Herbert Tamban - Lagholz

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ahorn

Foren-Redakteur
Teammitglied
Moin,
nach mehreren Romanen, in denen wir Herbert Tamban, als Ermittler kurz vor der Pensionierung kennengelernt haben, springen wir endlich an den Anfang
Ich teile mit euch die ersten zwölf Kapitel.

Herbert Tamban
Lagholz
In einer Zeit, in der die Koteletten bis zum Kinn wucherten, Röcke dagegen kaum die Pobacken verdeckten, in der man Scheiben drehte und nicht auf Glas hämmerte, um zu telefonieren, wurde Herbert endgültig vom Kind zum Erwachsenen. Der Ernst des Lebens rückt näher, die Reifeprüfung. Was danach? Zivildienst unausweichlich. Die Urgroßmutter aus der einen Linie präferiert für ihn den Friseurberuf, wie schon viele Generationen vor ihr diesen ausgeübt haben. Der Großvater aus der anderen Linie würde ihn gern bei der Polizei sehen. Das er diese Tradition weiter führt wie er, dessen Söhne und Ahnen. Dabei will Herbert nur das machen, was er kann: Malen, Kunst studieren. Die Arbeit im Frisiersalon kennt er, regelmäßig hilft er im Salon der Tante aus. Vor den Sommerferien setzt sich endlich der Großvater durch und übergibt den Enkel seinem ältesten Sohn Richard. Dieser soll während eines Praktikums Herbert die Arbeit bei der Kriminalpolizei schmackhaft machen.
Bereits am Sonntag, einen Tag vor Beginn des Praktikums, beordert Onkel Richard Herbert zu einem Leichenfundort. Was niemand ahnt: Bei der weiblichen Leiche handelt es sich um die Schwester von Herberts Freundin Rosanna.


1

Kriminalhauptkommissar Richard Tamban strich über seine Koteletten, hockte sich nieder und klopfte auf die Schulter des Mannes, der kniete. „Hinnerk, was wissen wir?“
Der Angesprochene schob den Elbsegler zurück und zupfte am knallroten Minirock der Frau, die rücklings auf dem Waldboden lag. „Wat du weetst, weet ik nich, wenn du meenst, wat ik von ehr weet, denn heff ik geern antert: Midden zwanzig, Verletzung am Hinterkopf, geh von stumpfem Schlag ut.“ Dabei schwang er einen Gehstock wie einen Degen.
„Wurde sie … du weißt?“
Hinnerk hob den Saum des Rockes an. „Kann, kann nich wesen. Zumindest hett een ehr …“ Er legte den Saum auf ihre kurzärmlige weiße Rüschenbluse ab.
Der Kriminalhauptkommissar verdeckte den Mund und murmelte: „Widerlich.“ Er wandte sich ab und richtete die Schiebermütze. „Haben wir einen Namen. Aber bitte kein dumm Spruch.“
Hinnerk wies voraus. „Ehr Handtasch liggt bi ehr, aber se is leer.“

„Allegra!“ Herbert beobachtete seinen Onkel Richard, wie dieser sich ihm zuwandte. Dieser Hinnerk dagegen, der wie ein ertappter Verbrecher, zusammenzuckte ferner hektisch mit dem Rock ihre Scham bedeckte, irritierte ihn. Während ihre rote Unterhose weiterhin ihre Knie umschmeichelte, als hätte sie zuvor gepinkelt.
Tamban stand auf. „Was machst du hier?“
Manchmal zweifelte Herbert an Onkel Richards Verstand. „Du hast mich angerufen.“ Er betrachtete erneut Allegra, die zwar auf dem Rücken lag, allerdings nicht schlief. Noch nie hatte er eine Leiche gesehen. Erst in diesem Augenblick realisierte er, dass sie tot war. Ein eiskalter Schauer rann ihm über den Rücken, während er sich umsah. Zwischen den Bäumen des Waldes Lagholz bei Hötzum wuselten Polizisten herum, als wäre es vollkommen normal, dass dort auf einem Bett aus Buchenblättern sowie Kiefernnadeln eine Frau lag. Wobei ihr Kopf eher im Dunstkreis der Kiefer nahe einem Ameisenhaufen ruhte. Er trat vor – Übelkeit überkam ihn – die Insekten hatten bereits Besitz ergriffen. Zügig schaute er weg, dafür Onkel Richard an.
Er drohte mit der Rechten. „Glaubst du, ich bin senil? Ich mein, warum stehst hinter mich und weshalb kommst erst jetze? Zu lang gefeiert, wie?“
„Feiern, was sollte ich feiern? Ich war wie jeden Samstag im Kino. Hey, außerdem, weißt du, wie weit das mit dem Rad von Atzum hierher ist?“
Herbert wohnte seit gut einem Jahr bei den Großeltern in Atzum. Ein mickriges Dorf, das Wolfenbüttel sich vor Kurzem einverleibt hatte. Abgesehen von seiner Familie, hatte er mit Wolfenbüttel nichts zu schaffen, denn er besuchte weiterhin die Oberstufe in Braunschweig. Ein Linienbus verband die beiden angrenzenden Städte. Wie Potsdam und Berlin vor dem Mauerbau, bloß eben kleiner.
„Hör mal, die Brasilianer haben gestern im kleinen Finale eine richtige Klatsche kassiert. Ich bin ja nicht für die Polacken, aber in deren Mannschaft spielen zumindest Deutsche. Sagen dürfen sie es zwar nicht, allerdings in ihrer Seele sind sie es. Wenngleich der Oberparteibonze von denen, dieser Edward Gierek Schlesier ist und man munkelt, er spräche mit dem Brandt Deutsch. So’n sieg feiert man und geht nich ins Kino. Du wirst seh’n, heut werden wir Fußballweltmeister.“ Er schüttelte den Kopf. „Die Jugend von heut hat keine Werte mehr.“
Da standen sie vor einer Leiche und Onkel Richard brabbelte von Fußball und Schlesier. Wurde man irgendwann derart abgebrüht bei der Polizei? Er kannte die Gesinnung seines Onkels. Er war zwar kein Nazi, dennoch der Auffassung, die Juden seien für den Untergang verantwortlich gewesen, daher keine Opfer, sondern Täter. Mit dieser Haltung war er nicht allein. Herbert bekam stets Bauchschmerzen, wenn er daran dachte, wie der Hitler zum Deutschen wurde. Die Braunschweiger hatten ihren Otto I., Heinrich den Löwen, Till Eulenspiegel, den Freiherrn von Münchhausen und – Adolf. In Herberts Stadt wurde aus dem Österreicher ein Deutscher: Schande. Weil er jedoch keine Lust empfand, Onkel Richard zum einhundertsten Mal zu erklären, wer wen ermordet hatte, vermied er dieses Thema. Er glaubte, er musste kotzen. „Sehr witzig.“
Onkel Richard drohte erneut. „Wird mir nicht frech! Geh‘ mal lieber zu mein Schwager, dein Onkel, der soll dir ein anständigen Schnitt verpassen. Mit dein lang Loden siehst aus wie ein Hippie, kannst dir bald ein Zopf flechten.“
Seine Tante, Onkel Richards und seines Vaters Schwester, besaß mit ihrem Mann einen Frisiersalon in der Innenstadt von Wolfenbüttel.
„Tante kann das besser“, konterte Herbert, starrte erneut Allegra an und glaubte ein Zwinkern ihrer Augen zu sehen. Schlief sie vielleicht doch?
Er sah, wie Onkel Richard ausholte, wich der Ohrfeige aus und versteckte sich hinter diesem Hinnerk, der inzwischen aufgestanden war.
Dieser wies zu Boden. „Se heet Allegra. Jung, wo weetst du dat her?“
Onkel Richard nicht aus dem Blick lassend, antwortete er: „Ich gehe mit ihrer Schwester auf dieselbe Penne.“
Hinnerk wandte sich zu Herbert um, stützte sich auf seinem Gehstock auf, als wäre er der leitende Beamte. Herbert starrte diesen hochgewachsenen Mann an, der ihn mehr als einen Kopf überragte. Er verkörperte, geschuldet dem Vollbart, dem der Schnurrbart fehlte, dieser Schifferfräse sowie dem Elbsegler, der auf seinem Schädel thronte, eine Symbiose aus Abraham Lincoln und dem Bundeskanzler Helmut Schmidt. Dabei entsprach er Herberts Ebenbild von Kapitän Ahab aus Hermann Melvilles Moby-Dick. Jedenfalls sah er nicht wie ein Kriminalbeamter aus. Onkel Richard kleidete sich seinem Beruf angemessen: schwarzer Anzug, Krawatte. Einzig die schmierige Schiebermütze biss sich mit dem Rest.
Onkel Richard trat auf ihn zu und umfasste sogleich ungefragt seine Schulter. „Hinnerk, kennst du ihn noch? Herbert, mein Neffe.“
„Nee, dat glööv ik nich, toletzt weer he noch“, Hinnerk schlug mit der Rechten an sein Becken, „so lütt.“
„Jetzt übertreibst’s. Uußerdem snackt Düütsch, de Jung versteiht di doch gaar nich. He snackt keen Platt, dat lehrt de jung Lüüd vondaag nich?“
Herbert betrachtete Onkel Richard, als wäre er ein Außerirdischer. Hinnerk hielt ihm die Rechte hin, die dermaßen gigantisch war, dass er sich wie ein Kleinkind fühlte, während er diese zum Gruß ergriff und „Hinnerk Momsen“ vernahm. „Herbert Tamban“, stotterte er und war froh, seine Hand in Gänze wieder in die Hosentasche stecken zu können.
„Richard, was macht de Kleene hier am Tatort?“
„Praktikum.“
„Wie, Praktikum?“
„Nicht so ein offizielles. Er hat Ferien und ich dachte mir“, Onkel Richard stieß Hinnerk in die Seite, „ich zeig’ ihm einmal, wie toll es bei der Polizei ist.“
In diesem Augenblick hätte Herbert gern gekotzt. Er hatte keinen Drang, diese dämliche Familientradition fortzuführen. Bloß, weil Onkel Richard keine Söhne gezeugt und sein Alter nur einen hinbekommen hatte, musste er sich nicht opfern. Für ihn stand seine Reise fest. In einem Jahr würde er die Reifeprüfung ablegen, dann seinen Zivildienst abdienen. Den Kriegsdienstverweigerungsantrag hatte er bereits gestellt und wartete auf seine mündliche Anhörung. Von dieser hatte er weniger Bammel als vor der Reaktion der Großväter. Dabei waren sie der Grund, weshalb er nie eine Waffe anfassen wollte. Anschließend war der Weg frei für ein Kunststudium.
Hinnerks Stimme donnerte durch den Wald. „Richard, hast du den Benno gesehen?“
„Warte! Ich glaube Oberwachtmeister Müller …“
Herbert beobachtete Onkel Richard, wie er sich umsah.
„Ja, dort ist er.“ Er hob den rechten Arm und schrie: „Müller.“
Ein Mann, den Herbert in dessen blau-grauer Uniform eindeutig als Schutzpolizisten erkannte, kam auf sie zu. Besser gesagt, er versuchte es. Ein unbekanntes Etwas zog ihn in die entgegengesetzte Richtung. Erst als dieser in Wurfweite herankam, erkannte Herbert, was diesen peinigte: ein Dackel.
„Hat he geschittert?“
Der Uniformierte salutierte. „Nein, Herr Kriminalrat.“
„Aadee“, hörte er Hinnerk, während dieser die Leine übernahm. „Ich wees nich, seit drei Tagen kann he nich.“
Onkel Richard hockte sich nieder, kraulte den Kopf des Tiers. „Musst zum Tierarzt. Aber sag, seit wann bist du wieder hier?“
„Seit einem Monat. Ich kann meine Margot doch nicht allein lassen.“
„Wie, allein?“
„Die spinnt. Daran sind diese Sozialisten schuld. Da sitzt man friedlich auf seiner Bank, kiekst aufs Watt, raucht eine Pfeife und genießt den Ruhestand, da kommt sie, sagt mir, sie hätte eine Stelle als Rechtsanwältin.“
Behäbig erhob sich Onkel Richard, schüttelte den Kopf. „Du hast ihr das erlaubt?“
„Natürlich habe ich es ihr verboten. Aber ich sage doch: die Sozialisten. Verklagen wollte sie mich, meinte, unsere Kinder wären aus dem Haus und ich nicht mehr im Dienst. Wie sollte sie dann Probleme haben, ihren häuslichen Pflichten nachzukommen.“
„Kommt sie damit durch?“
„Natürlich nicht, aber der Spiegel oder diese anderen sozialistischen Kampfblätter warten bloß darauf.“
„Das kommt davon, wenn man eine weitaus jüngere Frau heiratet.“
„Mensch, Richard, hättest du vor dreißig Jahren …“ Hinnerk winkte ab. „Vergiss es.“
„Zumindest ist jetze der Schmidt dran. Immerhin hat er gedient.“
„Da gebe ich dir recht. Aber bedenke, der Vaterlandsverräter und Deserteur, dieser Brandt und der Kommunist, dieser Russe, Wehner sind noch da. Damals hätte man die an die Wand gestellt.“
Herbert wollte nicht mehr zuhören. Änderten sich diese ewig Gestrigen, diese Altnazis nie? Noch ein, zwei Worte und er hätte gegöbelt. Hatten sie keinen Respekt vor dem Tod: vor Allegra. Anstatt, dass er sich übergab, rann eine Träne über sein Gesicht und er fing sich. „Onkel Richard, Herr Momsen, was macht ein Polizist“, er zeigte auf Allegra, „an einem Tatort?“



