Hommage an Eduard Friedrich Mörike

Hagen

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Hommage an Eduard Friedrich Mörike

Er ist's

Meine Damen und Herren, ich möchte nun ein Gedicht von dem deutschen Lyriker Eduard Friedrich Mörike zitieren, das wohl beliebteste und bekannteste Frühlingsgedicht überhaupt, mit dem Titel:
„Er ist's.“
Meine Damen und Herren, ich muss es zunächst in aller Deutlichkeit sagen, Mörike betitelt sein Gedicht mit einer Feststellung! Einer ebenso kurzen, wie knappen, jedoch äußerst präzisen Feststellung! Kann man den Titel noch mehr straffen?
Man kann es nicht!
Der Leser wird also eingestimmt auf ein Gedicht, welches auf ein Minimum reduziert wurde. Auf das absolute Minimum!
Noch wissen wir nicht wer es ist, noch lässt Mörike den Leser im Dunkeln tappen. Aber er lässt sein Gedicht gleich mit der Antwort beginnen:
„Frühling!“
Bei seinem Osterspaziergang legt Goethe, der Champion der deutschen Dichtkunst, seinem Faust folgende Worte in den Mund: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden belebenden Blick.“
Doch Mörike geht einen Schritt weiter, indem er schreibt:
„lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.“
Das ‘Blaue Band‘ war anfangs eine symbolische Bezeichnung für die schnellste Überquerung des Atlantischen Ozeans zwischen Bishop's Rock auf den britischen Scilly-Inseln und dem Ambrose-Leuchtfeuer von New York. Später hisste man einen blauen Wimpel, zu dem auch noch ein Pokal gestiftet wurde. Erster Inhaber war 1838 das britische Schiff ‘Great Western‘.
Gehisst wurde aber ein blauer Wimpel, der durch die Lüfte flattern konnte.
„Frühling lässt seinen blauen Wimpel wieder flattern durch die Lüfte.“
Meine Damen und Herren, wie hört sich das denn an?
Nicht dass es zu Verwirrungen kommt, dieses ‘Blaue Band‘ hat Mörike mit Sicherheit nicht in seinem Gedicht gemeint!
Was hat es also mit dem ‘Blauen Band‘ auf sich?
Meine Damen und Herren, was kaum jemand weiß ist, dass der Wirt von Eduard Friedrich Mörikes Stammgaststätte Gotthold Friedwald Frühling hieß!
Der Gastwirt Gotthold Friedwald Frühling entfachte zur Belustigung seiner Gäste jedes Jahr ein Osterfeuer. Zum Zeichen dass das Osterfeuer des Abends entzündet werden würde und um die Richtung des Windes festzustellen, ließ er ein ‘Blaues Band durch die Lüfte flattern‘, denn der Qualm des Osterfeuers sollte nicht in die Gaststube ziehen.
Gleichzeitig war es das Signal für das Anschüren des Osterfeuers und dem damit verbundenen Anstich eines Fasses Maibock, welches dabei, da von Frühling selbst gebraut, eine starke Geruchentwicklung erzeugte. Der leicht süßliche Geruch dieses Bieres ließ nicht nur Mörike, der stets bei dem Osterfeuer in Frühlings Gasthaus weilte, aufmerken.
„Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land“, dichtete er daraufhin und hat recht!
Nun muss man wissen, meine Damen und Herren, dass Mörike sich gerne der Schriftstellerei gewidmet hätte. Er wagte es aber derzeit, anders als seinerzeit sein Kollege Hölderlin, nicht, sich als freier Schriftsteller durchzuschlagen. So beschränkte sich Mörikes literarisches Wirken zu diesem Zeitpunkt auf das Beschriften von Bierdeckeln, welche nur Platz für kurze, knappe Gedichte boten.
Doch sehen wir nun, meine Damen und Herren, wie es mit dieser Dichtung weiter geht!
„Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.“
Doch wer nun glaubt, dass es sich bei diesen ‘Veilchen‘ lateinisch Viola, um eine Pflanzengattung aus der Familie der Veilchengewächse, lateinisch Violaceae, handelt, der irrt!
Denn bei einem Frühlingsgedicht hätte eine sensible Natur wie Mörike definitiv die Schneeglöckchen erwähnt, wie ehedem Theodor Storm, ein nicht minder sensibler Lyriker, welcher dereinst die Schneeglöckchen mit einem kurzen Gedicht bedachte:
„Und aus der Erde schauet nur
Alleine noch Schneeglöckchen;
So kalt ist noch die Flur,
Es friert im weißen Röckchen.“
Nein, mit Veilchen dieser Art liegen wir falsch, meine Damen und Herren! Lasst es mich in aller Deutlichkeit erklären: Wir sind auf dem Holzweg, um nicht zu sagen auf dem Knüppelpfad!
Es gab nämlich derzeit eine Volkstanzgruppe, ‘Die Blauen Veilchen‘, in Mörikes Heimatort Möhringen, die stets zum Osterfeuer erschien, um die extra zu diesem Fest eingeübten Tänze darzubieten.
