Herbert Tamban Kopflos auf dem Deister - Recherche in den Tod - Teil 1

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ahorn

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Zum 1. Band

Herbert Tamban

Kopflos auf dem Deister
Recherche in den Tod

Entblößt

Pressemitteilung mit Pep

„Wohin willst du?“
„Weg.“
„Warum?“
Sie beugte sich vorn über, streckte ihm ihren nackten Hintern entgegen und schnappte sich ihren Büstenhalter. „Eine ganze Nacht kostet extra.“
„Sehr witzig.“
Sie erhob sich, schlang den Büstenhalter um ihren Oberkörper, schloss diesen und während sie die Träger über ihre Schultern legte, zischte sie: „Männer“.
„Wie?“
Sich zu ihm umwendend, grummelte sie: „Männer sind schwanzgesteuerte Vollidioten, anstatt zuerst die Lage zu checken …“
„Monika, konnte ich ahnen, dass ...? “
„Nicht jede Frau, die in einem Bordell an der Bar sitzt und sich mit dem Barkeeper unterhält, eine Prostituierte ist?“, vervollständigte sie seine Frage. „Wirf mir meinen Slip herüber!“
Er wühlte durch die Bettwäsche. „Aber?“
„Pass auf! Was hättest du gesagt, wenn dir ein Typ von hinten an den Arsch fasst, mit seinen schmuddeligen Grapschern an deine Titten greift und dir ins Ohr haucht, wie wäre es mit uns beiden?
Er runzelte die Stirn und kniff ein Auge zu. „Hau ab, du Wichser.“
„Dann hättest du mich gefragt, was ich dort treibe? Stimmst?“
„Ja.“
„Du hättest nichts gerafft und meine Tarnung wäre aufgeflogen.“
„Aber gleich zweihundert in bar und ein Abendessen.“
„Mein Slip“, donnerte sie ihm entgegen.
Er warf ihr den Slip zu und wetterte: „Ich bekomme noch die zwei Scheine zurück.“
„Vergiss es! Hättest du sowieso ausgegeben.“ Sie schmunzelte. „Buch den Zaster als Schmerzensgeld ab.“
„Für wen?“, hakte er nach, während sie in ihren Slip stieg.
„Für mich. Glaubst du, es war für mich geil? Erst Ewigkeiten herum rubbeln und dann …?“
„Das habe ich anders in Erinnerung.“
Monika faste sich mit der einen Hand an ihren Schritt, mit der anderen an ihre Brust. Röchelte. „Oh ja, komm, oh mach weiter so, gleich, gleich, oh mein Gott, gib es mir, ich spür es schon, jetzt, jetzt“, stöhnte sie ihm vor. Dann verschränkte sie ihre Arme. „Ich habe dir einen Gefallen getan. Du bringst es eben nicht, das habe ich dir bereits zweimal verklickert.“
Er verzog sein Gesicht. „Aber dieser Dünnbier und Herbert?“
Sie bückte sich erneut, ergriff ihre schwarzen Nylonstrümpfe, stellte ihren rechten Fuß auf die Matratze und zog sich den ersten Strumpf über. „Mike ist eine Klasse für sich. Aber Herbert?“
„Sag bloß, die Gerüchte sind unwahr?“
„Wenn er dir nichts erzählt, sage ich nichts. Immerhin seid ihr Kumpel.“ Der zweite Strumpf glitt über ihr linkes Bein. „Ihr redet nie miteinander. Männer!“
„Hast du deswegen die Sache mit dem Riemer der Presse gesteckt?“
Sie tippte an ihre Brust und zischelte: „Ich? Nie!“, dabei blinzelte sie ihn an.
„Monika!“
„Dirk, hör mir zu. Ihr beide gleicht euch. Ihr seid nicht allein im Bett weit unter dem Durchschnitt, sondern ...“
Er zog seine Augenbrauen zusammen. „Was willst du damit sagen?“
„Ich kenne kaum grottigere Ermittler als euch beiden.“ Sie spitzte ihre Lippen. „Eigentlich seid ihr alle hier in Hannover gleich, wartet nur auf eure Pension.“ Sie legte ihre Hand ans Dekolleté. „Ein Polizist muss sich engagieren, aufgehen in seinem Beruf, um das Verbrechen zu bekämpfen.“ Ihre Finger glitten über ihre Brust, dann warf sie sich auf Dirks Bett und durchstöberte die Bettwäsche.
„Suchst du was?“
„Meine Kette.“
„Wie sieht sie aus?“
„Kette eben. Wo guckst du eigentlich beim Sex hin?“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Vergiss es. Glotze mir nicht auf meine Titten, sondern helfe mir beim Suchen.“
Er richtete sich auf und fasste an ihren Hintern.
„In meinem Arsch ist sie bestimmt nicht“, harschte sie ihn an.

Dirk nahm seine Hand von ihrem Hintern, steckte diese zwischen die Matratzen und fingerte im Spalt herum. „Ich habe etwas“, gab er bekannt, wobei er lächelte. Dann zog er seine Finger heraus und übergab ihr die silberne Kette. Den Anhänger mit seiner anderen Hand haltend, wendete er sich ihr zu. „Was ist das?“
„Ein Labry.“
„Ein was?“
„Eine minoische Kampfaxt“, zischte Monika, schnappte sich ihre Kette, begutachtete diese und stellte lapidar fest, dass diese hin sei. Dann stopfte sie jene unter die Spitze eines Strumpfes und stand auf. „Kein Wort zu Herbert.“
„Hat er dir die Kette geschenkt?“
„Denk nach!“ Sie schlug an ihre Stirn. „Ich vergaß, geht nicht, du bist ein Mann.“
Er fasste sich an seinen Schritt. „Dass wir miteinander geschlafen haben?“
Monika ging zum Fußende des Bettes, kniete sich erneut nieder und brachte ein rotes Kleid zum Vorschein.
„Und?“ Er zog seine Augenbrauen zusammen. „Gib es endlich zu, dass ihr ein Paar seid.“ Er neigte den Kopf zur Seite. „Wenn ich mir vorstelle, meine Freundin springt mit einem Anderen in die Kiste und vögelt mit dem ohne …“
Sie schlüpfe ins Kleid, drehte ihm den Rücken zu und bat ihn, den Reißverschluss zu schließen. „Und?“
„Na ja“, druckste er und schloss das Kleid, „wenn ich an die Folgen denke.“
„Wie soll es sonst gehen?“, murmelte sie, erhob sich und strich den Rock des Kleides glatt, bis dessen Saum gerade die Spitze ihrer Strümpfe verbarg. „Wo wir uns getroffen haben.“
Er nickte. „Jetzt verstehe ich, wegen der Tarnung. Du ermitteltest auf eigene Regie.“

„Eigene Regie?“, flüsterte sie, während sie auf ihre weißen Stiefel zuschritt, sich einen schnappte, über dessen hohen spitzen Absatz strich und die Lippen gepresst, ihren Kopf zur Seite neigte. Sie schmunzelte, grinste, verzog gar ihr Gesicht zu einer hämischen Fratze, derweil sie in jenen hineinschlüpfte. Nachdem sie in den zweiten Stiefel gestiegen war, ihre Handtasche über ihre Schulter gehängt hatte, stolzierte sie zur Schlafzimmertür. Beim Verlassen des Zimmers wandte sie sich letztmalig um, lächelte und sprach: „Eigene Rechnung.“
Ein Auge zugekniffen, starrte er sie an. „Rechnung?“



Yellowpresse auf Abwegen

„Sandra, wo bist du?“
„Hier“, hörte Andrea sie schluchzend aus dem Wohnzimmer.
Er ging zu ihr. Sie kauerte auf dem Sofa.
„Meine Eltern haben mich abgefangen. Sie fragen, ob wir heute zum Spieleabend herunterkommen.“
„Lass mich!“
Er trat an sie heran, kniete sich nieder und strich über ihr schulterlanges rotblondes Haar. „Was ist?“
„Die wollen mich fertig machen, aber nicht mit mir. Vorher kündige ich.“
Sein Gesicht an ihren Hals gedrückt, umarmte er sie. „Wer will dich fertig machen?“
Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, worauf er ihre verlaufende Wimperntusche abwischte.
„Die Chefredakteurin.“
„Warum? Du hast erst bei der Bärbel angefangen.“
„Das ist es ja.“
Sie waren seit knapp einem halben Jahr ein Paar, obwohl, wie man sagte, sie sich bereits aus dem Sandkasten kannten. Bei einer Party hatte es zwischen ihnen gefunkt. Andrea hatte kurz zuvor seinen Dienst angetreten, und sie ihren Vertrag bei der Bärbel, einer Frauenzeitschrift in Köln unterschrieben. Es war für beide zwar umständlich, dennoch lag die Dachgeschosswohnung in seinem Elternhaus günstig. Sein Schichtdienst sowie ihre Möglichkeit, teilweise von zu Hause zu arbeiten, machten die Wege zur Arbeit einigermaßen erträglich. Wenn es bei ihm eng wurde, pennte er bei einem Kumpel auf dessen Sofa.

Ein gemeinsames langes Wochenende stand vor ihnen und er verstand nur Bahnhof. Er vermochte nicht, die Gedanken von Frauen zu erfassen. Sie waren für ihn die berühmten Bücher mit den sieben Siegeln.
Woher auch? Sandra war seine erste Freundin, jedenfalls mit der er zusammenlebte. Welch ein Mann interessiert sich für das Innere eines One-Night-Stands.
Andrea schmunzelte bei dem Gedanken, obwohl ihm nicht zu Lachen zumute war.
„Was hat die böse Chefin dir angetan?“
Sandra zwängte sich aus seiner Umklammerung und setzte sich im Schneidersitz hin.
„Eine Titelstory hat sie mir gegeben.“
Nach diesem Satz verstand er gar nichts mehr. Es war ihr Verlangen, als Journalistin groß herauszukommen.
„Ist doch super.“
„Schrecklich!“ Sie weinte.
Andrea tröstete sie. „Um was geht es den?“
„Seitensprungportale.“
Er schluckte zuerst, dann verstand er sie. Sandra gehörte nicht zu der Art Frauen, die auf der Arbeit über Privates sprachen. Als sie sich beworben hatte, war sie Single.
„Ich dachte immer, die Bärbel ist eine seriöse Illustrierte, die sich aus dieser Schmuddelecke heraushält, eher für die Rechte der Frau eintritt“, gab er ihr seine Einschätzung zu verstehen.
„Darum geht es doch.“
„Wie?“
„Bist du so beschränkt, oder tust du nur so“, zischte sie.
„Ich verstehe nichts.“
„Weil du ein Mann bist.“
Das hatte er bereits bei ihr herausgefunden. Wenn er diesen Spruch von ihr hörte, dann gab es für ihn kein Argument mehr. Er war ausgebremst, daher schwieg er und sah sie nur an.
„Machogehabe! Irgendwelche geilen Typen suchen sich im Internet willfährige Frauen, nur weil sie nicht Manns genug sind, mit ihrer Partnerin über ihre Gefühle zu sprechen.“
„Oder sie gehen in den Puff.“
Der Satz war ihm einfach herausgerutscht, verfehlte jedoch nicht seine Wirkung.
„Ekelerregend! Sollte man unter Strafe stellen.“
„Vielleicht gibt es auch Frauen, die darauf stehen, ohne geht es ja schlecht“, meinte er, während er sich ein Lachen verkniff.
„Zeige mir eine Frau, die sich freiwillig prostituiert.“
„Das meine ich nicht.“
„Was dann?“
„Frauen, die sich in derartigen Portalen herumtreiben.“
„Zeig mir eine?“, kläffte sie ihn an.
„Bitte!“
„Entweder es sind Professionelle, meint zumindest Simone, oder sie werden von ihren Männern dazu gezwungen.“
Simone war eine Kollegin von ihr. Er hatte sie zwar nie gesehen, kannte sie dennoch genau. Es verstrich kein Tag, an dem Sandra nicht von ihr sprach.
Andrea kratze sich am Genick. „Ihre Ehemänner schicken sie …“
„Bist du naiv. Natürlich nicht direkt. Sie werden derart von ihnen unterdrückt, dass sie sich einfach nach Liebe sehnen.“
Er umarmte sie und drückte sie an seinen Oberkörper.



Seitensprung mit Ansage

Er zupfte an der Hose des für ihn lächerlichen altrosafarbenen Samthausanzuges, den, wie seine Karola behauptete, er bereits anhatte, als sie nach Hause kam, obwohl er sich nicht daran erinnerte. Sie hatte ihn, davon ging er aus, dazu genötigt, denn welch Mann trug derlei Kleider, abgesehen von diesen Typen, die eher weiblich tickten. Er war ein Mann, ein ganzer Kerl, der, dies gestand er sich zu, alles für seine Frau tat, sich notfalls sogar zum Hampelmann machte.
Bloß eins wurmte ihn mehr, als dieses lächerliche Kostüm. Sie hatte ihn Boobsy genannt. Ein Kosename, den er ihr nicht zugestand, zu verwenden. Josy, seine Ex-Geliebte, hatte ihm diesen gegeben. Weshalb er ihr den genannt, oder woher seine Karola diesen hatte, wusste er nicht mehr. Jedoch eins wusste er, er hieß Fred, sein Verstand sagte ihm dieses, auch wenn er in letzter Zeit des Öfteren an diesem zweifelte.

Mit einem Staubtuch bewaffnet stand er vor dem Wohnzimmerschrank. „Was machen wir als Erstes.“
„Du räumst alles aus dem Schrank.“
„Und du?“
Sie schwang ihr Smartphone. „Ich rufe Steven an.“
„Wieso?“
„Zeitverschiebung. Er müsste jetzt beim Frühstück sitzen.“
Er deutete zur Wohnzimmertür. „Soll ich so lange hinausgehen?“
Sie blinzelte ihm zu. „Haben wir Geheimnisse?“
Sich umwendend, dabei mit den Achseln zuckend, jedoch weiterhin seinen Blick auf sie gewandt, öffnete er die Schranktüren. Er sah, wie seine Schönheit sich aufs Sofa setzte, ihre Beine auf die Sitzfläche zog und das Smartphone an ihr Ohr legte.

„Liebster, wie geht es dir.“ – „Ja, ich vermisse dich auch.“ – „Ohne dich ist das Leben trostlos“, säuselte sie, während er die Gläser aus dem Schrank räumte.
Sie nahm das Smartphone vom Ohr. „Beatrix, nicht so laut, ich telefoniere.“ Ihm zuzwinkernd, presste sie ihr Smartphone wieder an ihre Ohrmuschel. „Entschuldige. Meine Putzfrau.“ – „Wie, nein, das kannst du mir nicht antun.“ – „Du hast mir versprochen, dass du am Mittwoch zurück bist.“ Ihre Hand glitt über ihren Oberschenkel unter den Saum ihres Kleides. „Ich sehne mich nach dir, nach deinen Berührungen, nach deinen innigen Küssen.“ - „Erst am Freitag.“ – „Hamburg.“ – „Was gehen mich deine Geschäftspartner an.“ – „Ich will dich spüren.“ – „Geschäft ist Geschäft.“ – „Mit dem Zug.“ - „Ich liebe dich.“ – „Bis heut Abend.“ – „Ja, bei dir ist es Nachmittag.“ – „Bist du dann in deinem Zimmer.“ – „Natürlich bin ich dann allein.“
Nach unzähligen Küssen legt sie auf.