2

Herbert klemmte den Bleistift hinter das rechte Ohr und betrachtete die Zeichnung. Er hatte es nicht über das Herz gebracht, Allegra eins-zu-eins abzubilden, sie für die Ewigkeit in dieser Todespose einzufrieren. Dieses hatte bereits ein Polizeibeamter mit seinem Fotoapparat übernommen. Bei jedem Strich, den er gesetzt hatte, sah er sie wieder im Atelier seines Lateinlehrers, Hans Huth, nackt, wollüstig, dennoch anmutig posierend. Es war sein erster Akt gewesen. Herr Huth hatte nur alle Jungen der Zeichengruppe eingeladen. Die beiden Mädchen waren zwar sauer gewesen, nicht dabei zu sein, aber sahen es ein. Anstand und Sitte verbat es ihnen, denn Herr Huth hatte neben Allegra auch ein männliches Model dazu gebeten.
Beinahe schüchtern betrachtete Herbert erneut sein Werk, hörte, als wäre keine Sekunde vergangen, die Stimme seines Paukers, der gleichzeitig Herberts Rechte führte: „Fang’ ihre Seele ein!“, und im selben Moment stand er wieder in dessen Atelier.

***
„Herbert, lass dich nicht von deinen Hormonen lenken. Nicht dein Schwanz, sondern dein Bleistift zeichnet. Anstatt der Wollust, die du dir einbildest, solltest du ihre Anmut, ihr wahres ‚Ich‘ auf das Papier bannen. Schau in ihre Seele, in ihre brauen Augen.“ Herr Huth ergriff Herberts letzte Zeichnung, hielt diese ihm hin. „Schaue dir deinen David an, wie er kraftvoll posiert. Dennoch ist er kein dummer Muskelprotz, sondern jeder Betrachter sieht sein Geschick, seine Genialität. Er ist die personalisierte Männlichkeit.“ Er legte das Blatt ab, tippte auf die Staffelei. „Erschaffe eine Venus, keine Hure.“
Der Alte hatte gut Reden. Allegra war die erste Frau, die am helllichten Tag nackt vor ihm stand und nicht mehr oder minder verschämt im Dunklen unter einer Decke unter ihm lag. Wenngleich ‚stand‘ bloß im übertragenden Sinn zutraf. Sie hockte wie die Kopenhagener ‚Kleine Meerjungfrau‘ auf einem Podest im Seitsitz. Allerdings hatte sie zuvor keine Scham besessen, ihm und seine Schulkameraden ihre Weiblichkeit ausgiebig zu präsentieren. Genau an diese dachte er, stellte sich vor, diese zu berühren. Er schmachtete danach, dass ihre Lippen sich wie sonst seine Finger um ihn schmiegten, während er das Playmate im Playboy anhimmelte. Es gab für ihn bloß eine Lösung. Er legte den Bleistift beiseite.
„Herbert, wohin willst du?“

„Herr Huth, ich muss mal!“
***
Bei diesem ersten Mal kokettierten ihre glatten, rückenlangen kastanienbraunen Haare mit dem blutroten Lippenstift und sie hatte ein wenig etwas von einer Femme fatal. Er hätte sie gerne so gezeichnet, aber das war nicht sein Auftrag. Dabei erinnerte er sich genau an den Tag ihrer Transformation.
***
„Allegra, willst das wirklich?“
„Herbert, du bist doch auch blondiert.“ Sie kicherte. „Oder tut das weh?“
Er zupfte an seinem gewellten, schulterlangen blonden Haar. „Das war meine Cousine, gab richtig mecker.“
„Mecker gibt es höchstens, wenn du nicht in die Puschen kommst.“
„Keine Angst, die sind alle in der Kirche.“
Sie streckte sich auf den Frisierstuhl und hielt ihm die Schere entgegen. „Dann fang endlich an.“

***
Schlussendlich war er von seinem Werk begeistert. Er hatte sich kaum verschnitten und die Blondierung war ihm gleichmäßig gelungen.
Ein Schlag auf seine Schulter holte ihn aus der Erinnerung.
„Jung, du hest Talent.“
Er schaute sich um, erblickte Momsens faltiges Gesicht und flüsterte: „Danke.“
Momsen strich über die Schifferfräse, stützte sich auf den Gehstock ab. „Ik weet nich mien Jung. Dat sütt ut as wenn du ehr op’t Geweten harrst.“
„Hinnerk, mach‘ dem Bengel nicht bang‘.“
Diesmal schaute er Onkel Richard an. Dieser schnappte sich die Skizze. „Obwohl? Wenn ich es mich echt beschau: Ihr Ausdruck, als wäre sie im Todeskampf. Woher kennst du sie nochmal?“
„Sie ist die Schwester meiner Schulfreundin Rosanna, Rosanna Santis.“
„Bei der warst du und hast sie gesehen?“
„Nein.“ Schweiß trat auf seinen Handflächen aus. „Sie ist nach dem Abi weg.“
„Wer?“
„Onkel Richard“, er zeigte auf Allegra, „sie.“
„Dat een schließt dat anner nich ut“, hörte er Momsen schallen.
Angsterfüllt schaute er sich um. Außer Momsen und Onkel Richard erblickte er niemanden mehr im Wald – abgesehen von Allegra, die ihn anzulächeln schien. Ein Kuckuck rief, ein Specht hämmerte und er war wieder in Huths Atelier. Er hatte sich unter einem Vorwand den Schlüssel des Paukers geliehen, weil Allegra ihn gebeten hatte, einen weiteren Akt von ihr zu zeichnen.

***
„Hast du noch nie?“ Allegra streckte ihre Brüste vor. „Aber sei zärtlich, ich bin empfindlich!“
Zögerlich hockte er sich hin, bis die Knie das Chaiselongue berührten. Er sah sich schüchtern im Atelier um, zählte bis drei und tippte an ihre Brust.
Sie lachte, ergriff seine Hand, zischte, als hätte er etwas missverstanden, dann sagte sie ihm, sie sei nicht aus Pudding, und presste seine Hand an ihre Brust. Sie führte ihn, schloss die Augen und schnurrte wie eine Katze. „Na, geht doch. Mach weiter.“

Während er ihre Brust streichelte, legte sie das rechte Bein auf die Rückenlehne der Chaiselongue und ihre Hand glitt an ihren Schritt. Er sah zu, wie sie genüsslich masturbierte.
***
„Hinnerk, lass den Jungen! Siehst du nicht, wie er ganz rot anläuft? Er ist noch Jungfrau.“
Herbert ging auf den Satz nicht ein. Dafür warf er der Toten einen schmachtenden Blick zu und spürte, wie sein Onkel ihn berührte.
„So, du hast dir ein Bild vom Fundort macht, die Position der Leiche festgehalten, wat kommt nun?“
Ein Schauer rann ihm über den Rücken. Er dachte an Erik Ode, der als Kommissar Herbert Keller regelmäßig am Freitag die Wohnzimmer besuchte und wann immer er eine junge weibliche Leiche auffand, den schweren Weg zu dessen Eltern antrat. Ihm fröstelte es – welch Parallelen. Zwar fand man in der letzten Folge die Tote nicht im Wald, sondern auf einer Baustelle, trotzdem ein Mord an einer jungen Frau. „Wir müssen ihren Eltern Bescheid geben.“
„Sicher, dieser Kelch geht an uns nicht vorbei. Zuvor solltest du jedoch die Zeugen befragen.“
Erneut wurde ihm übel und seine Finger begannen zu zittern. „Hat jemand gesehen, wie sie …?“ Er wies auf Allegra. „Du weißt schon.“
„Du meinst, ob jemand gesehen hat, wer sie ermordet hat?“
„Mord?“
„Mord, Totschlag, Verschleierung eines Unfalls, wat weiß ich? Wir wissen nicht mal, ob sie hier oder woanders ums Leben gekommen ist.“
„Vielleicht ist sie gestolpert?“
Onkel Richard schritt an Allegra heran, stieß sacht gegen einen ihrer Stiefel. „Waldtauglich sind die wahrlich nicht, allerdings …“ Er winkte ihn heran, trat an ihren Kopf und hockte sich nieder. „Die Kopfverletzung könnt die Todesursach sein.“
Zögerlich folgte er der Aufforderung, hockte sich gleichfalls nieder und betrachtete ein Trupp Ameisen, der in ihre Nase marschierte. Genau in diesem Moment konnte er nicht mehr an sich halten. Im letzten Augenblick wandte er sich ab und kotzte auf den Waldboden.



