Höhenangst
© 2003 by KW <Buffy>
Man wollte ihn töten.
Langsam, raffiniert, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Er spürte wie das Gift sich in seinem Körper ausbreitete. Seine Gedanken liefen auf Hochtouren. Das konnte nur der Geheimdienst sein. Oder die Mafia? Aber ihm fiel ums verrecken nicht ein, warum? Er kannte keine Staatsgeheimnisse, besaß kein Rauschgift.
Unruhig, nur im Pyjama bekleidet, lief er in seinem kleinen Appartement auf und ab. Da steckte bestimmt seine Mutter dahinter. Er wusste, dass sie ihn hasste, immer gehasst hatte. Er sah auf seine Uhr, früher Vormittag, die Zeit, wo er immer observiert wurde. Er ging zum Fenster und blickte durch die Gardine, auf die gegenüberliegende Häuserfront. Jeden Hauseingang tasteten seine Augen, nach verdächtigten Personen ab.
Da!
Der Mann mit der schwarzen Lederjacke.
Jetzt zündet er sich eine Zigarette an. Warum nimmt der sein Handy? Wen ruft er an? Ihm wurde schwindelig. Seine Beine zitterten und er setzte sich auf den Stuhl, der direkt neben dem Fenster stand. So konnte er auf die Strasse blicken, in der Gewissheit, nicht gesehen zu werden.
Er würde die Pläne für die Atombombe nicht herausrücken. Nie verraten, das er Nuklearwaffen besaß. Auch unter Folter nicht den Ort der Lagerung preisgeben. Er würde sein Geheimnis mit ins Grab nehmen.
Er lauschte, Schritte im Treppenhaus. Er hielt den Atem an. Sie kamen um ihn zu töten.
Sie taten immer Gift in die Lebensmittel, die er sich vom Supermarkt nach Hause liefern ließ. Manchmal vergaß er das Gift. Dieses geruchlose, geschmacklose Gift! Hunger brachte ihn dazu, leichtsinnig von den Lebensmitteln zu essen. Danach spürte er immer, wie das Gift mit dem Blut durch seinen Körper gepumpt wurde. Keine noch so kleine Zelle auslassend.
Nein! Er würde sein Appartement nicht verlassen. Sich nicht von hinten erschießen lassen. Er würde nicht auf die Straße gehen. Sich nicht einfach überfahren lassen.
Er würde es ihnen nicht leicht machen. Ihnen keine Chance geben. Wenn sie ihn schon töten wollten, dann müssten sie schon cleverer sein.
Vielleicht steckt ja seine Ex Freundin mit dem Geheimdienst unter einer Decke. Ihr neuer Freund, war er nicht beim Bundesgrenzschutz beschäftigt?
Er starrte wieder auf die Strasse, suchte den Mann mit der schwarzen Lederjacke. Er konnte ihn nicht sehen.
Das Telefon klingelte.
Er zuckte zusammen. Nein! Er würde den Hörer nicht abnehmen. Sich nicht melden. Er würde so tun, als ob er nicht zu Hause sei.
Erneut erfasste ihn ein Schwindelanfall. Den Fall auf den Boden spürte er nicht mehr.
Wie er in diese missliche Lage gekommen war, konnte er sich nicht erklären. Aber er wusste, dass er sich auf dem Dach des Hochhauses befand. Er, nur mit dem Pyjama bekleidet, in dieser schwindelnden Höhe. Sie wollten ihn töten. Woher wussten seine Mörder, dass er unter Höhenangst litt. Seine Mutter hatte es ihnen verraten. Er hatte es immer gewusst, sie hasste ihn.
Hitze und Kälte lösten sich ab. Sein Pyjama war nass vom Schweiß. Die Enge in der Brust, als ob ein Zentner Beton auf ihm lastet. Die kurzen Atemzüge immer schneller werdend, nach Luft ringend. Er spürte das schmerzhafte Pochen seines Herzens, dass gegen seine Rippen hämmerte, wie ein Presslufthammer. Seine Augen blickten starr, weit aufgerissen, wie hypnotisiert in die Tiefe. Ameisen und Spielzeugautos unter ihm.
In seinem Kopf das immer schneller werdende Geräusch, eines rotierenden Motors, während gleichzeitig das Gefühl vorherrschte, der wäre in einem Schraubstock eingeklemmt.
Spring!