Wie ihr Verlobter ihr guttat, dachte er sich. Sie hatte sich verändert, dies nicht zum Schlechten. Eine neue, wie er fand, kecke Frisur sich zugelegt. Sie war nicht mehr verkrampft, locker eben.
Immerhin waren sie beide frei, geschieden. Er erinnerte sich zwar daran, dass er ihr die Zustimmung gegeben, jedoch nicht mehr daran, wann sie es vollzogen hatten. Dieser Tag gehörte zu den Tagen, welche die meisten Menschen nie vergaßen, er allerdings, weil er sie liebte, sicherlich verdrängt hatte.
Dabei konnte er sich genau an den Tag entsinnen, als sie es ihm gestanden hatte. Gebeichtet, dass sie sich verlobt hatte. Keinen Zorn verband er damit, eher Freude. Keine Freude darüber, dass sie es getan, sondern darüber, dass sie begehrt war. Was gab es Erbaulicheres. Sogar ein Brautkleid hatten sie gemeinsam für sie erworben. Nein, Zwei. Warum? Er wusste es nicht mehr. Bloß, dass das eine verschwunden und das andere weiterhin in einem ihrer Kleiderschränke hing, er sich des Öfteren ertappte, schlaftrunken erwachend, dieses zu liebkosen.

Jedenfalls, dies entspannte seine Seele, hatte sie ihren Wahn mit diesem Hochzeit-Portal ad acta gelegt.

Er liebte sie, gönnte ihr das Glück, um ihr zur rechten Zeit zur Seite zu stehen, sie wieder vollends an sich zu binden. Dass die Zeit gegen ihn spielte, wusste er. Dennoch genoss er jede Stunde, jeden Tag. Sie kochte ihm Essen für mehrere Tage, das er nur aufwärmen brauchte. Die ausgiebigen Gespräche, die sie nachts führten, bezauberten ihn.
Sie saß im Schneidersitz auf ihrem Bett, einzig bekleidet mit einem seidigen Nachthemd, sodass er sich an ihrer Weiblichkeit laben konnte, obwohl diese ihn nicht erregte. Bis ... bis sie ihm zuzwinkerte, ihre Hand an ihren Schritt legte. Er es ihr gleichtat, seine Augen schloss und ihr Röcheln, Stöhnen inhalierte, bis die Sinne ihm schwanden, er abtrat, im höchsten Glück seiner Ekstase das Bewusstsein verlor. Einzig, dass er am Morgen ihr aufgewühltes Bett machen und ihre im Schlafzimmer verstreuten Sachen aufsammeln musste, wurmte ihn.
Sie hatte sogar ihren alten Humor zurück. Ihre Neckereien, die er an ihr liebte. Es kam vor, dass er nach einer von diesen Nächten vor dem Badezimmerspiegel stand und feststellte, dass sie ihm sein Gesicht bemalt hatte. Die Krönung ihrer Spielchen war jedoch, wenn sie an der Haustür stand und ihm zurief, dass sie nach Hause führe. Er liebte sie.

Ein Rotweinglas polierend, schritt er auf sie zu. „Gibt es Probleme?“
„Männer sind alle gleich.“
„Weshalb?“
„Versprechen die große Liebe und denken einzig an ihre Geschäfte.“
Ob sie ihren Steven oder ihn mehr ansprach, verbargen ihm ihre Augen. Dabei hatte seine Karola ein Leben ohne Sorgen, konnte ihren Hobbys nachgehen, war nicht gezwungen, jeden Tag ins Büro zu marschieren und Zahlenkolonnen zu kontrollieren. Gut! Es befriedigte ihn, dennoch hatte sie ein entspanntes Leben.
In einem Punkt gab er ihr recht, irgendwann hatte er die Schwelle erreicht, an dem er nicht mehr des Geldes, sondern nur seines Egos wegen jedem Morgen aufstand, sich seine Tasche schnappte und verschwand. Er nahm sich vor, mit dem Personalchef zu sprechen und eine Stundenreduzierung durchzusetzen. Sollten die Jungen ran. Er kratzte sich am Genick – oder war es eine Personalchefin?
„Steven muss länger in New York bleiben, dabei habe ich mich so sehr auf ihn gefreut. Eine Woche habe ich ihn nicht mehr gesehen. Weißt du, was das heißt?“
Er schluckte. Hatte er sich geirrt? In ihrer Stimme klang Wehmut, Trauer. Lag er falsch mit seiner Vermutung und sie hatte sich wahrhaftig in diesen Steven verliebt? Ihr Sträuben, ihm dieses zuzugeben, gezollt dem Grund, ihn nicht zu kränken, ihn nicht zu verletzten.
„Ja, du liebst ihn.“

„Spinnst du? Den Fehler mache ich kein zweites Mal.“
Er schluckte erneut, fing sich jedoch wieder.
„Gönnt euch eine Auszeit.“
„Bitte?“
„Nicht, was du denkst. Ein Wochenende nur ihr zwei allein, oder einen Kurzurlaub.“
Sie zeigte ihm einen Vogel.
Er kniete sich vor ihr nieder und legte seine Hände auf ihre Beine.
„Nimmst du die Sache nicht ernst?“
„Du bist gut. Bitterernst. Immerhin ist es meine letzte Chance.“
Das Wort ‚Chance‘ löste in ihm einen Plan aus.
Er sah sie an. „Betrüge ihn.“
„Bitte?“
„Lasse ihn wissen …“ Ein Lächeln, welches über ihre Lippen flog, stoppte seinen Satz.
„Gar keine schlechte Idee“. Sie biss auf ihre Unterlippe. „Ich glaube, ich hätte da einen Kandidaten.“
„Ja?“
„Ich weiß nur nicht, wie ich ihn dazu bringe.“
Sie strich über seine Wange, dann beugte sie sich vor und presste ihre Lippen auf die seinen.
Wieder losgelöst von ihren Lippen, murmelte er: „Frage ihn, ob er mit dir schläft.“
Sie winkte ab. „Das brauche ich nun wirklich nicht. Ich benötige Beweise meiner Untreue. Meiner Untreue, die nur darin wurzelt, dass Steven mich so oft allein lässt. Fotos, oder besser ein Video.“
„Wie meinst du das?“
„Denke doch mal wie ein Mann.“
Er runzelte seine Stirn, worauf sie über sein Haar strich und flüsterte: „Wie ein echter Mann.“
Ihm war es nicht bewusst, was sie meinte. Was war an ihm nicht echt?
Bevor er antworten konnte, übernahm sie es. „Stelle dir vor, du wärst ein Mann und würdest deine Zukünftige mit einem anderen im Bett vorfinden. Das gäbe ein Blutbad. Nein, wir müssen subtiler vorgehen. Irgendwer müsste meinen Seitensprung aufzeichnen, ihm zuspielen, damit ich ihn um Vergebung bitten kann. Ich weiß nur nicht, wer?“
Er sah seine Chance, malte sich alles aus. Wenn er ihrem Steven die Beweise unterbreitet, dazu noch unterschwellig, dass es nicht das erste Mal war, dann würde er sich bestimmt von ihr trennen. Er könnte sie trösten und alles wäre wie früher.
„Ich.“
„Du? Das würdest du für mich machen? Schaffst du das?“
„Wieso nicht. Ich habe dir schon einmal gesagt, du kannst schlafen, mit wem du willst.“
„Dass es dir egal ist, ist mir klar, allerdings weißt du nicht, mit wem.“
„Wer ist es?“
„Paul, wer sonst.“



Eine neue, alte Spur

„Mit wem habe ich das Vergnügen?“
Eine Dame stand hinter ihrem überdimensionierten Schreibtisch, befummelte mit einer Hand ihre schwere goldene Halskette und grüßte ihre Gäste.
„Neumann, Kriminalhauptmeister Neumann, Dirk Neumann.“ Er deutete auf den, der neben ihm verweilte. „Herr Kriminalkommissar Andrea Kreuz. Ihre Zeit ist knapp bemessen, meine gleichfalls. Frau Isenberg, ich komme gleich zur Sache.“
„Herr Neumann, Herr Kreuz, bitte setzten sie sich.“ Mit einer fahrigen Handbewegung wies sie den beiden Stühle zu, derweil sie ihren purpurvioletten Kostümrock an ihr Gesäß presste und in ihren schweren Chefsessel glitt. „Paul Riemer? Kaffee?“ Sie lehnte sich vor und drückte eine Taste. „Frau Myngoc, drei Kaffee.“
Kaum hatte Frau Isenberg die Bestellung aufgegeben, da schwang die Bürotür auf, woraufhin Andrea sich der Frau zuwandte.
Wie ein Mannequin auf dem Laufsteg stolzierte diese auf ihren extrem hohen Pumps, dabei ein Tablett balancierend, auf den Schreibtisch zu. Sie raffte den engen Rock ihres platingrauen Etuikleides, ging so weit in die Knie, bis es ihr gelang, das Tablett abzustellen. Beim Platzieren der Tasse zwinkerte sie Andrea mit ihren Mandelaugen zu und stellte einen Teller Kekse ab. Während sie sich streckte, strich sie eine schwarze Strähne von ihrer Stirn, befestigte jene in ihrer Hochsteckfrisur. Sie wandte sich ab und stöckelte, dabei sacht mit dem Hintern pendelnd, als winkte dieser ihm zum Abschied zu, aus dem Büro.

„Kreuz, Mund zu“, zischelte Neumann, derweil er sein Gesicht Frau Isenberg zuwandte. „Sie wissen also, um was es geht?“
Sie erfasste mit ihren Fingern, deren Nägel purpurviolett funkelten, einen Keks und biss ein mikroskopisches Stück ab. „Greifen sie zu. Laktose-, gluten- und zuckerfrei. Man gönnt sich ja sonst nichts.“ Den Keks weiterhin gefasst, strich sie über ihr kurzes aschblondes Haar. „Herr Riemer ist kein Mörder, zumindest hat er keine Frau umgebracht, das ist ausschlaggebend.“
Neumann ergriff das Wort. „Dies wissen Sie? Sie kennen Herrn Riemer gut?“
„Überhaupt nicht.“
„Bitte?“
„Wir dulden keine Gewalt. Jegliche Berührungen unserer MitarbeiterInnen werden mit sofortiger Kündigung geahndet. Bereits bei den Einstellungsgesprächen von zukünftigen MitarbeiterInnen wird peinlich darauf geachtet, dass diese weder frauenfeindlich sind noch andere Abnormitäten aufweisen.“
Neumann kratze sich am Genick. „Wie können Sie dieses ausschließen?“
Frau Isenberg reckte sich. „Erfahrungen. Erfahrungen, Herr Neumann. Seit drei Generationen ist Isenberg-Bau im Besitz der Familie“, sie wandte sich der Bürotür zu, „und die fünfte Generation ist schon bereit.“ Sie wies auf ihren Schreibtisch. „Nehmen Sie die Personalakte und reinigen Sie Isenberg-Bau von dieser Schande.“
„Eine Akte ist na ja ... Eigentlich wollte ich mit ihren Mitarbeitern sprechen.“
Sie griff zum Hörer ihres Telefons, wählte. „Frau Kara, zwei Herren von der Polizei suchen Sie gleich auf, geben Sie ihnen alle notwendigen Informationen.“ Sie legte auf. „Meine Personalchefin erwartet sie. Frau Ricken wird sie begleiten.“
Neumann starrte sie an. „Wir danken für ihre Mithilfe.“
Sie scheuchte sie weg. „Vergessen sie die Akte nicht. Ich habe eine Firma zu leiten.“

Andrea schloss die Tür hinter sich. „Harte Schale mit weichem Kern kenne ich, aber ...“
„Andrea, direkt unter der möchte ich nicht arbeiten.“
„Aber die Kleine, die uns den Kaffee gebracht hat, die wäre nach meiner Kragenweite. Hast du gesehen, wie die mich angeschmachtet hat.“
„Vergiss sie.“
„Wieso?“
„Mann Andrea, du musst noch viel lernen.“
Er lächelte. „Das kann ich schon.“
„Die ist bestimmt die Enkeltochter vom Drachen“, spekulierte Neumann.
„Nee!“
„Doch! Wetten?“
„Wenn du recht hast, dann wasch ich einen Monat deine Karre.“
„Außen und innen.“
„Ist gebongt.“ Andrea kniff ein Auge zu und kratzte sich am Nacken. „Aber..?“
Neumann fiel ihm ins Wort, bevor er antworten konnte. „Was für ein aber?“
„Woher wusstest du, dass dieser Paul R. aus dem Zeitungsartikel Riemer heißt?“
„Ich?“ Neumann tippte sich an die Brust und grinste. „Hast du nicht zugehört? Die Isenberg hat uns den Nachnamen gesagt. Außerdem heißt der Typ, den wir für den Toten hielten, Paul Riemer. Welchen Beruf hatte er? Glaubst du an Kommissar Zufall?“

Andrea bewunderte Neumann. Keine Minute bereute er es, Neumanns rechte Hand zu sein, obwohl er am Anfang gefrustet war, da er sich auf eine freie Stelle in den zentralen Dienst beworben hatte, diese ihm jedoch ein dienstälterer Kollege vor der Nase wegschnappte.
Dabei hatte er sich ein ganz anderes Ziel, als verstaubte Akte zu studieren, gestellt. Die berühmte GSG 9 war sein Ziel gewesen. War! Der Weg somit für ihn klar. Bereitschaftspolizei, Sondereinsatzkommando, dann ...
Seine Versetzung zum SEK bereits in der Tasche, zog es ihn in den Harz. Er musste seinen Erfolg feiern. Nicht, wie andere in seinem Alter mit einem Gelage, sondern in Einsamkeit. Ein Wochenende sich auspowern, Berghänge erklimmen, die er bereits Hunderte Mal erklettert hatte. Dann ein falscher Tritt, ein falscher Griff. Dreißig Meter stürzte herab. Zu seinem Glück nicht am Stück, dieses hätte er nicht überlebt. Trotzdem waren für ihn die Folgen fatal. Sechs Wirbel hatte er sich zerschlagen sowie das rechte Bein, den linken Arm mehrfach gebrochen. SEK ade.

„Folgen Sie mir“, schnarrte eine Stimme, bevor deren Quelle ins Vorzimmer kroch. Es war dieselbe ältere Dame, die sie bereits ins Büro der Isenberg geleitet hatte. Eine Frau, die nach Andreas Ansicht eher in den Ruhestand gehörte. Ihre faltige Haut, ihr schleppender Gang, ihr Kostüm, welches ihn an Miss Marple erinnerte, ließ ihn vermuten, dass sie weniger eine Angestellte war, sondern eher zum Inventar zählte.
Frau Ricken, wie sie die Isenberg genannt hatte, wandte sich der Tür zu, die sich gegenüber dem Büro der Chefin befand, obwohl wenden, für Andrea, eher übertrieben schien. Eine Schildkröte hätte sie sicher abgehängt. Nach einer weiteren Ewigkeit schaffte sie es, ihren Arm zu heben und an das Türblatt zu klopfen.
„Bitte“, erklang es mürrisch aus dem Raum, der sich hinter der Tür befand.
„Besuch“, grummelte die Alte, die sich in gleicher Anmut wie zuvor von der Tür abwandte und zumindest, derart hatte es für ihn den Anschein, gen Schreibtisch sich schleppte.

