habe ich dir eben schon nicht geglaubt. Also, was ist los? Ärger mit einem deiner Projekte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Da läuft alles wie es sollte. Erst im Frühjahr habe ich uns ein Mafiamitglied gesichert, dass das Spiel noch mehr liebte als die Familie, seinen guten Ruf oder seine Seele - trotz streng katholischem Hintergrund. Es war ... inspirierend.«
»Deine Ablenkungsmanöver haben bei mir noch nie funktioniert, Magdalena. Also, was ist es dann? Dein großes Projekt?«
Sie zog innerlich eine Grimasse. Nicht das da jetzt noch viel anderes übrig blieb, oder das sie jetzt noch eine andere Chance hatte ... Manchmal hasste sie es, dass Azazel sie so gut kannte. Oder vielleicht war sie auch einfach nur eine zu schlechte Schauspielerin. Um noch etwas Zeit zu schinden nahm sie die Weinflasche und goss sich das Glas wieder voll. »Es ist nichts besonders. Ich komm damit schon alleine klar«, murmelte sie bevor sie das Glas ansetzte und einen tiefen Schluck nahm.
»Das sehe ich. Also, was ist es?«
»Kannst du es nicht einfach auf sich beruhen lassen?«, fragte sie leicht entnervt, dann, als sie den warnenden Blick sah, »Es gab einige Komplikationen, aber es ist nichts, womit ich nicht klar komme. Ansonsten hätte ich es wohl eben erwähnt.«
»Oh, ganz sicher. Genau wie Yvette oder Erik. Ihr seid doch viel zu stolz um irgendetwas in dieser Art zuzugeben. Es liegt einfach nicht in unserer Natur solche Schwächen zu zeigen.«
»Wenigstens schließt du dich da nicht aus«, murmelte sie, schon wieder im Weinglas versunken.
»Warum sollte ich? Das ist Teil dessen was wir sind, unsere Natur. Ansonsten wären wir nicht besser als alle anderen. Aber jetzt genug damit. Was ist los? Hast du Probleme mit der Sippe? Wissen sie vielleicht was du bist? Immerhin hat dieses Volk ein besonderes Gespür für solche Dinge ...«
»Nein, sie haben keine Ahnung, denke ich. Ich habe ihnen auf jeden Fall nichts gesagt«, sagte sie, letzteres eher um weitere Fragen in dieser Richtung vorzubeugen. »Es ist ... was anderes. Ich würde es wirklich vorziehen nicht darüber zu reden, ich hab das schon alles im Griff«, versuchte sie es noch mal und legte extra viel Überzeugung in ihre Stimme.
»Und ich würde es vorziehen, wenn du mir endlich sagen würdest was los ist«, sagte Azazel und obwohl seine Stimme noch immer ruhig war, konnte sie eine gewisse unterliegende Schärfe nicht ignorieren, so sehr sie sich auch bemühte. Nicht das es ratsam war sich zu sehr zu bemühen. Azazel schien nach ihrem Treffen nicht mehr viel von seiner Geduld übrig zu haben.
»Fein. Ich bin um eine Erfahrung reicher geworden was unsere Natur betrifft in den letzten Jahren, das ist alles«, sagte sie, ihre Stimme überraschend scharf.
»Und was ist diese Erfahrung?«
»Etwas, das ihr uns offensichtlich vergessen habt zu sagen!«
»Das muss ja was ganz schlimmes gewesen sein, wenn man nach deiner Reaktion geht«, sagte Azazel trocken während er sich selbst neuen Wein nachgoss.
Sie sah Azazel böse an. Es war alles seine Schuld. Hätte er nur einen Ton gesagt, oder sonst irgendjemand hier, hätte es sie niemals aus so heiterem Himmel treffen können! »Das kommt wohl auf die Sichtweise an.« Dann sprang sie auf, so das die Schlange auf ihrem Schoss zu Boden fiel. Sie zischte einmal böse (oder vielleicht auch einfach nur beleidigt), bevor sie sich auf dem Boden vor einem der Feuer zusammen rollte.