Spring!
Dann stirbst du schneller.
Spring endlich!
Deine Qual hat dann ein Ende. Sie ist vorbei. Keine Schmerzen mehr. Keine Verletzungen. Kein Verrat. Kein Hass.
Nur noch Frieden.
Der Bienenschwarm in seinem Kopf summte diese Worte, schneller und schneller. Eindringlich - Befehlend – Überzeugend.
Nein!
Nein!
Eisige Kälte ließ seinen Körper erzittern. Der pfeifende Wind dröhnte in seinen Ohren. Seine Finger krallten sich am Dachrand fest. Er spürte wie der rotierende Wind, einer Windhose gleich, versuchte, seinen Körper mit sich in die Höhe zu ziehen um ihn dann, fröhlich pfeifend, in die Unendlichkeit fallen zu lassen.
Gewaltsam riss er sich von dem magischen Blick in die Tiefe los. Erschöpft bewegte er sich auf allen Vieren langsam, kriechend, rückwärts, fort vom Abgrund. Fort von den Ameisen und Spielzeugautos, zurück in die Mitte des Flachdaches.
Als er sich in Sicherheit glaubte, ließen seine Kräfte nach. Er ließ sich einfach fallen und ein heftiger Weinkrampf schüttelte ihn.
So blieb er liegen, bis er keine Tränen mehr hatte.
Ich lebe, durchfuhr es ihn.
Erstaunt blickte er sich um. Sein Blick blieb an der geschlossenen Tür zum Treppenhaus hängen. Noch wagte er es nicht, aufzustehen. Die Tür erschien ihm endlos weit entfernt zu sein.
Wie er zurück in seine Wohnung gelangt war, wusste er nicht.
Als der Cognac in seinem Hals brannte und in seinem Magen sich eine wohltuende Wärme ausbreitete, atmete er tief durch.
Man hatte ihm gesagt, dass er unter Schizophrenie litt.
Seine Mutter hatte diese Erbanlage an ihn weitergegeben.
Dieser Anfall war vorüber und dankbar dachte er an die Worte des Arztes.
Man kann auch mit dieser Krankheit leben.
Ja, dachte er, und mein Leben gehört mir!
© 2003 by KW <Buffy>
Man wollte ihn töten.
Langsam, raffiniert, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Er spürte wie das Gift sich in seinem Körper ausbreitete. Seine Gedanken liefen auf Hochtouren. Das konnte nur der Geheimdienst sein. Oder die Mafia? Aber ihm fiel ums verrecken nicht ein, warum? Er kannte keine Staatsgeheimnisse, besaß kein Rauschgift.
Unruhig, nur im Pyjama bekleidet, lief er in seinem kleinen Appartement auf und ab. Da steckte bestimmt seine Mutter dahinter. Er wusste, dass sie ihn hasste, immer gehasst hatte. Er sah auf seine Uhr, früher Vormittag, die Zeit, wo er immer observiert wurde. Er ging zum Fenster und blickte durch die Gardine, auf die gegenüberliegende Häuserfront. Jeden Hauseingang tasteten seine Augen, nach verdächtigten Personen ab.
Da!
Der Mann mit der schwarzen Lederjacke.
Jetzt zündet er sich eine Zigarette an. Warum nimmt der sein Handy? Wen ruft er an? Ihm wurde schwindelig. Seine Beine zitterten und er setzte sich auf den Stuhl, der direkt neben dem Fenster stand. So konnte er auf die Strasse blicken, in der Gewissheit, nicht gesehen zu werden.
Er würde die Pläne für die Atombombe nicht herausrücken. Nie verraten, das er Nuklearwaffen besaß. Auch unter Folter nicht den Ort der Lagerung preisgeben. Er würde sein Geheimnis mit ins Grab nehmen.
Er lauschte, Schritte im Treppenhaus. Er hielt den Atem an. Sie kamen um ihn zu töten.
Sie taten immer Gift in die Lebensmittel, die er sich vom Supermarkt nach Hause liefern ließ. Manchmal vergaß er das Gift. Dieses geruchlose, geschmacklose Gift! Hunger brachte ihn dazu, leichtsinnig von den Lebensmitteln zu essen. Danach spürte er immer, wie das Gift mit dem Blut durch seinen Körper gepumpt wurde. Keine noch so kleine Zelle auslassend.