Die Tür schwang auf und Andrea bekam den Mund nicht zu. Zwar entsprach die sonnengebräunte Frau nicht seiner Alterskasse, dennoch strahlte sie für ihn in ihrem knappen roten Kleid, welches er eher an Frauen bewunderte, die auf einer Party das Tanzbein schwangen, etwas Erotisches aus. Er vermochte nicht seinen Blick von ihr zu wenden. Sie dagegen, den Rock ihres Kleides erfassend, wandte ihr Gesicht seinem Chef zu. „Entschuldigen Sie bitte, aber ich hatte keine Zeit, mich umzuziehen.“
Neumann runzelte seine Stirn, worauf sie schmunzelte. „Nicht, wie Sie denken. Heute Abend sind wir zu einem Empfang geladen.“
Er nickte. „Ich verstehe. Wir haben nur ein paar Fragen an Sie, bevor wir mit Ihren Mitarbeitern sprechen.“
„Das ist unmöglich.“
„Was?“
„Dass Sie mit unseren Mitarbeitern sprechen.“
„Wieso?“
„Die sind zum Arbeiten hier. Zeit ist Geld.“
„Das überlassen Sie uns.“
Sie streckte sich. „Herr Riemer ist kein Mörder.“

Andrea wusste, dass es unterschiedliche Ausprägungen bei Journalisten gab. Die einen recherchierten gründlich, andere waren auf Sensationen aus und wieder andere irgendwo dazwischen. Der, der den Artikel in einer bundesweit verlegten Sensationstageszeitung veröffentlicht hatte, gehörte zu der zweiten Gruppe. Dabei ging es ihm, soweit Andrea den Artikel entnommen hatte, nicht darum, ein Verbrechen aufzuklären, der Polizei behilflich zu sein, sondern einzig und allein darum, die Polizei als unfähig darzustellen. Dabei hatten sie kaum verwertbare Spuren. Das Einzige, was sie wussten, war, dass der Mann, dessen kopflose Leiche man aufgefunden hatte, in Verbindung mit einem Leichenfund stand. Einer Frau, die man tot auf Norderney aufgefunden hatte.
Die Identität der Toten auf Norderney war zwar unbekannt, jedoch war zuerst durch eine Speichelprobe die Identität des Kopflosen geklärt. Die Krux lag eher darin, dass Andrea und sein Chef feststellen, dass der Riemer zwar zur Tatzeit auf Norderney verweilte, allerdings alles andere als tot war. Damit lag der Ball bei den Kollegen von Norderney, die nach Meinung von Neumann unfähig waren. Er deshalb die Akte ihres Kopflosen, bis neue Beweise vorliegen würden, zur Seite gelegte hatte. Erst der Zeitungsartikel weckte alle wieder auf. Dieser veranlasste den Leiter der Inspektion, Neumann zum Rapport zu rufen. Denn der Ermittlungsfehler, das Versäumen zu überprüfen, wer das Fundament, an dem man den Kopflosen fand, errichtet hatte, wog schwer. Soweit kannte Andrea bereits Neumann. Dieser würde alles unternehmen, um wieder im besseren Licht dazustehen. Daher war für Andrea klar, dass Neumann diese Firma genau unter seine Lupe nahm. Es war die Baufirma, vor dessen Personalchefin sie standen.

„Zumindest hat er keine Frau umgebracht, das ist ausschlaggebend“, vervollständigte Neumann ihre Aussage. „Warum, Frau Kara?“
„Herr …“
„Neumann. Kriminalhauptmeister Dirk Neumann und der Kleine“, er wandte sich nach rechts und streckte seinen Hals, „ist Kriminalkommissar Andrea Kreuz.“
„Herr Neumann, wenn sich Männer gegenseitig umbringen, ist das ihre Sache. Gibt sowieso zu viel von denen.“
Andrea schmunzelte und musterte seinen Chef, der ein Auge zukniff. „Dann trauen Sie Herrn Riemer einen Mord zu?“
„Sicher. Er ist ein Mann.“
„Ich muss Sie enttäuschen, Gnädigste. Wir ermitteln nicht wegen Mord, zumindest nicht in Zusammenhang mit Herrn Riemer.“
„Weswegen dann?“, zischte sie. „In der Zeitung stand etwas anderes.“
„Glauben Sie nicht, was die Presse herausgibt. Zumindest nicht in derart Zeitung, in der dies stand. Es gibt nur ein paar Unstimmigkeiten, die Herrn Riemer in den Kreis der Verdächtigen bringen. Sicherlich abwegig, dennoch müssen wir der Sache nachgehen.“
„Natürlich. Womit kann ich Ihnen nun genau helfen?“
„Was wissen Sie von Herrn Riemer?“
„Nichts.“
„Nichts. Er war nicht auffällig. Jedenfalls, soweit ich es weiß.“
Sie wandte sich um, schritt, dabei mit ihrer Hüfte schwenkend, zu einem mannshohen Aktenschrank. Ihren Oberkörper aufrecht, beugte sie sich vor. Andrea starrte zu ihr, erwartete, erhoffte, dass sie die unterste Schublade im Visier hatte. Jedoch bevor der Saum ihres Kleides ihr Gesäß freigab, richtete sie sich wieder auf und zog eine obere Schublade auf.
Sie ergriff eine Akte, kehrte zu ihnen zurück und schlug diese auf. „Nein. Keine Abmahnung. Tadelloses Verhalten.“
„Frau Isenberg hat mir gesagt, dass Neueinstellung auf Herz und Nieren überprüft werden. Ist Ihnen beim Einstellungsgespräche irgendetwas Absonderliches aufgefallen?“
„Absonderliches?“
Andrea kam es vor, als überhörte sein Chef mit Absicht die doppeldeutige Anspielung.
„Ein merkwürdiges Verhalten“, hakte Neumann nach.
„Nein.“
„Nichts?“
„Kann ich Ihnen nicht sagen.“
„Weswegen?“
„Ich habe ihn nicht eingestellt.“
„Bitte?“
„Frau Ricken war damals verantwortlich.“
Neumann runzelte seine Stirn. „Frau Ricken?“
Frau Kara drängelte sich an Neumann vorbei, reckte ihren Kopf ins Vorzimmer und rief: „Charlotte“, bevor sie sich wieder Neumann zuwandte. „Immer, wenn man die Alte braucht, ist sie nicht da. Haben Sie weitere Fragen. Ich möchte mich gerne umziehen.“
Er zupfte an seiner Nase. „An Sie nicht. Wo kann ich Ihre Mitarbeiter befragen?“
„Befragen? Jetzt? Hier? Die müssen arbeiten.“
„Ich weiß, Zeit ist Geld, aber ich habe kein Problem damit, ihre Mitarbeiter morgen Vormittag vorzuladen. Entscheiden Sie?“
Ihrer Augenbrauen zusammengezogen, erfasste sie ihre Armbanduhr. „Es ist sowieso gleich Mittagspause. Ich ziehe mich nur um.“



Ein verwegener Plan

Seine Gedärme verkrampften sich, sein Puls raste und es kam ihm vor, als entluden sich Blitze in seinem Gehirn, nachdem er den Namen gehört hatte. Dann Bruchteile einer Sekunde später strich er das Bild des athletischen, hochgewachsenen Mannes, konnte sich jedoch nicht seiner Gedanken wehren. Denn wie seine Karola den Namen gesagt, beinahe geschmachtet hatte, zeigte ihm auf, dass sie wusste, wen er sich vorstellte.
War es möglich, dass Josy und Karola sich kannten? Wenn, durch wen oder von welchem Ort? Beide waren sportlich, gingen, sofern es ihnen gestattet war, regelmäßig in Studios. Allerdings traf dieses, soweit Karola es ihm verklickerte, auch für ihn zu. Der Name Beatrix kam ihm wieder in den Sinn, den Namen, den ihm seine Karola beim Telefonat verpasst hatte, um, darüber war er sich sicher, ihre Scham zu verbergen.
Beatrix wiederholte er, ohne das Wort über seine Lippen zu lassen. Seine Karola hatte eine Bekannte, eine Freundin gleichen Namens und soweit er sich entsann‘, sprach Josy gleichfalls des einen oder des anderen diesen Namen aus. Damit stand für ihn fest, wer das Bindeglied war. Denn an eins glaubte er nicht: an Zufall.

Er wusste nicht, was in letzter Zeit mit ihm passierte. Er ging bis zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass die Texte im Portal es waren, welche ihn beflügelt hatten, dabei hatte sich der Schalter weitaus eher umgelegt.
Es war an dem Abend gewesen, als dieser Paul Josy verführt hatte. Josy? Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wie sie aussah, einzig ihre Handlungen, ihre Worte waren ihm, zwar schemenhaft, dennoch präsent.
Sie hatten sich gestritten, weshalb wusste er nicht mehr. Nur daran, dass die Türglocke schellte. Er öffnete Josys Wohnungstür.
Da stand er vor ihm, dieser gut aussehende Mann. Er war ihm nicht fremd, dennoch stimmte etwas nicht. War es der Ort, die Zeit? Er ließ ihn hinein.
Josy saß auf ihrem Sofa. Wer zuerst das Wort ergriff, war nach all der Zeit für ihn nicht mehr von Belang. Jedenfalls, da war er sich sicher, fragte Josy diesen Paul, ob er einschätzen könnte, inwieweit ihre Brüste prachtvoll wären, einem Mann gefielen.
Er setzte sich an ihre Seite, während sie sich ihr Oberteil auszog, er zuerst ihre Brüste betrachtete, dann fachmännisch, als wäre er ein Gynäkologe, betastete. Worauf sie ihre Arme um seinen Hals schmiegte.
Ob es das Entsetzen über ihre Tat oder ein Anflug von Voyeurismus war, entfiel ihm im Nebel der Erinnerung. Jedenfalls betrachtete er Paul, Josy setzte sich zu ihr, schmiegte sich an ihren Rücken und starrte das Prachtexemplar von einem Mann an, bis sich ihre Lippen vereinigten.
Ein Gefühl, ein Verlangen packte ihn, das ihm als Mann nicht zugestand. Starr von der Pein, die ihm ergriff, sah er, wie Josy sich erhob, den Saum ihres Rockes hob. Langsam, ganz langsam, als gäbe sie ihm ein Zeichen, das Zeichen, dass es für ihn an der Zeit wäre einzugreifen. Sie erfasste ihren Slip.
Anstatt endlich dazwischenzufunken, ergriff er diesen, zog daran, bis sie ihre Füße erhob und starrte auf Pauls Hose, schmachtete.
Josy presste ihn, sich dabei wieder auf das Sofa setzend, an den Rand und spreizte sodann ihre Schenkel. Paul kam, soweit er sich entsannt, ihrer Einladung nach. Allerdings nicht, um sich seiner Hose zu entledigen, sondern, um mit ihr ins Schlafzimmer zu verschwinden.
Nicht diese Fantasie, dass Paul über sie herfiel, ergriff ihn in diesem Moment, an dem er in seiner Erinnerung kramte. Es war eher ein Wunsch, ein Verlangen, dass er sich nicht wieder aussetzen wollte.
Daher war für ihn klar, dass dieser Paul niemals der sein könnte, den seine Karola für ihren Seitensprung erwählte.
Er hatte ein Problem, einerseits benötigte er einen Mann, der mit Karola schlief, anderseits durfte es nicht dieser Paul sein.
Bereits, als er sich dem Problem stellte, kam er auf eine Lösung. Das Ehe-Anbahnung-Portal war für ihn die Lösung, in dem sie aktiv gewesen war, mit dessen Hilfe sie, dieses war für ihn stichhaltig, Steven kennengelernt hatte. Allerdings, nachdem er sich ein Szenario ausgemalt hatte, verwarf er diesen Gedanken. Denn es bestand für ihn die Gefahr, dass sie ihren Steven durch einen Wilfried oder Peter austauschte. Daher war für ihn nichts gewonnen. Er brauchte eine andere Lösung.

Wie dumm er war? Die ganze Zeit hatte er das berühmte Pferd von der falschen Seite aufgezäumt. Nicht seine Karola benötigte einen Lover, obwohl, da war er sich sicher, sie eine Freude daran hätte, sondern ihr Steven brauchte eine Gespielin.
Da war ihm das Internet genauso hilfreich. Er wusste zwar im Detail noch nicht wie, tauschte dennoch das Ehe-Anbahnung-Portal durch ein Seitensprung-Portal.
Eins stand für ihn jedoch fest. Er musste sehr sorgsam vorgehen, denn ein Fehler genügte und sein im groben geschmiedeter Plan platzte. Seine Karola durfte nie davon etwas erfahren, außer dem Resultat, aber dieses lag in der Natur seines Plans.
Gleichfalls traf dieses im übertragenden Sinne auf ihren Steven zu. Den Spaß gönnte er ihm, er war kein Untier. Trotzdem sich der Gefahr aussetzen, dass Steven von der Intrige erführe, eine Nebenwirkung, die er um jeden Fall umgehen, gar ausschließen wollte. Viel erzählte seine Karola nicht von ihrem Zukünftigen, doch eins, dies hatte er sich gemerkt, dass er unter bestimmten Umständen zu einer Art von Jähzorn neigte.
Daher benötigter er Zeit, um seinen Plan, ohne die Trennung von Karola oder möglichen Blessuren durchführen zu können.


Er atmete tief durch und wandte sich ihr zu. „Dann heirate ihn, nimm dir die Zeit, überstürze es nicht. Nächstes Jahr ist früh genug.“
Wie er sich es vorstelle, sie liebte ihn, hörte er sie, wobei ihr eine Träne aus dem Auge drang.
„Lasse deinen Traum wahr werden. Dein Brautkleid hast du. Ich habe kein Problem damit, wenn du mit anderen Männern intim bist, mit ihnen schläfst. Hauptsache du bist glücklich.“
Verliebt sei sie in ihn, gab sie zu, aber sie würde ihn nicht lieben.
„Spielt das eine Rolle, wenn sich ein Traum erfüllt oder“, sein Herz verknäulte sich, „dann heirate mich.“
Er sah, wie sie ihre Augen öffnete, ihn anstarrte, ihm vorwarf, dass er total durchgeknallt sei. Wo der Kick sei, wenn sie ihn ein weiteres Mal heiraten würde? Sie hätte andere Probleme, die er nie verstünde. Sie sprang auf und ohne ihn eines Blickes zu würdigen, eilte sie aus dem Wohnzimmer.

Er hob seine Fäuste. Er war ein Idiot. Sich vom Sofa abstützend, stand er auf, schnappte sich das Staubtuch, machte sich daran, die Gläser in den Schrank zu räumen, bis er eine Hand auf seiner Schulter spürte.
„Mit wem hast du gesprochen?“
Er wandte sich um und sah ihr ins Gesicht. „Mit dir.“
Sie verdreht ihre Augen, wie sie es immer tat, wenn sie ihn geneckt hatte. „Hast du es dir überlegt?“
„Was?“
Er schwang sein Tuch. „Das mit dem Fremdgehen?“
„Wir waren uns doch einig. Ich schlafe mit Paul und du machst ein Video.“ Sie erhob ihren Arm, ihre Hand, über die eine Kette baumelte. „Aber du musst mir schwören, dass du niemanden etwas davon erzählst.“ Sie berührte ihn am Hals. „Wo ist deine?“
„Meine?“
„Deine Kette, dein Anhänger.“ Sie präsentierte ihm den Anhänger ihrer Kette. „Dein Labry.“
„Mein was?“
Sie verdrehte zuerst erneut ihre Augen, dann schlug sie sich an ihre Stirn. „Ich habe sie in deiner Schmuckschatulle gesehen, warte, ich hole sie dir.“
Er sah ihr nach, wie sie wieder das Wohnzimmer verließ. Kurze Zeit später erschien sie, forderte ihn auf, sich umzudrehen. Er wusste nicht weshalb, dennoch kam er ihrer Bitte nach. Das Metall, welches er spürte, fühlte sich für ihn angenehm an. Er betaste die Kette, den Anhänger, hob ihn an und erkannte, dass es der Gleiche war, den er zuvor bei ihr gesehen hatte.
Sie erfasste seine Schulter und drehte ihn zu sich. Dann legte sie ihre rechte Hand auf den Anhänger ihrer Kette.
„Schwöre“, sprach sie zu ihm. Bei diesem Wort tat er es ihr gleich. Warum? Er hatte keine Ahnung. „Schwöre“, wiederholte sie, „bei Laphria, dass nie ein Wort über deine Lippen fließt, du schweigen wirst, egal welche Mächte von dir verlangen zu reden.“
„Ich schwöre.“
„Bei deinem Leben.“
„Bei meinem Leben.“
Sie lehnte sich vor und er spürte ihre Lippen auf den seinen. Dann zwinkerte sie und flüsterte. „Ich wusste, dass man sich auf dich verlassen kann, obwohl …“
„Obwohl?“
„Vergiss es. Es ist zu früh, du bist noch nicht so weit.“ Das Streicheln seiner Wange tat ihm gut. Er verstand jedoch nicht den Satz, den sie währenddessen sprach: „Wir kriegen das wieder hin.“
Sie wandte sich von ihm ab.
Er sah ihr nach. „Wohin willst du?“
„Nach Hause. Saugst du durch und“, sie erhob den Zeigefinger, „denke an deine Gymnastik.“
Er schmunzelte. Womöglich hatte sein Antrag Eindruck bei ihr hinterlassen. Jedenfalls, dies nahm er sich vor, würde er nie mehr, er erfasste den Anhänger, ihr Geschenk der Liebe ablegen.



