Hopsi muss sich entscheiden

Majalu

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„Es ist an der Zeit“, sagte der Hasenvater ruhig, aber bestimmt. Seine Miene war ernst, denn er wusste, es würde nicht einfach werden. Das stumpfe Fell schimmerte grau, und die abgenutzten Sprunggelenke schmerzten stechend. Nach vielen arbeitsreichen Jahren fröhlichen Eierbemalens wollte er sich endlich zur Ruhe setzen.
Hopsi, sein einziges Hasenkind, stellte andächtig seine großen Lauscher auf, während die feinen Schnurrbarthaare zitterten. Höchste Anspannung machte sich in ihm breit, sodass er wie ein zu fest aufgeblasener Luftballon zu platzen drohte. Denn nun war es so weit: Er sollte in die Fußstapfen seines Vaters treten und die Ostermalereifirma übernehmen.
„Und wenn ich nicht will?“, sagte das Hasenkind trotzig und stampfte energisch mit der Pfote auf. Längst hegte es andere Pläne. „Viel lieber will ich ein Weihnachtswichtel werden!“ Hopsi blähte die Nüstern. „So ein Unsinn!“, schrie der Vater ärgerlich. „Es gibt mehr als genug Weihnachtswichtel auf dieser Welt! Und die farblose Arbeit wird dich nach zwei Tagen langweilen“, prophezeite er osterhasenklug. Dann rümpfte er majestätisch seine Hasennase und fuhr erbost fort: „Mein Sohn, der Weihnachtswichtel! Pah! Da kringeln sich ja die Löffel vor Lachen!“
Hopsi war einfach unzufrieden. „Von früh bis spät soll ich Eier bemalen, immer nur Eier bemalen“, jammerte er gereizt. Ungehalten scharrte er mit den Hasenfüßen, sodass die aufgewirbelten Erdklumpen wie kleine, schnelle Ufos in Richtung Hasenvater schossen. Doch dieser drehte sich blitzschnell um, fing die Geschosse mit dem Popo auf, ließ sie auf die Hinterhufe plumpsen und wirbelte sie zielsicher zurück.
„Schluss!“, rief die Hasenmama energisch und stellte sich mit verschränkten Armen zwischen die beiden Streithähne. Sie hatte endgültig die Hasennase voll. Hopsi gab sich geschlagen und verließ eingezogenen Schwanzes das Schlachtfeld. Mit hängenden Ohren und müden Hinterläufen trottete er davon, um sich für ein Weilchen auf seine Lieblingswiese zurückzuziehen. Während seine Augen genug damit zu tun hatten, den am Himmel ziehenden Wolken zu folgen, dachte er gründlich nach. „Soll ich meinem Hasenherz folgen und Weihnachtswichtel werden?“, fragte er sich unschlüssig. „Doch dann werde ich vermutlich den Groll meines Vaters auf ewig ertragen müssen. Oder soll ich den Rest meines Lebens etwas tun, was mir zum Halse heraushängt?“
Und genau in diesem Moment passierte es. Schon vor einigen Tagen hatte der Hasenkurier von einer ausgeflippten Hasenfamilie berichtet, die mit einem selbstgebauten Raumschiff in Form einer mutierten Riesenmöhre, die sie eigens dafür gezüchtet hatte, zum Mond fliegen wollte. Um genau dieses Raumschiff musste es sich handeln, das soeben in luftigen Höhen direkt über Hopsis Hasennase in flottem Tempo auf die Sonne zusteuerte. Die Raumschiffmöhre färbte die Wolken in ein grelles Orange, so stark leuchtete sie.
„Um Himmels willen! Was ist denn da oben los?“, rief Hopsi ungläubig und sprang erschrocken auf, dass die Knochen nur so knacksten. „Haben die den Verstand verloren? Die fliegen ja direkt auf die Sonne zu!“ Er fuchtelte wild mit den Vorderpfoten und versuchte anzudeuten, dass sie das falsche Ziel ansteuerten. Vergeblich! Die Sonne schoss bereits ihre glühend heißen Pfeile ab, die dann die Raumschiffmöhre am Heck trafen, das sofort Feuer fing. Doch die übermütige Hasenfamilie schien das nicht zu stören.
„Nein!“, schrie Hopsi noch aus Leibeskräften, als der todesmutige Kapitän der Riesenmöhre weitere drei Hasenzähne an Geschwindigkeit zulegte und mit Schmackes die gute alte Sonne rammte. Völlig überraschend verlor der glühende Ball seine Standhaftigkeit und schwankte beängstigend hin und her. Dann schoss er mit einem Affentempo auf die Erde zu, wobei er sich mehrere Male überschlug, krachte mit einem hasenohrenbetäubenden Lärm auf die Wiese und drang mit Macht in den festen Boden ein, der ihn sogleich wie ein gieriges Monster auf raubtierhafte Weise verschlang.