3

„Ja bitte?“
Herbert rückte nach links.
„Herbert?“
„Frau Santis“, antwortete Onkel Richard für ihn und zückte derweil seinen Dienstausweis, „Kriminalhauptkommissar Tamban, könnte ich kurz reinkommen?“
„Hatte mein Mann Roberto einen Autounfall?“
„Nein! Es geht nicht um ihren Mann. Darf ich reinkommen?“
Frau Santis erhob den rechten Arm, drohte. „Herbert, was habt ihr wieder ausgefressen? Warte, der Rosanna werde ich die Hammelbeine langziehen.“
„Frau Santis, nicht hier! Wir sollten hinein, vielleicht in die Küche, dann können Sie etwas trinken. Und nein!“ Er legte einen Arm auf Herbert Schulter. „Er und …“
„Rosanna“, half ihm Herbert weiter.
„Haben nichts angestellt, eher im Gegenteil.“ Er drückte ihn an sich. „Vielleicht sollten wir uns erst unter vier Augen unterhalten.“
„Dann kommen Sie herein. Herbert, Rosanna ist oben.“

Herbert eilte ins Obergeschoss, um aus dem Gefahrenbereich zu entfliehen. Eins vertrug er nicht: kreischende, wehleidige Frauen. Daher die beste Lösung rasch zu fliehen, ehe Frau Santis zu einer solchen mutierte. Vor Rosannas Zimmertür angekommen, erkannte er, wie sinnlos seine Flucht gewesen war. Auf der anderen Seite lag sicher Rosanna und las. Was sollte er ihr sagen? Er schwankte. Schwankte zwischen zusammenbrechender, flennender Mutter und gewiss hysterischer Schwester. Bevor er sich entschied, hatte bereits sein Unbewusstes reagiert. Er umfasst die Türklinke und drückte sie herab.
Rosanna schrie, fluchte „Du“ und deckte sich zu.
Er gehörte nie zu dem Menschenschlag, der sich durch extreme Neugier auszeichnete, jedoch in diesem Augenblick kitzelte es ihn. Mit Wonne hätte er sie aufgedeckt und – er sah an ihre Seite – gespickt, welch Lektüre sie zuvor gelesen hatte.
„Mensch, kannst du nicht anklopfen?“
„Seit wann klopfe ich an?“
Sie zog die Decke bis an den Hals, als wäre er ein Fremder, der sie noch nie oben ohne erblickt hatte: Dabei hatte sie ein T-Shirt an. „Schließt du bitte das Fenster.“
Welch Höflichkeit sie auf einmal an den Tag legte, verwunderte ihn. Der Bitte folgend, trat er auf das Fenster zu, zog beide Flügel heran und verriegelte diese. Dabei konnte er es nicht lassen, sie aus dem Augenwinkel anzulinsen. Ihr Schlingern, das Beben der Decke bestätigte seine Annahme und steigerte seinen Trieb, sodass er sämtliches Zartgefühl verlor, allein aus dem Grund, um sich abzulenken und „Deine Schwester ist tot“ schreien wollte, dennoch dieses unterließ.
Sie stieg aus dem Bett, richtete den Slip und schlenderte auf ihn zu. Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals, ihre Brüste pressten sich an seinen Oberkörper. Sie kam ihm derart nahe, dass er ihren Atem roch, als sie ihn schmachtend fragte, ob er vergessen hätte, wie eine Begrüßung aussehe. Er neigte sich vor, presste seine Lippen auf die ihren. Erst als er spürte, wie ihre Lust auf ihn übersprang, hielt er inne und flüsterte: „Deine Schwester ist tot.“
„Überdosis?“
Herbert zuckte. Mit welchem Unterton sie das Wort aussprach, die Frage gleichzeitig emotionslos stellte, erschrak ihn. Als wäre Allegra eine Fremde und sie ihm stecken wollte, wie gefährlich Drogen seien. Jedes Mal, wenn sie herausbekam, dass er nach der Penne im Braunschweiger Bürgerpark mit seinen Kumpeln sich einen Joint herein pfiff, segnete sie ihn mit einer Predigt, als wären sie verheiratet. Dabei gingen sie bloß miteinander. Aber wer vermochte sich in den Geisteszustand einer Frau zu versetzen? Weiber konnten grauenvoll sein. Was verband und – dieses erschien ihm weitaus wichtiger – trennte die Geschwister? Zumindest hätte er mehr erwartet als diese Frage. „Wie kommst du darauf?“
„Die enden doch alle so.“
„Hey, hör mal, sie war deine Schwester.“
„Nee!“
„Wie, nee?“
„Mein Alter hat sie mitgebracht.“
„Mitgebracht?“ Er griff an ihren Hintern, als gäbe es eine Beziehung zu der Frage.
„Ist doch egal. Mein Alter war schon einmal verheiratet. Totgesoffen hatte sie sich. Na, der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.“
„Die Erziehung ist auch nicht ohne.“ Er kniff sie und er spürte, wie sie den Po anspannte. „Dann war sie eben deine Halbschwester.“
„Nee!“ Unvermittelt presste sie die Lippen auf die seinen. „Lass sie. Lass uns lieber …“ Sie löste die Umarmung, erfasste seine Rechte und zerrte an ihr. „Ich habe Lust.“
Herbert wusste nicht, wie ihm geschah, anstatt vor Trauer zu weinen, wollte sie Sex. „Wenn deine Mutter ins Zimmer kommt …“
„… begreift sie endlich, dass ich kein Kind mehr bin.“
Wieder erblickte er Allegra, sah, wie die Ameisen in ihre Nase krochen, als wollten diese ihr Gehirn verspeisen, ihre Seele rauben. Bloß lag sie diesmal nicht vor ihm, sondern spukte in seinem Kopf herum.
Er stieß Rosanna von sich ab. „So kenne ich dich gar nicht. Ist heute nicht der falsche Tag, um es deiner Mutter auf die Nase zu binden? Verdammt! Deine Schwester ist tot.“
Den Kopf nach hinten geneigt, verschränkte sie ihre Arme. „Gott! Ich war gerade zehn, als sie abhaute, außerdem war sie nicht einmal meine Halbschwester“, sie stockte und er bemerkte an ihrem Schlucken, wie sie mit den Tränen kämpfte, und versuchte, ihre Stimme zu bändigen, „sondern meine Cousine.“
Eine Stille, die beängstigte, hüllte sie ein. Herbert wagte nicht zu reden, gar sich zu bewegen. Er starrte sie bloß an.
Sie schlich rückwärts, bis ihre Beine das Bett berührten. „Woher weißt du überhaupt, dass sie …?“
Endlich fragte sie ihn. „Mein Onkel will mir den Bullenberuf schmackhaft machen. Da rief er mich heute Morgen an, sie hätten im Lagholz bei Hötzum eine Leiche gefunden.“
„Wie?“
Er zuckte mit den Achseln, worauf sie sich setzte und „weiß es seit heute“ murmelte. Herbert sie weiter anstarrend, auf sie zu trat und „Was?“ fragte.
„Dass meine Mutter mit meinem Onkel Lorenzo gevögelt hat.“
Ihm blieb die Spucke weg und ohne weiter nachzudenken, warf er ihr „Dein Onkel Lorenzo ist Allegras Vater“ entgegen.
Sie ballte ihre Hände, stieß mit der Rechten zu. „Hörst du mir nie zu?“
Verlegen steckte er die Hände in die Hosentaschen, bis der Gürtel seiner Jeans an seinem Hüftknochen zerrte.
Erneut schlug sie zu. „Lass das, das sieht scheiße aus.“ Im nächsten Augenblick packte sie ihn und zog ihn neben sich auf das Bett. „Vor drei Sekunden habe ich dir gesteckt, mein Alter hätte Allegra mitgebracht, und sie sei meine Cousine.“ Sie schlug ihm an die Stirn. „Wer hat dann wohl wen geschwängert?“
Langsam fing er sich wieder. „Das hat dir deine Mutter erzählt?“
„Nee, irgendwie beide.“ Sie legte ihren Kopf an seine Schulter. „Als ich gestern Abend nach dem Kino heimkam, saß er neben ihr auf dem Sofa und glotze eine Show: etwas mit dem Fuchsberger. Meine Mutter schmiegte sich an ihn. Sie hatte einen Bademantel an, sah aber nicht danach aus, dass sie gebadet hatte, und er nur Unterhose und Unterhemd. Er hatte gönnerhaft seinen Arm um sie gelegt und leerte eine Pulle Bier. Ich schnallte es sofort.“
Was für ein Sonntag war dies? Träumte er? Zuerst der grausige Fund im Lagholz: Allegra, dann … er sah sich um, erblickte das Buch, das Rosanna zur Seite geworfen hatte, als er eingetreten war: Momo von Michael Ende. Ein Bestseller, ein Mädchenbuch. Jedenfalls kannte er keinen Jungen, der es las. Unverhofft spürte er ihre Angst. „Wer weiß. Man kann doch feststellen, ob er dein Vater ist.“
„Ausschließen“, warf sie ihm erbost entgegen. „Aber das spielt keine Rolle, denn mein Alter kann nicht mein Vater sein. Ob Lorenzo es ist, steht in den Sternen und ist mir“, sie drehte sich, sodass er ihre feuchten Augen erblickte, „scheißegal.“
Er konnte sich nicht zurückhalten, grinste und schmetterte ihr begeistert, als wäre er Archimedes, „kann er nicht“ entgegen, obwohl er ihre Verzweiflung, ihre Trauer sah. Kaum hatte er seine Verbalattacke herausgespien, erwartete er eine Reaktion ihrerseits in Form einer Bratsche. Allerdings nichts dergleichen geschah.
„Er war im Knast“, hörte er sie, eher zu sich selbst sprechen als zu ihm.
An alles hätte er gedacht, aber nicht, dass ihr Vater einmal einsaß. Die Geschichte, die sie ihm in einer monotonen Stimmlage vortrug, als wolle sie Karl-Heinz Köpcke als erste Tagesschausprecherin beerben, berührte ihn. Allerdings passte sie partout nicht zu der streng katholischen, aus Italien stammende Familie, die er kannte. Dachte er zuvor immer, Allegra wäre das schwarze Schaf, entpuppte diese sich eher als Lamm. Weshalb ihr Vater damals gesiebte Luft geatmet hatte, erfuhr er nicht. Ob sie es ihm gegenüber verheimlichte oder selbst nicht erfahren hatte, vermochte er nicht einzuschätzen. Jedenfalls übernahm sein jüngerer Bruder Lorenzo die Rolle des Ehemanns. Niemanden schien es gestört zu haben, weder Freunde, Verwandte noch Eltern, wie es Rosannas Mutter e ihr gesagt hätte.
Herbert musterte sie, sah, wie sie förmlich zerbrach, ihr Gesicht kreidebleich, ihre Augen feucht waren, diese kurz davorstanden, die Tränen nicht mehr halten zu können. „Wo warst du nach dem Kino?“, hörte er ihre zarte Stimme, die ihre Monotonie abgelegt hatte und mit einem Vibrato erklang, welches das Ende ihrer Disziplin ankündigte.
„Bei meinen Großeltern.“
„Rede nicht, ich habe bei ihnen angerufen. Ich habe gleich die nächste Straßenbahn bis zum Heidberg genommen und bin dann mit Mamas Borgward Isabella heim.“
Sollte, konnte er es ihr erzählen? War sie in der Lage, es dermaßen aufzufassen, wie er es sah? Er dachte an Allegra, erblickte erneut die Ameisen, die Teile von ihr aus ihrem Nasenloch beförderten. „Ich war noch mit dem Fahrrad unterwegs … brauchte frische Luft.“
„Ich hätte dich gebraucht.“
Er kratzte sich am Nacken, versuchte sie auf eine andere Fährte zu bringen. „Ich weiß nicht, ob ich“, er druckste, „du, deine Mutter, dein Onkel und ich dazwischen.“
„Meine Mutter war bei der Nachbarin, vor Mitternacht kommt sie nie zurück und Lorenzo war unterwegs, er wollte sich mit Allegra treffen.“
Als hätte er sich verhört, stammelte er: „Mit Allegra treffen“, fasste sich sofort und schob zügig „Was wollte er von ihr?“ hinterher.
„Ihr einen Brief von meinem Vater geben, aber sie war nicht dort, jetzt“, sie schluckte, gluckste, als wollte sie ihre Gefühle zügeln, „weiß ich …“
Sie umschlang seinen Hals, presste ihr Gesicht an seine Schulter und tränkte sein T-Shirt mit ihren Tränen.



