Hoch die Hände, Zeitenwende! (Eine Glosse?)

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"Wir leben nicht in Friedenszeiten", hat der deutsche Kanzler gesagt, während er im Februar 2024 noch eine Rüstungsfabrik feierlich eröffnete.
Symbolisch legte er einen Grundstein für das wackere Neue und rammte voller Tatendrang einen Spaten in die wehrlose Erde der Lüneburger Heide; dort, wo das nigelnagelneue Rheinmetall-Werk bald schon stehen soll.
VVViiieeelll mehr Waffen und Munition brauche es jetzt, über Jahre hinweg: Auch das hat der Kanzler gesagt, vielleicht mit nicht ganz so vielen Buchstaben, der alte Zauderer.

Was es jetzt jedenfalls nicht mehr braucht, ist eine Friedenskonferenz.
Wozu denn auch, wenn man nun mal nicht in Friedenszeiten lebt.
Die Internationale Münchner Friedenskonferenz, die sich nun schon seit über 20 Jahren abmüht, Frieden und Gerechtigkeit für diese Welt zu gestalten, wird denn auch im Jahr 2024 – völlig korrekt - politisch abgesägt.
Wikipedia erklärt das wie folgt:

„Die Konferenz wurde lange Jahre vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München gefördert.
Im Februar 2024 brachten im Münchner Stadtrat die Fraktionen der Rathauskoalition aus Grünen/Rosa Liste und SPD/Volt den Antrag ein, die Förderung sofort zu beenden, da es der Friedenskonferenz an kulturpolitischer Bedeutung mangele und auch kein kommunaler Bezug vorhanden sei…“

Alle brav mitgeschrieben?
Der Frieden hat sich in diesen Tagen keine Konferenz mehr verdient, weil es ihm an „kulturpolitischer Bedeutung mangele“.
Schreibt euch das hinter die Ohren, in eure Hefte oder meinetwegen an die Hauswand.
Und seht: Kultur, Politik und alles zusammen hat sich drastisch gewandelt, gewendet. Auch die gehen jetzt mit der Zeit. Vorbildlich!
Frieden und das Bemühen um selbigen hat hier kaum noch Bedeutung, also sicher nicht so viel, dass man deswegen gleich eine Veranstaltung bräuchte.
Bedeutung hat jetzt anderes.

Die ungleich größere Gegenveranstaltung zur Münchner Friedenskonferenz, die Münchner Sicherheitskonferenz, passt da schon viel besser in diese Zeit, in die Kultur und auch die Politik fühlt sich hier am weitaus richtigeren Platz, zwischen Rüstungskonzernen und Militärstrategen.
Eine Frau Strack-Zimmermann lief hier heuer zur Höchstform auf und posierte neben einer ukrainischen Abgeordneten in einem höchst vielsagenden T-Shirt.
Auf dem schwarzen Shirt prangte vorne drauf zuoberst die eindringliche Forderung: „Taurus für die Ukraine“.
Für die, die es noch nicht wissen:
Mit „Taurus“ bezeichnet man 2024 einen besonders schlagkräftigen Marschflugkörper, der extrem gut fürs Töten auf dem Schlachtfeld geeignet ist.
Ist ein Akronym aus mehreren englischen Wörtern (Target Adaptive Unitary and Dispenser Robotic Ubiquity System), also irgendwas mit Zielen, Adaptieren, Robotik usw. Sehr modern.
Eine Waffe, die so niedrig fliegt, dass sie nur schwer vom gegnerischen Radar erfasst werden kann und auch aufgrund ihrer geringen Wärmeausstrahlung für Infrarot-Sensoren nur schwer erkennbar ist, sodass sie gezielt und überraschend einschlagen und „Wumms!“ machen kann oder „Booooom!“ oder wie das Geräusch so geht, wenn Sprengstoffe explodieren und alles in Stücke reißen.
Mit Taurus soll die Ukraine den immer noch tobenden Krieg gegen Russland endlich gewinnen, von daher die Forderung auf dem Textil.
Vor 2024 war „Taurus“ gemeinhin noch bloß die lateinische Bezeichnung für einen Stier.
Wohl deshalb ist auch auf dem Shirt von Frau Strack-Zimmermann sehr großflächig ein wutentbrannt schnaubender Stier aufgedruckt.
Aber das passt doch auch gut zum Krieg. So ein starkes, gereiztes Tier, das mit seinen mächtigen Hörnern und leeren Augen auf einen Feind losstürmt, hitzige Rauchschwaden strömen ihm aus den Nüstern… ist schon die richtige Symbolik. Fast schon wieder künstlerisch.
Der abgebildete blaue Stier auf gelbem Untergrund gibt dann sogar noch den Farbcode der ukrainischen Flagge wieder und so zeigt Strack-Zimmermann auch mit ihrem Outfit ganz eindeutig, auf wessen Seite sie in diesem Krieg kämpft, wenn auch (vorerst) nur verbal.
Verbal steht unter dem blauen Stier auf dem schwarzen T-Shirt dementsprechend auch noch der schmissige Satz: „Zusammen bis zum Sieg“.
Ich hoffe, der Leser hat an dieser Stelle ein Bild im Kopf und meine Beschreibung war ausreichend plastisch.
Denn das ist die Botschaft, ich hoffe, sie ist angekommen:
Zusammen bis zum Sieg, und wenn wir dabei draufgehen (oder unter), Hauptsache wir stehen zusammen, zusammen gegen den Feind.
„Sicherheit“ und „Sieg“, das sind unsere Größen, die heften wir uns jetzt an die Fahnen, nur vielleicht besser nicht als Akronym.