Komplett durchgeknallt

Ein Klatschen schallte, gefolgt von einem Ruf, durch das Großraumbüro. „Alle herhören. Dieses sind Kriminalhauptkommissar Treumann …“
„Neumann“, korrigierte der Vorgestellte.
„Neumann und Kriminalhauptkommissar Kautz …“
„Nur Kommissar und Kreuz wie Kreis“, berichtigte Andrea.
„Herr Neumann und Herr Kreis haben an euch ein paar Fragen bezüglich des Riemers. Antwortet wahrheitsgemäß, denkt an den Ruf der Firma und daran, dass in einer halben Stunde die Mittagspause vorbei ist.“
Die Kara strich über ihren cremeweißen Kostümrock, kehrte den Anwesenden ihren Rücken zu und verschwand.

Neumann schwang seinen Kopf, räusperte sich und rief sodann: „Wer von Ihnen kannte den Herrn Riemer?“
Stille. Keiner der Anwesenden rührte sich.
„Irgendwer muss ihn gekannt haben. Immerhin hat er ein paar Jahre hier gearbeitet.“
Wiederum Stille, bis eine Frau in einem grauen Etuikleid ihren Nachbarn anstieß und ein gemurmeltes „Du bist doch“ an Andreas Ohr drang. Neumann hatte es sicherlich gleichfalls gehört, denn er ging auf den Mann zu, woraufhin er ihm folgte.
„Sie heißen?“
„Dominik Fischer.“
Neumann tippte Andrea an. „Kreuz, aufschreiben.“
Andrea zückte seinen Notizblock, schrieb den Namen auf.
„Herr Fischer, Sie kannten Herrn Riemer.“
„Kennen“, druckste er, „ist zu viel gesagt. Wir sind, das eine andere Mal nach Feierabend“, er wandte sich um und flüsterte, „einen trinken gegangen.“
„Herr Fischer, kommen Sie mit, damit wir uns“, Neumann wandte sich um, „ungestört unterhalten können.“
„Ich weiß nichts“, wiegelte der Mitarbeiter ab.
„Jetzt kommen Sie schon. Ich beiße nicht.“
Neumann nahm ihn an seine Seite und beide, gefolgt von Andrea, verließen das Großraumbüro.

„Herr Fischer, wo können wir uns ungestört unterhalten?“
Fischer öffnete eine Tür zu einem Büro, in dem zwei Schreibtische, die dazugehörigen Stühle und ein Aktenschrank die einzigen Einrichtungsgegenstände waren.
„Hier. Mein altes Büro.“
„Ihr altes Büro?“
Fischer schloss die Tür. „Als ich noch Oberbauleiter war.“
„War?“
„Das Gehalt bekomme ich weiterhin wie früher, aber eine Baustelle habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Wissen Sie, alles ausgegliedert, alles Subs, sind billiger.“ Er schürzte seine Lippen. „Ihnen kann ich es ja sagen. Noch vier Monate, dann bin ich hier weg. Hält kein Mann hier aus.“
„Wie meinen Sie das?“
„Bei diesem Emanzenregime hier fehlt nur noch, dass ich im Rock zur Arbeit erscheinen muss.“
Neumann schmunzelte.
„Das ist nicht zum Lachen. Seit neusten bin ich eine Mitarbeiterin.“
„Sie meinen MitarbeiterInnen.“
„Damit könnte ich leben.“ Er wies auf seinen Oberkörper. „Das ist eine Bluse, kein Hemd.“
Andrea musterte das Hemd und stellte fest, dass dieser Fischer recht hatte. Die Knopfleiste war tatsächlich auf der anderen Seite.
„Wissen Sie, wie sie das begründen?“, fuhr Fischer fort. „Das Geschlecht spiele in der Firma keine Rolle. Total durchgeknallt.“
„Deswegen hat der Riemer gekündigt?“
„Quatsch. Das war vorher.“
„Aber sie kannten ihn?“
„Kennen ist übertrieben. Wir saßen hier zusammen. Er am rechten, ich am linken Schreibtisch, da quatscht man schon mal. Er hatte zwar keine eigene Baustelle, war eher Mädchen für alles. Er war gut, brillant in seinem Fach.“
„Sie wussten, dass er vorher selbstständig war?“
„Natürlich.“
„Weswegen er hier angefangen hat?“
Fischer zuckte mit seinen Achseln. „Übernommen, fehlende Zahlungseingänge, Kunden, die nicht blechen. Die Baubranche ist ein Haifischbecken.“
„Sie haben die ganze Zeit, bis Herr Riemer die Firma verließ, mit ihm in diesem Büro gearbeitet.“
„Nein. Zwei, drei Monate, dann kam eine Freischaffende zu ihm.“
Andrea grinste.
Fischer wandte sich ihm zu. „Nicht wie sie denken. Ein Puff ist das hier nicht. Freischaffende sind Freiberufler, die bei größeren Projekten unterstützen. Billiger eben. Kosten sparen.“
„Diese Freischaffende ist weiterhin für Isenberg-Bau tätig?“, fragte ihn Neumann.
„Weiß ich nicht. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen.“
„Ihr Name?“
„Habe ich ihnen gerade gesagt. Dominik Fischer.“
„Von der Frau, nicht von Ihnen.“
Fischer kratzte sich am Kinn. „Bärbel, Beate, Beatrix. Beatrix.“
„Beatrix und weiter?“
„Der Nachname? Irgendetwas Ausländisches. Warten sie, ich ... ich glaube William.“
„Kreuz notieren.“
Andrea folgte dem Befehl seines Chefs.
„Herr Fischer, ist Ihnen bei Herrn Riemer irgendetwas Merkwürdiges aufgefallen? War er gewalttätig?“
„Nicht, dass ich es wüsste. Na ja, einmal in der Kantine, wir haben keine eigene, essen immer in der Maschinenfabrik gegenüber, da hat er es dem Koch mal richtig gezeigt.“
„Gezeigt?“
„Der Riemer hat dem sein Essen voll in die Fresse geworfen. Konnte man wirklich nicht essen, den Fraß.“
„Der Riemer bekam eine Abmahnung.“
„Nee. Die aus der Fabrik haben gleich mitgemacht.“ Er kicherte. „War eine richtige Tortenschlacht, bloß ohne Torten. Nach Feierabend sind der Riemer, der Koch und ich ein Zischen gegangen.“
„Wie war das Verhältnis dieser Williams zu dem Riemer? Sind die auch ein Zischen gegangen?“
„Ob sie sich in Kneipen herumtrieben, weiß ich nicht, aber …“
„Aber?“
„Ich will niemanden etwas unterstellen, aber einmal habe ich sie am Kopierer gesehen. Er seine Hand an ihrem Arsch und ihr schien es zu gefallen.“
Neumann nickte. „Lassen wir das Thema. Frau Kara hat mir gesagt, dass Frau Ricken Herrn Riemer eingestellt hat.“
„Sicherlich. Die Alte war vor der Kara fürs Personal zuständig.“
„Weshalb hat sie ihn eingestellt?“
„Weil man Mitarbeiter benötigt?“
„Hatte er besondere Qualifikationen. Immerhin hatte er zuvor seine Firma in den Sand gesetzt.“
„Vitamine B.“
„Beziehungen?“
„Sage ich doch.“
„In welcher Art?“
„Viel hat der Riemer nicht ausposaunt. Nur, dass die Ricken und ein alter Studienkumpel sich kannten.“
„Studienkollege? Erinnern sie sich an dessen Namen.“
„Ja! Architekt. Habe einige seiner Projekte hochgezogen.“
„Name?“
Fischer schmunzelte. „Kreuz notieren. Frederick Friedson.“
Andrea verspürte einen gewissen Drang. „Chef, ich müsste mal kurz meinen Kaffee wegbringen“. Dann wandte er sich an den Fischer. „Wo..?“
„Gleich im Gang.“ Fischer griente. „Aber passen Sie auf, es gibt nur Damentoiletten?“
„Wie bitte?“
„Es gibt Herrentoiletten, aber achten sie nicht auf das Symbol, die sind gleich. An der Tür zu den Herren steht ‚Nicht Bio‘ drauf. Ich sage doch, alle durchgeknallt hier.“

Andrea eilte den Gang entlang, blieb an den Türen stehen, die ihm sein Ziel anzeigten. Er hatte es eher als Witz aufgefasst, was ihm der Fischer mitgegeben hatte. Jedoch hatte er recht. Eins hatte der Fischer ihm nicht mitgeteilt, dass an der Klinke der Tür, auf der ‚nicht Bio‘ stand, ein Schild mit der Aufschrift ‚Defekt‘ baumelte. Trotz dieses Hinweises drückte er die Klinke hinab. Die Tür war verschlossen. Da aber seine Blase drückte, wandte er sich der anderen Tür zu, drückte dessen Klinke herab, stieß das Türblatt auf und erschrak.
„Noch keine Frau auf dem Klo gesehen“, harschte ihn eine Frau an. Eine Frau, die er vor kurzen kennengelernt, die seine Sinne betört hatten. „Komm herein und mache die Tür zu“, befahl sie ihm in einer freundlicheren Stimmlage, worauf er einzig ein gestottertes „aber“ von sich gab.
„Los, schließ die Tür und sperre ab, sonst feiern wir hier eine Party.“
Verdutzt von der Aufforderung kam er dieser nach.



Blasendruck

„Sorry, mein Versehen, ich hätte absperren sollen“, entschuldigte sich die Frau, die ihm im Büro der Isenberg den Kaffee serviert hatte.
Er starrte sie an, sah in ihre mandelförmigen Augen, die sie zukniff und dabei ein „bin gleich fertig“ über ihre Lippen presste. Nachdem sich ihr Gesicht entspannt hatte, flüsterte sie: „Hatte es eilig.“
Bei dem Wort ‚eilig‘ krampfte erneut seine Blase, sodass er seine Beine zusammenpresste.
Sie rollte Toilettenpapier ab. „Tut mir leid.“
Andrea fing sich, konnte jedoch nicht seinen Blick von ihr wenden, obwohl dieses sich nicht ziemte.
„Weshalb? Ich muss mich …“
„Weshalb? Ich habe Sie geduzt.“ Sie beugte sich vor. „In bestimmten Situationen vergesse ich immer die Etikette.“
Er winkte ab. „Ist gebongt.“ Er trat auf sie zu und streckte seinen Arm vor. „Ich bin der Andrea.“
Sie legte das Papier auf ihren Schenkel, hielt ihm ihre Hand entgegen, runzelte ihre Stirn und brummte: „Andreas.“
Andrea kniff seine Augenbrauen zusammen und stotterte: „Bis du ein Mann?“
Woraufhin sie ihre Stirn runzelte und „Sehe ich so aus“ zum Besten gab.
„Für eine Frau ist Andreas ein ungewöhnlicher Name“, rechtfertigte er seinen Einwand.
„Andreas, wie kommst du darauf?“
„Weil du es gesagt hast.“
„Ich habe nur deinen Namen wiederholt.“
„Ich heiße aber Andrea.“
Sie schmunzelte. „Für einen Mann ist Andrea ein ungewöhnlicher Name.“
„Aber nicht in Italien.“
„Kommst du von daher?“
„Nein, aber meine Großeltern“, er stockte, „mütterlicherseits. Mein Großvater hieß Andrea. Familientradition.“
„Aha. Du hast nie daran gedacht, dein Vorname auf Andreas zu ändern, immerhin lebst du in Deutschland.“
„Bin nicht blöd.“
„Warum?“
„Mein Nachname ist Kreuz.“
Sie kicherte. „Wäre aber witzig.“
„Nicht für mich. Du kannst mich gerne mit Andy ansprechen. Außer meinen Chef nennt mich keiner Andrea.“
„Deine Eltern?“
„Nee, meine Mutter ruft mich Drea oder Ea und mein Vater …“
„Dein Vater?“
Er druckste. „Maria.“
„Maria? Bist du etwa …“
„Spinnst du. Er hält es für lustig. Mein zweiter Vorname ist Maria.“
Sie kicherte.
Mit dem Wort „Familientradition“ versuchte er sich zu rechtfertigen.
„Haben alle Männer bei euch als zweiten Vornamen Maria?“
„Nein! Namenstag.“
„Namenstag?“
„Tradition der Familie meines Vaters, damit der Namenstag und der Geburtstag zusammenfallen.“
Sie runzelte ihre Stirn. „Da gab es nur Maria?“
„Nee!“ Er zuckte mit den Achseln. „Eigentlich habe ich keinen Schimmer. Der Tag ist eher Maria geweiht.“ Er kratze sich am Nacken und sah sie entgeistert an.
„Ich verstehe dich nicht? So weit ich es weiß, gibt es immer einen männlich und einen weiblichen Vornamen. Weshalb haben sie nicht den männlichen genommen, immerhin heißt du bereits Andrea.“
Er zuckte erneut mit den Schultern. „Es gab keinen, wie es mein Vater mir sagt.“
Sie hielt erneut ihm ihre Hand entgegen und säuselte: „Amelie.“

Erst nachdem sie sich vorgestellt hatten, stellte er fest, wie abstrus die Situation war.
„Amelie, gehst du öfter mit Fremden aufs Klo?“
„Ich? Nein. Außerdem war ich zuerst da. Schon vergessen“, gab sie ihm, unterstützt von einem Lächeln, zu verstehen, während sie sich ihren Hintern reinigte.
„Stimmt.“
„Bevor ich dir verklickere, wo sich das nächste Klo befindet, hast du dir sicherlich in die Hose gemacht.“
„Ja.“
„Würdest du dich bitte umdrehen, ich möchte mich anziehen.“
Erst in diesem Moment erfasste er, dass ihr Slip verwoben in ihrer Strumpfhose an ihren Knöcheln und ihre andere Hand, die sie ihm nicht entgegengestreckt hatte, an ihrem Schritt ruhte.
Er drehte sich um.
„Habt ihr etwas herausgefunden?“
„Wie?“, sprach er die Wand an.
„Wegen des Riemers?“
„Kanntest du ihn?“
„Kennen ist übertrieben. Vor ein paar Jahren traf ich ihn bei einer Betriebsfeier. War nett.“
„Nett?“
„Nett eben, zumindest am Anfang.“
„Anfang?“
„Angebaggert hat er mich.“
„Und?“
„Hey, glaubst du, ich stehe auf alte Männer?“
Die Spülung befreite ihn von einer Antwort.
„Du kannst. Aber hinsetzen“, hörte er sie.
Er wandte sich um, beäugte wie sie ihren Rock glattstrich.
„Gefällt dir mein Kleid?“
„Wieso?“
„Weil du es anstarrst.“
Andrea schluckte, da er sich ertappt fühlte. Für ihn hatte sie eine wunderschöne Figur, jedoch ihr dies direkt auf den Kopf zuzusagen, fehlte ihm der Mut. „Toll!“
Sie trat an ihn heran und reckte ihren Kopf herauf. „Wenn es dir gefällt, kann ich es dir schenken.“ Sie kicherte. „Maria.“