Der Dämon sah sie neugierig an. »Das muss ja was ganz schlimmes sein. Lass mich raten ... das Mysterium der Unsterblichkeit wohl nicht. Vielleicht das Geheimnis, wie man Blei in Gold verwandelt?«
»Ha. Ha. Sehr, sehr komisch.«
»Eigentlich nicht, aber da ich dir ja jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen muss ...«
Azazel klang viel zu amüsiert für ihren Geschmack. Sie zog eine Grimasse, diesmal nicht nur innerlich. »In der Tat geht es eher um etwas viel elementareres«, sagte sie. »Nur war ich leider überhaupt nicht darauf vorbereitet. Es hat mich ... etwas aus dem Ruder geworfen.«
»Und was war es? Die Erfahrung, dass auch du manchmal das Ende deiner Kräfte erreichst und auftanken musst? Das du alles viel deutlicher wahrnimmst, als Menschen? Vielleicht sogar, dass du atmen musst? Ich dachte das hättest du alles schon vor einiger Zeit herausgefunden ...«
»Gefühle«, platzte sie endlich heraus. Wenn sie sich schon so unwohl fühlte, wollte sie nicht auch noch zur Belustigung des anderen Dämons beitragen.
Es schien zu wirken. Für einen Moment sah Azazel sie sprachlos an. »Gefühle«, echote er dann. »Und von welchen Gefühlen reden wir? Gefühle allgemein? Und was habe ich dir da verschwiegen? Mir war nicht bewusst, dass dir bisher noch nicht aufgefallen ist, dass du fühlst.«
Ihre Augen verengten sich. Eins musste sie ihm lassen, er hatte seine Selbstbeherrschung ziemlich schnell wieder gefunden. »Nein, eher Gefühle der spezifischen Art. Nur wesentlich stärker als normal und nicht für einen von uns!«
Azazel nickte nachdenklich in die folgende Stille, die verblüffend erdrückend auf sie wirkte. Wann hatte sie sich das letzte Mal so gefühlt? Sicherlich nicht mehr, seitdem sie gestorben war. Und es gefiel ihr heute genauso wenig wie damals. Sie zwang sich zu entspannen und setzte sich sogar wieder auf die Couch.
»Wer ist es? Die Tochter?«
Sie nickte, versuchte aber ihr Gesicht möglichst ausdruckslos zu halten. Sie konnte nur noch hoffen das, was immer jetzt kommen würde, schnell vorüber sein würde, so dass sie schnell verschwinden konnte und sich von dieser Schmach erholen - vorzugsweise mit dem Grund des selbigen.
»Erzähl mir von ihr.«
»Was?« Sie sah ihn fassungslos an. Das war nicht wirklich das, was sie erwartet hatte.
»Ich wusste nicht, dass einem Gefühle auch auf die Ohren schlagen können«, sagte Azazel und verdrehte leicht die Augen. »Ich sagte: Erzähl mir von ihr.«
»Warum?«, fragte sie misstrauisch. Irgendetwas stimmte hier nicht. Sie war zumindest auf eine ewiglange und nervige Lektüre gefasst gewesen und obwohl Azazel ehrliches Interesse an den Tag zu legen schien, konnte sie ein unbestimmtes mulmiges Gefühl nicht unterdrücken.