Obwohl ich nicht sicher bin, ob man das so hinschreiben kann.
Immerhin kann ich nur mutmaßen, in welcher Funktion Frau Strack-Zimmermann die Münchner Sicherheitskonferenz besucht und fürs Foto posiert hat. Ob als Politikerin, Rüstungs-Lobbyistin oder einfach nur als herausragend mutige Privatperson… - ich weiß es nicht.
Aber ich weiß: Je nach Bedarf wird es die Frau schon richtig erklären.

Sowieso waren sie alle dort, die Rang und Namen haben, auf dieser Konferenz, die die Welt nun schon seit Jahrzehnten (schon seit 1963!) immer sicherer macht, wie man zweifellos sehen kann. Die TOTALE SICHERHEIT, wer will sie nicht?
Neben dem ukrainischen Präsidenten und der US-Vizepräsidentin kamen noch viele weitere Staats- und Regierungschefs und Weltenlenker in München zusammen, um wirklich alles für die Sicherheit (und den Sieg) zu geben.
Der deutsche Kanzler hatte sich in der Zwischenzeit die Erde vom Spatenstechen in der Lüneburger Heide wieder abgeklopft und konnte mit frisch gewaschenen Händen die Chefetage vom Rheinmetall-Konzern, seinen Rüstungspartner, zum Wiedersehen jovial begrüßen.

Hingegen draußen bleiben mussten, also nicht geladen waren:
Vertreter Russlands, der Iran, aber auch die neue Partei Bündnis Sahra Wagenknecht.
Wäre ja auch unsinnig, die alle einzuladen.
Feinde haben natürlich keinen Zutritt beim Konferieren, aus Sicherheitsgründen und überhaupt.
Konferieren, also miteinander reden hätte ja so gar keinen Sinn, in der jetzigen Lage schon gar nicht. Das macht ja noch lange keine Sicherheit und vor allem keinen Sieg.
Miteinander reden lässt die Aktienkurse von Rheinmetall auch sicher nicht in den Himmel wachsen. Dort, wo die Drohnen fliegen.

Apropos:
An der Finanzierung der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Münchner Sicherheitskonferenz beteiligt sich bereitwillig auch die Bundesregierung, gleich neben Siemens Energy, den Associate Partnern Allianz SE, BMW, Hensoldt, Krauss-Maffei Wegmann, die Bill & Melinda Gates Foundation, der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Robert Bosch Stiftung und der Wellcome Trust.
Industrie, Rüstung, Finanz- und Energiekonzerne, Superreiche und die Politik machen Geld locker für die gemeinsame Sache. Man kennt sich doch und arbeitet Hand in Hand.
Das Verteidigungsministerium unterstützt die Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz mit jährlich 1 Mio. Euro, das Bundespresseamt übernimmt ca. 0,5 Mio. Euro und die personellen Unterstützungsleistungen durch die Bundeswehr sowie das Verteidigungsministerium werden mit jährlich ca. 1 Mio. Euro angegeben.
Weiterhin fördert auch die Stadt München diese Konferenz nochmal extra, weil Sicherheit (und Siege) lässt sie sich was kosten.

Nur die Münchner Friedenskonferenz fördert diese Stadt nun nicht mehr.
Kurzfristig und spontan hat man das jetzt entschieden entschieden.
Die Förderung für die Friedenskonferenz hätte immerhin so um die 6.500 Euro betragen, und irgendwo muss man ja sparen.
Frieden per se ist ja auch noch lange kein Gewinn, wie man weiß. Erst kommt der Sieg. Die Sicherheit.
Frieden und so Firlefanz hat nun mal längst keine kulturpolitische Bedeutung mehr.
Wir erinnern uns, nochmal zum Mitschreiben:
„Im Februar 2024 brachten im Münchner Stadtrat die Fraktionen der Rathauskoalition aus Grünen/Rosa Liste und SPD/Volt den Antrag ein, die Förderung sofort zu beenden, da es der Friedenskonferenz an kulturpolitischer Bedeutung mangele.“
Historische Sätze für die Ewigkeit.

Hoch die Hände, Zeitenwende!
Friedenszeiten, ade.
Frieden ist nicht mehr, ist keine Kunst mehr, kann weg.
Zusammen bis zum Sieg, final.
Wobei, das blutige Finale hat vielleicht gar noch nicht angefangen.
Die Zeiten bleiben … spannend. Mit Sicherheit.


Quellen:

Kanzler Scholz beim Spatenstich für eine neue Rüstungsfabrik:
https://www.tagesschau.de/inland/verteidigungspolitik-ruestung-waffen-100.html

Finanzierung Münchner Friedenskonferenz:

Taurus-T-Shirt von Marie-Agnes Strack-Zimmermann:

Erklärung „Taurus“:

Finanzierung Münchner Sicherheitskonferenz:

Münchner Friedenskonferenz mit Geldsorgen:
 
Das hatst Du, Dichter Erdling, bedauerlicherweise völlig recht mit dieser Darstellung, welche im Grunde nur eine einfache, sachliche Berichterstattung ist. Insofern beschränkt sich das satirische Moment auf die Erzählhaltung. Das ist aber kein Problem des Textes – das ist ein Problem der Realität!
Ein guter Text also.

Freundliche Grüße
Binsenbrecher
 

petrasmiles

Mitglied
Als nach der Jahrtausendwende vielstimmig geunkt wurde, das Kabarett sei tot - wohl in der Annahme, es würde von 'Comedy' ersetzt, hätte ich nie zu denken gewagt, dass der Todesstoß der Satire die Realität sein könnte!
Wie recht hast Du, Binsenbrecher!

LG Petra
 



 
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