Hell's Diner Teil 4 (Ende)

Kadira

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Teil 4:

Mit einem beinahe resignierten seufzen bog sie nach rechts ab und zwängte sich zwischen einem fremden metallic-grünen BMW und dem VW Jetta ihres Nachbarn auf ihren eigenen Parkplatz, sehr darum bemüht letzterem dabei so viel Schaden wie möglich zu zufügen. Sie lächelte kalt, als Metall auf Metall traf. Das durchdringende Quietschen, das die Luft zerschnitt, erfüllte sie mit beinahe kindlicher Genugtuung. Selber schuld. Erst mal besetzte der Typ mit seinem getunten Stück Schrott auf das er so entsetzlich stolz war immer halb ihren Parkplatz, dann hatte er seinen beschissenen Pudel so abgerichtet, dass er sein Geschäft immer gleich neben ihrer Zeitung vor der Hautüre verrichtete (reine Absicht, nach ihrer letzten Zurückweisung, dessen war sie sich ziemlich sicher) und dann war er ganz allgemein ein ekeliger Zeitgenosse. Einer der Sorte mittel alter Mann in der Midlifecrisis, der verzweifelt versuchte den Alterungsprozess aufzuhalten, indem er sich widerlich jung gab und mit anzüglichen Bemerkungen nur so um sich schmiss, während er sonst nichts zu bieten hatte.

Es war Abneigung auf den ersten Blick von ihrer Seite gewesen, und von seiner wohl, nachdem er erkannt hatte, dass sein Verhalten bei ihnen nicht den gewünschten Effekt hatte. Zu dumm, dass Sara so an dem alten Kasten hier hing. Es war ihre erste Wohnung gewesen, und sie bestand darauf, dass sie nichts vergleichbares mit vergleichbarer Atmosphäre irgendwo anders finden konnten, jedenfalls nicht zu einem solchen Preis. Und sie hatte recht. Irgendwie. Die Wohnung war klasse. Groß und atmosphärisch mit all ihren Winkeln und Balken, wie es nur große, alte Dachwohnungen hatten. Sie würde sie beinahe als romantisch bezeichnen, wenn es da nicht diesen Nachbarn geben würde. Er war sogar zu abstoßend und billig, als das sie sich dazu überwinden konnte, ihn zu verdammen. Bei Leuten wie ihm war es keine Herausforderung. Wahrscheinlich gehörte seine Seele ihnen auch schon. Wundern würde es sie zumindest nicht.

Für einen Moment blieb sie vor dem schmutzig-weißen Wagen stehen (Elfenbein mit Perlmuteffekt, wie ihr Nachbar immer wieder gerne betonte) und bewunderte die rötliche Schramme in dessen rechte Seite. Es war eine Verschönerung, entschied sie sich. Vielleicht hätte sie nicht so zurückhaltend sein sollen, sondern sich auch direkt um den grässlichen Heckspoiler kümmern sollen ... Sie konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, bei dem Gedanken, dass er sich dann nicht nur beschweren und nach Schadensersatz verlangen würde, sondern wahrscheinlich direkt einen Herzinfarkt bekommen würde. Schade um ihn wäre es auf jeden Fall nicht. Nun ja, es würde mit Sicherheit ein nächstes Mal geben. Jetzt hatte sie wichtigeres zu tun.

Langsam überquerte sie das kurze Stück Weg zu ihrem Haus. Zwischen den alten, imposanten Eichen blieb sie noch mal stehen, versuchte sich selbst zu sammeln. Von hier unten aus konnte sie kein Licht bei sich entdecken, aber es wunderte sie in Anbetracht der späten/frühen Stunde nicht weiter. Ihr Gespräch mit Azazel hatte sich wesentlich länger als gedacht hingezogen, und nach all der Zeit konnte sie auch seine Einladung zum Abendessen nicht ablehnen. Abgesehen davon, dass es einfach mal wieder schön war Zeit mit ihm zu verbringen, gab ihr das auch noch etwas mehr Aufschub, um alles zu verarbeiten und einige Entscheidungen zu treffen.

Das Licht ging automatisch an, als sie die Türe öffnete und blendete sie für einen Moment so sehr, dass sie ihre Augen zu kneifen musste. Wer immer diese äußerst brillante Idee für diese auf Bewegungen reagierende Anlage gehabt hatte, war ein Idiot. Als ob es so schwer war, neben die Türe zu greifen, und das Licht selber einzuschalten ...

Sie schüttelte ihren Kopf, bevor sie, den Aufzug komplett links liegend lassend, die Treppen in die siebte Etage hoch nahm. Sie hatte nichts gegen Aufzüge, aber mit Sara, die unter Platzangst litt, hatte sie sich so daran gewöhnt zu laufen, dass es eine automatische Reaktion war. Außerdem gab es ihr heute noch etwas mehr Zeit, was besonders angenehm war. Sie hatte ihre Entscheidung zwar getroffen, wusste allerdings noch nicht so ganz, wie sie es in Angriff nehmen sollte. Und wirklich, wie fragte man seine Geliebte so etwas?

