Hippodream

Haarkranz

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Urku ist ein zehnjähriger Fuchswallach, der ganze Stolz des Schweinezüchters hinrich Dickopp. Jeden Tag trägt Urku den Dickopp auf seinem Rücken, springt mit ihm über nicht allzu hohe Zäune und Hecken. Eines morgens jedoch geschieht es: Dickopp treibt Urku, eine Mauer zu überspringen, die zu hoch für Ross und Reiter ist. Nur äußerst knapp schafft Urku die Mauer, zwischen Hinterhand und Mauerkrone hätte kein Haar gepasst.
Auch Dickopp kriegte mit, wie haarscharf er einem gefährlichem Sturz entgangen war. Urku freut sich, letztlich war die vermiedene Katastrophe seiner Geschicklichkeit zu verdanken. Er hoffte sein Herr würde das auch so sehen, sollte sich aber getäuscht haben.
Es müssen keine Worte sein. Worte bedeuten Urku wenig. Ein Schenkeldruck jedoch, ein sanfter Schlag mit der Hand auf den Hals, hätten genügt. Nichts dergleichen geschieht. Urku wird traurig, die Gemütsverdüsterung schlägt durch, auf jede Regung seines herrlichen, durchtrainierten Körpers. Es ist ihm, als ob sein Fell zu groß, sein Kopf zu schwer und sein Lauf aus der Symetrie geraten sei. Dickopp bemerkt es und beginnt sich schlecht zu benehmen. Als es ihm nicht gelingt, den Zossen munter zu machen, wie er das nennt, lässt er sein Reitgerte auf Urkus Kruppe tanzen.
Urku zieht durch, aus leichtem Trab fällt er in rasenden Galopp, Dickopp verliert die Kontrolle, klammert sich an Urku, nicht viel fehlte und er wär im Dreck gelandet.
Ein späterer Versuch die Herrschaft zurück zu gewinnen, lässt Urku kalt. Stur hält er auf den Dickoppschen Hof und Stall zu.
Angekommen wirft Dickopp die Zügel einem Stallknecht zu, meckert wie eine wütende Ziege.
Ein Stallknecht nimmt Urku Zaumzeug und Sattel ab, reibt ihm den Schweiß aus dem Fell, pumpt kühles, klares Wasser in seine Trinkrinne, füllt die Raufe mit duftendem Heu. Während Urku Heu zwischen seinen kräftigen, gelben Zähnen zermalmt, putzt er im die Hufe und redet zärtlich auf ihn ein. Was der Stallknecht flüstert, versteht Urku. Aus Dankbarkeit reibt er seinen großen Kopf, an dem kleinen Mann.
Das konnte aber nicht die Kränkung wettmachen, die er erfahren hatte. Dickopp hatte ihn schon einmal gepeitscht. Urku hat das nicht vergessen. Auch nicht die frischen Möhren die er bekam, als Dickopp ihn in der Box versorgte, quasi als Entschuldigung, waren registriert.
Doch dieser neuerliche Exzess schrie nach Rache, und Urku wusste was zu tun war.
An diesem Abend blieb er nicht wie sonst in der Box stehen, seine Stallgenossen zu beäugen, und das eine und andere zu besprechen. Er war das älteste Ross im Stall, genas höchsten Respekt, keines der jüngeren Tiere hätte sich unterstanden ihm ins Wort zu fallen, unziemliche Geräusche loszulassen, oder gar zu äpfeln!
Doch all das interessierte Urku im Augenblick nicht. Er schob mit der Nase sein Stallstroh zusammen, bis er eine weiche Unterlage geformt, auf die er sich legte.
Dann dachte er nach, langsam und pferdlich. Es dauerte nicht lange, bis das Bild seiner Mutter und der Oma, durch seine Vorstellung trieb. Ihm ward warm ums Herz.
Die Oma, ein zierlicher Apfelschimmelstute, die kein leichtes Leben beschieden gewesen war, sucht seinen Blick. Als Urku sich ihrem Blick öffnet, dringt der mitten in sein Herz. Die Oma erkennt augenblicklich, was ihren Enkelsohn verdrießt.
Urku verspürt große Erleichterung, als er sieht wie Mutter und Tochter ihre Köpfe aneinanderreiben und tuscheln. Sie stehen nicht lange allein, aus allen Ecken der großen Koppel kommen Pferde gelaufen, neugierig zu erfahren, was es zu tuscheln gibt. Bald gibt ein Jedes das Seinige, an Erfahrung und fremdem Senf hinzu. Über der Weide hängt, unüberhörbar Pferdegeraun.
Selbst die Krähen und Möwen werden aufmerksam, ein Mäusebussardpärchen miaut wütend, weil es sich bei seiner Hochzeitsfeier gestört fühlt.