4

Herbert starrte aus dem Fenster des City-Imbisses und beobachtete die Kirchgänger, die von der Petruskirche kommend zuerst an der Kreuzung warteten, sich umsahen, sodann die Bahnhofstraße entlanggingen. Einige flanierten auf der Seite des Landratsamtes, andere direkt am Schaufenster des Imbisses vorbei. Er stach in die Frittenstüte, holte eine Fritte heraus und steckte sie in den Mund. Auf Ketchup und Mayo hatte er verzichtet, denn Allegra ging ihm nicht aus dem Kopf. Ihr Anblick, die Ameisen, die ihr Gehirn verspeisten, hatten sich in ihm eingegraben.
„Nich doch lieber Schaschlik?“
Er ignorierte Onkel Richard, beobachtete, wie die Soße über dessen Kinn rann, und wandte sich angewidert ab. Dafür beäugte er Trude, die Eigentümerin dieses Gourmettempels. Sie stand wie eh und je hinter dem Tresen und blies, während die Fluppe in ihrem Mundwinkel hing, deren Rauch in den Gastraum. Ihr Körperumfang sowie die Schürze, auf dem jeder den ganzen Speiseplan erkannte, verriet jedem, dass sie mit ganzem Leibe Köchin war. Sie war ein Original dieser piefigen Provinzmetropole. Eine Stadt, deren einziges Warenhaus Monopol hieß, die Eingeborenen sie Lessingstadt nannten und dessen Ruhm sich durch einen Kräuterlikör wurzelte, sagte alles.
Herbert glotzte erneut aus dem Fenster, erblickte seine Tante, Onkel Richards Ex-Frau, wenngleich sie bislang nicht geschieden waren, mit deren Neuen, wie beide von der Kirche kamen, anschließend die Kreuzung überquerten. Schleunigst versuchte er, Onkel Richard in ein Gespräch zu verwickeln, damit dieser beide nicht wahrnahm. Er sagte zwar immerfort, es mache ihm nichts aus, das Leben ginge weiter, allerdings nahm Herbert ihm das nicht ab. „Onkel Richard, dieser Hinnerk, wer ist er genau? Ein Kollege?“
Onkel Richard schluckte, wischte sich die Soße vom Mund ab. „Mein Ex-Chef und Partner.“ Er schwang den Kopf. „Zuerst waren wir Partner. Was für Fälle haben wir gelöst? Habe ich dir bereits von Panzerschrank-Kalle erzählt?“
Hundertmal, dachte Herbert, schielte zur anderen Straßenseite, auf dessen Bürgersteig die Tante mit dem Neuen stehenblieb. „Nee!“
Gemächlich holte Onkel Richard Luft und Herbert tat, als hörte er zu, linste weiter aus dem Fenster. Einen Wimpernschlag später erkannte er den Grund des Stopps: Petra. Seine Cousine, engumschlungen von ihrem Freund, trat auf die beiden zu, während ihm das Herz krampfte und seine Hände sich ballten. Ja, er konnte Onkel Richard verstehen. Petra war ein Hingucker, eine Traumfrau, glich Jane Birkin, deren Stimme immerdar durch sein Zimmer flatterte, wenn er betrübt war. Dann schmachtete er, vernahm ihr gehauchtes ‚Je t’aime‘. Dann in der Nacht nach der Geburtstagsfeier seiner Großmutter passierte es. Er lag bereits in seinem Zelt, da kam sie zu ihm und er wurde zum Mann.

Der Schlag einer Hand holte Herbert aus den trüben Gedanken. Er schaute in die Richtung, von der dieser kam und starrte den Onkeln an. Die Rechte an die Tischplatte gepresst, ergriff er sein Bierglas und gönnte sich einen kräftigen Schluck. „So war dat mit Panzerschrank Kalle.“
„Dein Boss ist jetzt in einer anderen Dienststelle?“
„Wer?“
„Na, der Hinnerk.“
Onkel Richard setzte das Glas ab. „Nee, pensioniert. Genauer Frühpensionierung!“ Onkel Richard zog eine Schnute. „Genaues weiß keiner, aber der Flurfunk munkelte, er genoss zum Schluss die Freuden der ander’n Seite, war nicht mehr tragbar. Für mich war er immer ein juter, ein ehrlicher und aufrichtiger Polizist, der sich als Vorgesetzter stets vor seine Leute stellte und nie nach oben buckelte. Weißt“, er wies hinauf, „dat können die da oben gar nicht verknusen.“
Herbert runzelte die Stirn.
„Gut, er hatte mal wat angedeutet, jemand erpresse ihn, aber bitte, so einer war er nich. Wat glööbst , wie oft ich bereits …?“ Er verdrehte die Augen. „Jedenfalls hat er das Richtige gemacht: Raus aus dem Dunstkreis, die Brücken abgerissen und zurück in die Heimat. Wenn die Weiber nich wären …“
Wie so oft verstand Herbert nichts. Warum faselten die Alten immer? „Wie?“
„Seine Alte musste unbedingt eine Stelle in Broonschwaaich annehmen. Dat zeigt mal wieder, wie jutmütig er ist. Also ich“, er klopfte herausfordernd gegen seine Brust, „hätt’s ihr verboten. Wenn ich mir vorstell, dein Tant hät mich gefragt, ob sie arbeiten könne … wie sieht dat den us? Als wäre ich nich mannsgenug, mein Familie zu ernähren. Eine Frau gehört ins Haus.“
Herbert konnte sich ein Schmunzeln verkneifen, schluckte und leitete das Thema zurück. „Hinnerk wohnt jetzt in Hötzum?“
„Wer sagt dat? Bienrode.“
„Bienrode?“
„Direkt anne Flugplatz von Broonschwaaich.“
„Ich weiß, wo Bienrode ist.“
„Warum fregst du danne?“
„Ich war bloß verwundert, da Hötzum nicht in der Nähe liegt, eher auf der anderen Seite von Braunschweig.“
Onkel Richard ergriff erneut sein Glas, leerte es und murmelte ein „Benno“ hinein.
„Benno?“
„Sein Köter! Hät der nich Schiitern müssen, wäre er nich inne Wald und hät nich die Leiche entdeckt. Wer weiß, wie lang sie gelegen hät, da unter den Tannen.“
„Fichten und Kiefern“, warf Herbert neunmalklug ein. „Sie lag nahe einer Fichtenschonung und dort, wo sie lag, waren es Kiefern. Also“, er spreizte Daumen und Zeigefinger ab, „Kiefern haben …“
„Halts Maul!“
„Was hat eigentlich ihre Mutter erzählt?“
„Mutter?“ Onkel Richard schnappte sich das Glas, hob es an und rief: „Trude!“
„Von der Toten?“
„Hast wat mit der Schwester?“
„Wie kommst du darauf?“ Herbert spürte, wie er rot anlief.
„Bist gleich auf ihr Zimmer.“
Trude stellte eine Bierflasche auf den Tisch ab, warf einen Flaschenöffner daneben und zeterte: „Fass ist leer!“
Woraufhin Onkel Richard die Flasche öffnete und sogleich ansetzte. „Hast gewusst, dass die Tote nich die Schwester von dein Freundin ist?“
„Schulfreundin! Nee.“ Er legte ein überraschtes Gesicht auf.
„Der Santis hat sie mit inne Ehe gebracht. Wenn du mich fregst, die verstanden sich nich.“
„Wer?“
„Gott, Herbert, bist doch sonst so gewieft. Die Santis und die Tote. Wenn ich mir vorstelle, ich würde dat Balg einer Anderen, einer Rabenmutter, großziehen?“
„Du meinst“, Herbert strich über seine Kehle, „Frau Santis hat Allegra kaltgemacht?“
„Quatsch. Aber dat Leben zur Hölle. Mal sehen, wat der Vater sagt. Aber der ist grad dienstlich wech.“
„Aha!“ Kurzzeitig überlegte er, ob er Onkel Richard das erzählen sollte, was er von Rosanna gehört hatte. Aber er konnte es sich nicht vorstellen, dass Rosannas Onkel Lorenzo etwas mit Allegras Tod zu schaffen hatte. Er verdächtigte Hinnerk.



5

Herbert saß oben im Büssing-Anderthalbdecker, fuhr von Wolfenbüttel nach Braunschweig und versuchte zu verhindern, dass die Augenlider herabsanken. Es wurzelte in seinen jugendlichen Leichtsinn, dass er, wenn es hochkam, eine Stunde geschlafen hatte. Wie dämlich konnte man sein? Okay, ein Waldspaziergang half in vielen Fällen, allerdings mit geschulterter Schrotflinte mehr als grenzwertig. Zumal zuvor eine so genannte nahestehende Person tot im Wald gesehen hatte, an der bereits die Ameisen frassen.
***
„Herbert, kommst mit?“ Der Großvater zog sich seinen Janker an, setzte den Jagdhut auf. „Ich will mit dem Herman ins Revier auf Schwarzwild.“
***
Er wäre für ihn ein Leichtes gewesen „Nö“ zu antworten, aber es blubberte ihm ein „Jo“ über die Lippen. Dabei konnte er Onkel Hermann, wie er ihn ansprach, nicht verknusen. Alle anderen nannten ihn hinterm Rücken Gestapo-Hermann. Die Abneigung ihm gegenüber lag nicht in seiner Art gegründet, eher im Gegenteil. Er besaß Humor. Seine Vita war es. Gestapo-Hermann war wie der Großvater pensionierter Bulle. Fraglos ein angesehener Beruf. Er ging diesem bereits vor neununddreißig beim Adolf nach, was für sich nicht gegen ihn sprach. Jedoch sorgte er sich dazumal nicht wie Opa darum, ob der Straßenverkehr reibungslos floss, sondern gehörte der Gestapo an. Anstatt sich zu verstecken, seine Anschauung zu verbergen, hielt er nicht damit hinter dem Berg zurück, prahlte gern mit seinen Taten. Seinen Engsten verkündete er gern, wie ihm es gelang, den Besatzern ein Schnippchen zu schlagen. Eigentlich war es eher Glück. Der Richter, der 1949 über seine Reputation entschied, war gleichfalls ein reingewaschener Nazi. Ein Scherge, mit dem Hermann Volksverrätern ihrer gerechten Strafe zugeführt hatte, wie er sich mit stolzem Unterton brüstete. Auf gut Deutsch: Er führte die Liste an, die Herbert zusammen mit seiner Clique aufgestellt hatte. Er gehörte zu dem Kreis, den die Clique, wenn sie an entscheidender Stelle stehen würden, zur Strecke bringen wollten. Dabei waren sie sich darüber bewusst, dass jede ihrer Familien braune Flecken besaß. Gab es damals überhaupt rechtschaffene Bürger? Bei dem Gedanken dachte er an Hermans ältesten: ehemaliger, hochrangiger Angestellter der Braunschweiger Landessparkasse, der nach deren Fusion zur Norddeutschen Landesbank als Frühpensionär für die Sozialdemokraten im Braunschweiger Stadtrat saß. Nein, dieser Hermann war wahrlich kein Mensch, mit dem Herbert länger als nötig Zeit verbrachte. Hermann residierte in Wittmar am Fuße der Asse, ein für alpenerprobte mickriger, gerade einmal 230 Meter über Normalnull aufragender Höhenzug im Landkreis Wolfenbüttel. Allerdings ruhte dieser für Herbert auf dem gleichen Rang wie der Brocken oder dem Schauinsland. Jedenfalls zu einer Zeit, als er noch Ritter und Burgfräulein spielte. In Meine, nördlich von Braunschweig, dem Dorf, in dem er bis vor einem Jahr gelebte hatte, ehe er vor seinem Vater geflüchtet war, war der höchste Gebirgszug der Misthaufen von Bauer Brink. Ach, wie schön war die Zeit mit Petra. Beide als Ritter verkleidet, kämpften sie um das Fräulein von der Asse: eine von ihnen hergerichtete Schaufensterpuppe, die auf der letzten Mauer der Ruine der Asseburg auf den Sieger wartete.

