Hochleistungschillen im Bus

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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wieso ist frau so blöd und setzt sich acht Stunden in einen Bus, um für fünf Stunden Aufenthalt nach Holland zu fahren? Weil sie es geschenkt bekommen hat. Ich übe mich also im konzentrierten Hochleistungschillen, denn nichts anderes ist das Ganze. Aber ich habe die Rechnung ohne die Mitreisenden und den Busfahrer gemacht. Und ohne die Uhrzeit.
Zugegeben, um sechs Uhr morgens an einer Ecke auf einen Bus zu warten, um oben genanntes Abenteuer zu starten, ist irgendwie ermüdend, denn man ist ja sowieso noch richtig müde. Der Bus kommt mit leichter Verspätung. Drinnen sitzen schon zwei Damen, graue Locken, freundlicher Blick, hellwach. Der Busfahrer kontrolliert die Namen und sammelt dann an zwei weiteren Stellen Menschen ein, die auch so verrückt sind, für fünf Stunden nach Holland zu fahren. Am Düsseldorfer Bahnhof droht die Situation beinahe zu eskalieren. Dort stehen nämlich zig Busse. Es ist kein Platz für unseren, aber der Busfahrer zwängt sich in eine Lücke und regt sich über Männer auf, die ihm radebrechend zu verstehen geben, dass er dort nicht stehen bleiben könne. "Müssen wir uns jetzt schon von Russen sagen lassen, wie wir uns verhalten sollen?", schreit er, der sonst aber nichts gegen Ausländer hat, die brav arbeiten und Steuern zahlen.
Zwei Schäfchen tauchen nicht auf und schließlich fahren wir endlich los Richtung Holland. Ich will jetzt eine Runde schlafen. Nix da. Der Busfahrer stellt sich erstmal vor - "Ich bin der Klaus" - und die Mitreisenden, zu neunzig Prozent grauhaarige Lockenträgerinnen, beginnen lebhafte Gespräche. Die kennen sich fast alle! Die machen dauernd solche Fahrten! Die kennen alle Fahrer! Alle Strecken! Alle Rasthöfe! Ja, davon hat unsereins keine Ahnung. Klaus hält einen ellenlangen Monolog über die Niederlande, ihre Geschichte, das Königshaus und ... wenn er nicht bald aufhört, bring ich ihn um. Ich bin soooo müde. Dann fragt er plötzlich, ob er lieber schweigen solle, weil ja doch alle quatschen (außer mir). Jahahaha, bitte! Die Damen neben mir packen routiniert kalte Koteletts, Brote und Joghurt aus. Ich döse ein. Nicht lange, denn Klaus beginnt doch wieder zu reden, über die Landschaften, die wir passieren und über ... plötzlich überholen uns zwei Busse. "Dürfen die nicht", sagt Klaus - die fahren auch nach Holland, steht dick dran. Ich überlege, schnell ein Schild ins Fenster zu halten: "Bitte holen Sie uns hier raus! Der Fahrer quatscht uns zu Tode! Können wir tauschen?"
Pause an einer Raststätte, die immer angefahren wird. Wissen alle außer mir. Proppenvoll, weil die anderen Busse ja vor uns dort waren. Klaus ist lahm, hält sich aber an die Vorschriften. Na gut. Anstehen am Örtchen, Bon entnehmen, der nur dort einzulösen ist. "Warten Sie bis heute Abend, dann haben Sie zwei Bons und können ein Mars kaufen", gibt Klaus hilfreiche Tipps. Er sammelt immer viele Bons und kauft sich anschließend Chicken Wings, wie er verrät. Bei seiner Figur ist das zu ahnen.
Endlich kommen wir tatsächlich am Meer an. Nur so viel: Die Stunden dort sind wunderbar. Aber dann: Klaus sammelt alle Schäfchen am Bus für die Rückfahrt ein. Eine Frau hat das Knie verdreht. Das veranlasst Klaus zu einem langen Monolog über einen kranken Fahrgast, für den er gar den Notarzt aktivieren musste. Die Frau schafft es in den Bus, aber die Krankengeschichte behalte ich jetzt für mich. Oder wollen Sie sie hören?!
Auf der Rückfahrt keine Chance auf Hochleistungschillen. Klaus unterhält den Bus mit Meldungen über die Verkehrslage, über sein Unternehmen, über seine Rente. An der Raststätte sind wir wieder der letzte Bus. Fast alle lösen ihre Bons für Mars ein. Oder zahlen noch einen Euro mehr für einen potthässlichen Schlüsselanhänger ("Für dat Enkelchen").  Irgendwann erreichen wir die Heimat. Die Menschen werden wieder rausgelassen. Eine Frau fragt treuherzig: "Ich wohn da vorne, können Sie mal halten?" Klaus macht es, wohl gut gelaunt ob der Tatsache, dass er am nächsten Tag frei hat ("Ich schlaf erstmal aus, und wenn Sie mir noch ne Frau in den Arm geben, auch noch länger").
Mich bringt er nicht zur Haustür. Ich komme auch so an. Ich bin bester Laune. Niemand versteht das. So lange im Bus sitzen für fünf Stunden Holland?! Unter uns: Ich habe mich seeeeehr amüsiert. Viele Grüße an Klaus. Gute Fahrt und wenn ich drei Mal die Woche so viele Damen nach Holland fahren müsste, würde ich verrückt.
 