Urku macht die Anstrengung, sich dies alles vorzustellen müde, die Augen fallen ihm zu. Nichts Besseres hätte ihm geschehen können. Im Traum ist, was er sich so mühsam versucht vorzustellen, federleicht und um vieles lebendiger. Plötzlich sieht er die Reflexe des Sonnenlichts und ihre Schatten, auf den braunen, schwarzen und weißen Fellen der beratenden Pferde, ihr Getuschel und Geschnaub hört er, wie direkt vor seinem Ohr geflüstert.
Karo ein Hengst, mit Urku über drei Ecken verwandt, drängt sich zwischen die Wallache und Stuten, schnaubt und keilt mit der Hinterhand, bis ihm mit Respekt zugehört wird.
„Alles papperlapapp, was ihr euch da zusammenschnaubt,“ wiehert er. „Hört was ich vorschlage: Gegen die Nackten, die nicht eimal ein Fell ihr eigen nennen, sind wir machtlos, die sind zu zahlreich. Schlagt sie mit ihren Waffen, dem Zauber!
Ja dem Zauber, schaut nicht so blöd! Ihr kennt alle den Keiler Stinker, seit Jahren entgeht der den Jägern, wollt ihr wissen wie? Durch Zauber!
Stinker hat mir in einer schwachen Stunde anvertraut, wie schrecklich es seine Seele belaste, was mit seinen Verwandten in den Ställen der Nackten geschieht. Er zerbreche sich Tag und Nacht den Kopf, seinen Zauber, der ihn für die Nackten unsichtbar macht, auf die Stallschweine zu übertragen.
Ich weiß nicht wie weit er gekommen ist, mit seiner Zauberveränderung, aber befragen sollten wir ihn. Wenn er erfährt, Urku lebt auf einem Schweinehof, macht es den alten Herrn vielleicht munter, und ihm fällt was ein.“
Die Pferde nicken mit den Köpfen, die meisten kennen Stinker nur von Hörensagen, aber dass er unsichtbar oder kugelfest ist, hatten alle schon gehört. „Nu denn, Karo,“ nickt auch Urkus Oma, dem Hengst nicht ohne ein kleines Augenzwinkern zu. „Wennst meinst, der Stinker wär zu gebrauchen, warum nicht. Wie beide waren ja auch mal gut für einander zu gebrauchen, erinnerst dich?“ wiehert sie, und steigt ein wenig auf der Hinterhand hoch. Karo nickt hoheitsvoll, „is all lang her, Schimmelchen, hab dich aber nie vergessen,“ nuschelt er.
Also wurde beschlossen, Karo solle Kontakt zu Stinker aufnehmen, dem vortragen was Dickopp sich Tieren gegenüber rausnahm, um Rat bitten.
Karo nimmt den Auftrag an, bittet sich jedoch aus, nicht gedrängt zu werden. Schließlich brauche er den Zufall, um auf Stinker zu stoßen, der habe ja keine feste Adresse. Was uns hilft ist der Mais, der steht jetzt im September hoch und wird nächsten Monat geerntet. Gut möglich, Stinker stattet dem in den nächsten Nächten, mit seiner Rotte einen Besuch ab.
„Sehr gut möglich,“ mischt sich eine noch sehr junge Stute, mit glänzendem schwarzem Fell, die schon die ganze Zeit vor Karo die Mikymaus abgab, in das Gespräch.
„So, und wie das?“ der Karo.
„Meinem Herrn, haben die Sauen vorige Nacht, fast den ganzen Kartoffelacker umgepflügt und leergefressen, da gehen die sicher bald zum Mais, weil die Kartoffeln alle sind. Zu Diensten,“ flüstert sie, knickst, und wirft Karo einen wimperklappernden Blick zu.
Karo blinzelt, tänzelt elegant, sollte er geantwortet haben, ging das im wütenden Wiehern der ganzen Herde unter. Die Schwarze guckt bestürzt, Karo stößt sie weg. „Beruhigt euch, bitte beruhigt euch, wiehert er ein über das andere mal. Sie ist noch jung, hat von nichts eine Ahnung! Bitte! Bitte!“
Langsam kehrt Ruhe ein, die Schwarze muss in die Mitte, nach allen Regeln der Kunst, werden ihr die Leviten gelesen. „Mein Herr!!! Ein Nackter ist kein Herr, kann nie ein Herr sein! Merk dir das, leb in Frieden mit ihm, geht nicht anders, aber denk nie Herr, geschweige nenn ihn so! Verstanden?“
„Verstanden,“ schnaubt die Schwarze kleinlaut, und trollt sich.
Auch die Anderen widmen sich wieder dem Grasen, und bald sind sie über die Koppel verstreut.
Karo ist nicht zufrieden mit sich. Verdammt! Da hat dich wieder der Haber gestochen, Alter, geht er mit sich ins Gericht. Kannst es nicht lassen, sobald ein paar Weiber zusammenlaufen, musst du den großen Max machen! Jetzt find den Stinker, und quatsch den in die Sache rein. Was ist, der hat auch nur das Maul groß aufgerissen, mit seinem Zauber? Dann stehst da, du dummes Luder.
Bis dahin hat Urku wunderschön geträumt, doch jetzt wird er vor Enttäuschung wach. Warum mischte Karo sich ein, wenn es ihm nicht ernst war?