Hallo Darling, gut siehst du aus, wie war dein Tag? Das freut mich zu hören. Sag mal, liebst du mich genug um für mich zu sterben und als Dämon wiedergeboren zu werden, so das wir die Ewigkeit zusammenverbringen können, und ich keine Angst mehr um dich haben muss? Wie, habe ich etwa vergessen dir das über mich zu sagen? Das muss mir wohl entfallen sein ...

Sie lächelte leicht über sich selber, als sie leise die Türe aufschloss. Azazel hatte recht. Sie war ein hoffnungsloser Fall, zumindest wenn es zu Sara kam. Niemals zuvor hatte sie sich so viele Gedanken gemacht, wenn es um jemand anderen ging. Niemals zuvor war es jemand so wert gewesen. Und niemals zuvor hatte sie eine solche Angst vor einer Zurückweisung. Abgesehen davon, würde es nicht einfach werden. Es war nicht wirklich etwas was ein Partner von einem erwartete zu hören.

Lautlos ging sie durch die dunkle Wohnung und auf den bläulichen Schimmer des Fernsehers aus dem Schlafzimmer zu. Es war an der Zeit, egal was für eine Angst sie hatte. Es würde nicht leichter werden und sie wusste nicht, ob sie den Mut noch mal dazu aufbringen konnte. Das Gespräch mit Azazel und seine Zusage hatte sie gestärkt.

»Für dich würde ich es machen, wenn sie dir so viel bedeutet und zustimmt. Ich will dich glücklich sehen.«

Es war wohl eines der offensten Gespräche gewesen, die sie jemals gehabt hatten. Offen und befreiend. Es hatte ihr wieder einmal bewusst gemacht, wie sehr sie den anderen Dämon und ihre Unterhaltungen vermisst hatte, seine Ratschläge, die ruhige Art mit der er alles analysierte und es auch immer wieder schaffte sie zu beruhigen, seinen Humor. Sie fühlte sich wesentlich besser, als in Wochen was das anging, auch wenn er seinen Missmut darüber kundgetan hatte, dass sie nicht früher zu ihm gekommen war.

Im Türrahmen blieb sie stehen. Im Fernseher lief leise irgendeine der wochenendlichen Komödien, die Sara so gerne mochte und die sie sich immer gemeinsam ansahen. Allerdings hielt das nicht ihre Aufmerksamkeit. Sara hingegen tat es schon. Die andere Frau lag im Bett, auf der Bettdecke, halbnackt und schien tief und fest zu schlafen. Ihr dunkles Haar bedeckte einen Teil ihres Gesichtes, aber auch so konnte sie ohne Probleme ihre Gesichtszüge erkennen, welche in diesem künstlichen Licht noch weicher wirkten als sie es eh schon waren. Die Verletzlichkeit, die sie ausstrahlte, weckte in ihr den starken Wunsch, sie vor allem zu beschützen, das ihr etwas anhaben könne.

Die vollen Lippen schienen zu einem Lächeln verzogen und luden sie geradezu dazu ein, sich Sara zu nähern, und sie wach zu küssen. Sie widerstand der Versuchung. Es war noch zu früh dafür. Erst musste sie das andere hinter sich bringen und darauf hoffen, das es nicht das Ende sein würde, sondern viel mehr ein weitere Anfang.

Sie verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen, für den Moment einfach nur damit zufrieden, die andere Frau zu beobachten, sich dieses Bild für immer in ihren Gedanken einzubrennen. Nur für den Fall, dass ... Nein, sie wollte darüber gar nicht erst nachdenken. Dank Azazel hatte sie heute schon über genug Dinge nachgedacht, die sie lieber für immer verdrängen wollte. Es würde klappen. Trotz allem. Es konnte gar nicht anders ausgehen. Tief drinnen war sie sich dessen sicher. Sara hatte mit den Traditionen ihrer Familie nicht viel am Hut, wie sie mehr als nur einmal bereits betont hatte. Und sie liebten sich. Daran gab es gar keinen Zweifel. Trotzdem hatte sie immer noch Angst. Nicht das man es ihr übel nehmen konnte.

Alleine der Gedanke, dass sie Sara verlieren könne war einfach zu schmerzvoll. Sie musste das Risiko einfach eingehen, musste sie verstehend machen und darauf hoffen, dass es klappen würde.

»Hey.«

Sie war im ersten Augenblick so erschrocken, dass sie fast einen Schritt zur Seite gesprungen war. Stattdessen lächelte sie die andere Frau an. »Hey«, gab sie zurück. Es war eines ihrer kleinen Rituale.