Er ahnte, dass sie ihn foppte, trotzdem reizte es ihm, ihr den Ball zurückzuspielen, um sie kurz zu berühren. Er sah auf sie hinab und strich über ihre Taille. „Ist nicht ganz meine Größe.“ Ihr Lächeln machte ihm Mut. „Vielleicht treffen wir uns mal?“
Sie verdeckte ihren Mund und kicherte. „Zum Shoppen?“
Andrea schluckte, stotterte dann: „Ich dachte, …“
„Ich kann zwar Röcke und Kleider nicht ausstehen, aber wenn du … na ja, Tipps kann ich dir schon gegeben.“
Außer ein „Äh“ kam nicht über seinen Mund.
„Jetzt mache hin. Ich will hier keine Wurzeln schlagen, dreh mich auch weg. Entkrampfe! War ein Witz.“
Amelie ging zum Waschbecken, während er mit zitierenden Fingern seine Hose hinab zog, sich setzte und verlegen, dass du Röcke und Kleider nicht ausstehen kannst, fragte.
„Nee, dass ich mit dir Shoppen gehe.“
Die Absurdität der Situation ließ ihn zu einer weiteren Frage hinreißen: „Warum trägst du eins?“
„Was eins?“
„Kleid?“
Sie wusch sich ihre Hände. „Etikette.“
„Wie?“
„Meine Großmutter ist der Ansicht, dass Frauen Röcke und Männer …“
„Hosen tragen“, vervollständigte er ihren Satz. „Wie soll sie das sehen, wenn du auf der Arbeit bist?“
„Weil sie die Chefin ist.“
„Die Isenberg ist deine …“
„Ist das verboten.“
„Nein, das habe ich nicht behauptet.“
Wenngleich er eher abschütteln favorisierte, zupfte er dem Anlass geschuldet, Klopapier von der Rolle. „Keiner kann dich zwingen, hier zu arbeiten.“
Sie wandte sich um, als er gerade aufstand.
„Pardon, ich vergaß“, entschuldigte sie sich, während sie sich dem Spiegel zuwandte und er sich mit einem Ruck die Hose hochzog. „Meiner Urgroßmutter zuliebe.“
„Urgroßmutter?“
„Du hast sie im Vorzimmer gesehen.“
„Die Alte.“ Kaum waren die Worte über seine Lippen gedrungen, verfluchte er diese.
„Die tut nur so. Ist richtig fit.“
Er hatte zwar einen anderen Eindruck, konnte, wollte, ihr jedoch nicht widersprechen. Dafür trat er auf sie zu, tat das, was sie zuvor gemacht hatte, und wusch sich die Hände.
„Maria“, sie kicherte, „hast du etwas zum Schreiben?“
„Weshalb?“
Amelie legte ihre Hand an seinen Körper und flüsterte: „Wenn wir uns verabreden wollen, sollten wir unsere Telefonnummer austauschen.“

Verdutzt über die Wendung, zückte er den Notizblock, einen Stift, notierte seine Nummer. Sie schnappte sich den Block, riss das Blatt ab. Dann entriss sie ihm den Kugelschreiber, schrieb ihren Vornamen sowie ihre Rufnummer auf, wobei sie das ‚i‘ ihres Namens nicht mit einem Punkt, sondern wie ein Schulmädchen mit einem Herzen verzierte.
„Jetzt aber los“, forderte Amelie ihn auf, während sie ihm den Block sowie den Stift zurückgab.
Er steckte diese in seine Gesäßtasche, ging zur Tür, drehte den Schlüssel und fasste an die Klinke.
„Halt!“, hörte er ihre Stimme, worauf er sich umwandte. Sie trat an ihn heran, schmiegte sich an ihn und legte ihre Hand auf seine Finger, die weiterhin die Klinke umfassten. „Hey, ich muss erst nachsehen, ob die Luft rein ist, wie sieht es den aus, wenn ein Mann aus einer Damentoilette ...?“ Sie zwinkerte.
Diese, ihre Annahme, fand er weniger prekär, als den Umstand, dass sie zusammen die Örtlichkeit verließen. Daher gab er ihr gerne den Vortritt.
Sie öffnete die Tür, spähte in den Gang, trat hinaus und nach einem erneuten Wenden ihres Kopfes, gab sie ihm ein Handzeichen, als drangen sie in ein fremdes Haus ein. Bevor er den Gang betrat, eilte sie, ohne sich zu ihm umzuwenden, davon.

Andrea streckte sich und ging in entgegengesetzter Richtung, bis er die Tür des ehemaligen Büros des Fischers erreichte. Er wollte diese gerade öffnen, da schwang diese auf, und der Fischer, gefolgt von Neumann, liefen ihm, hätte er nicht ein Schritt zurückgesetzt, beinahe um.
„Na Kreuz, Verstopfung“, blaffte ihn Neumann an, während der Fischer sich an ihm vorbeidrängte und in derselben Richtung verschwand, wie zuvor Amelie.
„Nee, musste warten, war besetzt“, log Andrea zum Teil. „Weiteres vom Fischer erfahren?“
Neumann zuckte mit den Achseln. „Nichts besonders.“ Er streckte sich und klopfte ihm auf seine Schulter. „Andrea, lass uns fahren.“ Er lachte. „Du musst noch meine Karre waschen.“
„Wieso?“
„Oder hast du ein Date mit der kleinen Süßen?“
Andrea konnte, wollte seinen Erfolg nicht mehr verschweigen, daher zückte er den Notizblock, klappte diesen auf und hielt ihn unter Neumanns Nase.
„Ein Date zwar nicht, aber ihre Telefonnummer.“
Neumann schwang seinen Zeigefinger. „Andrea, Andrea, dann muss ich dir wohl Aufschub gewähren.“ Er stieß ihm in die Seite. „Egal, ab ins Dezernat. Wir haben waggonweise Arbeit vor uns.“
Andrea zuckte „Heute?“
„Wann sonst?“
„Ich hatte eigentlich vor, heute pünktlich, etwas eher Feierabend zu machen?“
Neumann lachte. „Amelie?“
„Nein. Dennoch habe ich ein Privatleben.“
„Ein Kriminalist hat keins.“ Neumann schwang seinen Kopf. „Ist schon gut. Ich war auch mal jung, aber die dringendsten Sachen erledigst du, denn ich muss zum Boss.“
Andrea salutierte und rief: „Jawohl, Chef!“



Mehr als flirten ist nicht drin

Andrea war hin- und hergerissen. Einerseits wollte er Sandra unterstützen, anderseits verkrampfte sich sein Magen, wenn er daran dachte, dass sie sich in den nächsten Tagen an die Seite von für sie wildfremden Männern setzte.
Zu allem Überfluss hatte Simone bei der Bärbel gekündigt und war zur Pinnwand nach Hamburg gewechselt. Simone hatte Erfahrung in investigativen Journalismus, sich bereits einen Namen gemacht. Den letzten Tipp, den sie Sandra mit auf den Weg gab, war, sich von allem Privaten zu lösen, frei zu sein. Ganz in die Story aufzugehen. Ein Tipp, den weder Andrea noch Sandra beherzigen wollten.
Drei Portale hatte sie herausgefiltert. Alle drei, soweit sie herausfanden, von seriösen Anbietern, trotzdem eindeutig.
Sie teilten sich die Last, während Sandra recherchierte, tummelte er sich als Claudia, Sandras Pseudonym, in den Chats.
Er wollte schon wissen, mit wem sie sich traf.

Andrea wandte sein Gesicht nach links, schaute Sandra an, die am Esstisch saß und Dokumente studierte. „Kaffee?“
„Gerne. Du glaubst nicht, wie verzahnt diese Portale untereinander sind.“
Er drückte die Enter-Taste auf ihrem Laptop, stand vom Sofa auf und ging auf sie zu. „Wie meinst du das?“
„Die Eigentumsverhältnisse.“
„Wie?“
„Wer gehört wem? Die meisten Portale sind untereinander verknüpft.“ Sie ergriff ein Papier und tippte auf dieses. „Hier FickMe! Was dort abgeht, brauche ich dir bestimmt nicht zu erklären, gehört einer Holding, die gleichfalls das Portal PrettyHollyday betreibt.“
„Was hat diese Erkenntnis mit den Seitensprungportalen zu schaffen?“
„Erst einmal direkt nichts. Die Männer müssen dort blechen, aber wenn du dir die Verlinkungen ansiehst, die du immer ignorierst, kämest du gleichfalls auf ähnliche Seiten.“
„Ähnlich heißt nicht gleich.“
„Wer gehört wem? Wo bleibt mein Kaffee?“
„Warte, ich bringe ihn dir.“

Zwei Tassen haltend, kam Andrea aus der Küche, stellte eine vor Sandra ab und nippte an seiner. „Wer mit wem ist sicherlich interessant, hat aber nichts mit deinem Auftrag zu schaffen. Bei deiner Story ist eher die Frage, mit wem du …“
Sie tippte an ihre Schläfe. „In die Kiste hüpfe. Du spinnst. Glaubst du, ich schlafe mit irgend so einem Typen?“
Dieses Gespräch hatte Andrea und, davon ging er aus gleichermaßen sie, bis zu diesem Zeitpunkt immer umschifft, aber irgendwann mussten sie es führen.
„Wie beabsichtigst du, sonst herauszubekommen, weshalb die Männer auf einen Seitensprung aus sind?“
Zu seiner Verwunderung schien sie eher gelassen.
„Ich bin Journalistin, ich frage sie aus.“
Er nahm einen kräftigen Schluck. „Natürlich. Du triffst dich mit ihnen, nimmst dein Diktiergerät und …“
Sie ergriff mit beiden Händen ihre Tasse. „Hör auf! Ich bin nicht naiv.“
Andrea stellte seine Tasse ab, ging in die Hocke und strich über ihre Schenkel. „Das habe ich nicht behauptet.“
Ihm zugewandt, kam ein von einem Schluchzen begleitetes „Ich liebe dich“ über ihre Lippen.

„Ich liebe dich unendlich und würde dich nie als naiv bezeichnen. Deine Fantasie geht mit dir durch. Mit wem du dich triffst, ist entscheidend. Dass du mit ihnen flirten wirst, steht für mich außer Frage, sonst erfährst du nie ihre wahren Beweggründe.“
Sie lehnte ihren Kopf zurück. „Wenn doch?“
„Doch was?“
„Wen er ein Charmeur ist, dem keine Frau widerstehen kann. Allein mit ihm in einem Hotelzimmer. Blicke, Berührungen.“
Andrea kratzte sich am Genick. Ihre Fantasie ging mit ihr durch. Sie machte sich Sorgen, die für ihn abwegig, gar undenkbar waren. Ihm zerriss bereits der pure Gedanke das Herz, dass sie sich mit fremden Männern traf. Die Szene für sich, dass sie einen anderen anlächelte, bezirzte, umgarnte, um alles von ihm zu erfahren, quälte ihn.
„Sandra Liebste, bist du der Ansicht, dass ein Casanova sich auf einem Seitensprungportal herumtreibt. Die Männer, mit denen ich bis jetzt gechattet habe, waren das krasse Gegenteil.“
Sie neigte den Kopf zur Seite, leckte über ihre Lippen. „Ich habe da andere Erfahrungen gesammelt. Die Typen, mit denen ich gechattet habe, wollten sich immer gleich mit mir in einem Hotel treffen.“
„Die habe ich herausgefiltert. Was die wollen, ist für mich klar. Auf dem freien Markt bekommen sie keine und eine Nutte ist denen zu teuer. Ich glaube nicht, dass deine Chefin das von dir verlangt. Eine Story ist es bestimmt nicht wert.“
Sie schloss ihre Augen. „Wenn doch. Wenn ich beim ersten Date nicht genug aus ihm herauskitzeln kann, wir uns ein weiteres Mal treffen. Er mir sympathisch ist. Wir zusammen Essen gehen oder tanzen, uns näherkommen und ich schwach werde. Was dann?“
Aus einem für ihn unbekannten Grund schmeichelte ihn ihre Angst. Eine Angst, die für ihn wahrlich unbegründet war. Nach einem Seitensprung drängte es diesen Herren, daher eine Bitte, ein Verlangen, nicht mehr und nicht weniger. Wenngleich ihm das weniger schon zu viel war.
„Ich kann das nicht“, hörte er sie flüstern.
Bei diesen ihren Worten war ihm auf einmal bewusst, weshalb ihre Chefin ihr diese Story übertragen hatte. Ihre Selbstzweifel standen ihrer Karriere im Wege. Simone hatte recht, sie musste sich frei machen. Frei von ihren Bedenken. Von einem guten Journalisten verlangte man, anderen auch einmal weh zu tun. Leuten ans Bein zu pinkeln.

Weil es für ihn außerhalb jeglicher denkbaren Szenarien lag, da er ihr absolut vertraute, riss er sich zu einem Satz hin, den er aber nur zu flüstern vermochte: „Dann passiert es eben.“
Sie wandte sich ihm zu und zog ihre Augenbrauen zusammen. „Du verlangst von mir, dass ich mit einem anderen schlafe.“
„Das habe ich nicht gesagt.“
Ihre Stimme wurde lauter. „Das hast du.“ Sandra stellte ihre Tasse dermaßen abrupt ab, sodass der Henkel abbrach. Dann sprang sie auf, raufte sich ihre Haare und schrie: „Jetzt weiß ich, warum du mir behilflich bist. Die Vorstellung, dass ich mit einem anderen vögel, geilt dich auf.“
„Nein.“
Sie marschierte zum Wohnzimmerfenster, presste ihr Nase gegen die Scheibe. „Vielleicht willst du dabei sein, zusehen.“
„Nein.“ Er verdeckte sein Gesicht. „Allein der Gedanke daran, dass du mit einem Fremden flirtest, macht mich verrückt.“
Sie wandte sich um, eilte auf ihn zu, beugte sich zu ihm herab und schrie: „Warum tust du es dann?“
„Weil du, wenn du nicht langsam in die Puschen kommst, sicherlich richtige Probleme mit deiner Chefin bekommst.“
Ihren Kopf gesenkt, kniete sie sich vor ihm nieder, schlang ihre Arme um seinen Hals und flüsterte: „Entschuldige. Ich will dich nicht verlieren. Ich liebe dich.“ Sie küsste ihn.
„Weshalb solltest du mich verlieren? Ich liebe dich, will mein Leben mit dir verbringen.“
„Ich muss es wissen.“
Er runzelte seine Stirn. „Was?“
„Hallo?“ Sie wies zu ihrem Laptop. „Es geht um Seitensprünge. Was machst du, wenn ich dich betrüge?“
Andrea presste sie an sich. „Schatz, das ist wirklich extrem hypothetisch.“
„Nein.“
„Wie, nein?“
„Warum überlasse ich dir den Chat?“
„Weil du irgendwelchen abstrusen Verknüpfungstheorien nachgehst.“
„Nein. Ich bin schwach geworden.“
Er zuckte zusammen. „Sage nicht, dass du...“
„Ich bin nicht hingegangen. Es überkam mich einfach, hat mich gereizt.“
„Gereizt?“
Ihre Aussage war gelogen. Er kannte alle Chatverläufe, dass sie einen weiteren Account besaß, schloss er aus. Es ergab für ihn keinen Sinn, denn sie hatte jederzeit die Chance, die Option, sich ganz offiziell mit anderen Männern zu treffen und dieses mit dem Begriff Arbeitszeit zu titulieren.
„Frage nicht weiter. Wie ist deine Antwort?“, forderte sie ihn erneut auf.
„Auf welche Frage?“
„Was machst du, wenn ich dich betrüge?“
Er wusste keine Antwort, jedenfalls keine, die ihn zufriedenstellte, dafür küsste er sie und flüsterte: „Ich will es gar nicht wissen.“
Sie löste sich von ihm, grinste. „Du wirst es erfahren.“
„Wenn du mir nichts verrätst, bestimmt nicht.“
„Bist du derart naiv oder tust bloß so?“
„Ich liebe dich.“
„Du weißt, dass ich ein Date mit meinem“, sie hüstelte, „einem Lover, der es zumindest denkt, dass er es werden könnte, habe. Du weißt schon ... Also, ich komme erst am anderen Morgen, vielleicht erst mittags nach Hause ...“ Sie kniff ein Auge zu. „Was glaubst du, haben wir die ganze Nacht getrieben? Soll ich dich anlügen, dir erzählen, ich war auf einer nächtlichen Redaktionskonferenz, da ich zu einer Tageszeitung gewechselt sei? Gib mir eine Antwort?“
Was erwartete sie von ihm? Wollte sie die Absolution? Nein! Wenn er eine Frau wäre, denken wie diese, dann hätte er bestimmt eine Antwort, aber er war keine.
„Ich würde es akzeptieren.“
„Akzeptieren? Dir ist es also scheißegal, ob ich mit einem anderen vögel.“
„Ich meinte tolerieren“, stotterte er.
„Noch schlimmer! Das heißt, du würdest es billigen, wenn ich mit einem für dich wildfremden Mann Sex habe. Einwilligen, gar ihm gestatten, es immer, immer wieder mit mir zu treiben. Es hinnehmen, dass ich mich Weiteren hingebe.“
Sie brachte ihn um seinen Verstand. Allein der Gedanke ließ sein Blut brodeln. Er ballte eine Faust und schrie: „Ich bringe das Schwein um.“
Sandra lächelte. „Na ja, umbringen musst du ihn nicht gleich. Es reicht, wenn du ihn ... du weißt schon, um mich kämpfst.“ Sie umarmte ihn, drückte ihm einen Kuss auf den Mund. „Es geht nicht darum, dass ich oder vielleicht du, eines Tages mal schwach werden, sondern ...“
„Sondern?“
„Hier geht es um geplante Seitensprünge. Die Paare treffen sich nur aus einem Grund, um ihren Spaß zu haben. Ohne, dass ihr Partner etwas erfährt. Bei uns ist es anders. Denke nach, aber schließe mit ein, dass ich nicht danach verlange. Es rein hypothetisch ist. Ich bin Journalistin!“
Just in dem Moment verstand er, was sie ihm sagen wollte. Sie hatte keine Ambitionen, mit einem von diesen Typen den letzten Schritt gemeinsam zu gehen, aber, dieses machte sie ihm plausible, bevor ihre Tarnung aufflog, als letzten Ausweg ...
Mehr wollte er sich nicht vorstellen, denn es war, dieses verriet ihm ihr Gesicht, spekulativ.
„Sandra, du bist ein Profi.“