Happy End

Mitglied
Hallo Doc, die Geschichte ist witzig geschrieben.

Zitat: "Ich bin DER Klaus..." Zitat Ende.

Ja, so sind sie. Auch Betreuer von Jugendfreizeiten stellen sich immer mit dem Artikel vor ihrem Vornamen vor.
- Sehr lustig!
Bestimmt auch gut: eine Butterfahrt nach Helgoland...
 
Sauer macht lustig

Altes Rezept, funktioniert immer wieder zuverlässig. Habe mich gut amüsiert, was zzt. gar nicht so einfach (Wetter, Politik).

Schönen Gruß
Arno Abendschön
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Happy End und Arno:

Freut mich, dass Ihr Euch so gut amüsiert habt und dass der Text gar Arnos Laune hebt. So soll es sein. Die besten Geschichten kann man sich eben nicht ausdenken. :)

Vielen Dank für Kommentare und Wertungen,

Doc
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Ich freue mich schon heute auf die Lebensperiode, wo ich mich ungestraft und frei von beruflichen, sozialen und privaten Zwängen noch mal so richtig aufführen kann.

Ich habe schon mit Klaus, einem guten Bekannten von mir, Pläne geschmiedet, wie wir in ein paar Jahren als Powerrentner die Butterfahrtindustrie aufmischen können. Klaus ist noch aktiv praktizierender Rechtsanwalt und weiß wie eine Werbeverkaufsveranstaltung knallhart, aber legal terrorisiert werden kann. Beruflich hat er auch schon etliche Klagen von geprellten Omis auf dem Tisch liegen gehabt. Klaus hat somit den juristischen Background und ich Phantasie ohne Ende.

Mir tun nur schon heute die älteren Damen leid, die sich in der Hoffnung auf ein kostenloses Mittagessen in Oberammergau und auf und eine günstige Rheumadecke mit einem Salatbesteck in Schale schmeißen werden. Dann kommen plötzlich zwei so durchgeknallte Störenfriede und bringen den netten, eloquenten Herrn auf dem Podium in Weißglut und Argumentationsnot! Polizeieinsätze werden bei unseren geplanten Fahrten sicherlich eine Standardprozedur.

Das wird ein Spass! Wenn ich dann noch die Leselupe betreue, berichte ich mal ausführlich darüber. Vielleicht schreibe ich dann auch einen Ratgeber, wie Butterfahrten zum Horror für Veranstalter werden können.

Wirklich schade, dass du diese kleine Perle des dezenten Humors nicht in „Humor und Satire“ gepostet hast! Aber wenn sie authentisch ist, passt sie natürlich auch ins Tagebuch.

Es grüßt immer noch schmunzelnd der Ironbiber
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke Ironbiber, allerdings musst Du berücksichtigen, dass Fahrten mit Verkaufsveranstaltungen nochmal etwas anderes als Tagesfahrten sind. Und natürlich hast Du die Rechnung ohne mich gemacht. Powerrentner können mich nicht schocken, und da ich nicht auf den Mund gefallen bin, müsst Ihr Euch warm anziehen. Und werdet auch noch Thema für die nächste Satire.
:)

LG Doc
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo DocSchneider,
jo, nix war´s mit dem Hochleistungschillen ;-)
Munterer Bericht, sag ich mal.

lg
die dohle
 

Nosie

Mitglied
Servus, DocSchneider
Ich habe dein Geschichte mit viel Schmunzeln gelesen. Ich gehöre auch zu den Leuten, die sich gerne lustig machen über solche Vergnügungsreisen und seh mich selber schon in drei Jahren, wenn ich in Pension gehe, genauso im Bus sitzen, genervt bis zum Geht-nicht-mehr und im nachhinein feststellend, schön war's.
Einzige Stelle im Text, an der ich was auszusetzen habe:
Zwei Schäfchen tauchen nicht auf und schließlich fahren wir endlich los Richtung Holland
Ich würde entweder schließlich oder endlich weglassen.