Azazel zuckte mit den Schultern, beinahe gleichgültig, dann lächelte er leicht. »Jemand der dich so aus der Bahn wirft, muss was besonderes sein.« Sie sah ihn skeptisch an, nicht sicher, ob Azazel sich nicht gerade über sie lustig machte. Der Dämon seufzte. »Ich meine es ernst. Wir kennen uns jetzt wie lange? Vergiss nicht, ich habe dich schon vor deinem Tod beobachtet und als mögliche Kandidatin in Augenschein genommen und ich habe dich noch nie so erlebt.«
Sie ließ sich nach hinten auf die Couch fallen und schloss für einen Augenblick die Augen, versuchte sich zu sammeln, als es ihr auf einmal kam. Sie setzte sich auf und sah Azazel an. »Was wirst du mit den Informationen machen? Du wirst ihr nichts tun?«
»Warum sollte ich? Wir greifen nur in extremen Situationen ein, das solltest du mittlerweile wissen. Und bisher deutet nichts darauf hin, dass du in sonderlicher Gefahr schwebst, noch das irgendwas anderes darunter leidet. Also werde ich auch nichts machen. Es ist reine Neugier.«
Sie glaubte ein unausgesprochenes noch im Raum schweben zu hören. Es gefiel ihr ganz und gar nicht. »Versprich es mir!«, verlangte sie.
»Dich scheint es ja wirklich übel erwischt zu haben. Wenn es dich glücklich macht: Ich verspreche, dass ich nichts machen werde, solange es sich nicht negativ auf dich auswirkt, deine Arbeit nicht gefährdet ist, oder unsere Art«, sagte er mit einem leichten Augenverdrehen. »Zufrieden?«
»Fürs erste«, sagte sie und goss sich noch Wein nach, mehr um was zu tun zu haben, als aus irgendeiner anderen Notwendigkeit heraus. Sie war nervös. Mehr als das. Sie hatte noch niemals mit jemandem zuvor darüber geredet, und es mit Azazel zu tun, war nicht wirklich ihr Wunsch gewesen, auch wenn es wohl unausweichlich war. »Sie ist so alt wie ich. So alt wie ich war, als ich gestorben bin«, fügte sie hinzu, als sie Azazels amüsierten Ausdruck sah.
»Ende 20 und die Tochter des Klanoberhaupts. Und sie ist anders als jeder andere Mensch, dem ich jemals zuvor begegnet bin, sei es als Mensch oder Dämon. Sie ist ein reiner Wirbelwind an Energie, der dich einfach mitreißt, ob du es willst oder nicht, sogar bevor du es auch nur merkst«, sagte sie, und lächelte unwillkürlich, als sie sich an das erste Treffen zwischen ihnen erinnerte. Eigentlich wollte sie Sara nur kennen lernen, um Zugang zur Sippe zu bekommen. Es machte einfach mehr Spaß, wenn man von innen heraus agieren konnte. Die Ergebnisse waren um ein vielfaches befriedigender, als wenn man nur von außen die Fäden zog. Nur hatte sie nicht mit dem Rest gerechnet. Diese Anziehung, die sie beinahe sofort verspürte, und die dazu beigetragen hatte, dass nur wenige Stunden später eins zum anderen führte, und das sie jetzt in dieser merkwürdigen Situation war.
»Sie sprüht vor Leben. Und sie ist so ... leidenschaftlich, in allem was sie tut. Es gibt keine halben Sachen für sie. Es ist alles oder gar nichts. Entweder sie steht ganz hinter etwas und folgt ihrem Ziel bis zum Ende, oder sie fängt es gar nicht erst an.«
»Offensichtlich in wirklich allen Bereichen«, sagte Azazel, und sie merkte wie sie rot wurde. Sie, ein Dämon! Viel schlimmer konnte es wirklich nicht mehr kommen. Sie widerstand der Versuchung, ihrem Gegenüber einfach die Zunge rauszustrecken. Es gab wirklich keinen Grund, sich noch lächerlicher zu machen, als sie es eh schon getan hat. Auch nicht, wenn Azazel noch so sehr den Nagel auf den Kopf traf. Ihre Gedanken schweiften ab, zu dem ersten Kuss und der folgenden ersten Nacht zusammen, nur wenige Stunden nach dem sie sich ihr genähert hatte.
