Hier wird die Stille kalligraphiert

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Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Langsame • kriechende Schatten im
Takt des
Sonnenmetronoms.

Ich strecke
die Fühler aus:
hier wird die Stille kalligraphiert.

*
In den Straßen:

Ein Netzwerk aus Augen
ausgrollt wie eine
lange • horizontale Takelage
auf der die Blicke kriechen.

*
Einer kennt
des Geräuschs winzige
Mücke • die
man mit der Pinzette der Konzentration fassen muss
um sie ans Ohr zu halten.

Kühles • schuppiges Licht • das an ihm
vorübergleitet
und faucht

*
Ein Anderer betrank sich mit Landschaft.
Und der schwere
schwarze Brand des Waldes
verdunkelte die Augen.

*
Ich treffe einen Alten
mit einer Postkarte statt einem Gesicht
der unablässig an etwas sehr weit Entferntes schreibt.
Aber rasend • ohne zu grüßen.

*
Das Kind am Straßenrand
hat eine Stimme ○
ähnlich einer kratzenden Schreifeder.

Eine Stimme die beständig ihre
Worte unterschreicht ○
so dass ihr die Tinte auszugehen droht

*
Manchmal geschieht es
dass einer aus dem Rhythmus gerät
wie eine Extra-Systole.

Er schaut sich um:
neben sich das Ich-Kostüm.

Darauf die Namen und Narben
dutzender ○ dutzender Menschen.

Aber nichts Eigenes ○ Echtes.

*
Wie ich als ich im Traum zwei Menschen schlafen sah.
Der Eine eingerollt in eine Decke.
Er schlief unruhig
im weißen Krematorium seines Herzschlags.

Der Andere schlief ruhig
und ohne Decke.
Aber tief im Innern fraßen die Dämonen
und ich erwachte mit offenen Augen.

*
Es gibt Begegnungen.
Wir kennen sie alle.

Schmallippiges Händeschütteln.
Was ist ○ was war
Aber ein jeder liegt unter der Röntgenplatte seines eigenen Gesichts
offen wie eine Anmaßung.

*
So geht das fort.

*
Wir sind Menschen
die aber zugleich das schon vollständige Portrait
ihrer selbst sind.

Portrait darauf die Pinsel kratzten
und kratzten.
Um so etwas wie Tiefe zu erschaffen
 
G

Gelöschtes Mitglied 28334

Gast
Michael. In seinem Gesicht wuchs der Garten Eden. In seinem Schädel regnet es und durch seinen Körper floss die Nacht und seine Haut war mit Schmerz überzogen.
Er war Diener der vier Göttinnen der Wissenschaften: Urania, die Göttin der Astronomie, war in leuchtende Gasnebel gekleidet. Ihr Haar, geschwungene Arme mächtiger Spiralgalaxien, leuchtete blau und rosa und in ihren Augen erstrahlten offene Sternhaufen.

Rosacea, die Göttin der Biologie, war nackt, doch vermochte sie ihre Blöße unter Blüten und Blättern aller erdenklichen Pflanzen zu verbergen, die sie nach Belieben aus ihrem Körper hervorwachsen lassen konnte.

Interferentia, Göttin der Physik, war die Rätselhafteste der vier: nur dann vermochte man sie zu sehen, wenn man darauf verzichtete, sie direkt anzuschauen. Aus den Augenwinkeln war Interferentia erkennbar, doch versuchte man sie frontal anzusehen, verschwamm sie zu einem goldenen Schleier.

Karthesia schließlich, Göttin der Mathematik, Schwester einer wildgewordenen Hamiltonfunktion, die älteste der vier, schien einen Körper aus flüssigem Chrom zu besitzen. Fraktale Muster und Spiralen leuchteten auf ihrer metallglänzenden Haut auf, wuchsen, oszillierten, interagierten und verblassten, ein stetiges Wechselspiel.

Auf dem Arm trug Karthesia ein weißes Kaninchen, das ständig nervös auf seine Taschenuhr blickte.
(Anmerkung: Michael schenkte den goldenen Apfel übrigens nicht Karthesia, wie es die Erkenntnistheorie gefordert hätte, sondern, seinem Herzen folgend, Urania...)

Edit: Geiler Scheiß, Patrick! 5/5 Sterne!
 

Johnson

Mitglied
Das Gedicht soll die menschliche Existenz und Identität erkunden…ob das erstrebenswert ist, das alles zu wissen/erfahren…ich weiß nicht genau.
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Gedicht soll die menschliche Existenz und Identität erkunden…ob das erstrebenswert ist, das alles zu wissen/erfahren…ich weiß nicht genau.
Hi Johnson

Ich auch nicht, aber das Gedicht soll eigentlich gar nichts. Ich habe mir beim Schreiben keine Gedanken darüber gemacht, was es soll ...


Hi logi

Geiler Kommentar. Ich hab nicht ganz den Zusammenhang verstanden, aber das macht nichts, habs sehr gerne gelesen :)

Lg euch
Patrick
 
G

Gelöschtes Mitglied 28334

Gast
Ich hab nicht ganz den Zusammenhang verstanden, aber das macht nichts, habs sehr gerne gelesen
Wollte dich nicht verwirren, hatte große Lust etwas Kreatives zurückzusenfen! Da Inspiratio.
Gadamer sagte ja, Kunst (in dem Sinne auch Kreatives und Sprache) sei eine Art "Spiel".
 



 
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