Sie ergriff sein Handgelenk, erfasste seine Armbanduhr und murmelte: „Schon so spät.“
„Hast du noch etwas vor?“
„Redaktionskonferenz.“
„Du hast mir nichts davon gesagt?“
Sie zog ihre Augenbrauen zusammen und stand auf. „Tut mir leid. Vergessen.“
„Soll ich dich bringen?“
„Lass, kann dauern. Ich nehme den Zug, denn du musst zum Dienst, wie du mir vorhin gesagt hast. Du übertreibst es mit diesen Sondernachtschichten.“
Er sah sie an. „Wird es spät?“
Sie schwang den Kopf und flüsterte: „Bestimmt“, dabei schwirrte, flatterte ihre Stimme, als wolle sie ihn verführen.
„Bleibe in Köln“, bot er ihr an, denn ihm gefiel es nicht, wenn sie den Spätzug nahm.
„Dann muss ich mich aber sputen.“
„Sputen?“
„Ach Schatz, wie lange kennst du mich? Duschen, was Schickes anziehen und Tasche packen. Du weißt, wir Frauen benötigen unsere Zeit.“
„Du gehst zur Redaktionskonferenz.“
„Und bestimmt am Abend essen. Da kann ich wohl schlecht in Jeans und T-Shirt aufschlagen.“
Während er aufstand, presste sie den rechten Zeigefinger an ihre Unterlippe. „Was meinst du, Kostüm oder kleines Schwarzes?“
„Kleines Schwarzes für die Konferenz?“
„Zum Abendessen, Dummerchen.“
„Was wohl?“ Er tippte an seinen Nasenflügel. „Ich empfehle dir das Rückenfreie, da siehst du richtig sexy aus.“
Sie tippte ihn an und flüsterte. „Du nun wieder. Stehst darauf, wenn ich ohne Büstenhalter …“
Er strich über ihre Brust. „Und ohne Slip.“
Ihm einen Kuss auf die Wange hauchend, trällerte sie: „Das wird ihn sicherlich reizen.“
Er grinste. „Wer ist es denn?“
„Das willst du doch nicht wissen“, flüsterte sie, während sie ihn mit ihrem Becken anstieß.

Andrea war erleichtert, sie hatte ihren Humor zurück und er konnte sie hochnehmen, sie necken. Denn niemals hatte er von ihr verlangt, unten ohne mit ihm Essen zu gehen. Daher lächelte er sie an, zwinkerte und strich über ihre Wange. „Komm, beeile dich, sonst kommst du zu spät zu deinem Rendezvous und dein Lover meldet dich als vermisst.“ Er schlug sich an seine Stirn. „Apropos Date. Bevor ich es vergesse. Übermorgen hast du dein erstes. Mitte fünfzig, verheiratet, drei Kinder.“
Sie kehrte ihm den Rücken zu. „Wann, wo?“
„Am frühen Nachmittag in einem Kölner Café, welches habe ich vergessen.“
„Gebongt“, rief sie, dann verließ sie das Wohnzimmer und er setzte sich wieder auf das Sofa.

Eine gute Stunde und zwei Kaffee später hörte er sie rufen. Er stand auf, betrat die Diele und bewunderte sie. Bewunderte seine Sandra. Wie schön sie war. Trotzdem empfand er das schneeweiße Sommerkleid für eine Konferenz eher als gewagt. Der Rocksaum touchierte knapp zwei Handbreit unterhalb ihrer Hüften ihre Schenkel. Hiermit balancierte dieser für ihn scharf auf der Grenze zwischen sexy und vulgär, also für den Frühsommer top. Der Ausschnitt fiel, von ihren Brüsten getrieben, weit herunter, sodass die Spitze ihres Büstenhalters hervortrat. Jedoch sie konnte es tragen.
Sie schlüpft, in ihre weißen Sandaletten, die sie gerne trug, wenn sie tanzen gingen, obwohl ihr ihre Füße später immer schmerzten. Und er? Er hoffte, wünschte sich, dass sie ihm den Rücken kehrte, um sich vorzubeugen, ihm, während sie ihre Schuhe befestigte, Einblick gewährte. Ihm das präsentierte, was bloß ein Mann sehen durfte, um ihn zu ergötzen, ihn zu stimulieren.
Sie enttäuschte ihn, denn sie hockte nieder, schob die Riemen über ihre Hacken, stand auf und schnappte sich dabei ihre Handtasche. Nachdem sie diese über ihre Schulter gehangen hatte, umfasste sie den Handgriff ihres Trolleys, den sie immer nahm, wenn sie in Köln übernachtete und er trat an sie heran, schlang seine Arme um sie.
„Arbeite nicht mehr so viel“, gab sie ihm mit einem Zwinkern kund.
„Das Gleiche gilt für dich.“
Er neigte seinen Kopf vor, näherte sich ihren weinrot bemalten, glänzenden Lippen, bis sie zurückzuckte und ihm zu verstehen gab, dass er ihr Make-up nicht verschmieren solle. Es ließ ab und flüsterte: „Ruf mich an, wenn du in Köln bis und ...“
„Vor oder nach?“, raunte sie ihm zu, derweil sie sich von der Hüfte anfangend über die Taille strich.
Woraufhin er die Augen verdrehte. Denn eines mochte er an ihr nicht, dass sie ihre Neckereien übertrieb. Daher antwortete er ihr lapidar: „Während“.
„Andrea, du Lüstling.“
„Sandra, es reicht, bevor du morgen wieder losfährst und nachdem du zu Hause angekommen bist.“
Sie warf ihm ein knappes „Spießer“ entgegen, blinzelte zum Abschied und stöckelte, nachdem er für sie die Wohnungstür geöffnet hatte, hinaus. Während ihre Absätze im Treppenhaus halten, schloss er die Tür, wandte sich sodann seiner Jacke zu und zückte sein Smartphone.



Teezeit

„Na, beehrst du uns auch mal?“
Andrea ging auf Neumann zu, stellte seinen Kaffeepott auf dessen Schreibtisch ab.
„Wie?“
„Wenn ich dich so betrachtete, hast wohl eine anstrengende Nacht hinter dir. Hast die Kleine gleich flachgelegt?“
„Welche Kleine?“
„Die Enkeltochter von der Isenberg.“
Er schob einen Stuhl an Dirks Schreibtisch, setzte sich. „Wie kommst du auf diesen Bullshit?“
„Ihre Telefonnummer hast du.“ Neumann lehnte sich zurück. „Also in deinem Alter hätte ich nicht lange gefackelt.“
„Ich habe andere Probleme.“
„Welche?“
„Geht dich nichts an.“
Neumann zupfte an seiner Nase. „Obwohl? Wenn ich mir recht überlege..?“
„Was?“
„Die Isenberg und diese Kara mauern, haben ihre Mitarbeiter …“
Andrea lachte. „MitarbeiterInnen.“

Dieser Fischer hatte nicht alle Tassen im Schrank, urteilte Andrea. Sicher, kaum ein Mann, er kannte jedenfalls keinen, schloss sich dabei ein, fand Wohlgefallen daran, in einer Firma zu arbeiten, in der hauptsächliche Frauen tätig waren, obwohl die Branche in der Regel Männer dominierten.
Die Führung von Isenberg-Bau war eindeutig weiblich, zumindest von diesem Geschlecht, genauso wie, soweit er es beim Besuch festgestellt hatte, die Belegschaft.
Neun Frauen und mit dem Fischer zusammen zwei Männer zählte er im Großraumbüro. Wenn er davon ausging, dass sie niemand weggezerrt, weggesperrt, oder der Krankenstand bei den Herren ausgeprägter war, damit ein Verhältnis, welches nicht dem Gewerk entsprach. Somit für ihn plausibel, dass sie ihrer Minderheit eine Toilette zuwiesen, die weit ab vom Weg lag. Amelie hatte dieses angedeutet.
Dass sich der Fischer dagegen auflehnte, logisch für ihn. Die Schilder an den Türen, die Symbole sowie Fischers Bluse sprachen für ihn Bände und verflochten sich für ihn zu einer Theorie.
Der Fischer hatte es leid, weite Wege einzuschlagen, nahm die Bezeichnung MitarbeiterInnen wörtlich und verschaffte sich Einlass. Woraufhin seine Kolleginnen oder KollegInnen ihn aufklärten, er sich zur Mitarbeiterin erklärte und gekleidet in einer Bluse erschien. Kurzerhand segnete die Mehrheit die Örtlichkeiten mit der Aufschrift ‚nur Bio‘, worauf er eins der Schilder entfernte. Erbost über seinen Angriff sperrten seine Kolleginnen beziehungsweise KollegInnen, vielleicht sogar ChefInnen eine der beiden Toiletten ab. Es hatte zwar niemand etwas gewonnen, jedoch, dieses wusste Andrea, Frauen konnten fies sein.

„Fest im Griff“, fuhr Neumann, ohne eine Miene zu verziehen, fort. „Vielleicht plaudert die Kleine?“
„Du spinnst.“
„Musst ja nicht gleich mit ihr in die Kiste springen.“
Die Bürotür schwang auf und eine Frau im Alter von Andrea trat hinein. „Dirk, Herr Riemer ist da.“
„Danke, Jenny.“
Andrea runzelte seine Stirn. „Der Riemer?“
„Hast du es vergessen? Wir haben ihn für heute Vormittag eingeladen.“
„Haben wir etwas Neues gegen ihn?“
„Gegen ihn? Unsere Aufgabe ist es, die Wahrheit herauszufinden. Ob die Fakten, Indizien für oder gegen einen sprechen, ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft.“ Neumann schmunzelte. „Der Fischer hat mich gestern angerufen. Der Riemer war für das Fundament verantwortlich. An zu viele Zufälle glaube ich nicht.“ Er wies nach vorn. „Los, lass uns zum Tisch gehen. Ungezwungener plaudert es sich angenehmer.“
Neumann stand gerade auf, als Jenny Herrn Riemer ins Büro führte. Er ging auf ihn zu, reichte dem Gast seine Hand, wies danach zu einem ovalen Tisch, an dem drei Stühle standen. „Lassen Sie uns setzen.“
„Haben Sie endlich den Typen dingfest gemacht, der meine Identität geklaut hat?“, fuhr ihn Riemer an.
„Eins nach dem anderen. Kaffee?“
„Tee. Früchtetee.“
„Herr Kreuz, für Herrn Riemer einen Tee und für mich einen Kaffee.“

Er ballte seine Hände. Andrea hasste es, wenn sein Chef ihn zu niederen Tätigkeiten aufforderte. Nicht, dass er der Ansicht war, seine weiblichen Kollegen wären dafür zuständig, gar Jenny als Abteilungsneuling, sondern Dirk konnte seinen eigenen Arsch bewegen, dabei machte er andauernd auf Kumpel.
„Jenny, haben wir Früchtetee?“
„Durchzechte Nacht?“
„Wieso?“
„Wie du ausschaust.“
Er schürzte seine Lippen. „Ich habe Probleme“, murmelte er vielmehr zu sich selbst, während er sich ihr zuwandte, dabei ein Schmunzeln bei ihr entdeckte. Ein Schmunzeln, was ihn entzückte, ihn dazu hinriss, es zu erwidern. Er lächelte weiterhin, als die Worte „Gleich mehrere“ aus ihrem entzückenden Mund quollen, obwohl diese für ihn von der Betonung her fast abwertend klangen. Allerdings sprach sie diese nicht, sondern sang sie nahezu.
„Problem ist falsch gesagt, eher Angst.“
„Geht es um dich?“
„Nein.“
„Willst du darüber sprechen?“
Sprechen? Wie gerne würde er seine Sorgen mit jemandem teilen, jedoch er war dazu nicht in der Lage, daher flüsterte er nur: „Weniger, es ist privat.“
Jenny streichelte seine Wange, blinzelte ihm zu und wisperte: „Du weißt, du kannst jederzeit auf mich zählen.“
Andrea zog seine Augenbrauen zusammen. Hatte er irgendetwas an sich, oder weshalb machten sich alle Frauen in seinem Alter an ihn heran.
„Hier, Kirsche.“ Sie reichte ihm einen Teebeutel und er sah, wie sie ihre Augen schloss, für einen Bruchteil einer Sekunde ihre Lippen spitzte, dann ihm im Timbre einer Bordsteinschwalbe „Ich liebe Kirschen“ entgegen schmachtete.
Er zuckte unwillkürlich zusammen, hämmerte ihr „Dem Riemer soll er schmecken“ an den Kopf. Woraufhin sie zurückwich, sich von ihm abwandte und eher kleinlaut „Habt ihr keinen anderen Verdächtigten“ fragte.
„Wir! Seit letzten Monat gehörst du zum Team.“
„Team, dass ich nicht lache. Du und der Neumann seid unterwegs und ich studiere Akten. Machos seid ihr.“
„Warte ab. Die ersten Monate habe ich auch nur Akten bearbeitet, mache es heute noch. Dass wir rausfahren oder Leute verhören, kommt fast nie vor. Der Beruf des Kriminalbeamten ist meist langweilig.“

