Hirni

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He de Be

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Da fragt mich doch mein Freund, was ich von der Idee hielte, die kürzeste Kurzgeschichte aller Zeiten zu schreiben. Ginge so:

"Nennt mich Randi. Ich bin eine Randerscheinung und führe eine Randexistenz."

"Der PUNKT!", rief er wie in Großbuchstaben geschrieben, "ist dann das ENDE der Geschichte. PUNKT ENDE!"

"Halleluja", sage ich. Und dann:

"Der erste Satz geht ja noch.", ich zögere, "obwohl man sich natürlich fragen kann, ob diese Art Kopie eines berühmten Anfangssatzes zum Lachen ist oder zum Weinen. Namen lassen sich selbstverständlich nach Belieben austauschen."

"Weiß ich" sagt er.

"Aber dann muss wohl doch ein bisschen mehr kommen", wende ich ein. "ZEIGEN!! Hast du noch nie gehört, dass man zeigen muss, worum es geht? Einfach nur schnoddrige Bemerkungen fallen lassen macht doch keine Geschichte!"

„Ich gebe zu, ich bin nicht gut im Zeigen", sagt er, ein bisschen zerknirscht. "Ich habe noch nie gerne her- oder aufgezeigt. Wozu auch? Kann sich doch jeder selber was darunter vorstellen."

"Und was?"

"Dass die Erde immer noch eine Scheibe ist, zum Beispiel."

"Du hast eine Scheibe!"

"Wovon du dir keine abschneiden kannst!"

"Noch was", fällt ihm nach einer Pause ein. "Unter welchem Namen melde ich mich an?"

"Na deinem!"

"Ja, aber das Pseudo, meine ich, mein Kürzel, Künstlername!"

"Mann, du wieder!"

"Ja, das ist gut!", ruft er aus: "Mann. Damit man aber nun nicht denkt, ich sei einer oder schriebe nur für welche, nehme ich am besten auch noch Frau dazu. Was meinst Du? Mann Frau. Geht doch?"

Ich rolle mit den Augen.

"Frau Mann?"

"Dann denkt man, dass du eine Frau aus der Mann-Familie bist oder sein willst!"

"Na schön: Mann Frau. Muss ja auch mal was Neues geben", sagt er.

„Du wieder!“

Jetzt fällt ihm aber doch noch mehr ein. Schreibt also weiter und liest mir dann folgenden Text vor:

"Ich wohne hinter den sieben Bergen neben den sieben Zwergen. Nicht am Ende, aber am Rand der Welt. Da stehe ich am Straßenrand und warte auf das Leben. Glaubt nicht, dass ich das gut finde. Ich stehe zwar hier und jetzt am Straßenrand, aber ich stehe schon lange, ach was sage ich, seit ich denken kann, am Rande des Abgrunds. Immer bis zum Hals im Wasser, mindestens.
Ich kann froh sein, wenn es sich nur um Wasser handelt.
Vielleicht kennt einer ja den Witz von dem Menschen, der in die Hölle kommt und dort erfährt, dass es deren drei gibt. Er darf sich eine aussuchen, reingehen und wieder raus, falls sie ihm nicht gefällt. Dann darf er aber nicht mehr wieder zurück, sondern muss in die nächste. ... Rest des Witzes auf Nachfrage .. "

"Nee!", unterbreche ich ihn. "Den musst du jetzt auch aufschreiben!"

"Nee!" sagt er, wobei er mich nachäfft. "Aber dir erzähle ich ihn jetzt. Falls du ihn nicht schon kennst?" Er schaut mich an, als wüsste er mal wieder nicht, was oder wen er da vor oder neben sich hat.

'Klar kenne ich den Witz', will ich sagen, lasse es aber. Ich weiß doch, wie gerne er seine Lieblingswitze bei jeder Gelegenheit immer wieder erzählt. Immer dieselben, übrigens. Er kann auch jedes Mal wieder darüber lachen. Jetzt kann er sich auch nicht mehr bremsen und liest mir vor, während er schreibt:

"Der Mann geht also in die erste Hölle und findet sich in einem Raum wieder, in dem alle bis zu den Knien in der Scheiße stehen. 'Igitt!' macht er, dreht sich auf der Stelle um und flüchtet in die zweite. Dort stehen sie dann bis zur Hüfte in selbiger. Sofort schlägt er die Tür wieder hinter sich zu und geht in die dritte und letzte. Dort stehen sie bis zum Hals in der Scheiße, er kann aber jetzt nicht mehr zurück. Steht also mit den anderen da und versucht so gut er kann, den Kopf oben zu halten. Bis plötzlich über ihnen eine Luke geöffnet wird, der Teufel rein schaut und runter brüllt: 'Pause beendet! Alle setzen!'"

Schon lacht mein Freund wieder. Ich sage nur: "Ja ja. Haha!"

Das hält ihn nicht davon ab, mir seinen Text weiter vorzulesen:

"Aber lassen wir das. Fangen wir noch mal von vorne an, beim Anfang. Angefangen hatte es damit, dass ich schon am Rand der Welt das Licht der selbigen erblickte. Oder sagen wir am Rand der Gesellschaft, am Rand des Landes, nahe der Grenze zum Rand der nächsten Nation. Ich weiß ja nicht, wie das im Reich der Mitte ist. Ob sich da alle immer in der Mitte befinden, auch wenn sie am Rand des Reiches wohnen? Egal. Sowieso meinen sie mit Mitte ja nicht wirklich inmitten oder so was wie mittendrin, sondern im Mittelpunkt zu stehen. Tatsächlich drüber, denn gut ist der Mittelpunkt auch nur, wenn es sich dabei um eine Art Höhepunkt handelt, um den Gipfel des Ganzen, oder um einen Thron. Auf dem darf und kann man sich dann den anderen vorstellen, indem man gnädig mit einem kleinen Kopfnicken nach unten grüßt, vielleicht auch noch ein bisschen winkt. Mittendrin aber ist man nicht mehr, allenfall mittendrüber.

Ich stand auch schon mal auf einem Gipfel, aber dennoch nur am Rand eines Kraters. Denn bei mir war der Berg ein Vulkan. In dessen Mittelpunkt hatte ich dann auch nicht springen wollen. Oder kennst du einen, der in einen Krater mit kochender Lava springen will? - Hier brach ich ab. Kam nicht mehr zurande."

Zustimmung heischend schaut Berni mich an. Ich sehe, dass er das letzte Wort als Schlusswort hatte verstanden wissen wollen, wenn nicht als die Pointe des Jahrhunderts. Er sieht, wie ich ihn ansehe.

"Verstehe", sagt er, "ich sehe schon, wie es da wieder böse schweigende Randbemerkungen hageln wird!"

"Uff!" sage ich. "Komm endlich runter vom hohen Ross und spring ganz einfach! SPRING!"
 



 
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