Bereits auf dem Parkplatz der Waldschänke spukten ihm die Geister durchs Gehirn. Unter jedem Baum lagen Leichen, teilweise ganz, teilweise verstümmelt, an denen sich entweder Wildschweine oder Ameisen labten. Es stank nach Verwesung und Blut. Das einzige, was er hörte, war das Krächzen der Krähen, die darauf warteten, sich am Mahl zu beteiligen.
Wieder bei den Großeltern, rührte er das Abendbrot nicht an, ging dafür auf die Toilette und kotzte.
Im Bett wälzte er sich, rang mit dem Kissen, um die Gedanken zu verdrängen. Es gelang ihm nicht. Daher stand er auf, kramte seinen Skizzenblock hervor und schlug die vorletzte Zeichnung auf, die er von Allegra hatte. Auf der letzten war sie tot und diese hatte ihm Onkel Richard abgeluchst.

***
Bar jeglicher Kleidung rekelte sich Allegra auf der Ottomane in Huths Atelier.
„Kleiner, was hältst du davon, wenn ich beim nächsten Mal zwei Freunde mitbringe. Dann kannst du uns malen, während sie mich vögeln.“
Herbert schluckte. Seine Finger begannen zu zittern, sodass der Strich ihm misslang.
Sie winkte ihn heran. „Komm zu mir!“
Er klemmte den Bleistift hinter das rechte Ohr und ging auf sie zu.
Als er neben ihr stand, ihr Parfüm roch, griff sie an seinen Gürtel. „Ziehe dich aus!“
Mehr als Gestammel brachte er nicht hervor.
„Hör mal, ich bin nackt, dann gilt das auch für dich. Zieh dich aus!“
Unwillig folgte er ihrem Befehl, versuchte es hinauszuzögern.
„Beeile dich!“ Sie zerrte an seiner Hose, kicherte. „Wusste ich es doch, du hast einen Ständer. Zeig mir, was er kann!“
Allegra war die schönste Frau, die er kannte: pralle Brüste, geschwungene, weibliche Form und ein liebreizendes Gesicht zum Dahinschmelzen. Aber ihre vulgäre Art verabscheute er.
„Stelle dich nicht so an. Mit meiner Schwester schläfst du auch.“
Er erschrak.
Sie tippte an ihre Nase. „Das rieche ich. Runter mit den Klamotten.“
Als er nackt vor ihr stand, rutschte sie von der Ottomane, kniete sich vor ihm hin. „Aber“, sie umfasste sein Glied, „hat sie dir schon einmal einen …“

Herbert spürte ihre Lippen, ihre Zunge und schloss die Augen.
***
Ehe der Bus die Haltestelle Münzstraße erreichte, stand Herbert auf, nahm die gewendelte Treppe vom Oberdeck mit drei Sprüngen und wartete an der Hecktür, bis der Bus hielt. Er stoppte zielgenau am Klamottenladen seiner Albträume aus Kindheitstagen. Dem Laden, in dem die Stiefmutter ihm und seiner Schwester Palomino-Mode aufzwang, egal ob diese passgenau oder gar der Hersteller dem jeweiligen Geschlecht zugeordnet hatte: Hauptsache billig. Herbert gab ihr nicht die Schuld, sein Vater hielt sie an der kurzen Leine. Erst als er täglich nach Braunschweig fuhr, um das Gymnasium zu besuchen, schaffte er es, sie davon zu überzeugen, dass rosa Shirts mit Pferdemotiv das Ansehen eines Jungen nicht hoben. Ein dunkelblaues T-Shirt mit Motorradmotiv angesagter sei. Egal, ob es zwei Mark teurer war. Seine Schwester es fand schrecklich, plärrte und schrie, sie würde es nie anziehen. Sie hatte die gleiche Statur, Körperlänge wie er, obwohl sie anderthalb Jahre nach ihm auf die Welt kam. Der Kompromiss lag mehr auf ihrer Seite, zumindest war es weder rosa noch besaß es ein Pferdemotiv. Außer dem auf dem Pflegeetikett, jedoch war dies dummerweise das Markenemblem.
Er hatte mit der Stiefmutter abgeschlossen. Nicht, weil sie behauptete, sein Vater hätte sie jahrelang misshandelt – dieses traute er ihm zu, ging sogar davon aus –, sondern aufgrund der Tatsache, da sie seine Schwester überredet hatte, mit ihr zu gehen. Damit nahm sie seine Schwester in Haft. Nein, sie war genauso ein Monster, kein Deut besser.

Herbert erreichte das 1. Polizeirevier und drückte die Eingangstür auf. Er war fest entschlossen, seine Ansicht, dass Momsen der Täter wäre, Onkel Richard auf die Nase zu drücken. Beweise besaß er zwar keine, aber sein Bauch sagte ihm das.
„Fräulein, wohin wollen Sie?“
Er sah nach rechts, von wo die Stimme gekommen war, schaute den Uniformierten an, der hinter einem Fenster saß und ignorierte dessen falsche Ansprache. „Zu …“
„Ist schon jut, Petersen, der gehört zu mich.“
Im selben Augenblick spürte er einen Schlag im Nacken.
„Herbert, wie immer zu spät. Komm gleich mit. Ich will zur Rechtsmedizin.“


6

Die Rechtsmedizin war weitaus weniger gruselig, als es sich Herbert vorgestellt hatte. Die eingelegten, in Gläsern verstauten Gedärme und Körperteile ließen ihm zwar ein gewisses Unwohlsein aufkommen, jedoch kannte er derart Präparate aus der Schule. Allerdings schwammen dort keine Menschenteile im Alkohol, sondern meist Reptilien. Wäre er nicht mit dem Onkel dort gewesen, hätte er es sich sogar vorstellen können, den Skizzenblock zu zücken, um sich anatomischen Studien hinzugeben. Was ihm mehr Schauer über den Rücken rinnen ließ, war der Ort: der Keller. Keller hauchten ihm ein Frösteln, ein Unbehagen ein. Erst recht an allen Seiten sowie auf dem Boden geflieste Flure: kalt, tot, klinisch eben. Es roch wie im Schwimmbad nach Chlorreiniger.

Sie betraten einen ebenfalls gefliesten Raum. Fahles Sonnenlicht drang durch zwei vergitterte Kellerfenster. Es beschien einen mit einem Tuch abgedeckten, hüfthohen Tisch.
„Frederick?“ Onkel Richards Stimme hallte wider.
Das letzte Echo war nicht einmal verklungen, da öffnete sich neben ihnen eine Tür. Im nächsten Augenblick fingen zwei Neonröhren, die an der Decke hingen, an zu flackern. Sie hüllten, nachdem das Flackern geendet hatte, den Raum in ihr grelles Licht. Ein glatzköpfiger, untersetzter Mann, der einen wadenlangen Kittel anhatte, kam hinter dem Türflügel hervor. Er marschierte auf Onkel Richard zu, begrüßte ihn mit Handschlag.
„Frederick, stör’n wir dir beim Frühstück?“, fragte Onkel Richard ihn.
Der Mann trat zurück, stellte einen Becher auf den Tisch ab und nuschelte: „Mö.“
„Noch ein Kater?“
„Ich habe keine Haustiere.“
„Frederick, witzig. Von der Feier.“
„Was sollte ich feiern?“
Onkel Richard ballte eine Faust und spannte den Bizeps, als wolle er dem anderen diese ins Gesicht treiben und schrie: „Weltmeister!“
Da der Mann im Kittel nicht reagierte, plusterte sich Onkel Richard auf und gestikulierte wild um sich herum. „Fußballweltmeister. Als Müller in’er 43. das Zweite reinkloppte, war mir klar: so sehen Sieger aus. Und was sag ich dir, in’er 59. hätten wir das drei zu eins gehabt, aber dieser Schiri, total parteiisch, der stand natürlich aufseiten der Käsköppe. Klar, die Engländer sind immer auf deren Seite.“
„Aha“, entfleuchte es Onkel Richards Gesprächspartner.
„Mann, das ist …“ Onkel Richard winkte ab. „Der einzige Sport, den kennst, ist Tennis. Du Snob.“
„Nein.“
„Was treibst den sonst?“
„Cricket.“
„Äh!“
„In Wolfenbüttel. Oben bei den Engländern. Ein Clubkamerad, Militärarzt bei den Engländern, aus dem Lions Club hat mich eingeladen. Eigentlich nehmen sie keine Deutschen auf. Wir dürfen nicht einmal auf das Gelände, aber mich …“
„Cricket!“
„Genau der richtige Sport: An der frischen Luft, ausreichend Bewegung, edler Wein oder ein Pint und gutes Essen, soweit man die englische Küche …“
Herbert gefiel dieser Typ. Vielleicht sollte er auch zu den Engländern gehen, immerhin wohnte er zurzeit bloß fünf Fahrradminuten von ihnen. Eventuell nahmen sie Nachbarn in ihren Club auf. Englisch war zwar bloß seine zweite Fremdsprache, aber eine leichte Verbesserung in der Aussprache konnte nie schaden. Wie sagte man? Wenn man Freude hat, lerne es sich leichter. Er war gern an der frischen Luft, und wer mochte nicht exzellentes Essen und Trinken.
Er musterte Onkel Richard, sah, wie dieser die Augen verdrehte, ihm sodann auf die Schulter klopfte. „Herbert“, Onkel Richard zeigte auf den Kauenden, „darf ich dir vorstell’n: Professor Doktor Frederick Vöhringer. Frederick, der Abgedrückte ist mein Neffe Herbert.“
Vöhringer zuckte mit den Schultern, presste ein gleichgültiges „Aha“ hervor, drehte Herbert den Rücken zu und zog das Laken von dem Tisch.
Er konnte gar nicht so schnell denken, wie ihm er Mageninhalt in die Speiseröhre schoss. Das Einzige, was er in diesem Augenblick anvisierte, war ein Waschbecken auf der anderen Seite des Raumes. Den Mund verdeckt, lief er hinüber und kotzte sofort hinein. Als der zweite Schwall, der nächste Teil des Frühstücks herauskam, hörte er den Professor „Ich habe es nicht geschafft sie zuzunähen“ mit einem gewissen hämischen Unterton sprechen.
Er wischte sich den Mund ab, kehrte dem Waschbecken den Rücken zu und beobachtete, wie der Onkel Allegra bis zur Brust zudeckte. „Und?“
Herbert schlich sich an, betrachtete den Professor.
„Richard, und was?“
„Todesursach?“
Vöhringer nahm den Becher, trank. „Ertrunken ist sie nicht.“ Er pausierte, als erwartete er Applaus. „Mit der Kopfverletzung hätte sie hundert werden können, die Strangulation, ich tippe auf einen Lederriemen“, er strich über Allegras Hals, „sicher mehr als unangenehm und“, er erfasste das Tuch am Fußende, zog es so weit hinauf, bis Herbert ihr Geschlechtsteil sah, „die Penetration mit einem Stock, sehe dir die Splitter an, hätte sie sicher die nächsten Wochen davon abgehalten, den Beischlaf auszuführen. Welchen Beruf hatte sie?“
„Grundschullehrerin“, murmelte Onkel Richard.
Sein Gegenüber griff sich ans Kinn. „Sie hatte mehrfach Geschlechtsverkehr und 1,2 Promille Alkohol im Blut.“
„Frederick, Todesursach?“, hakte Onkel Richard nach.
„Ohne mich zu weit hinauszulehnen, würde ich Herzversagen sagen. Aber warten wir die Laborberichte ab.“
„Kein Mord?“
„Willst du einen? Sie hatte einen angeborenen Herzfehler. Lange hätte sie es bei ihrem Lebenswandel ohnehin nicht mehr gehabt. Was nun Huhn und Ei war, ist deine Aufgabe.“