„Weil er ein alter Angeber ist!“dröhnt eine grabestiefe Stimme aus dem Nirgendwo. Verschreckt träumt Urku flugs weiter. Was er jetzt erfährt, machte ihn hibbelig wie nie.
Die Stimme gehört zu Stinker, der bereit ist, ein Komplott gegen Dickopp den Schinder, zu schmieden. Ich weiß was mit meinen Verwandten geschieht, kaum dass sie erwachsen sind, seufzt Stinker. Ich will es, wenigstens einem von den Meuchelmördern, eintränken. Mehr wird nicht möglich sein, Urku. Die Nackten haben die Erde im Griff, mit allem was wächst, kreucht und fleucht. Aber einmal Rache nehmen, täte mir auf meine alten Tage verdammt gut.
Ich besitze den Zauber, von dem Karo sprach. Der funktioniert, hat mich und die Meinen, zigfach vor den Kugeln der Nackten bewahrt. Ich werde versuchen, den hier im Stall anzuwenden. Hab 200 Nichten und Neffen gezählt, die in den nächsten Tagen abgemurkst werden sollen. Das Fatale ist, was soll danach werden? Die können nichts außer fressen und saufen, sind nur Fleisch, ohne jede Kondition. Im Wald überleben die keine Woche.
Urku weiß dazu nichts zu sagen, außerdem hat er keine Ahnung wie Stinker den Zauber bei seinen Nichten und Neffen anzuwenden gedenkt. Aber Stinker spinnt seine Überlegungen weiter.
Keine Woche ist stark übertrieben, die quicken schon nach einem Tag, ihrem Stall und Futter hinter her. Unsere Verbündeten sind das nicht, die sind, was ihre Zukunft angeht, völlig ahnungslos. Ihr Schicksal ist besiegelt, sonnenklar ist das. Musst ihre glänzenden Plauzen, nur mit Dickopps Augen sehen.
Leider wird mein Zauber sie töten, das heißt, sie werden verschwinden, weg sein! 200 Schweine a 100kg, das Kilo zu 1,50 werden sich nicht in Euros verwandeln. Der Dicke hat die Transporter bestellt, den Handel mit dem Großhändler klar gemacht, die nächsten 200 Schweine stehen bereit, in die leeren Koben einzurücken. Alles läuft wie geschmiert, und dann das!
Am nächsten Morgen rangiert der erste Transporter vor das Rolltor. 100 Tiere gehen da rein. Zwei Treiber kommen in den Stall, wollen das Tor öffnen, den Viechern Beine machen. Sie trauen ihren Ohren und Augen nicht, die Koben sind leer!
Sie stürzen auf den Hof, Dickopp steht da, quatscht mir dem Fahrer.
„Chef! Chef!“ brüllen sie, die Schweine! Die Schweine sind weg! Alle futschikato!
Dickopp begreift nicht. „Wat?“ brummt er. „Willst mich auf’n Arm nehmen?“
Geht in den Stall, guckt, greift hinter sich, sucht halt, die Knie knicken ihm ein.
„Wat soll dat?“ stöhnt er. „Herr im Himmel, wat hab ich verbrochen?“
Aber es kommt keine Erklärung, nicht vom Himmel, noch von sonst wo.
Dickopp trottet zurück auf den Hof, der Fahrer hat schon kapiert und lächelt falsch. „Wat is Chef?“ fragt er.
Dickopp japst, ringt nach Luft, hyperventiliert, gestikuliert. Der Fahrer steht da und grinst. Einer der Treiber sagt: „Der Chef meint, du sollst abhauen!“
Der Fahrer nickt; „Hab verstanden, aber wat is mit Knete? Dem Dickopp sind die Biester abgehauen, nich mir.“ Der zweite Fahrer hat mittlerweile auch kapiert was anliegt, unterstützt seinen Kollegen: „Ohne Moos nix los!“
Dickopp taumelt, der Treiber neben ihm will ihn auffangen, kann ihn nicht halten. Dickopp stürzt, wälzt sich am Boden, die Hose platzt über dem Arsch, seine Jacke reißt auf, er quitscht laut, will hoch, schafft das halb, kann sich nicht halten, fällt zurück auf vier Beine, rennt grunzend und quickend in den Stall, die Fetzen von Hose und Jacke hinter sich herschleifend.
Treiber und Fahrer stehen, zu Salzsäulen erstarrt. Eine Stimme vom Wohnhaus: „Hinrich, bist bald fertig?“ erweckt sie zum Leben. Wie der Blitz stürzen sie in ihre Laster, lassen die Motoren an. Ein Treiber schreit: „Nimm mich mit!“ Der Zweite: „Mich auch!“ Türen werden geknallt, die Motore heulen auf, ab geht es, nur weg von diesem Gespensterhof.
Urku reckt sich auf seiner Strohschütte, er ist wach, macht aber die Augen nicht auf, zu schön ist der Traum, der ihm diese Nacht versüßt hat.
 



 
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