Hiroshima, Nagasaki, Gedenken und Warnung, 2023

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als die mutter zurückkam
erkannten sie sie nicht
ein schwarzes tier auf vier beinen
schleppte sich ins haus
brach zusammen und
verreckte
die strahlung leckt dir das menschliche ab
giftiges feuer spie der silberdrache aus
über dächer, die nicht mehr sind
so heiß der asphalt
dass er aufbrach
blieben pfoten drin stecken
der hund, er verglühte langsam
nicht schnell
häuser fielen auf kinder drauf
fielen um wie karten, wie papier
hinweggefegt von den flammen
eingeklemmt wimmert es
mama, halt meine hand!
dann:
mama, es wird so heiß
MAMA, MAMA, ZU HEISS! und: AAAAAHHHH
zu heiß, um die hand noch zu halten
mama hat losgelassen, geht fort
die gellenden schreie im rücken
von einem, der lebendig gegrillt wird
aus der stadt hinaus taumelt
ein verkohlter schatten
dass es ein mann ist
erkennst du erst, als er vor dir steht
du sagst: reiß dich zusammen
und bist froh, als er dann sogleich
doch noch
sterben darf
der glückliche, denkst du
du weißt:
du hast es noch vor dir
 

sufnus

Mitglied
Hallo Dichter Erdling,
bei ein paar wenigen Gelegenheiten hier in der Lupe habe ich schonmal die (für mich noch relativ ungeklärte) Frage angerissen, inwieweit sich Lyrik für die (explizite?) Darstellung des Schrecklichsten eignet.
Wir sind da also im Dunstkreis von Celans Todesfuge (in welcher die Shoa relativ "verklausuliert" dargestellt wird) oder Erich Frieds häufig expliziteren Vietnamgedichten ("Fleisch wird zubereitet / auf zweierlei Art") oder den vielen anderen Versuchen, die so alt sind wie die Poesie, eine Sprache für das Schrecklichste zu finden.
Wie ich oben schrieb, ist diese Frage für mich noch nicht wirklich beantwortbar. Vielleicht hilft es mir weiter, anhand Deines Gedichts (würdest Du es selbst so bezeichnen oder wäre die eine neutralere Benennung wie "Text" lieber?) hierüber zu diskutieren.
Was ich zunächst einmal bei mir beim Lesen feststelle ist eine Art innere Pendelbewegung: Erst erfasst ich ein tiefes Grauen und dann betätigt irgendeine innere Instanz bei mir eine Art emotionale Notabschaltung und meine Textrezeption wird unterkühlt und distanziert. Diese kühle Rezeption wiederum ruft dann wiederum eine innere moralische Stimme auf den Plan, welche meine Unterkühlung anklagt und so ergibt sich ein gewisses seelisches Hin- und Her.
Ist das etwas Gutes? Und ist es repräsentativ für andere Leser*innen? Und hat das alles etwas mit der spezifischen "Verpackung" des Schrecklichen im Gewand der Lyrik zu tun - sprich: wäre die innere Schwingung bei einem Sachtext oder fiktionalisierter Prosa oder einem Essay eine andere?
Das sind erstmal ad hoc meine Fragen (an mich, an Dich und an alle anderen ;) ). Ob ich hierüber auch zu Antworten komme, muss ich noch sehen....
LG!
S.
 
Lieber S.!

Wir packen das besonders Schöne, das Schreckliche oder auch das banal Anmutende in Worte, um es für andere erlebbar zu machen. An die Wirklichkeit kommen Worte wohl nie heran, aber sie kommen ihr mitunter nahe. Ihr nahezukommen versuchen wir Schreiberlinge doch sehr oft. Wir legen Fährten aus und machen Türen, Fenster auf, um den Leser mitzunehmen und seine Sicht zu weiten; alles das tun wir mit Worten.

In dieser Hinsicht glaube ich nicht, dass es erlebte Inhalte gibt, die sich nicht eignen, um in Worte (lyrische oder andere) gepackt zu werden.
Sollen wir etwa vom Krieg und was er bedeutet andachtsvoll schweigen?
Ich finde es, im Gegenteil, sogar geboten, die Schrecken vergangener Kriege nicht vergessen zu machen.
Ganz besonders in einem Moment, da das Kriegerische schon wieder überhand zu nehmen droht und ein atomares Inferno so bedrohlich nahe wie noch nie gerückt ist (siehe Atomuhr), finde ich es unerlässlich, darauf hinzuweisen, was sich hinter dem Wort „Atomkrieg“ wirklich Schreckliches verbirgt.
Jene, die von der „nuklearen Abschreckung“ fabulieren, haben die wahren Schrecknisse oft nicht wirklich auf dem Radar.
Dem Schrecklichen kommt man aber auf die Spur, wenn man sich Reportagen zum Thema ansieht und Berichte von Überlebenden anhört. Das habe ich getan. Schilderungen, die sich bei mir am eindrücklichsten eingebrannt haben, habe ich aus der Erinnerung heraus zu obigem Text ver-dichtet. Als aufzeigende und warnende Lyrik, die es manchmal braucht.