Sie verließen den Raum. Während Herbert wieder an den Präparaten vorbeikam, verknüpfte er das Erfahrende mit seiner Annahme, baute daraus Indizien. An dem Sprichwort, dass der Täter wieder zum Tatort käme, war sicher etwas dran. Jemand hatte Allegra mit einem Lederriemen stranguliert, sie mit einem Stock penetriert. Hinnerk besaß als Hundebesitzer eine Hundeleine sowie einen Gehstock. Daher sprachen drei Indizien für ihn als Täter. Blieb für Herbert bloß das Motiv. Er pulte an der Nase, popelte. Onkel Richard hatte ihm im City-Imbiss anvertraut, es hätte damals Gerüchte gegeben, dass Hinnerk die Freuden der anderen Seite genossen hätte, ihn daher jemand erpresst. Von Rosanna hatte er gehört, ihr Vater wäre ein Knacki gewesen. Gab es Zusammenhänge? Was hatte Allegra damit zu schaffen? Den einzigen Zusammenhang, den er fand, war: Rosannas Onkel Lorenzo wollte sich am Samstag, dem Tag ihres Todes, mit Allegra treffen. Lauerte Hinnerk Lorenzo auf, oder hatte Allegra etwas mitbekommen? Musste sie zum Schweigen gebracht werden? Hatte Hinnerk sie stranguliert, dann penetriert, um es wie ein Sexualdelikt erscheinen zu lassen?

Herbert folgte Onkel Richard. Er verließ den Keller, verließ das Klinikum Celler-Straße. Er dackelte ihm hinterher, bis dieser an der nächsten Bushaltestelle stehenblieb. „Fahren wir zurück?“
„Nee!“ Onkel Richard rückte die Schiebermütze zurecht, strich über den Schnauzer, während er über den Fahrplan fuhr. „Melverode.“
„Melverode?“, wiederholte Herbert mechanisch.
„Grundschul.“
Das Wort reichte aus, um ihm zu zeigen, dass er aufmerksamer werden musste. Onkel Richard hatte dem Professor gesagt, Allegra wäre Grundschullehrerin gewesen. Anstatt ihn zu fragen, woher er es wusste, hatte er geschwiegen, es beinahe vergessen. Er versuchte, den Fehler auszumerzen. „Woher weißt du, dass sie Grundschullehrerin ist … war?“
Er hörte ein Kichern. „Kommissar Zufall, Herbert, Kommissar Zufall. Allegra war die Klassenlehrerin des Sohnes eines Kollegen. Er hat sie heute früh auf dein Zeichnung erkannt. Gewiss, ich bin wahrlich nicht so zeitig auf der Arbeit wie Frederick, aber weit eher als mein Praktikant.“ Er wuschelte durch Herberts Haar. „Mein Partner.“
Herbert ging das Lob hinunter wie Öl, obgleich er nichts von der Polizei wissen wollte. War es an der Zeit den Onkel einzuweihen?



7

„Kriminalhauptkommissar Tamban“, Onkel Richard lüpfte die Schiebermütze, „könnte ich den Herrn Rektor sprechen?“
Herbert beobachtete eine Frau, die ihnen den Rücken zugewandt, einen Gummibaum putzte. Der Frühlingswind, der durch das gekippte Fenster blies, ließ sacht die Gardine, einzelne Blätter der Pflanze, sowie die weißblonden Strähnen, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatten, flattern. Sie musste es gewesen sein, die zuvor „Bitte“ gerufen hatte, denn außer ihr war niemand da. Neben ihr stand ein mickriger Schreibtisch, auf dem eine Schreibmaschine sowie ein schlichtes graues Telefon ruhte.
Sie strich über den mausgrauen Kostümrock und schniefte. „Der Herr Rektor Schubert ist nicht zugegen.“
„Wann erwarten sie ihn, Frau …?“, hörte er Onkel Richard fragen.
„Fräulein Schmitt mit ‚tt‘.“
Herbert schaute Onkel Richard an, sah, wie er sich ein Schmunzeln verkniff. „Fräulein Schmitt, wann erwarten Sie den Herrn Rektor?“
Nach einem nochmaligen Schniefen wandte sie sich um, tupfte mit dem Tuch, mit dem sie zuvor die Blätter geputzt hatte, über ihre Wangen.
Natürlich kannte Herbert den Begriff ‚Fräulein‘. Allerdings verband er damit nicht eine Frau, die nicht bloß allein durch ihren Dutt und der Lesebrille, die um ihren Hals hing, sondern ihrer Aussprache wegen weitab eines jungfräulichen Alters war. Sie schniefte abermals, tupfte erneut Tränen von ihren Wangen. Schnäuzte sich sodann.
Mit einem leichten Zittern in der Stimme antwortete sie: „Der Herr Rektor ist für längere Zeit verkannt. Gestern hat ihn der Schlag getroffen.“
„Oh, wie bedauerlich“, bemerkte Onkel Richard.
„Dabei habe ich dem Herrn Rektor“, begann Fräulein Schmitt, „immerfort gesagt, er solle nicht so viel Trimmtrab betreiben, erst recht nicht im Lagholz. Allein die ganzen Wilden und Asozialen, die sich dort herumtreiben! Erst vor einem Monat überfiel einer von diesen Elementen Frau Brink und stahl ihr die Handtasche. Und vor zwei Jahren das Mädchen, O-Gott-o-Gott, wenn ich nur daran denke. Dann überfiel einer von diesem Gesindel gestern eine junge Frau, man sagt, er hätte ihr das Schlimmste angetan. Ich fühle mit ihr, aber hätte der Verbrecher sie dort nicht abgelegt, wer weiß, ob der Herr Rektor überhaupt noch unter uns wäre.“ Abermals schniefte sie, tupfte sich die Tränen. Sie hielt inne und schaute in Onkel Richards Richtung. Als käme unerwartet der Heilige Geist in sie, verdeckte sie den Mund und nuschelte: „Sagen Sie bloß nicht, das Fräulein Allegra. Ich machte mir bereits heutfrüh Sorgen. Noch nie kam sie zu spät zum Unterricht, nie einmal krank im letzten Jahr. Sagen Sie es, es ist nicht wahr.“
Mitfühlend schloss Onkel Richard die Augen und nickte.
„Ich muss mich setzen.“
Das tat sie unverzüglich. Dabei fächelte sie sich Luft zu.
„Frau Schmitt, ist vielleicht der Stellvertreter des Rektors, der Konrektor zugegen?“
„Herr Graber ist im Schulferienlager.“
Herbert schaut Onkel Richard an, der die Schiebermütze abnahm, sie unter die linke Achsel klemmte. „Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen? Welch ist Ihre Stellung?“
„Schulsekretärin, Vertretungslehrerin und Lehrerin für katholische Religion.“ Sie griff sich ans linke Handgelenk, drehte die Armbanduhr. „Aber kurz. Ich muss in den Raum der 2b, da kommen gleich die Handwerker.“ Ohne aufzuschauen, stand sie auf. „Wir sollten ins Büro des Rektors gehen.“ Sie ging zu einer zweiten Tür. „Gehen Sie bitte vor. Ich“, sie strich über ihr stark gepudertes Gesicht, „mache mich derweil frisch.“

Onkel Richard schritt voran, trat in den Raum, marschierte zuerst zum Fenster und schob die Gardine ab. Dann setzte er den Rundgang fort. Er umkreiste einmal den Mahagonischreibtisch, auf dem ein Füllfederhalter, eine Ledermappe und soweit es Herbert einschätzte, zwei Bilderrahmen ruhten. Den Gang beendete er an der dem Fenster gegenüberliegenden Seite, an der ein Ölgemälde hing. Schrecklicher Schinken, dachte Herbert: dichter Forst, mit Jäger und Hund.
„Bitte!“ Die Schulsekretärin wies auf eine Sitzkombination aus einem Tisch und drei Stühlen.
Herbert wartete, bis zuerst die Dame, dann Onkel Richard gesetzt hatte. Er nahm platz.
„Ach, die armen jungen Dinger“, begann Fräulein Schmitt, nachdem sie einen tiefen Seufzer gelassen hatte. „Eigentlich sind sie selbst schuld, wie sie immer herumlaufen.“
„Wie meinen Sie das?“
„Herr Kommissar …“
„Kriminalhauptkommissar Tamban.“
„In diesen kurzen Hosen und Röcken. Da wird doch jeder Mann närrisch. Obwohl“, sie schwang den Kopf, „bei dem Fräulein Allegra.“
„Bitte?“
„Ich kannte sie kaum, also privat. Hier in der Schule war sie immer akkurat gekleidet: Rock maximal eine Handbreit über dem Knie und Hosen … ich bitte Sie, Frauen und Hosen unschicklich wie die Dittrich.“ Sie tippte auf den Tisch. „Bei uns hier herrscht noch Anstand und Sitte. Wenn ich eins unserer Mädchen hier so sehen würde, würde ich es sofort heimschicken. Zum Glück wissen ihre Eltern, was sich gehört. Ich frage mich bloß immer, weshalb die jungen Dinger überhaupt Lehrerin werden wollen. Das ganze Studium ist doch meist für die Katz. Lehrerin ist kein Beruf, sondern Berufung. Das beißt sich mit Hausfrau und Mutter. Welch ein Mann sieht es gern, wenn die Frau …? Nein, Hauswirtschaft sollten sie lernen, damit sie recht kochen und nähen können, um ihren Gatten zu beglücken.“
Herbert dachte, ob die Schachtel den Beruf der Lehrerin nicht mit dem der Nonne verwechselte.
„Hatte das Fräulein Allegra denn private Kontakte zu Kollegen?“, wollte Onkel Richard wissen.
„Ich bitte Sie“, harschte sie ihn an, als klaute er ihre Jungfräulichkeit.
„Kolleginnen!“
„Da müssen Sie diese fragen, immerhin war das Fräulein Allegra Referendarin. Mit dem Fräulein Charlotte habe ich sie das eine oder andere Mal plauschen gesehen.“
„Fräulein Schmitt, ich beabsichtige, Sie nicht länger von Ihren Pflichten abzuhalten. Könnten Sie mir bitte die Wohnanschrift des Fräulein Allegra mitteilen sowie mir sagen, wo ich das Fräulein Charlotte finde.“
„Im Falkenheim auf der Asse. Schulferienlager.“
„Danke. Bestellen Sie bitte dem Herrn Rektor beste Genesung und seiner Frau Grüße.“
„Der Herr Rektor ist Witwer.“