Um seinem Kollegen Heinrich Heine nicht zu nahe zu treten, denn der reimte derzeit:
„Die blauen Veilchen der Äugelein,
Die roten Rosen der Wängelein,
Die weißen Liljen der Händchen klein,
Die blühen und blühen noch immerfort,
Und nur das Herzchen ist verdorrt.“, um sein Gedicht nicht blaulastig werden zu lassen, weil er das Wort ‘Blau‘ bereits verwendet hatte und um den Satzrhythmus nicht zu stören, reduzierte er den Namen besagter Volkstanzgruppe nochmals.
Ein überaus genialer Kniff der hohen Dichtkunst, welcher Mörike meisterhaft beherrschte.
Und Mörike reduziert weiterhin!
Denn an diesem Osterfest verpennte die Volkstanzgruppe ihren Auftritt, denn sie war vom Vorglühen schlicht und einfach noch besoffen.
Meine Damen und Herren, sowas kam zu Zeiten des Dichters Eduard Friedrich Mörike öfter vor, als man gemeinhin annimmt.
Nun jedoch, meine Damen und Herren entschuldigen Sie die Abschweife und lassen mich fortfahren:
Da die Gäste von Gotthold Friedwald Frühlings Gasthaus ungnädig zu werden drohten, ließ er eiligst nach einem Ersatz schicken und dieser ward ehest gefunden: In dem örtlichen ‘Harfenensemble Concordia‘.
Dieses erschien in Bälde, und zwar in einem
„Horch“!
In keinem anderen Automobil der Auto Union. Die Auto Union AG, Chemnitz war, nebenbei bemerkt, der erste deutsche staatliche Automobilkonzern, der aus der Fusion des Kleinwagen- und Motorradproduzenten Zschopauer Motorenwerke J. S. Rasmussen, DKW, mit seiner Tochtergesellschaft Audiwerke AG Zwickau, der Horchwerke AG und dem Automobilwerk Siegmar der Wanderer-Werke in Schönau bei Chemnitz entstand.
Nicht in einem Wanderer, oder einem schlichten DKW, oder gar einem Audi, nein, einem Horch erschien das ‘Harfenensemble Concordia‘!
Horch war der Markenname des im westsächsischen Zwickau gegründeten Luxusautomobilherstellers, der zuerst unter der Unternehmensbezeichnung August Horch & Cie. Motorwagenwerke AG geführt wurde.
Man sieht also, dass das Niveau dieses Harfenensembles außerordentlich hoch war, denn sonst hätte Mörike nicht auf dieses Automobil verwiesen.
Meine Damen und Herren, bitte verzeihen Sie mir als Oldtimerfan diese neuerliche Abschweife. Aber nur durch diese Abschweife ist dieses grandiose Werk Eduard Friedrich Mörikes richtig zu verstehen, denn Mörike indes weilte bereits in der Gaststube, eines weiteren Glases Maibock harrend.
Als nun beim Ausladen der Instrumente eine Harfe umkippte, erscholl
„von fern ein leiser Harfenton!“
Äußerst poetisch bringt der Dichter Eduard Friedrich Mörike auch diesen Laut, welcher sich in das fröhliche Pfeifen eines nahen Zügleins mischte, um dem Bremser im vierten Wagen das verabredete Dampfpfeifensignal die Bremsen anzuziehen, zu Papier.
Bemerkenswert wie Mörike den Harfenton und das fröhliche Dampfpfeifensignal des Zügleins zu unterscheiden wusste. Ohne Umschweife auf ein Frühlingsgedicht, wie zum Beispiel das von Ludwig Uhlands Frühlingsfeier:
„Süßer, goldner Frühlingstag!
Inniges Entzücken!
Wenn mir je ein Lied gelang,
Sollt es heut` nicht glücken?
Doch warum in dieser Zeit
An die Arbeit treten?
Frühling ist ein hohes Fest.
Lasst mich ruhn und beten!“, kommt Mörike ohne Umschweife auf den Punkt!
Er verzichtet in seiner knappen, präzisen Art auf unnötige Umschreibungen, denn als der Wirt die Gaststube betrat und sich lautstark nach weiteren Bestellungen erkundigte, rief Mörike frohen Herzens aus:
„Frühling, ja du bist's! Dich hab' ich vernommen!“
Meine Damen und Herren, ich kann verstehen, dass Sie nun betreten schweigen. Sie haben Recht!
Nach Eduard Friedrich Mörike, einem Dichter der alten Schule, der in der letzten Zeit zu Unrecht zunehmend ignoriert wurde, muss man sogar schweigen!
 

Hagen

Mitglied
Hallo John!

Viele Dank für die Beschäftigung mit meinem Text.
Hast Du Dir das Gedicht selber ausgedacht? Ist ja Spitze, wie ich finde.
Danke auch für den Tipp mit dem Seniorentreff. Ich werde wohl demnächst auch ein Seniorentreff aufmachen, vorausgesetzt, die Senioren haben Interesse an Billard, guten Texten und Senioren-Breakdance.

Also dann, wir lesen uns!
Yours Hagen

Viele Grüße aus Bremen und fröhliche Weihnachten!
 



 
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