Die Welt hielt den Atem an, denn mit einem Schlag war es stockfinster, sodass die Vögel ihr Singen einstellten und der Wind sein Wehen. Mit der Sonne waren auch die Farben verschwunden: Die Blätter waren nicht mehr grün, der Himmel nicht mehr blau, und die Hasen nicht mehr braun. Ein riesenhafter Grauschimmer legte sich behaglich auf die Welt und verströmte die eintönigste, graueste Langeweile, die man sich vorstellen kann.
Nachdem Hopsi langsam wieder Luft bekommen hatte, kroch er vorsichtig aus seinem Erdloch, in dem er Schutz gesucht hatte. Sein kleiner Hasenbauch bebte immer noch vor Angst. Er schüttelte sich und prüfte die Lage. „Oh nein!“, kreischte er panisch. Wie angestochen lief er los, um jeden einzelnen Grashalm, jede Blüte und jeden Wassertropfen ungläubig anzustarren. „Wo sind denn all die schönen Farben hin?“ Ziellos schlug er mehrere Haken, sprang in die Luft, schmiss sich danach wieder ins hohe Gras und nahm schließlich eine Abkühlung im Fluss, um einen klaren Kopf zu bekommen. Dann setzte er sich erschöpft auf einen Stein, vergrub den Kopf in seinen Hasenpfoten und schluchzte herzzerreißend: „Die Welt hat ihre Farben verloren, und nun können wir Osterhasen unsere Eier nicht mehr bunt färben!“, jammerte er in den höchsten Hasentönen. Dabei schlotterte er von den Pfoten bis zu den Löffeln, als würde ihn ein eisiger Nordwind umtoben. Und er fühlte die Sehnsucht nach den leuchtenden Farben bis unter das Fell. Schmerzlich wurde ihm klar, dass ihm das Wichtigste genommen worden war.
„He, Großer!“ Der Hasenvater legte seinem Sohn die Pfote auf die Schulter. Weinend fiel Hopsi an seine starke Brust. „Niemals mehr werden wir die Kinder mit unseren Farben zum Staunen bringen“, stieß er verzweifelt hervor. Der Hasenvater hielt seine schützenden Arme fest um seinen Sohn, bis das Beben in seinem Körper abebbte und der ersehnten Beruhigung Platz machte. Für einen kurzen Moment dachte er nach. Dann verkündete er stolz: „Ich habe eine Idee!“
Was nun geschah, ließ die Welt wieder aufatmen. Es wurde auch höchste Zeit! Denn tief unter der Erde schien mit all ihrer Kraft die leuchtende Sonne. Und das war für jene, deren Augen an die Dunkelheit gewöhnt waren, höchst gefährlich. Grelle, blendende Sonnenstrahlen tasteten sich forsch durch die dichte Erde, um die schwarze Unterwelt in ein hell leuchtendes Farbenmeer zu verwandeln. Die Maulwürfe waren alarmiert und wollten sich schnell in Sicherheit bringen. Schon grub sich eine ganze Armee fest entschlossener Osterhasen in Schutzanzügen durch das gut ausgebaute Unterweltnetz, arbeitete sich bis zur Sonne vor und schob diese mit geballter Anstrengung aus dem Erdreich hinaus, direkt auf eine vorbereitete Abschussrampe. Von dort aus wurde sie mit vereinter Kraft zurück in den Himmel katapultiert.
„Geschafft!“, sagte der Hasenvater erleichtert und strich sich sorgfältig die Schweißperlen aus dem Fell, als er nach getaner Arbeit mit seinem Sohn genüsslich einen Möhrensaft schlürfte. „Die Sonne steht wieder am rechten Fleck, und die Welt hat ihre Farben zurück.“ Hopsi sah sich zufrieden um. „Und weißt du was?“, platzte es zwei Möhrensaftschlucke später aus ihm heraus. Der Hasenvater blickte neugierig auf. „Weil mir jetzt klar geworden ist, wie wichtig Farben sind, will ich die Ostermalereifirma übernehmen!“ Hopsis Vater freute sich so sehr über diesen Entschluss, dass er den Möhrensaft wieder zur Nase herausprustete. Geschwind nahm er seinen Sohn fest in die weichen Hasenarme und flüsterte schmunzelnd: „Vielleicht muss man erst etwas verlieren, um seinen wahren Wert schätzen zu können.“
 



 
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