Herbert atmete tief durch, als er wieder den Fußweg betrat. Er sah Onkel Richard an, der sich gemächlich die Schiebermütze auf den Kopf setzte. „Warum hast du diese Schabracke nicht festgenommen, die lügt doch?“
Er strich über seinen Schnauzer. „Junge, man merkt, welches Erbe in dich ruht. Aber das ist kein Grund, sie festzunehmen. Ist es ein Verbrechen, ein Verhältnis mit seinem Vorgesetzten einzugehen? Außerdem darf ich dat nich ohne Grund. Du siehst zu viel fern. Ich könnt sie mitnehm, um sie erkennungsdienstlich aufzunehmen: Fingerabdrück, Fotos und so. Aber wat soll dat bring, außer sie zu schocken?“
Herbert war es klar, worauf er hinauswollte. Der Kommissar aus dem Fernsehen hatte nicht viel mit der Wirklichkeit zu schaffen. Dennoch wollte er nicht als dumm dastehen und versuchte eine zielführende Frage zu stellen. „Logisch, aber wie kommst du darauf, dass es kein Verbrechen ist, ein Verhältnis mit dem Chef zu haben?“ Kaum hatte er die Frage formuliert, war diese ihm peinlich. Er war erwachsen und kein Kind mehr.
„Diese Schabracke, wie sie nennst, wenngleich ich sie auf maximal Anfang vierzig schätz, hat wat mit dem Schubert. Vielleicht war er froh, dat sein Alte über’n Deister ist. Wovon ich jedoch nich ausgeh. Er ist vielleicht von sein Frau getrennt, möglicherweise schieden, aber niemals Witwer. Auf’m Schreibtisch standen zwei Fotos, ein Schwarz-Weiß-Foto, auf dem ein junger Mann mit zwei Kindern, Mädchen und Jung, abgelichtet war. Auf dem andern, ein Farbfoto, sah ich ein jung Mann sowie eine Frau. Was folgern wir drus? Denk nach!“
Herbert zupfte an der Nase. „Einmal die Familie Schubert früher. Einmal seine Kinder heute.“
„Wer fehlt?“
„Die Mutter der Kinder.“
„Wat ich aber interessanter fand, war dat Ölgemälde.“
„Schrecklich!“
„Geschmacksache. Wat hast auf diesem Bild sehen, fallst es dir anschaust hast?“
„Wald, Jäger und Hund, sage doch zum Kotzen.“
„Wer ist der Jäger?“
Herbert grübelte und bemerkte, die Frage sei rein rhetorischer Natur. „Der junge Herr Rektor.“
„Erinnerst du dich daran, wat der Frederick an Allegras Hals feststellte? Aus welchem Material sind Hundeleinen?“
„Aber, das heißt nicht, dass er heute noch zur Jagd geht, einen Hund besitzt.“
„Tut mir leid, aber dat konntest nich seh’n. Hinterm Schreibtisch war ein Hundenapf und ich glaube nicht, der Herr Schubert isst daraus sein Frühstück.“
Onkel Richards Vermutung gefiel ihm nicht, wenngleich sie in die richtige Richtung zielte. Denn er war gleichfalls davon überzeugt: Der Täter besaß einen Hund. Bloß bei ihm hieß er Hinnerk. „Was machen wir jetzt?“
„Wir schauen uns in Allegras Zimmer um.“
„Zimmer?“
„Ich geh nich davon aus, dat eine Referendarin sich ein eigen Wohnung leisten kann.“
„Welchen Bus nehmen wir?“
„Kaain. Es sind bloß ein paar Meter.“




-- Fortsetzung folgt --
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Ahorn,

wir waren ja eine ganze Weile abstinent ... Aber wenn da jetzt was Neues kommt, schaue ich natürlich rein.

und übergibt den Enkel seinem Sohn ältesten Sohn Richard.
Bereits am Sonntag, einemn Tag, ehe das Praktikum beginnt,
Was weder Herbert noch wer weiß,Doppelpunkt die weibliche Leiche ist die Schwester von Herberts Freundin Rosanna ist.
Er trat vor – Übelkeit überkam ihmn – die Insekten hatten bereits Besitz ergriffen hatten.
Mit deinen langen Loden siehst aus wie ein Hippie, kannst dir bald einen Zopf flechten.
Onkel Richard nicht aus dem Blick lassend, antwortete er:
„Jetzt übertreibst’s. Uußerdem snackt Düütsch, de Jung versteiht di doch gaar nich. He snackt keen Platt, dat lehrt de jung Lüüd vondaag nich?Anführungszeichen

Ich glaubeKomma Oberwachtmeister Müller …
Musst zum Tierarzt.

Liebe Grüße,
 

ahorn

Foren-Redakteur
Teammitglied
Moin Rainer Zufall,

wie immer viel dank an deine Korrekturen.
Mit deinen langen Loden siehst aus wie ein Hippie, kannst dir bald einen Zopf flechten.
belasse ich jedoch, verstärke es sogar. Weil doch eine Menge Männer herumreden habe ich mich entschlossen Richard Braunschweigern zu lassen, wenngleich er Brunswick-Platt beherrscht. Es ist leicht verständlich, bloß haben wir es nicht mit den Pronomen: Ob eine, einen oder einem ist doch egal, ein reicht, somit mein, dein von mik und dik. Überhaupt, wozu braucht man ein Dativ oder Genitiv? Zwei Fälle wie im Niederdüsk langt. Dennoch werde ich mich bei der Lautverschiebung zurückhalten, das versteht sonst kenner im Söden. Damit blaibt die Öft aaine Elf, die Köache maest aaine Kirche und die korz Korv aaine kurze Kurve.

Viel Spaß beim 2. Kapitel.

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

ein paar Kleinigkeiten finden sich doch immer ...;)

Wenn ich es mir recht beschau: Ihr Ausdruck, als wäre sie im Todeskampf. Woher kennst du sie nochmals?“
Außer Momsen und seinem Onkel erspähte er niemanden mehr im Wald zu sehen:
Allegra hatte ich ihn gebeten, einen weiteren Akt von ihr zu zeichnen.

Liebe Grüße,
 
Lieber Ahorn,

ich war auch eine längere Zeit abstinent ... ;-)

Ich habe einige Stellen aufgeführt, die man vereinfachen, verkürzen könnte, um es prägnanter zu machen und das Geschwollene zu killen, wenn du magst.
Beispiele: Oft gibt es ein Wort, wofür du drei benutzt.
Wie: den Saumen des Rocks: Rocksaumen; Beruf des Friseurs: Friseurberuf; einem Tag, ehe das Praktikum begann: einen Tag vor Beginn des Praktikums; nicht in der Lage sein: können

Ich persönlich finde, es macht es strikter, wenn du da ansetzt und entspr. kürzt.


kam Herbert endgültig vom Kind zum Erwachsenen.
--> wurde Herbert endgültig vom Kind zum Erwachsenen

Die Urgroßmutter aus der einen Linie präferierte für ihn den Beruf des Friseurs, wie bereits viele Generationen vor ihr diesen ausübten.
--> Die Urgroßmutter aus der einen Linie bevorzugte für ihn den Friseurberuf, wie schon viele Generationen vor ihr.

Der Großvater aus der anderen Linie sehe es gern, wenn er in den Polizeidienst ginge, wie vor ihm die seinen
--> Der Großvater aus der anderen Linie sah ihn am liebsten bei der Polizei, wie seine Vorfahren.

Dabei wollte Herbert nur das machen, was er wollte, konnte: Malen, ein Kunststudium absolvieren.
--> Dabei wollte Herbert nur das tun, was er wollte und konnte: Malen, Kunst studieren.

Die Arbeit im Frisiersalon kannte er, er half regelmäßig im Salon der Tante aus.
--> Die Arbeit im Friseursalon kannte er, er half regelmäßig im Salon seiner Tante aus.

Vor den Sommerferien setzte sich endlich der Großvater durch und übergab den Enkel seinem ältesten Sohn Richard.
--> Vor den Sommerferien setzte sich schließlich der Großvater durch und übergab den Enkel seinem ältesten Sohn Richard.

Während eines Praktikums sollte dieser Herbert die Arbeit bei der Kriminalpolizei schmackhaft machen.
--> Dieser sollte Herbert während eines Praktikums die Arbeit bei der Kriminalpolizei schmackhaft machen.

Bereits am Sonntag, einem Tag, ehe das Praktikum begann, orderte Onkel Richard Herbert zu einem Leichenfundort.
--> Bereits am Sonntag, einen Tag vor Beginn des Praktikums, beorderte Onkel Richard Herbert zu einem Leichenfundort.

Was weder Herbert noch wer wusste, die weibliche Leiche die Schwester von Herberts Freundin Rosanna war.
--> Was weder Herbert noch die anderen wussten: Bei der weiblichen Leiche handelte es sich um die Schwester von Herberts Freundin Rosanna.

Kriminalhauptkommissar Tamban strich über seine Koteletten, hockte sich nieder
--> Kriminalhauptkommissar Tamban strich sich über die Koteletten, ging in die Hocke

Hinnerk hob den Saum des Rockes an
--> Hinnerk hob den Rocksaum

Es rann ihm kalt den Rücken herunter, während er sich umsah.
--> Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er sich umsah.

Dabei entsprach er Herberts Abbild von
--> Ebenbild

Onkel Richard kleidete sich dem Beruf angemessen
--> Onkel Richard kleidete sich seinem Beruf entsprechend

sondern die Art, wie er spielte, die hochnäsige Arroganz pflegte.
--> sondern die Art und Weise, wie er spielte, die eine hochnäsige Arroganz kultivierte

Falls, dieses betont, könnte er sich eher mit Peter Sellers identifizieren.
--> Wenn überhaupt, konnte er sich eher mit Peter Sellers identifizieren.