Sie beobachtete fasziniert wie Sara in einer einzigen fließenden Bewegung aufstand und auf sie zu kam. »War es schön?«, fragte sie. »Ich hab mir Sorgen gemacht, als es immer später wurde. Fast hätte ich schon eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Vor allem, als ich dich nicht erreichen konnte.«

»Keine Verbindung. Es ist ziemlich weit außerhalb. Da gibt es wohl noch keine Netzabdeckung«, sagte sie mit einem kleinen Grinsen.

»Hauptsache du bist wieder da.« Sie gab sich bereitwillig dem Kuss hin, öffnete sich der Intimität, versank in der anderen Frau. Es war wundervoll, und sie fühlte einen Stich Reue, als sie sich wieder trennten.

»Komm ins Bett.« Nur zu gerne hätte sie dem nachgegeben. »Hast du geweint?«, fragte Sara plötzlich.

Überrascht sah sie die andere Frau an. »Nicht das ich wüsste ...« Verdammt! Es war wohl wieder eine dieser unbedachten emotionellen Reaktionen gewesen, die sie immer noch versuchte zu verstehen. Sara küsste einen Weg von ihrem Auge runter zu ihrer Wange, wahrscheinlich der Tränenspur entlang, deren Entstehen sie noch nicht einmal bemerkt hatte. Wann sollte es passiert sein?

Ihre Arme wanden sich um den Körper der anderen Frau und sie zog sie näher. »Ich hab dich vermisst«, sagte sie und ihre Stimme klang nur ein kleines bisschen unsicherer, als es ihr lieb war.

»Hm, ich dich auch. Da musst du mich das nächste Mal wohl einfach mitnehmen, dann passiert das nicht mehr.« Sara lächelte sie auf diese ganz spezielle Weise an, die ihr nach all dieser Zeit immer noch die Knie weich werden ließ. Es war das gleiche Lächeln, wie bei ihrem ersten Treffen, noch bevor die Dinge sich so ganz anders entwickelt hatten, wie sie erwartet hatte, als ihr Leben einmal komplett auf den Kopf gestellt worden war und sie in ein heilloses, wunderbares Chaos gestürzt wurde.

Mit plötzlicher Klarheit wurde ihr bewusst, dass dies der richtige Augenblick war. Sie musste es hier und jetzt tun, in diesem einen perfekten Moment. Es war hier und jetzt oder gar nicht, und da letzteres keine Option war, ließ sie Sara los, nahm ihr Gesicht in ihre Hände und küsste sie noch mal. »Ich liebe dich. Ich möchte das du das niemals vergisst«, endete sie, nahm die andere Frau dann an die Hand und führte sie ins Wohnzimmer.

»Das hatte ich nicht vor«, gab Sara zurück, offensichtlich leicht perplex, ließ sich aber ohne Widerspruch von ihr auf das dunkelrote Plüschsofa drücken. Ihr Sofa. Es war das erste Möbelstück, das sie zusammen ausgesucht und gekauft hatten. Sie fragte sich, ob Sara das auch gerade so bewusst war wie ihr. »Solange du nicht vergisst, dass ich dich auch liebe. Aber verrätst du mir, was das ganze soll?«

Sie entkorkte eine Flasche Rotwein und goss zwei Gläser voll, bevor sie sich wieder Sara zu wandte. Schweigend, reichte sie der anderen Frau eines der Gläser, bevor sie das Feuerzeug vom Tisch nahm, und die Kerzen anzündete, die im Raum verteilt waren. Sie wollte es perfekt haben bevor sie anfing, eine Atmosphäre die sie beide, einzeln und als Paar reflektierte. Und das hier war es - ihr Leben und ihre Liebe.

Sara sah sie fragend an, als sie den Raum wieder durchquerte und sich vor ihr auf dem Boden niederließ. Bevor sie ihre Neugier jedoch in Worte fassen konnte, küsste sie sie leicht und sagte: »Ich werde dir alles erklären. Mein Besuch heute hat mir etwas wichtiges bewusst gemacht, und es gibt einige Dinge die ich mit dir, die wir, besprechen müssen«, begann sie, und mit einem Mal war ihre Angst verflogen, auch wenn sie nicht sicher sagen konnte, ob es an dem Ausdruck in Saras Augen lag der zwar neugierig, aber dennoch genau das reflektierte, was sie selber fühlte, oder daran, dass sie den Anfang gemacht hatte, oder einfach an dem Gefühl in ihr, dass es gar nicht schlecht enden konnte. Es machte letztendlich auch keinen Unterschied. Sie waren hier, und ihre Zukunft würde neu geschrieben werden. Nur das zählte.

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