„Und?“
„Was und?“
„Glaubst du, dass es der Riemer war?“
„Jenny, Kriminalistik ist keine Glaubensfrage.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wir tappen im Dunkel. Ich bin eher der Ansicht, dass sich Dirk in etwas verrannt hat.“
„Immerhin hat der Riemer das Fundament errichtet.“
„Woher weißt du,..?“
Sie schmunzelte, strich über seine Taille und flüsterte: „Ich war pünktlich beim Dienst.“
„Okay. Es ist aber absurd.“
„Weshalb?“
„Wenn ich eine Leiche in einem oder am Grund eines Fundaments entsorge, dann trenne ich nicht dessen Kopf ab. Das hat keinen Sinn.“
„Warum?“
„Er ging davon aus, dass man die Leiche erst nach seinem Tod findet. Also, wenn er selbst abgedankt hat und über den Deister ist.“
„Was nicht funktioniert hat.“
„Genau das ist es. Weshalb erneuerten sie das Fundament?“
„Es war marode.“
„Treffer. Wenn ich eine Leiche in diesem versenke, zudem es selbst geplant habe, dann lege ich es derart aus, dass es nicht nach ein paar Jahren zusammenfällt; baue es mit höherer Sicherheit.“
Jenny tippte an ihre Nase. „Klinkt logisch. Trotzdem lag die Leiche dort.“
„Zufall. Erst trennte der oder die Täter den Kopf ab, damit man es schwerer hat, den Toten zu identifizieren, und erst danach fanden sie die Baugrube.“
„Genetischer Fingerabdruck, Ausweis?“, warf sie ein.
„Zufall, oder besser gesagt, die Kollegen auf Norderney haben geschlampt.“
„Bitte?“
„Fehler sind menschlich. Trenne die Fälle, stelle dir vor, du vergewaltigst eine Frau und bringst sie danach um.“
Sie senkte ihren Kopf und griff sich an ihren Schritt. „Schwer vorstellbar.“
„Tu‘s!“
„Ich würde das Weite suchen.“ Sie runzelte ihre Stirn. „Auf einer Insel?“
„Dort ebenfalls. Abducken das probate Mittel. Hunderte von Gästen sind auf dieser. Wie lange dauert es, bis sie mich haben? Eins würde ich nicht machen, jemanden anderes vorschicken, auch wenn er mir ähnlich sieht. Die Gefahr, dass die Kollegen vor Ort dahinterkommen, ist zu hoch. Dann haben sie mich.“
Jenny schlang ihre Arme um seinen Körper, presste sich an ihn, neigte ihren Kopf zurück, bis er ihr in ihre wunderschönen Augen schauen konnte und sie „Was schlägst du vor“ fragend flüsterte.
Er betrachtete ihre rubinroten vollen Lippen, dachte kurz daran, zu sagen „dich zu küssen“, sagte jedoch, während er sich aus ihrer Umarmung löste: „Wir müssen mehr vom Toten erfahren. Wo hat er gelebt? Wer vermisst ihn?“
„Du meinst …“
„Die Knochen eines Menschen verraten eine Menge darüber, wie er gelebt hat, ob er schwer gearbeitet, oder Mangel, gar Hunger erlitten hat. Sein Mageninhalt sagt uns, was er gegessen hat. Was passierte bis jetzt? Ich sage es dir: nichts!“
„Der Chef ist eben alte Schule.“
„Nenne es verknöchert.“
„Apropos. Solltest du nicht..?“
Andrea grinst. „Stimmt.“ Er hing den Teebeutel in eine Tasse, goss Wasser in diese und wandte sich erneut Jenny zu. „Und einen Kaffee für den Alten.“



Steuersparmodell

Gelächter schallte durch Dirks Büro, als Andrea bewaffnet mit zwei Tassen dieses betrat.
„Kreis, da sind sie endlich, haben Sie die Bohnen erst geröstet.“
Er plusterte seine Wangen auf. „Kreuz natürlich. Herrn Riemer empfand es als witzig, als die Kara … vergessen Sie es.“
Andrea starrte auf die Kaffeetasse und schnarrte „Nee“, bevor er auf den Tisch zuging, um die Tassen abzustellen.
Dirk wies ihm den Platz neben sich an, lachte dabei. „Die vom Bau kennen Witze, das glauben Sie nicht.“
Dass Dirk ihn siezte, nervten ihn, trotzdem setzte er sich hin, zückte seinen Block, seinen Bleistift, drückte sodann die Starttaste des Aufnahmegerätes und sprach in dessen Mikrofon. „Zeugenbefragung Paul Riemer. Anwesend sind Kriminalhauptkommissar Dirk Neumann und Kriminalkommissar Andrea Kreis … Quatsch … Kreuz.“
Worauf Dirk auf die Stopp-Taste schlug und ihm erklärte, dass er sich mit Herrn Riemer nur unbefangen unterhalten wolle.
„Aber?“
Dirk verzog sein Gesicht. „Nichts aber?“ Dann legte er ein Lächeln auf und wandte sich dem Riemer zu. „Erzählen Sie mir etwas von Ihrem Urlaub?“
Der Riemer runzelte seine Stirn. „Welchen?“
„Auf Norderney?“
„Welchen?“
„Wie welchen?“
„Ich fahre seit Jahren jedes Jahr, manchmal öfters auf die Insel.“
„Der Aufenthalt, an dem die Frau ermordet wurde?“
Andrea zuckte zusammen. Was tat Dirk? Hatte er nicht gelernt, dass man einem Verdächtigen nicht, …
Der Riemer unterbrach seine Gedanken und murmelte: „Frau? Ermordet? Wann?“
„Als die Tote im Watt aufgefunden wurde?“, schwächte Dirk seine Frage ab.
„Aufgefunden? Wann wurde jemand aufgefunden?“
„Als jemand Ihren Ausweis gestohlen hat?“
„Da wurde eine Frau aufgefunden?“
„Ja“, donnerte Dirk, als wäre es seine Frau gewesen, sodass Andrea zusammenzuckte.
„Davon habe ich nichts mitbekommen.“
„Aber, dass Sie bei einem Seminar waren, wissen sie noch?“
„Sicher.“
„Dass Sie sich von diesem abseilten, nach Norderney fuhren, zum Seminar zurückkehren, um dann wieder mit Ihrer Frau auf die Insel zu fahren, erinnern sie sich gleichfalls. Sehr merkwürdig?“
„Was ist daran merkwürdig. In einem freien Land kann man tun und lassen, was man will.“
„Zwischenzeitlich eine Frau..?“
Andrea beobachtet, wie der Riemer, als hätte er einen Schalter umgelegt, seine bis dahin ruhige Tonlage in eine angespannte wechselte, beinahe schrie: „Was wollen Sie mir anhängen?“
„Nichts? Ich meine nur, wenn man immer hin- und herfährt, sieht man vielleicht etwas? Weswegen waren Sie auf Norderney?“
Der Riemer schien, jedenfalls sah es für ihn aus, sich zu beruhigen.
„Das geht Ihnen nichts an. Geschäftlich.“
„Welcher Art Geschäfte?“
Riemer verdrehte seine Augen. „Nichts Illegales.“
„Dann sagen Sie es mir?“
„Ich wollte einen Investor treffen.“
Andrea schaute Dirk an, sah wie dieser die Lippen gepresst, nickte. „Investor?“
„Für ein Bauvorhaben.“
„Dafür rasen Sie extra nach Norderney?“
„Ortstermin.“
„Dieser Investor kann das bezeugen?“
„Nein.“
„Wieso?“
„Ich habe Ihnen gerade gesagt ‚ich wollte‘. Er war nicht da. Deshalb bin ich zurück.“
„Wann?“
Erneut bemerkte Andrea, wie sich der Riemer anspannte. „Am Folgetag.“
„Mit ihrer Frau zurück?“
Riemer zog seine Augenbrauen zusammen. „Nein.“
„Eben haben Sie nicht widersprochen, dass Sie dies getan haben.“
„Wir waren noch nicht verheiratet.“
„Gut. Mit Ihrer Zukünftigen. Warum?“
„Warum?“ Riemer zwinkerte. „Fragen stellen Sie.“
„Aha!“
„Das Hotelzimmer war bereits für eine Woche gebucht“, gab Riemer, dabei die Stimme erhebend, zu verstehen, während er mit den Schultern zuckte.
„Also hatten Sie von vornherein vor, länger auf Norderney zu bleiben?“
„Nein.“
„Aber, wenn Sie das Zimmer bereits gebucht hatten?“
Wollte Dirk ihn verwirren?
„Ich sagte ‚war‘. Nicht von mir. Vielleicht war es bloß ein Versehen.“
„Gebongt. Also, Sie fahren zurück, schnappen sich ihre Zukünftige und …“
„Nein. Getroffen haben wir uns. Eher zufällig.“

Dirk wandte sich abermals ihm zu. Er verstand überhaupt nichts, worauf dieser hinauswollte. „Kreuz die Akte von Herrn Riemer“, befahl er, während der Riemer erneut eine Faust ballte.
„Sie haben eine Akte von mir?“
„Wir sind die Polizei. Kreuz die Akte!“
Andrea stand auf, ging zu Dirks Schreibtisch, schnappte sich die Akte, kam zurück, und während er sich wieder setzte, legte er diese vor Dirk auf den Tisch. Er schlug sie auf und senkte seinen Kopf.
Über ein Blatt streichend murmelte er: „Drei Wochen später heiraten Sie?“
Langsam keimte in ihm ein Verdacht auf, worauf Dirk hinauswollte. Es ging ihm bestimmt darum, die Glaubwürdigkeit des Riemers abzuchecken. Weshalb er jedoch dafür dessen Ehefrau nahm, war ihm schleierhaft.
Der Riemer schüttelte sich. „Ist das verboten?“
Dirk blätterte um. „Dass Eheleute getrennt wohnen auch nicht, eben merkwürdig. Vielleicht erzählen Sie mir etwas von Ihnen und ihrer Frau. Wie haben sie sich kennengelernt?“
„Wie man Frauen kennenlernt.“
„Sie haben sie sofort vor den Traualtar gezerrt? Keine Romanze, kein Beschnuppern, monatelange Vorbereitungen. Für meine Frau war das damals ein Event, allein, bis sie ihr Brautkleid hatte.“ Dirk nickte. „Gesehen habe ich es erst am Tag unserer Hochzeit. Versteht sich. Für sie war es wichtig, ganz in Weiß zu heiraten, wie eine Prinzessin sich zu fühlen. Für ihre Frau sicherlich gleichfalls ist immerhin ihre erste Ehe.“
„Nein.“
„Nein?“, wiederholte Neumann.
„Josy ist geschieden.“
„Dann heiratet sie ein weiteres Mal in Weiß?“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Ich habe es gesehen.“
Riemer hob eine Augenbraue. „Waren Sie dabei?“
Andrea wandte sich ab, denn er konnte sich bei dem Gedanken ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Nein. Aber im Haus ihrer Frau. Herr Riemer, erinnern sie sich?“
„Natürlich.“
Andrea erinnerte sich zu gut an diese für ihn peinliche Situation, als sie beide gleich Oberinspektor Stephan Derrick und Inspektor Harry Klein am Haus der Riemer läuteten, um ihr mitzuteilen, dass sie ihren Mann ermordet aufgefunden hätte. Wer öffnete? Der Tote.
„Frauen hängen an besonderen Anlässen“, stellte Dirk fest.
„Ich verstehe Sie nicht.“
„Das Foto im Wohnzimmer.“
„Welches Foto?“
„Ihr Hochzeitsfoto. Wie oft waren Sie nach ihrer Trauung im Wohnzimmer ihrer Ehefrau?“
„Wie?“
Andrea wandte sich Dirk zu und sah, wie dieser schelmisch grinste. „Gleich immer ins Schlafzimmer?“
Natürlich? Weshalb hatte er von Anfang an nicht daran gedacht? Dirk ging weiterhin davon aus, dass der Riemer, der Kopflose, das Opfer war und der Mann, der ihm gegenübersaß, sich bloß für denselben ausgab. Zu Beginn der Ermittlung stand für Dirk fest, dass seine Ehefrau ihn getötet hatte.
„Sie sind vulgär“, wetterte der Riemer.
„Weshalb? Weil Sie ihre Frau nicht aus Liebe geheiratet haben?“
„Und?“

„Jetzt reden Sie. Sie haben, wie man sagt, eine Leiche im Keller.“
Der Riemer schlug mit einer Wucht auf den Tisch, dass die Tassen klirrten, und schrie: „Nein!“, dann senkte er seinen Kopf und murmelte: „Ich bin unheilbar krank.“
„Burnout? Soweit es mir bekannt ist, ist diese Krankheit heilbar.“
Der Riemer knete seine Hände und flüsterte: „Alzheimer, Parkinson.“
Dirk presste die Lippen. „Jetzt lassen Sie den Blödsinn und gestehen, dass Sie nicht Paul Riemer sind?“
„Sie spinnen.“
„Dann beweisen Sie es?“
„Sie haben meinen Ausweis gesehen.“
„Gefälscht!“
„Hör’n Sie mal, seit meiner Geburt bin ich, der, der ich bin.“
„Sicher, aber nicht Paul Riemer.“
„Absurd“, konterte Riemer und unterstrich seine Aussage damit, dass er Dirk einen Vogel zeigte.
„Geben Sie eine Speichelprobe ab.“
„Warum?“
„Dann können wir feststellen, ob sie es sind.“
„Wie?“
„Sie haben einen Bruder, korrekt?“
„Wenn Sie es sagen?“
„Jetzt haben Sie sich verraten.“
„Wieso?“ Riemer rümpfte die Nase und Andrea kratzte sich am Genick.
Wohin wollte sein Chef? Wollte er ihn aufs Glatteis führen? Der Riemer war, derart schätze er ihn ein, vollkommen abgebrüht.
„Scheinbar wissen Sie selbst nicht, dass Sie einen haben“, wetterte Dirk.
„Seit meiner Geburt.“
„Wie heißt er, wann ist er geboren?“
„Markus, zwei Jahre älter und ein Versager. Bitte suchen Sie ihn und wenn sie ihn gefunden haben gegeben Sie mir Bescheid.“
„Dann kennen Sie nicht seinen Aufenthaltsort?“
„Nein! Wenn ich den wüsste, hätte ich ihn bereits zusammengeschlagen.“
„Gewalttätig?“
„Familienangelegenheit. Er schuldet mir Geld, welches er bestimmt verspielt hat. Außerdem ist er mein Halbbruder.“
Dirk blätterte in der Akte. „Davon steht hier nichts?“
„In der bestimmt nicht.“
„Dann halt ihr Halbbruder. Mütterlich- oder väterlicherseits?“
„Von meiner Mutter.“
„Gut. Ich komme zu meiner Ausgangsfrage, warum haben Sie ihre Frau geheiratet?“
„Habe ich nicht?“
„Weil sie nicht Paul Riemer sind.“
Ah, Methode weich klopfen, dachte sich Andrea.
„Sie langweilen mich. Ich kann meine Frau nicht heiraten, niemand kann seine Frau heiraten. Jedenfalls vor dem Standesamt. Wenn ich sie dagegen zum Traualtar führen würde, würde ich sie heiraten, jedoch nur kirchlich.“
Eins zu null für den Riemer stellte Andrea fest. Der Typ war wirklich abgebrüht.
Dirk wiegelte ab. „Hören Sie auf. Ich präzisiere mich: Warum haben sie Frau Josephine Riemer geheiratet.“

Der Riemer schmunzelte. „Habe ich gleichfalls nicht.“
„Warum“, Dirk blätterte, „haben Sie Frau Josephine Meier geheiratet?“
„Geht doch.“ Er griente. „Wegen des Steuerfreibetrages.“
„Bitte?“
„Hören Sie nie zu. Ich habe eine unheilbare Krankheit, werde wie jeder Mensch sterben, nur eben eher, dann erbt Josy alles, was ich besitze. Klar!“
„Nur, weil Sie irgendwann das zeitlich segnen, verschenken Sie..?“
„Woher wissen Sie..?“
„Was?“
„Dass ich Ihr bereits ein Teil geschenkt habe?“
„Wieso?“
„Den Freibetrag kann man öfters …“
Dirk winkte erneut ab. „Steuerhinterziehung steht heute nicht zur Debatte.“
Riemer hob seinen Arm und seine Hand zum Schwur. „Alles legal.“
Andrea sah erst Dirk, dann den Riemer an. Zwei zu null für ihn.
„Dann geben Sie mir eine Speichelprobe?“
„Nein.“
Dirk bäumte sich auf und bölkte: „Warum?“
Weshalb schrie er ihn an, das half bei dem gewiss nicht weiter.
„Wegen meiner Tochter.“