Nein! Er würde sein Appartement nicht verlassen. Sich nicht von hinten erschießen lassen. Er würde nicht auf die Straße gehen. Sich nicht einfach überfahren lassen.
Er würde es ihnen nicht leicht machen. Ihnen keine Chance geben. Wenn sie ihn schon töten wollten, dann müssten sie schon cleverer sein.
Vielleicht steckt ja seine Ex Freundin mit dem Geheimdienst unter einer Decke. Ihr neuer Freund, war er nicht beim Bundesgrenzschutz beschäftigt?
Er starrte wieder auf die Strasse, suchte den Mann mit der schwarzen Lederjacke. Er konnte ihn nicht sehen.
Das Telefon klingelte.
Er zuckte zusammen. Nein! Er würde den Hörer nicht abnehmen. Sich nicht melden. Er würde so tun, als ob er nicht zu Hause sei.
Erneut erfasste ihn ein Schwindelanfall. Den Fall auf den Boden spürte er nicht mehr.
Wie er in diese missliche Lage gekommen war, konnte er sich nicht erklären. Aber er wusste, dass er sich auf dem Dach des Hochhauses befand. Er, nur mit dem Pyjama bekleidet, in dieser schwindelnden Höhe. Sie wollten ihn töten. Woher wussten seine Mörder, dass er unter Höhenangst litt. Seine Mutter hatte es ihnen verraten. Er hatte es immer gewusst, sie hasste ihn.
Hitze und Kälte lösten sich ab. Sein Pyjama war nass vom Schweiß. Die Enge in der Brust, als ob ein Zentner Beton auf ihm lastet. Die kurzen Atemzüge immer schneller werdend, nach Luft ringend. Er spürte das schmerzhafte Pochen seines Herzens, dass gegen seine Rippen hämmerte, wie ein Presslufthammer. Seine Augen blickten starr, weit aufgerissen, wie hypnotisiert in die Tiefe. Ameisen und Spielzeugautos unter ihm.
In seinem Kopf das immer schneller werdende Geräusch, eines rotierenden Motors, während gleichzeitig das Gefühl vorherrschte, der wäre in einem Schraubstock eingeklemmt.
Spring!
Spring!
Dann stirbst du schneller.
Spring endlich!
Deine Qual hat dann ein Ende. Sie ist vorbei. Keine Schmerzen mehr. Keine Verletzungen. Kein Verrat. Kein Hass.
Nur noch Frieden.
Der Bienenschwarm in seinem Kopf summte diese Worte, schneller und schneller. Eindringlich - Befehlend – Überzeugend.
Nein!
Nein!
Eisige Kälte ließ seinen Körper erzittern. Der pfeifende Wind dröhnte in seinen Ohren. Seine Finger krallten sich am Dachrand fest. Er spürte wie der rotierende Wind, einer Windhose gleich, versuchte, seinen Körper mit sich in die Höhe zu ziehen um ihn dann, fröhlich pfeifend, in die Unendlichkeit fallen zu lassen.
Gewaltsam riss er sich von dem magischen Blick in die Tiefe los. Erschöpft bewegte er sich auf allen Vieren langsam, kriechend, rückwärts, fort vom Abgrund. Fort von den Ameisen und Spielzeugautos, zurück in die Mitte des Flachdaches.
Als er sich in Sicherheit glaubte, ließen seine Kräfte nach. Er ließ sich einfach fallen und ein heftiger Weinkrampf schüttelte ihn.
So blieb er liegen, bis er keine Tränen mehr hatte.
Ich lebe, durchfuhr es ihn.
Erstaunt blickte er sich um. Sein Blick blieb an der geschlossenen Tür zum Treppenhaus hängen. Noch wagte er es nicht, aufzustehen. Die Tür erschien ihm endlos weit entfernt zu sein.
Wie er zurück in seine Wohnung gelangt war, wusste er nicht.
Als der Cognac in seinem Hals brannte und in seinem Magen sich eine wohltuende Wärme ausbreitete, atmete er tief durch.
Man hatte ihm gesagt, dass er unter Schizophrenie litt.
Seine Mutter hatte diese Erbanlage an ihn weitergegeben.
Dieser Anfall war vorüber und dankbar dachte er an die Worte des Arztes.
Man kann auch mit dieser Krankheit leben.
Ja, dachte er, und mein Leben gehört mir!