»Du kannst es auch fühlen nicht?«
Für einen Moment konnte sie die andere Frau nur anstarren. Sie fühlte sich komplett außer Balance. Ihre ganze Gefühlswelt war in Aufruhr. Nach einer halben Ewigkeit nickte sie leicht, kaum merklich, unsicher. Es war offensichtlich deutlich genug für Sara gewesen, die ihr so nahe kam, dass sie ihren Atem auf ihrer Haut fühlen konnte, wie eine warme Sommerbrise, die einem übers Gesicht strich ...
»Ich will dich, Magdalena«, sagte die andere Frau, ihre Stimme kaum mehr als ein leises Flüstern, das sie genauso sanft berührte, wie Saras Hand, die über ihre Wange streichelte. Sie konnte nur nicken, unfähig auch nur ein Wort zu formen.
Ganz langsam kamen sie einander noch näher, fast wie in Trance, bis ihre Lippen sich zu einem ersten, zögerlichen Kuss trafen.
Es war nur der Anfang gewesen. Das Zögerliche war nach dieser ersten, leichten Berührung verschwunden, als ob es niemals existiert hätte, zu Gunsten eines Hungers, der einfach nicht zu stillen war, als sie ihrer Leidenschaft in der Möglichkeiten Ausdruck verliehen, die allen Wesen gleich war, sich mit Mündern und Händen kennen lernten, als wenn es kein Morgen mehr geben würde.
Es war etwas, dass sich seit diesem einen Tag nicht geändert hatte, egal ob sie leidenschaftlich oder nur unendlich sanft und vorsichtig miteinander umgingen. Der Hunger, dieses innerliche Verzehren, was sie so aus heiterem Himmel getroffen hatte, ließ einfach nicht nach. Weder auf körperlicher noch auf emotionaler Ebene. Je mehr sie teilten, desto mehr wollte sie die andere Frau - in allen Bereichen. Es war verzehrender Wahnsinn, und sie wollte, dass es niemals aufhörte.
Das einzige was ansatzweise an diese Erfahrung drankam, war ihre Anfangszeit als Dämon, als das reine Wissen um ihre neue Natur, ihre zusätzlichen Kräfte, die geschärften Sinne, sie noch berauscht hatten. Aber sogar das verblasste im Gegensatz zu dem was sie und Sara teilten. Es war etwas einmaliges, etwas unvorstellbar wunderbares, etwas das sie immer wieder aufs neue in einen Rausch versetzte, sogar nach all den Monaten noch, die sie bereits zusammen waren.
Sie schüttelte ihren Kopf und schüttete dann den Inhalt ihres Glases in sich rein während sie sich zwang in das hier und jetzt zurückzukehren, auch wenn diese Realität so viel weniger angenehm war. Sie war sicher, dass sie die Farbe einer überreifen Tomate angenommen hatte, bei diesen -gerade absolut uneingeladenen und zeitlich unpassenden - Erinnerungen und Gefühlen. Das verstärkte sich noch als Azazel leise vor sich hin lachte. Sie sah ihn böse an. Er ignorierte sie, und schenkte ihr stattdessen aus einer neuen Flasche nach, von der ihr noch nicht einmal bewusst war, dass er sie geholt hatte. »So schlimm?«, fragte er nach einem Moment.
»Schlimmer.« Mit einem leisen Stöhnen, ließ sie sich wieder nach hinten auf das Sofa fallen. Sie konnte ihm nie wirklich lange böse sein. Azazel war einfach nur er selber. Ihm etwas nachzutragen brachte gar nichts, und war in etwas das gleiche, als würde man Regen vorzuwerfen, dass er nass war. »Ich hab so etwas noch niemals erlebt. Diese Gefühle ... ich kann es nicht beschreiben«, sagte sie hilflos. »Es ist wie ein Wirbelsturm, der dich mitreißt.«
»Willkommen im Leben«, sagte Azazel einfach nur. Sie öffnete ihre Augen um festzustellen, ob er sich über sie mokierte. Aber da war nichts. Er wirkte sogar für ihre Beziehung außerordentlich ernst. Sie war sich nicht ganz sicher, ob das nicht Grund zu Alarm war.