In der Tat sind die Kriegsberichte oft so schrecklich, dass man innerlich ein stückweit auf Distanz geht - anders sind sie wohl nicht zu ertragen.
Distanz: Ein vermutlich wesentliches Schlagwort.
Der Text/das Gedicht ist ja generell aus einer zeitlichen, räumlichen und persönlichen Distanz heraus entstanden. Es sind nicht meine Erlebnisse, die ich in Worte gefasst habe.
Ob mir das zusteht? ist vielleicht die Frage.
Ich meine: Ja, denn:
Wäre die Antwort „Nein“, würde das die Möglichkeiten des Schreibbaren erheblich einschränken.
Sich in andere Zeiten und Menschen hineinfühlen ist ja doch ebenfalls Schwerpunkt beim Schreiben.

Mit diesen Gedanken und vielen lieben Grüßen,


Erdling (D.E.)
 
G

Gelöschtes Mitglied 26374

Gast
Ein wichtiges und vollkommen richtiges Erinnern, wofür Dir zu danken ist!

Sufnus' Gewürge, Gekrümme, Gehuste, Verzweifeln und Geschachere, ob Lyrik dieses oder jenes gestattet sei, ist völlig uninteressant - Literatur hat sich allen Fragen der Zeit/en zu stellen. Nichts anderes hast Du getan.

Es grüßt
Fritz
 

sufnus

Mitglied
Hey D.E.! :)

Vielen Dank für Deine wohltuend sorgfältig abwägenden Gedanken, die ich vollkommen nachvollziehen kann und die mir generell sehr weiterhelfen, die mir vor allem aber in Bezug auf meine persönliche Haltung zu Deinem Text viel mehr Klarheit verschaffen. :)

Ich denke es mir jetzt so, dass ein literarischer Angang an das Allerschrecklichste, sofern er das Ziel hat, mir das Geschehen irgendwie "nahe zu bringen", sich tatsächlich tendenziell eher in der Weise von Erich Frieds Dichtung (sage ich als jemand, der dessen Texte im Allgemeinen nicht so sehr schätzt) allzuviel Metaphorik und rhetorisches Ornament verkneifen sollte.

Tatsächlich hast Du es auch weitestgehend so gehalten und das grässliche Leid, das Verrecken der Tiere, Männer, Frauen und Kinder so geschildert, wie es sich zugetragen hat. Nur an einer Stelle hast Du Dich einer, man könnte sagen "ornamentalen" Rede bedient:

die strahlung leckt dir das menschliche ab
giftiges feuer spie der silberdrache aus

Arno fand die erste dieser beiden Zeilen besonders beeindruckend und das kann ich total nachvollziehen. Im Gesamtkontext des Textes würde ich persönlich aber auf diese Zeilen verzichten - mir erscheinen diese beiden bildhaften Wendungen in gewisser Weise zu "schön" (im Sinne von zu ästhetisierend), um in diesen Text hineinzupassen.

Nur zur Verdeutlichung meines Arguments: Ich würde aus diesen Überlegungen heraus auch ER von Weissglas bzw. die bekanntere Weiterdichtung von Celan, eben die Todesfuge, eher als Texte bewerten, die der Bewältigung des Geschehens durch die Opfer dienen (oder mit weitaus mehr historischem Abstand (???) womöglich in erster Linie als literarische Texte wahrgenommen werden (???) ). Weniger geeignet sind diese Texte m. E. als schulische "Lehrtexte" zum Thema Shoa.

Das bedeutet natürlich nicht, dass sich nicht vielleicht doch sehr viele Menschen durch ein Gedicht über schreckliche Themen, welches metaphorische und rhetorisch aufgeladene Wendungen beinhaltet, berührt fühlen und etwas davon "mitnehmen" (bzw. mitgenommen werden/sind). Auch stelle ich hier natürlich kein generelles Sufnussches Axiom auf, welches ein Verbotsschild für solche Lyrik definiert. ;) Ich erkläre nur, warum rhetorisch "wuchtige" Lyrik, welche zugleich eine Art "Informationsanspruch" beinhaltet, für mich nicht so gut funktioniert. Als einen literarischen Text jenseits des Wissens- und Gefühlstransfers kann ich solche Texte natürlich sehr wohl lesen und von der Todesfuge habe ich viel über die Technik moderner Lyrik gelernt.

In Deinem Text wiederum fehlt ja, von den zwei oben angesprochenen (sprachlich sehr starken!) Zeilen abgesehen diese rhetorisch-ornamentale Aufladung und das empfinde ich persönlich als sehr stimmig.

Danke für das Einstellen dieser Zeilen!

S.
 



 
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