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Empfohlener Beitrag
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Als ich erfuhr, dass ich demnächst ein Büro mit Herrn Täubling teilen sollte, setzte ich alle Hebel in Bewegung. Meine Abteilungsleiterin bedauerte wortreich. Der Vorstand müsse Mietfläche einsparen; der Trakt, in dem mein gegenwärtiges Büro lag, müsse aufgekündigt werden; die Eigentümer hätten schon zugestimmt, also nichts zu machen; es handle sich nur um ein Gerücht, dass Herr Täubling Autist sei; autistische Züge vielleicht, aber nicht voll ausgebildet.
Der Betriebsrat versprach, die Lage zu sondieren, also einen Kollegen oder eine Kollegin zu finden, der oder die an meiner Statt mit Herrn Täubling das Zimmer teilen wollte. Man könne mir aber nichts versprechen. Besser wäre es, mit dem Facility Manager über eine Sichtschutzeinrichtung zu reden, eine begrünte Trennwand vielleicht. Herr Täubling sei kein "Messie" im engeren Sinn des Wortes, eher ein Sammler, der ungern alte Schriftstücke aus der Hand gab.
Der Portier winkte mich in seine Loge und wollte wissen, ob es wahr sei. Tatsächlich in einem Zimmer mit dem Täubling? Sie Ärmste? Sind wohl nicht bei der Gewerkschaft, war vielleicht ein Fehler. Man hörte von Wutausbrüchen, von fliegenden Heftzangen und Schreiduellen mit dem Haustechniker. Aber möglicherweise war das alles ja begründet. Nicht jeder fügt sich in die Bos- und Blödheiten der zeitgenössischen Bürotechnik, mit der man sich jeden Tag einen steifen Nacken und glasige Augen holt.
Auch die Frauenvertreterin wollte sich für mich einsetzen, befürchtete aber schon vorweg ihr Scheitern. Täubling sei zwar mehr als schwierig, habe sich aber durch seine Kenntnisse des Japanischen unentbehrlich gemacht. Sollte er zudringlich werden oder mir sexistische Witze erzählen, werde sie sofort auf den Plan treten und meine Übersiedlung in ein anderen Büro betreiben. Leider sei er bisher gerade in dieser Hinsicht nicht aufgefallen. Man müsse froh sein, dass der Betriebsrat die Einrichtung eines Großraumbüros verhindern konnte.
Alle Hebel versagten und es kam der Tag, an dem ich am Morgen vor Herrn Täublings Tür stand. Auf einem Schild war nun mein Name unter seinem zu lesen, möglicherweise, um ihn zu besänftigen. Ich kannte ihn nur von flüchtigen Begegnungen auf den Gängen. Er grüßte nie, schien immer in Gedanken versunken, um alle Kontakte abzuwehren. Weil er sich nur einmal pro Woche rasierte und nie vollständig bekleidet war, wurde er ausschließlich zu den Besprechungen mit japanischen Geschäftspartnern eingeladen. "Das ist das Narrenzimmer," hatte mir ein Kollege auf meiner Vorstellungsrunde zugeflüstert "die Bekanntschaft erspare ich Ihnen."
Ich klopfte leise und wartete. Als sich nichts rührte, klopfte ich lauter, dann öffnete ich vorsichtig die Tür. Das Zimmer war leer. Die Hausarbeiter hatten es in zwei Rayons aufgeteilt, die durch einen Paravent getrennt waren. Mein Schreibtisch mit den Rollwägen stand auf der rechten Seite, dort wo die Wand neben dem Fenster schmal war, sodass das Tageslicht auf meinen Arbeitsplatz fiel. Herr Täubling war in die linke, unbeleuchtete Ecke gedrängt worden oder hatte sie sich als Schmollwinkel ausgesucht.
Es gefiel mir nicht, das Zimmer vor ihm betreten zu haben. Er würde wissen, dass ich seinen Schreibtisch gesehen und betrachtet hatte, womöglich denken, ich hätte eine Schublade geöffnet oder Gegenstände in die Hand genommen. Er hätte früher da sein sollen. An der Wand hingen zwei Plakate mit japanischen Schriftzeichen, darunter jeweils eine Übersetzung, die lautete:
"Es schadet dem Charakter, durch Beziehungen nach persönlicher Begünstigung von einem Vorgesetzten zu streben."
und
"Der Samurai sollte betont einen Zahnstocher benutzen, selbst wenn er nichts zu essen hat. Innen bedürftig, nach außen glänzend."