»Was meinst du?«
»Du bist ein Dämon, ein, wie die Menschen sagen, übernatürliches Wesen. Es sind nicht nur deine Sinne geschärft, sondern du reagierst auf gefühlsmäßig anders, stärker.«
»Aber Carlos und du --«
»Kannst du das was wir, oder du und Carlos, hatten als eine tiefergehende Beziehung beschreiben, oder war alles was du bisher hattest nicht eher vergleichbar mit Affären, wenn auch teilweise etwas länger andauernden? Es ist doch verständlich, dass man sich jemand sucht, mit dem man die Ewigkeit teilen kann, zumindest Teilstrecken davon. Was glaubst du, warum hier immer wieder alle zusammentreffen, auch wenn die meisten von uns sich noch nicht einmal ausstehen können? Warum auch ihr immer wieder zusammenkommen würdet, selbst wenn diese Treffen freiwillig wären?«
Sie sah ihn an, als wenn er den Verstand verloren hätte. »Oh komm, selbst wenn diese Treffen freiwillig wären, würdet ihr immer alle kommen - trotz all eurer Nörgelei. Ihr braucht nicht nur die Ablenkung, sondern auch die Gesellschaft, wie jedes Lebewesen zieht es uns zu anderen. Wie unter Menschen zieht es uns zum einen mehr hin als zum anderen. Das ist der Lauf. Allerdings ist es jetzt bei dir doch etwas komplizierter.«
Nicht das ihr das aufgefallen wäre.
»Es zieht uns zu den Menschen, aus den verschiedenen Gründen. Bei dir ist es eben dieser. Deiner Reaktion nach, scheint es allerdings weit über eine weitere Affäre hinauszugehen. Was bedeutet sie dir?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Nicht wirklich. Ich habe das noch nie so erlebt ... « Und verdammt, sie hasste dieses Gefühl der Hilflosigkeit, dass dieses Zugeständnis begleitete. Es war eine Sache, es sich selber zuzugestehen, aber eine komplett andere, es vor einem anderen Dämon zu tun. Allerdings sollte sie vielleicht einfach froh sein, das es hier in diesem kleinen Rahmen geschah und nicht vorher. »Wusstest du das eben schon?«
»Sollte ich. Immerhin kenne ich dich mittlerweile doch schon etwas länger, da wäre es ein Trauerspiel, wenn ich nicht merken würde, dass etwas nicht stimmt.«
»Danke, für die Vorzugsbehandlung«, sagte sie, und betonte das letzte Wort wie es auch Yvette nicht so lange zuvor getan hatte.
Azazel grinste. »Jederzeit. Es wird schließlich von uns erwartet, dass wir unsere eigenen Schützlinge vorziehen, und ich kann einfach niemanden enttäuschen. Wie ist ihr Name?«
»Sara.«
»Und wie sieht sie aus?«
»Gut«, sagte sie mit einem versonnenen Lächeln.
»Wenn ich dir weiter jedes Wort mühevoll aus der Nase ziehen muss, sollte ich euch vielleicht einfach in nächster Zeit mal einen Überraschungsbesuch abstatten. Dann erfahre ich vielleicht mehr.«
Sie warf ihm einen gespielt - geschockten Blick zu, dann lachte sie laut. »Du weißt, dass du immer willkommen bist. Nun ja, meistens, wenn du mich denn mal zu Hause erwischst und uns nicht gerade bei etwas störst.«
»Ich glaube, letzteres kann ich gerade noch so verhindern. Komm her.«
Sie folgte seiner Einwilligung nur zu bereitwillig und kuschelte sich an den anderen Dämon an. Sie seufzte innerlich zufrieden, als Azazel seine Arme um sie legte. Diese Nähe war auch etwas, dass sie vermisst hatte in den letzten Jahren. Von Anfang an war ihre Beziehung sehr eng gewesen, egal ob einfach nur so oder auf sexueller Ebene. Sie fühlte sich sicher mit Azazel. Sie konnte sich bei ihm einfach fallen lassen. Es war etwas, dass sie vorher nicht gekannt hatte, zumindest nicht in dieser Intensität. »Du wirst ihr nichts tun, oder?« Nicht das sie es wirklich befürchtete, sonst hätte der Dämon anders reagiert, aber sicher war sicher.