Gern gelesen.
liebe Grüße
Gertraud
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wieso ist frau so blöd und setzt sich acht Stunden in einen Bus, um für fünf Stunden Aufenthalt nach Holland zu fahren? Weil sie es geschenkt bekommen hat. Ich übe mich also im konzentrierten Hochleistungschillen, denn nichts anderes ist das Ganze. Aber ich habe die Rechnung ohne die Mitreisenden und den Busfahrer gemacht. Und ohne die Uhrzeit.
Zugegeben, um sechs Uhr morgens an einer Ecke auf einen Bus zu warten, um oben genanntes Abenteuer zu starten, ist irgendwie ermüdend, denn man ist ja sowieso noch richtig müde. Der Bus kommt mit leichter Verspätung. Drinnen sitzen schon zwei Damen, graue Locken, freundlicher Blick, hellwach. Der Busfahrer kontrolliert die Namen und sammelt dann an zwei weiteren Stellen Menschen ein, die auch so verrückt sind, für fünf Stunden nach Holland zu fahren. Am Düsseldorfer Bahnhof droht die Situation beinahe zu eskalieren. Dort stehen nämlich zig Busse. Es ist kein Platz für unseren, aber der Busfahrer zwängt sich in eine Lücke und regt sich über Männer auf, die ihm radebrechend zu verstehen geben, dass er dort nicht stehen bleiben könne. "Müssen wir uns jetzt schon von Russen sagen lassen, wie wir uns verhalten sollen?", schreit er, der sonst aber nichts gegen Ausländer hat, die brav arbeiten und Steuern zahlen.
Zwei Schäfchen tauchen nicht auf und schließlich fahren wir los Richtung Holland. Ich will jetzt eine Runde schlafen. Nix da. Der Busfahrer stellt sich erstmal vor - "Ich bin der Klaus" - und die Mitreisenden, zu neunzig Prozent grauhaarige Lockenträgerinnen, beginnen lebhafte Gespräche. Die kennen sich fast alle! Die machen dauernd solche Fahrten! Die kennen alle Fahrer! Alle Strecken! Alle Rasthöfe! Ja, davon hat unsereins keine Ahnung. Klaus hält einen ellenlangen Monolog über die Niederlande, ihre Geschichte, das Königshaus und ... wenn er nicht bald aufhört, bring ich ihn um. Ich bin soooo müde. Dann fragt er plötzlich, ob er lieber schweigen solle, weil ja doch alle quatschen (außer mir). Jahahaha, bitte! Die Damen neben mir packen routiniert kalte Koteletts, Brote und Joghurt aus. Ich döse ein. Nicht lange, denn Klaus beginnt doch wieder zu reden, über die Landschaften, die wir passieren und über ... plötzlich überholen uns zwei Busse. "Dürfen die nicht", sagt Klaus - die fahren auch nach Holland, steht dick dran. Ich überlege, schnell ein Schild ins Fenster zu halten: "Bitte holen Sie uns hier raus! Der Fahrer quatscht uns zu Tode! Können wir tauschen?"
Pause an einer Raststätte, die immer angefahren wird. Wissen alle außer mir. Proppenvoll, weil die anderen Busse ja vor uns dort waren. Klaus ist lahm, hält sich aber an die Vorschriften. Na gut. Anstehen am Örtchen, Bon entnehmen, der nur dort einzulösen ist. "Warten Sie bis heute Abend, dann haben Sie zwei Bons und können ein Mars kaufen", gibt Klaus hilfreiche Tipps. Er sammelt immer viele Bons und kauft sich anschließend Chicken Wings, wie er verrät. Bei seiner Figur ist das zu ahnen.
Endlich kommen wir tatsächlich am Meer an. Nur so viel: Die Stunden dort sind wunderbar. Aber dann: Klaus sammelt alle Schäfchen am Bus für die Rückfahrt ein. Eine Frau hat das Knie verdreht. Das veranlasst Klaus zu einem langen Monolog über einen kranken Fahrgast, für den er gar den Notarzt aktivieren musste. Die Frau schafft es in den Bus, aber die Krankengeschichte behalte ich jetzt für mich. Oder wollen Sie sie hören?!
Auf der Rückfahrt keine Chance auf Hochleistungschillen. Klaus unterhält den Bus mit Meldungen über die Verkehrslage, über sein Unternehmen, über seine Rente. An der Raststätte sind wir wieder der letzte Bus. Fast alle lösen ihre Bons für Mars ein. Oder zahlen noch einen Euro mehr für einen potthässlichen Schlüsselanhänger ("Für dat Enkelchen").  Irgendwann erreichen wir die Heimat. Die Menschen werden wieder rausgelassen. Eine Frau fragt treuherzig: "Ich wohn da vorne, können Sie mal halten?" Klaus macht es, wohl gut gelaunt ob der Tatsache, dass er am nächsten Tag frei hat ("Ich schlaf erstmal aus, und wenn Sie mir noch ne Frau in den Arm geben, auch noch länger").
Mich bringt er nicht zur Haustür. Ich komme auch so an. Ich bin bester Laune. Niemand versteht das. So lange im Bus sitzen für fünf Stunden Holland?! Unter uns: Ich habe mich seeeeehr amüsiert. Viele Grüße an Klaus. Gute Fahrt und wenn ich drei Mal die Woche so viele Damen nach Holland fahren müsste, würde ich verrückt.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Dohle: Wenn ich nicht über den Ausdruck Deines Sohnes gestolpert wäre, hätte der Text noch lange nicht das Licht der Welt erblickt, da ich keine passende Überschrift wusste. ;-)

Nosie: Dein Vorschlag ist gut und ich habe das endlich gestrichen.

Bis demnächst im Bus :),

lg, Doc
 



 
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