Darunter stand in Klammern: Hagakure 1,2.
Wozu hatte er die Texte übersetzt? Wollte er darauf angesprochen werden?
Der Schreibtisch war mit Schriftstücken, Zeitungsausschnitten und alten Prospekten belegt. Nur das Mousepad war frei. Styroporbehälter vergangener Mahlzeiten dienten als Zwischenlager für angebissenes Obst und Kuchenreste. Ein Knautschball lag in Griffweite. Unter dem Bildschirn standen kleine Plastiksoldaten in verschiedenen Posen, bereit, jede Putzfrau zu erschießen, die sich dem Tisch näherte. In einer Ecke war ein Brieföffner wie ein Dolch in die Furnierplatte gerammt.
Ich wollte das alles nicht sehen und ging vor die Tür. Eine Kollegin fragte mich im Vorübergehen, wie der Einstand gewesen war. Ich sagte ihr, dass der Einstand noch ausständig war und erkundigte mich im Sekretariat, ob sich Herr Täubling krankgemeldet hatte. Man verneinte. Schließlich ging ich zurück und setzte mich an meinen Schreibtisch. Dort begrüßte mich eine Fratze mit der Unterschrift "Willkommen". Er hatte mir ein Plakat gemalt und auf meiner Seite des Paravent affichiert. Es zeigte einen japanischen Löwenhund, ein scheußliches Vieh mit breitem Maul und riesigen Fangzähnen. Über der Knollnase saßen zwei zornige Augen, überwölbt von buschigen Brauen. Ich nahm mir vor, ihn zu fragen, ob es sich um ein Selbstporträt handelte.
Der Vormittag verging, ohne dass mein Zimmergenosse auftauchte. Zu Mittag rief mich die Abteilungsleiterin zu sich und teilte mir mit, dass Herr Täubling am Morgen von einem Linienbus überfahren worden war. Er starb an Ort und Stelle. Zeugen hätten ausgesagt, dass er die Straße in großer Eile und ohne auf den Verkehr zu achten, überqueren wollte. Frieden seiner Seele, fügte sie ungerührt hinzu. - Ich ging zurück in mein neues Büro und weinte ein bisschen.
Der Betriebsrat versprach, die Lage zu sondieren, also einen Kollegen oder eine Kollegin zu finden, der oder die an meiner Statt mit Herrn Täubling das Zimmer teilen wollte. Man könne mir aber nichts versprechen. Besser wäre es, mit dem Facility Manager über eine Sichtschutzeinrichtung zu reden, eine begrünte Trennwand vielleicht. Herr Täubling sei kein "Messie" im engeren Sinn des Wortes, eher ein Sammler, der ungern alte Schriftstücke aus der Hand gab.
Der Portier winkte mich in seine Loge und wollte wissen, ob es wahr sei. Tatsächlich in einem Zimmer mit dem Täubling? Sie Ärmste? Sind wohl nicht bei der Gewerkschaft, war vielleicht ein Fehler. Man hörte von Wutausbrüchen, von fliegenden Heftzangen und Schreiduellen mit dem Haustechniker. Aber möglicherweise war das alles ja begründet. Nicht jeder fügt sich in die Bos- und Blödheiten der zeitgenössischen Bürotechnik, mit der man sich jeden Tag einen steifen Nacken und glasige Augen holt.
Auch die Frauenvertreterin wollte sich für mich einsetzen, befürchtete aber schon vorweg ihr Scheitern. Täubling sei zwar mehr als schwierig, habe sich aber durch seine Kenntnisse des Japanischen unentbehrlich gemacht. Sollte er zudringlich werden oder mir sexistische Witze erzählen, werde sie sofort auf den Plan treten und meine Übersiedlung in ein anderen Büro betreiben. Leider sei er bisher gerade in dieser Hinsicht nicht aufgefallen. Man müsse froh sein, dass der Betriebsrat die Einrichtung eines Großraumbüros verhindern konnte.