»Nein. Nicht solange niemand gefährdet ist und es sich auch sonst nicht negativ auswirkt. Das schließt dich natürlich mit ein. Passiert dir was von ihrer Hand, oder von irgendjemand aus ihrer Familie, kann ich dafür nicht mehr garantieren.« Sie akzeptierte es mit einem Nicken, schloss für einen Moment ihre Augen zufrieden und genoss einfach ihr zusammensein. »Wie lange kennst du sie schon?«
»Etwa zwei Jahre. Und sie hat dunkle schulterlange Haare, fast schwarze Augen und sieht auch ansonsten verdammt gut aus.
»Ich habe deinen Geschmack niemals angezweifelt.« Sie hörte ihn leise Lachen. »Sei aber trotzdem vorsichtig.«
»Bin ich das nicht immer?«
Er drückte sie so weit weg, bis sie halb saß und gezwungen war ihm direkt in die Augen zu sehen. »Ich meine es ernst. Du weißt um ihre besondere Fähigkeiten. Sie können uns nicht nur fühlen, wenn wir nicht aufpassen, sondern auch gegen uns angehen. Ich will nicht meinen vielversprechendsten Schützling verlieren. Und ihr steht euch sehr nahe. Du musst deine Natur immer unter Kontrolle haben. Es ist das A und O wenn wir uns mit Menschen einlassen und es ist in diesem Fall noch viel wichtiger.«
»Dein einziger Schützling«, verbesserte sie ihm mit einem kleinen Lächeln. Innerlich jedoch war sie berührt von seiner Sorge. Es war eine der Besonderheiten ihrer Beziehung. »Ich pass auf, versprochen«, sagte sie und küsste seine Hand vorsichtig. »Bisher ist doch immer alles gut gegangen und es wird es auch weiterhin.«
Azazel nickte nachdenklich. »Und sollte sich das jemals ändern, wirst du mich rufen. Versprich mir das.« Er zog sie wieder näher, nachdem sie genickt hatte, bis sie wieder halb auf ihm lag. »Ich denke es ist wohl in deinem Fall zu spät dich davor zu warnen, dich nicht zu sehr gefühlsmäßig zu involvieren, aber vergiss nicht, dass sie ein Mensch ist. Da kann vieles passieren.«
Er musste nicht deutlicher werden. Sara war nicht unsterblich. Es war etwas, dass ihr selber immer wieder durch den Kopf ging, und was ihr am meisten Sorge bereitete. Alleine der Gedanke, dass sie Sara verlieren könnte, zeriss sie innerlich fast.
»Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht? Ich will nicht das du leidest, wenn etwas passiert.« Dafür war es schon mehr als zu spät. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass Azazel sich dessen auch bewusst war. »Du weißt, dass es eine Möglichkeit gibt ...«
Sie setzte sich auf, so das sie ihn direkt ansehen konnte. »Würdest du es für mich denn tun? Ich selber bin noch nicht so weit. Zu viel könnte schief gehen ...« Natürlich war ihr die Möglichkeit schon in den Sinn gekommen, aber sie hatte noch nicht gewagt weiter darüber nachzudenken. Es gab zu viele Faktoren, die zu unsicher waren, eine davon Azazel. Das war nicht gerade ein Topic, über das sie bisher viel geredet hatten. Und dann war da noch Sara. Sie konnte es nicht gegen ihren Willen machen ... Sie nahm ihr Weinglas wieder auf und drehte es unbewusst nervös in ihrer Hand hin und her.
»Wenn sie dazu bereit ist. Ansonsten würde es nicht funktionieren. «