Stets, wenn er in einem Kino gezeigt wurde, stand er an.
--> Wann immer er im Kino lief, stand er Schlange.

Leider zeigte man zu wenig brillante Filme im Kino.
--> Leider liefen viel zu wenig geniale Filme im Kino.

standen in seiner Gunst auf gleicher Höhe mit
--> standen in seiner Gunst gleichauf mit

Allerdings verbat ihm dieses seine freigeistige Gesinnung.
--> Aber sein freies Denken verbot es ihm.

und war beglück darüber, seine Hand in Gänze wieder in die Hosentasche zu stecken.
--> und war froh, als er seine Hand wieder ganz in die Tasche stecken konnte.

Bloß weil sein Onkel nicht in der Lage war, Jungen zu zeugen, und sein Alter nur einen hinbekommen hatte, musste er sich nicht opfern.
--> Nur weil sein Onkel keine Söhne zeugen konnte und sein Alter nur einen bekommen hatte, musste er sich nicht opfern.

Für ihn stand seine Reise fest.
--> Für ihn war sein Weg vorgezeichnet.

So, später vielleicht mehr. Wir wollen noch grillen bevor das Wetter umschlägt.

Liebe Grüße und einen tollen Restsonntag,
Franklyn
 

ahorn

Foren-Redakteur
Teammitglied
Moin Frankyln Francis,

schön einmal wieder etwas von dir zu lesen ;).
Wie: den Saumen des Rocks: Rocksaumen; Beruf des Friseurs: Friseurberuf; einem Tag, ehe das Praktikum begann: einen Tag vor Beginn des Praktikums; nicht in der Lage sein: können
Da schreibe ich bloß: de Fisker seen Fruu. :)
Das ist auch der Sinn eines Lektorates.
Je nachdem, habe ich deine Anmerkungen übernommen, angepasst oder ignoriert.
Aber bitte, seit wann kann 'Ein kalter Schauer' laufen?
Und was verlangst du vom Richard, der Typ ist Mitte 50, das war in den 70ern beinahe uralt. Der soll mir nichts, dir nichts in die Hocke gehen? Da knackt es im Gebälk. Den lassen wir lieber niederhocken.
Was niemanden bis dato auffiel, dass ich die Buchbeschreibung in der verkehrten Zeit geschrieben hatte. Ich jetzt geändert.

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hi Ahorn,

weiter geht's ...

„AD“, vernahm er, während Hinnerk die Leine übernahm. „Ich wees nich, seit drei Tagen, kann he nich.“
—> sollte es nicht „a. D.“ geschrieben werden für außer Dienst?

Zögernd hockte er sich hin, bis die Knie, dabei den rechten Arm streckend, das Chaiselongue berührten.
—> Umständlich verkomplizierter Satz.

Sie lachte, ergriff seine Hand, zischte, als hätte er etwas missverstanden. „Aus Pudding bin ich nicht“ und presste seine Hand an die Brust, führte jene, schloss die Augen und schnurrte wie eine Katze.

—> Da fehlt ein „sagte sie“ o. ä., so ist das ein unvollständiger Satz oder du musst den ersten umstellen.
Z. B.:
Sie lachte, ergriff seine Hand, zischte, als hätte er etwas missverstanden: „Aus Pudding bin ich nicht.“ Sie presste seine Hand an die Brust, führte jene, schloss die Augen und schnurrte wie eine Katze.

Bloß mit dem Unterschied, dass er dieses Mal allein mit ihr im Atelier war, weder seine Mitschüler noch Huth zugegen waren. Allegra hatte ich gebeten, einen weiteren Akt von ihr zu zeichnen.
—> Wer ist auf einmal „ich“? Die ganze Zeit ist doch eine andere Erzählperspektive.

„Hinnerk, lass den Jungen. Siehst du nicht, dass er ganz weiß anläuft. Er ist noch Jungfrau.“
—> den Jungen!
Da Aufforderung.

—> anläuft?
Da Frage.

Er dachte an Eric Ode, der als Kommissar Herbert Keller regelmäßig am Freitag die Wohnzimmer besuchte und wann immer er eine junge weibliche Leiche auffand, den schweren Weg zu dessen Eltern antrat.
—> Wer ist Eric Ode? Erik

„Hat jemand gesehen, wie sie …?“, er wies auf Allegra. „Du weißt schon.“
—> ?“, er wies auf Allegra, „du weißt schon.“
Redebegleitsatz sonst unvollständig

Onkel Richard schritt an Allegra heran, stieß sacht gegen einen ihrer Stiefel. „Waldtauglich sind die wahrlich nicht, allerdings …“, er winkte ihn heran, trat an ihren Kopf und hockte sich nieder.
—> allerdings …“ Er winkte
Das ist ein eigener Satz, keine Redebegleitung

Frau Santis erhob den rechten Arm, drohte. „Herbert, was habt ihr wieder angestellt.
—> wieder angestellt?
Frage

Herbert nahm die Treppe zum Obergeschoss mit ausladenden Schritten, je zwei Stufen auslassend, um aus dem Gefahrenbereich zu entfliehen.
—> ins Obergeschoss

Ehe er sich zu entscheiden vermochte, hatte bereits sein Unbewusstes reagiert; er die Türklinke umfasst, und diese herabgedrückt.
—> Semikolon m. E. unpassend

„Schließt du bitte das Fenster.“
—> „Schließt du bitte das Fenster!“
Da Aufforderung

„Deine Schwester ist tot“ schreien wollte, dennoch dieses unterlässt.
—> unterließ

Was verband und – dieses erschien ihm weitaus wichtiger – trennte die Geschwister.
—> Soll das eine Frage sein? Dann Fragezeichen.
Oder „Das verband …“

„Begreift sie endlich, dass ich kein Kind mehr bin.“
—> Fragezeichen

„Wer hat dann wohl, wen geschwängert?“
—> kein Komma

Kaum hatte er seine Verbalattacke herausgespien, erwartete er eine Reaktion ihrerseits in Form einer Bratsche.
—> heausgespien?

Schönen Tag und liebe Grüße,
Franklyn
 

Johnson

Mitglied
Der Ernst des Lebens rückt näher, die Reifeprüfung.
Ist doch auch in der Vergangenheit. Also eher….. rückte näher,


Die Urgroßmutter aus der einen Linie präferiert für ihn den Friseurberuf, wie schon viele Generationen vor ihr diesen ausgeübt haben.
[…]präferierte
Bereits am Sonntag, einem Tag vor Beginn des Praktikums, beordert Onkel Richard Herbert zu einem Leichenfundort.
eher wohl….[…] einen Tag vor Beginn des
Kriminalhauptkommissar Tamban strich über seine Koteletten, hockte sich nieder und klopfte auf die Schulter des Mannes, der bereits kauerte.
müsste der Mann dann nicht auch hocken und nicht kauern?

das Aufräumen mit diesen vereinzelten Fehlen würde diesen unterhaltsamen, lesenswerten und verständlichen Text noch etwas besser machen
 

ahorn

Foren-Redakteur
Teammitglied
Moin Frankyln Francis, Johnson

danke für eure Kommentare.

Frankyln Francis, ja, ja, immer die Sache mit der klemmenden FRAGEZEICHEN-TASTE dabei habe ich neuerdings eine andere Tastatur :) .

Fange ich einmal mit dem "AD" an. "a.D." ist aber auch nicht besser ´, das Ganze ist immerhin wörtliche Rede. Ich probiere es mit "Aadee".

Umständlich verkomplizierter Satz. Der Knoten ist raus. Säbel geschnappt, zabb, zabb, Satz gekürzt.

Da fehlte nirgends ein "sagte" sondern jegliche ein PUNKT.

Herbert nahm die Treppe zum Obergeschoss mit ausladenden Schritten
Ich stelle mir das bildlich vor, wie Herbert die Treppe schleppt. Logo: ins.

Das Semikolon war schon korrekt, bloß der Satz Murks.

Welches Problem hast du mit "herausspeien"?

Frankyln Francis, nochmals herzlichen Dank.

Jetzt zu dir Johnson,

vorab danke für die Sterne, obwohl ich von Vorschusslorbeeren nicht viel halte. Immerhin kommen noch 7 Kapitel und dann ist der Roman noch lang nicht fertig.

Johnson, der Text vor dem ersten Kapitel ist die Buchbeschreibung, der Klappentext, den verfasst man in der Regel im Präsens. Allerdings ist das 'n', das sich als 'm' getan hat, entlarvt. Okay, wir Norddeutschen haben ohnehin Probleme mit den vier Fällen: Twee Fäll reckt för en ansprööksch Kuntakt. Und dann ist zum Überfluss dieses dämliche 'm' genau neben dem 'n'.

Komme ich zum Schluss zum Hocken, Kauern oder Knien.
Ich gebe dir recht 'hocken' wäre korrekt, aber zweimal 'hocken' in einem Satz? Knien lassen wollte ich den alten Knaben auch nicht, daher ließ ich ihn kauern. Jedoch, nachdem du mich mit der Nase darauf gestoßen hast, ist kauern auch nicht das Wahre: Hört sich nach einem Angsthasen an. Daher opfere ich Hinnerks Hose und lasse ihn vor Allegra knien ;).


An alle Anderen!

Das vierte Kapitel ist draußen.

Gruß
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

weiter geht's mit Kap. 4.

Ihr Anblick, die Ameisen, die ihr Gehirn verspeisten, hatten sich in ihm eingegraben.
--> in ihn

Ihr Körperumfang sowie die Schürze, auf dem jeder den ganzen Speiseplan erkannte,
--> auf der

Kippen Otto nannte man ihn
--> Kippen-Otto

Das, was reich an ihm war, war der Dreck, der Gestank, der an ihm anhaftete.
--> würde sagen, ein "an" reicht
--> der an ihm haftete

Schleunigst versuchte er Onkel Richard, (KEIN KOMMA) in ein Gespräch zu verwickeln, damit dieser beide nicht wahrnahm.

Dann schmachtete er, vernahm ihr gehauchtes ‚Je t’amine‘, während ihr Duettpartner Serge Gainsbourg sie zum Höhepunkt trieb.
--> Je t'aime

Er schaute in die Richtung, von der dieser kam und starrte den Onkeln an. Die Rechte an die Tischplatte gepresst (KOMMA) ergriff er sein Bierglas und gönnte sich einen kräftigen Schluck.

Aber bitte so einer war er nich. Wat glööbst du, wie oft ich bereits …?“, er verdrehte die Augen. „Jedenfalls hat
--> Redebegleitsatz krumm:
--> entweder: bereits ..." Er verdrehte
--> oder: die Augen, "jedenfalls

Liebe Grüße,
Franklyn Francis
 

ahorn

Foren-Redakteur
Teammitglied
N'Abend Frankyln Francis,

danke für die Korrekturen. Mein alter Franz-Pauker wird sich im Grabe umdrehen. Drei Jahre Franz-Crash-Kurz fürs Abi für die Katz’. Ich kann nicht einmal ein Mädel anbaggern und ihr 'Ich liebe Dich' zuflüstern. :oops:

Liebe Grüße
Ahorn
 



 
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