Herbstfahrt mit dem Stockheimer Lieschen *

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Stavanger

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Ich fahre mit dem Bummelzug,
der oftmals hält und hupt und schallt,
durch reiches Korn- und Kürbisland.
Der satten Felder sind genug,
hoch links ein Wetterauer Wald,
die Nidder fließt zur rechten Hand.

Gedanken kommen aus der Zeit,
als ich voll Glückserwartung reiste
und eilig Richtung Zukunft schritt.
Das ist jetzt nur Vergangenheit,
und von den Träumen kam das Meiste
mit Wirklichkeit nie wirklich mit.

Zuzeiten war das Dasein hart,
auch Unglück gab's in meinem Leben.
Trotzdem war's eine gute Fahrt
und hat mir mancherlei gegeben.

Bald kommen kurze Wintertage
mit Krähen-Lärm, ansonsten still:
ein schwerer Test für Mut und Kraft.
Ich stelle mir die bange Frage,
wie lange ich noch leben will
und ob's ein neuer Frühling schafft.

Das Lieschen pfeift, ich komm bald an
und bleib vom Regen nicht verschont.
Doch steh ich weiter meinen Mann
und hoff, so gut ich eben kann,
dass sich die Mühe noch mal lohnt.


(* Das "Stockheimer Lieschen", ab 1888 von der Preußisch-Hessischen Eisenbahngesellschaft erbaut, fuhr und fährt durch Wetterau und Vogelsberg in Hessen. Die Züge sind inzwischen hochmodern, aber der Kosename ist geblieben, und hupen und tuten kann das Lieschen immer noch.)
 

fee_reloaded

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Wohl dein persönlichstes Gedicht bisher, lieber Uwe.

Ich finde es sehr berührend und authentisch - auch dieses Gedanken-Schweifen während der Fahrt mit dem Bummelzug ist sehr stimmig. Man lässt nicht nur die Landschaft Revue passieren während der Fahrt, sondern auch Erlebtes, und gleicht frühere Träume mit Gelebtem ab. Nicht selten stellt man fest, dass man manches gar nicht erträumen hätte können und anderes sich später als überbewerteter Traum erweist, dessen Nicht-Erfüllung kein bisschen schmerzt, sondern eher schmunzeln lässt.

Man steigt eben nie in den gleichen Zug....äh...Fluss...naja...stimmt beides irgendwie. ;)

Sehr gerne gelesen! Wunderschön!
LG,
Claudia
 

petrasmiles

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Lieber Uwe,

das hat Fee ganz treffend beschrieben.
Mich hat sehr beeindruckt, dass diese 'bange Frage' nach dem Weiterleben überhaupt nicht unangenehm kokett rüberkommt, oder gar tragisch eingebettet ist, sondern einfach nur, ja, das fragt man sich halt ... Und was mir besonders daran gefällt - das Selbstbestimmte .. nicht, was wird mir noch gegeben, sondern was will ich überhaupt noch haben.
Ja, wunderschön!

Liebe Grüße
Petra

P.S. Ich hoffe: Ja!
 

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Mich hat sehr beeindruckt, dass diese 'bange Frage' nach dem Weiterleben überhaupt nicht unangenehm kokett rüberkommt, oder gar tragisch eingebettet ist, sondern einfach nur, ja, das fragt man sich halt ... Und was mir besonders daran gefällt - das Selbstbestimmte .. nicht, was wird mir noch gegeben, sondern was will ich überhaupt noch haben.
Oh, ja!!!!
Da kann ich Petra nur beipflichten. Hat sie perfekt auf den Punkt gebracht. Das ist wohl auch, was mich so an deinem Text berührt, lieber Uwe!

Liebe Grüße nochmal euch beiden!
Claudia
 

Stavanger

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Hallo!

Ich bin mal mit dem Handy in Leselupe: ein irrsinniger Slalomlauf " irgendwie um die viele Werbung rum" ... und bin eben selten in der Leselupe, sorry.

Eure wohlwollenden Kommentare freuen mich sehr, auch die hübschen Sterne!
Dieses Stück liegt mir am Herzen - obwohl ich hier ganz sicher nicht mit dem LI gleichzusetzen bin! Freundin Erika hat sich auch schon erschreckt: ob ich nicht mehr weiterleben wolle?
Oh je, nein nein, das heißt: ja ja, doch doch!
Ich hatte nur ein paar solche jahreszeitlichen Gedanken.
Einer davon war und ist, dass manche es sich anscheinend aussuchen können, bzw. sich entscheiden, ob sie zum nächsten Frühling noch mal antreten wollen oder nicht.
Nach Weihnachten gehen viele ab, wohl gerade weil es noch so lange dauert und so viel (Willens-?) Kraft kostet bis hin zum nächsten Frühling?!

Ich mag aber diese Bahnlinie sehr, das bin ich selbst! Und wir haben auf dem Glauberg (viele keltische Zeugnisse, auch ein Museum dort) tolle rote, sogar richtig süße, Äpfel auf der Wiese gefunden.
Und eine Menge herbstlichen Sonnenschein.

Euch allen einen schönen Tag, Herbst, Winter ... und immer noch weiter! So lange ihr wollt.
Uwe
 

mondnein

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Bald kommen kurze Wintertage
mit Krähen-Lärm, ansonsten still:
ein schwerer Test für Mut und Kraft.
Ich stelle mir die bange Frage,
wie lange ich noch leben will
und ob's ein neuer Frühling schafft.
natürlich ist das feine Ironie: gleich sterben zu wollen, wenn man zu faul ist, die Heizung anzustellen oder sich einen Schal umzuwerfen, um mit Spaziergänger-Neugier das prophetische Krähen der Krähen zu durchforschen und zu verstehen zu versuchen.

Es ist in der Tat sehr unwahrscheinlich, daß es der Frühling noch mal schafft. Silvester ist Weltende, wie jeder weiß. (Genau genommen leben wir seit zwölf Jahren in einer Phantomwelt, als die Maya-Prophezeiung sich kurz vor Weihnachten 2012 erfüllte; wir sind allesamt nur Geister, Untote und Leselupenblasengefangene.)

grusz, hansz
 

petrasmiles

Mitglied
Genau genommen leben wir seit zwölf Jahren in einer Phantomwelt, als die Maya-Prophezeiung sich kurz vor Weihnachten 2012 erfüllte; wir sind allesamt nur Geister, Untote und Leselupenblasengefangene
Da müsste man mal genauer drüber nachdenken - oder hast Du eine Quelle?
Also, wenn ich die Wahl hätte zwischen Geist, Untote oder Leselupenblasengefangener ... wähle ich Letzteres.

Liebe Grüße
Petra
 



 
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