Hirngespinste

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LuMen

Mitglied
Hirngespinste


Glaubst du, daß du dem Los entrinnst,
als Erdenbürger zu ertragen
der Lüste und der Schmerzen Plagen –
das ist ein Hirngespinst!

Glaubst du, daß du die Schlacht gewinnst,
die gegen alle Welt du schlägst,
weil du das Leiden nicht erträgst –
das ist ein Hirngespinst!

Wenn du dich deines Traums entsinnst,
es herrsche Frieden auf der Welt
und zähle nicht mehr nur das Geld –
das ist ein Hirngespinst!

Doch wenn du dem, der hämisch grinst,
eins über seine Schnauze ziehst
und ihn dann Zähne sammeln siehst –
ist das kein Hirngespinst,
sondern vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 StGB!
 

Udogi-Sela

Mitglied
Trocken

Nach den lyrischen Ausflügen in die Vergeblichkeit menschlicher Glaubenssätze kommt der Paragraph am Schluss so trocken daher, dass ich doch lachen musste.
Gegen das weltlich Weitentrückte steht der körperlich ausgeführte Schlag in ein hämisches Grinsen.

Dass aber selbst Paragraphen vor körperlicher Unversehrtheit nicht schützen (die Zähne müssen real eingesammelt werden!), ist ja täglich zu hören und zu sehen und könnte von mir mit einer aktuellen Begebenheit, die sich an Karneval ereignete, belegt werden...

Herzlichst
Udo
 
H

Harald

Gast
Drauf könn´ ma uns verlass´n!

Lieber Lutz!

Gratulation zu Deinem technisch wie inhaltlich sehr gelungenen Gedicht.

Ein wenig fühle ich mich an ein Couplet Nestroys erinnert, dessen Refrain lautet: „Es ist alles Schimäre, aber mich unterhalt´s!“

Deine „Hirngespinste“ sind allerdings eher wie Eisregen, der auf Plantagen der Hoffnung fällt. Die Hoffnungslosen grinsen hämisch und zustimmend. Aber der Schluss ist unglaublich verlässlich, da weiß man wieder, wo man hingehört. Man fühlt sich zu Hause und ist versucht, die Paragraphenangabe nachzuprüfen. Vielleicht könnte ein Hinweis auf den angedrohten Strafrahmen der Empfindung noch einen zusätzlichen Hauch von Heimatgefühl verleihen?

Alles in allem virtuos!
Harald
 

Schakim

Mitglied
Hallo, LuMen!

Schön, wenn man die Paragraphen des StGB mit Humor kennenlernen darf! Natürlich ist es besser, wenn man sie nie anwenden muss!

LG
Schakim
 

LuMen

Mitglied
sträfliches Unterfangen

Hallo Udogi, Harald und Schakim,

ich danke Euch für die wohlmeinenden Zuschriften!
Lieber Harald, der Strafrahmen ginge von Geldstrafe bis zu 5 Jahren Freiheitsentzug, also Zeit genug, um im Knast ein Heimatgefühl zu entwickeln. Wenn, wie demnächst von Ulla Schmidt zu erwarten, die Krankenkasse auch ein Gebiß nicht mehr zahlt, wird der Spaß wegen "dauernder Entstellung" sogar zur schweren Körperverletzung mit einem Strafrahmen bis zu 10 Jahren! Es ist also Vorsicht geboten, nehmt mir die §§ nicht zu leicht!

Mit spätabendlichen Grüßen
LuMen
 
H

Harald

Gast
Lieber LuMen,

die Regeln der Gesetze sperren
sich manchmal gegen die Moral
und tausend Paragraphen zerren
an dem, was aufrecht war - einmal.

Beruhigende Grüße
Harald
 

Herr Müller

Mitglied
Das ist etwas, was ich sehr mag, dieses Ende, das jeden aus seinen Träumen reißt, weil es völlig anders ist, so schön "kalt" :)

Herr Müller
 
H

Harald

Gast
2. Strophe:

Das Aufrechte, das Subjektive
ist allemal ein leerer Wahn,
wenn es als einz´ge Perspektive
zum Faustrecht nur scheint angetan.

Harald
 

Nachtigall

Mitglied
Das ist das Leben. § & $, damit erschlägt man alles, auch Hirngespinste.

Lieber LuMen,

Deinen Text empfinde ich als sehr gelungen.

Liebe Grüße
Alma Marie
 



 
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