„Sie haben eine Tochter?“
Riemer lehnte sich vor. „Sie brauchen nicht zu suchen, steht nicht in der Akte.“ Er lehnte sich zurück. „Jedenfalls nicht in dieser. Außerdem habe ich keine Tochter.“
„Was nun?“
„Sie glaubt, dass ich ihr Vater bin; war glücklich.“
„Wer?“
„Meine Tochter.“
„Sie machen mich krille. Reden Sie endlich Klartext.“
Andrea überlegte, ob er eingreifen, das Zepter übernehmen sollte.
„Vor Jahren hatte ich etwas mit ihr. Ein One-Night-Stand, wenn Sie verstehen?“
Dirk riss seine Augen auf. „Mit Ihrer Tochter?“
„Sie sind pervers. Ich habe keine Tochter.“
„Mit Ihrer angeblichen Tochter.“
„Quatsch, die war noch nicht geboren.“ Er schmunzelte. „Mit Josy. Es war für sie bestimmt eine berauschende Nacht. Ich erinnere mich nur daran, weil meine Freundin mich danach verlassen hat. Wusste ich, dass sie mich besuchen wollte.“ Er wiegelte ab. „Schnee von gestern.“
„Bei diesem … haben Sie ihre Tochter gezeugt.“
„Nein.“
„Weshalb erzählen Sie mir dann diese Geschichte?“
„Weil Sie es wissen wollten.“
„Wann haben Sie ihre Tochter gezeugt?“
Er verwarf seine Überlegung sich einzumischen über Bord. Ersten amüsierte er sich köstlich, zweitens gäbe ihm Dirk dann die Schuld, wenn sie ohne Ergebnis das Gespräch beendeten. Daher lehnte er sich zurück und wartete ab.
„Gar nicht“, konterte der Riemer.
„Haben Sie, oder nicht?“
„Ich habe mit Josy gevögelt, ohne Kondom, sie verstehen.“
„Wann?“
„Das habe ich Ihnen gerade gesagt.“
„Habe ich vernommen.“
Der Riemer lehnte sich nochmals vor und flüsterte: „Ich kann keine Kinder zeugen, habe mich in jungen Jahren sterilisieren lassen.“
Dirk runzelte seine Stirn. „Jetzt verstehe ich nichts mehr.“
„Wissen Sie, wenn man im Angesicht des Todes steht und sich überlegt, was man hinterlässt, ist ein Kind etwas Erbauliches.“
„Das heißt?“
„Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Wenn dann meine Tochter später durch eine Speichelprobe erfährt, dass ich nicht ihr leiblicher Vater war“, er zwinkerte, „wenn Sie verstehen?“


„Ihre Frau?“
„Weiß von nichts.“ Er strich über sein Kinn. „Obwohl, Sie bringen mich auf eine Idee, aber nur wenn Sie mir bei Ihrer Ehre hoch und heilig versprechen, dass sie nie etwas erfahren werden.“
Dirk kniff ein Auge zu. „Was für eine Idee?“
Die Mimik seines Chefs verwirrte Andrea. Hatte er von vornherein vor, mit dem Riemer ein Geschäft einzugehen? Aber was hatte er gegen ihn in der Hand? Hielt er Sachverhalte zurück? Er war ein erfahrener Ermittler, der, dies hatte er zur Genüge gehört, mehr Informationen aus den Zwischentönen, der Gestik, der Mimik eines Zeugen oder Verdächtigen herausholte, als dieser preisgeben wollte.
„Eher ein Deal. Sind sie in der Lage, Personen aufzuspüren?“
„Ich gehe davon aus. Es kann aber kompliziert sein.“
„Können Sie es, ja oder nein?“
„Kommt darauf an, kann dauern.“
„So viel Zeit habe ich nicht.“
Dirk hob sein Zeigefinger. „Ich verstehe, ihren Bruder.“
„Von mir aus auch den.“
„Wenn sonst?“
„Meinen Cousin.“

Sich über die Akte lehnend, blätterte Dirk um.
„Jetzt lassen Sie endlich dieses nervige Blättern. In dieser Akte werden sie nichts finden.“
„In dieser? In welcher sonst?“
„Wo bin ich geboren?“ Riemer tippte auf die Akte. „Jetzt können sie nachsehen.“
„Peseckendorf.“
„Wo liegt das?“
„Bin ich Erdkundelehrer?“
„In Sachsen-Anhalt.“
„Und?“
„Wann bin ich geboren?“
Dirk streckte sich. „Dann kommen sie aus der DDR?“
„Danke für das Kompliment. Es heißt Deutsche Demokratische Republik. Entschuldigung, sie hieß Deutsche Demokratische Republik. Sie ist ja nicht mehr.“
„Jetzt werden Sie nicht kleinlich, immerhin …“
„Ja, die Bundesrepublik Deutschland war großzügig und hat …“
„Sind Sie Kommunist?“
„Nein, Sozialist, aber das spielt hier keine Rolle.“
„Was dann?“
„Ich will, bevor ich sterbe, den Mörder meines Vaters finden.“
„Wie? Was?“
Riemer tippte auf das Aufnahmegerät. „Kreuz anschalten!“



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Zuletzt bearbeitet:
Hallo Ahorn,

ahh, endlich geht es weiter.

Hau ab Komma du Wichser.
... zweihundert in bar ...
Sag bloß, die Gerüchte sind unwahr? Gerüche vielleicht auch, aber ...o_O
... kaum grottigere Ermittler ...
Ein Polizist muss sich angergieren, ... Ist das was Unanständiges? ;) Schreib besser engagieren, okay?
In meinem Arsch ist sie bestimmt nicht
Er lehnte seinen Kopf zur Seite.
Du ermittelst auf eigener Regie.
Eigener Regie?
... spitzen Absatz strich und Komma die Lippen gepresst, ihren Kopf ...

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ahorn,

wie gut, dass ich gut zu Abend gegessen habe. Der Fehlernachtisch ist äußerst schmale Kost.;)

... der Bärbel, einer Frauenzeitschrift in Köln Komma unterschrieben. Streng genommen müsste der Name der Zeitschrift in Anführungszeichen gesetzt werden.
Um was geht es denn?
"Bist du so beschränkt, oder tust du nur so Fragezeichen "

Das Kapitel ist aber auch sehr kurz ... ;)

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ahorn,

Seitensprung mit Ansage

Er zupfte an der Hose kein Komma des für ihn lächerlichen ...
Sie hatte ihn, davon ging er aus, dazu ...
... denn welcher Mann trug derlei Kleidung, abgesehen ...
Bloß eins wurmte ihn mehr Komma als dieses ...
Josy, seine Ex-Geliebte, hatte ihm diesen ihm gegeben.
Sie blinzelte ihm zu Punkt "Haben ...
Beatrix Komma nicht so laut Komma ich telefoniere.
Ihm zwinkernd Komma presste sie ihr Smartphone wieder an ...
Bis heut Abend Punkt
Dieser Tag gehörte zu den Tagen, jene welche die meisten Menschen nie vergaßen ...
Keinen Zorn verbanntd er damit, eher Freude.
... weiterhin in einem ihrer Kleiderschränke hing, er ...
... mit diesem Hochzeits-Portal ad acta gelegt.
... um ihr zur rechten Zeit kein Komma ihr zur Seite zu stehen ...
Bis kein Komma bis sie ihm zuzwinkerte ...
... dass er am Morgen kein Komma ihr aufgewühltes Bett ...
... war nicht gezwungen Komma jeden Tag ins Büro ...
... Personalchef, er kratzte sich am Genick - oder war es eine Personalchefin Fragezeichen - Komma zu sprechen und eine Stundenreduzierung durchzusetzen. Sollten die Jungen ran. Also ich würde diesen Einschub ans Ende setzen: Er kratzte sich am Genick - oder war es eine Personalchefin? Dann müsste natürlich das Komma hinter Personalchef noch weg.
... wahrhaftig in diesen Steven verliebt Fragezeichen, kein Punkt
... ihn nicht zu verletzen Fragezeichen, kein Punkt
Spinnst du Fragezeichen, kein Punkt
... damit ich ihn um Vergebung bitten kann.
Ich weiß nur nicht Komma wer?
... allerdings weißt du nicht Komma mit wem.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ahorn,

dann wollen wir mal:

... Dirk Neumann Punkt " Er deutete ...
Frau Myngoc Komma drei Kaffee. Was für ein Name ...
... so weit in die Knie, bis sie es ihr gelang, das ...
... stöckelte, dabei sacht mit ihrem Hintern winkend Komma aus dem Büro. Hat der Hintern Hände, mit denen er winken könnte? :cool:
"Sie wissen also, um was es geht?" Wer sagt das? Sagt Neumann es, muss danach der Zeilenumbruch, sagt sie es, natürlich vorher.
... einen Keks und biss ein mikroskopisches Stück ab.
Dies wissen Sie. Obwohl ich geneigt bin, auch diesen Satz als Frage zu verstehen.
... weder frauenfeindliche sind Komma noch andere ...
Erfahrungen Komma Herr Neumann.
Eine Akte ist Komma na ja Leerzeichen ... Eigentlich wollte ich mich mit Ihren Mitarbeitern sprechen.
... den wir für den Toten hielten, Paul Riemer Punkt Und welchen Beruf hatte er?
Glaubst du an Kommissar Zufall? Aber sicher!!! ;)
Keine Minute bereute er es Komma Neumanns rechte Hand zu sein ...
"Folgen Sie mir", ...
... eher in den Ruhestand gehörte.
... sondern ehre eher zum Inventar zählte.
... die sich gegenüber der, der Chefin befand ... Ist die Chefin da zugegen? Nein. Gemeint ist dann sicher: die sich gegenüber des Büros der Chefin befand.
... etwas Erotisches aus.
Er vermochte kein Komma seinen Blick nicht von ihr zu wenden.
Nicht Komma wie Sie denken.
... bevor wir mit Ihren Mitarbeitern sprechen.
Dass Sie mit unseren Mitarbeitern sprechen.
Er deshalb kein Komma die Akte ihres Kopflosen, bis neue Beweise vorlaiegen würden ...
Er veranlasste Neumanns Chef Komma diesen zum Rapport ...
Dann trauen Sie Herrn Riemer einen Mord zu Fragezeichen, kein Punkt
... ein paar Unstimmigkeiten, die Herrn Riemer in den Kreis der Verdächtigen bringten.
Ihren Oberkörper aufrecht Komma beugte sie sich vor.
"Nein Punkt "
Wo kann ich Ihre Mitarbeiter befragen?

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,

danke dafür, dass du mir meine Fehler zurückgeworfen hast.

Hat der Hintern Hände, mit denen er winken könnte?
Sicherlich nicht, allerdings ist das Verb als solches für derlei Handlung nicht ungewöhnlich. Woher es stammt, welche Bedeutung es in der Vergangenheit hatte, ist mir als Klugscheißer nicht bekannt. Es ist aber nicht einzig und allein verknüpft mit Händen.
Den Satz habe ich trotzdem geändert:
Sie wandte sich ab und stöckelte, dabei sacht mit dem Hintern pendelnd, als winkte dieser ihn zum Abschied zu, aus dem Büro.
weder frauenfeindliche sind Komma noch andere
Kein Komma. ;) Weder-Noch-Satz.

Was mich aber mehr interessiert ist, wie das Kapitel auf dich wirkt.
Immerhin ist es kein Zufall, dass Kommissar Zufall auftritt. ;)
Nicht, dass dieser irgendwann auftritt. :)

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

bitte, bitte, gern geschehen.

Okay, das mit dem Winken ... Aber dann müsste es 'als winkte dieser ihm zum Abschied zu' heißen.
Tja, und das mit dem üblichen Gebrauch einer Formulierung ist wahrscheinlich regional unterschiedlich. Vergleichbares streichst Du mir auch schon mal an, obwohl es bei uns im Rheinland durchaus eine gebräuchliche Formulierung ist, die ich dann natürlich so stehenlassen möchte. Eine Sprache unterscheidet sich eben auch regional.
Uupps, hab ich da ein Komma hingeworfen, wo keins sein soll. Sorry.
Dieses Kapitel ist für mich endlich - endlich deshalb, weil zuvor ein paar Kapitel lagen, von denen ich nicht so recht wusste, wie sie mit dem Fall zusammenhängen sollen - der Weg zurück auf die Hauptstraße. Natürlich frage ich mich nun, warum die Untersuchung in dieser Firma so wichtig sein könnte, nur weil die Leiche an einem Fundament gelegen hatte, das von dieser Firma errichtet wurde. Das kann ja auch Zufall sein.
Mit Fundament und Leiche erinnere ich mich an eine Columbo-Folge, wo ein Bauunternehmer seinen Konkurrenten in einem neuen Fundament begraben wollte.
Da bin ich aber mal gespannt, wie mein Kommissar Zufall in Deinen Fall hineingerät. ;):cool:

Einen schönen Sonntag wünsche ich Dir und Deiner Familie.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ahorn,

... sein Puls raste und es kam ihm vor ...
... hochgewachsenen Mannes, konnte sich jedoch nicht davon währen. ??? Was konnte er nicht? Ich verstehe den Satz nicht.
Wenn Komma durch wen oder von welchem Ort?
... Beatrix kam ihm wieder in den Sinn ...
... sofern er sich entsandte ... 'soweit er sich entsann' meinst Du, ja?
Er öffnete Josy die Wohnungstür. Im weiteren Verlauf ist erkennbar, in wessen Wohnung sie sich befanden.
... zuerst ihre Brüste betrachtete, dann fachmännisch ...
... dass dieser Paul niemals kein Komma der sein könnte ...
Den Spaß gönnte er ihm ...
... ohne ihn eines Blickes zu würdigen ...
Dass mit dem Fremdgehen?
... fülhlte sich für ihn angenehm an.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,

Fehlstellen beseitigt. ;)

... hochgewachsenen Mannes, konnte sich jedoch nicht davon währen. ??? Was konnte er nicht? Ich verstehe den Satz nicht.
Da ist wirklich nichts Wahres dran.
Dann Bruchteile einer Sekunde später strich er das Bild des athletischen, hochgewachsenen Mannes, konnte sich jedoch nicht seiner Gedanken wehren.


Er öffnete Josy die Wohnungstür. Im weiteren Verlauf ist erkennbar, in wessen Wohnung sie sich befanden.
Kann der Leser leider nicht eindeutig. Da ich niemand zwingen kann Rauswurf zu lesen, ist es vonnöten dem Leser diesen Umstand darzulegen. :cool:

Liebe Grüße und restlichen 4. Advent
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

oh, ja, jetzt verstehe ich den Satz. Ich hatte zwar genau diese Vermutung, aber war mir nicht sicher. Ich hätte dann vielleicht '... seiner Gedanken erwehren' gesagt.
Und das mit der Wohnungstür, na ja, ich habe es sofort erkannt, aber so geht es auch (Du hast das 's' an ihren Namen drangehangen, obwohl ich es nicht erwähnt hatte, es aber natürlich erforderlich ist).
Alles prima.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ahorn,

hier ein kleines Weihnachtsgeschenk ...;)

Ein Klatschen schallte, gefolgt von einem Ruf Komma durch das ...
Neumann nahm ihn an seine Seite und beide Komma gefolgt von Andrea Komma verließen ...
... und ein Aktenschrank kein Komma die einzigen ...
... weiterhin wie früherer, aber ...
Seit neusten bin ich eine Mitarbeiterin. :D Ist es in diesem Fall Absicht, dass er unsauber spricht? Ansonsten müsste es 'neuestem' heißen.
... ist Ihnen bei Herrn Riemer irgendetwas ...
War er gewaltig? :D Groß? Breit? Gewaltig eben ... Sicher sollte es 'gewalttätig' heißen, ja?
Konnte man wirklich nicht essen Komma den Fraß.
... ein Zischen ... 2x Auch hier die Frage, bewusst undeutliche Aussprache? Sonst 'einen Zischen'.
"Vitamin B Punkt "
"Los, schließ die Tür und sperre ab, sonst feiern wir hier eine Party." Sonst? Ich interpretiere das eher so, dass sie mit ihm sofort eine ganz private Party feiern will ...;):cool: Die sind wirklich total durchgeknallt. :D

Liebe Grüße und schöne Feiertage. Ich muss heute wieder arbeiten, auch die Feiertage ...

Rainer Zufall
 



 
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