Alle Hebel versagten und es kam der Tag, an dem ich am Morgen vor Herrn Täublings Tür stand. Auf einem Schild war nun mein Name unter seinem zu lesen, möglicherweise, um ihn zu besänftigen. Ich kannte ihn nur von flüchtigen Begegnungen auf den Gängen. Er grüßte nie, schien immer in Gedanken versunken, um alle Kontakte abzuwehren. Weil er sich nur einmal pro Woche rasierte und nie vollständig bekleidet war, wurde er ausschließlich zu den Besprechungen mit japanischen Geschäftspartnern eingeladen. "Das ist das Narrenzimmer," hatte mir ein Kollege auf meiner Vorstellungsrunde zugeflüstert "die Bekanntschaft erspare ich Ihnen."
Ich klopfte leise und wartete. Als sich nichts rührte, klopfte ich lauter, dann öffnete ich vorsichtig die Tür. Das Zimmer war leer. Die Hausarbeiter hatten es in zwei Rayons aufgeteilt, die durch einen Paravent getrennt waren. Mein Schreibtisch mit den Rollwägen stand auf der rechten Seite, dort wo die Wand neben dem Fenster schmal war, sodass das Tageslicht auf meinen Arbeitsplatz fiel. Herr Täubling war in die linke, unbeleuchtete Ecke gedrängt worden oder hatte sie sich als Schmollwinkel ausgesucht.
Es gefiel mir nicht, das Zimmer vor ihm betreten zu haben. Er würde wissen, dass ich seinen Schreibtisch gesehen und betrachtet hatte, womöglich denken, ich hätte eine Schublade geöffnet oder Gegenstände in die Hand genommen. Er hätte früher da sein sollen. An der Wand hingen zwei Plakate mit japanischen Schriftzeichen, darunter jeweils eine Übersetzung, die lautete:
"Es schadet dem Charakter, durch Beziehungen nach persönlicher Begünstigung von einem Vorgesetzten zu streben."
und
"Der Samurai sollte betont einen Zahnstocher benutzen, selbst wenn er nichts zu essen hat. Innen bedürftig, nach außen glänzend."
Darunter stand in Klammern: Hagakure 1,2.
Wozu hatte er die Texte übersetzt? Wollte er darauf angesprochen werden?
Der Schreibtisch war mit Schriftstücken, Zeitungsausschnitten und alten Prospekten belegt. Nur das Mousepad war frei. Styroporbehälter vergangener Mahlzeiten dienten als Zwischenlager für angebissenes Obst und Kuchenreste. Ein Knautschball lag in Griffweite. Unter dem Bildschirn standen kleine Plastiksoldaten in verschiedenen Posen, bereit, jede Putzfrau zu erschießen, die sich dem Tisch näherte. In einer Ecke war ein Brieföffner wie ein Dolch in die Furnierplatte gerammt.
Ich wollte das alles nicht sehen und ging vor die Tür. Eine Kollegin fragte mich im Vorübergehen, wie der Einstand gewesen war. Ich sagte ihr, dass der Einstand noch ausständig war und erkundigte mich im Sekretariat, ob sich Herr Täubling krankgemeldet hatte. Man verneinte. Schließlich ging ich zurück und setzte mich an meinen Schreibtisch. Dort begrüßte mich eine Fratze mit der Unterschrift "Willkommen". Er hatte mir ein Plakat gemalt und auf meiner Seite des Paravent affichiert. Es zeigte einen japanischen Löwenhund, ein scheußliches Vieh mit breitem Maul und riesigen Fangzähnen. Über der Knollnase saßen zwei zornige Augen, überwölbt von buschigen Brauen. Ich nahm mir vor, ihn zu fragen, ob es sich um ein Selbstporträt handelte.
Der Vormittag verging, ohne dass mein Zimmergenosse auftauchte. Zu Mittag rief mich die Abteilungsleiterin zu sich und teilte mir mit, dass Herr Täubling am Morgen von einem Linienbus überfahren worden war. Er starb an Ort und Stelle. Zeugen hätten ausgesagt, dass er die Straße in großer Eile und ohne auf den Verkehr zu achten, überqueren wollte. Frieden seiner Seele, fügte sie ungerührt hinzu. - Ich ging zurück in mein neues Büro und weinte ein bisschen.
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