Ich bin unentschlossen

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Ich bin unentschlossen. Und das ist gar nicht so einfach.
Es ist eine Zeit des Umbruchs. Mein Jahr der Veränderung.
Ich bin Vierzig!
Man stelle sich das mal vor. Es ist noch nicht lange her, da habe ich den Führerschein gemacht. Mich mühselig dem Ernst des Lebens gestellt. Habe aufgehört zu wachsen.
Gefühlt ist das gestern gewesen. Geschätzt bin ich vielleicht Mitte Zwanzig. Natürlich selbstgeschätzt.
Vierzig!
Das ist das Alter, in dem Profifußballer spätestens zurücktreten sollten. Die Ausnahmen haben es versaut: Klaus „Tanne“ Fichtel war blamabel, aber der war schon 43. Lothar Matthäus konnte auch nicht aufhören und blamierte sich entsprechend. Besser ist es bei ihm nicht geworden. Die schöne Begleiterin bleibt immer gleich alt. Doch Loddar, die Illusion täuscht. Bei dir selbst tickt die Uhr.
Die Erkenntnis trifft mich. Auch meine Uhr tickt.
Die gefühlte „Mitte Zwanzig“ kann ich knicken. Der verheilte Bänderriss schmerzt noch nach einem Jahr. Das durchzechte Wochenende beschränkt sich auf einen Tag und die Erholungsphase dauert bis zur nächsten Woche. Die Sehkraft rettet eine Brille. Nur der Gürtel wird immer enger.
Alle Andeutungen scheinen es zu bewahrheiten: Der Gipfel ist überschritten, es geht bergab. Langsam, aber stetig.
Dabei ist doch gerade mal das erste Drittel geschafft. Wohin soll das führen?
Es trifft mich wie ein Schlag!
Ich muss mich ändern.
Die Ruhephasen werden länger. Also muss ich mir die Auszeit gönnen. Mich schonen. Mich zurücklehnen. Eine Langsamkeit nimmt Einzug. Kein Leben auf der Überholspur. Sonst ist der Crash vorhersehbar.
Wie überall im Leben fällt dies schwer.
Die Wirtschaft will auch immer wachsen, selbst wenn sie eine hohe Reife erlangt hat. Weib, Wein und Gesang reizen auch jenseits der Vierzig. Auch der Beruf fordert nicht weniger, nur weil ich älter bin. Und dem sollen noch dreißig Jahre Dauerstress folgen?
Alle Ausreden helfen nichts. Die Realität ist wie sie ist. Und Schönfärberei und Ignoranz führen nur schneller in den Abgrund.
Es muss gehaushaltet werden. Ewige Jugend ist Illusion. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Im Kopf!

Ich bin entschlossen.
Ich bin erfahren. Vermeide Stress, da er nicht gut tut. Durchzechte Nächte werden reduziert. Die Ernährung ist wichtig und ausgewogen ist sie ab sofort. Auch Bewegung und frische Luft gehören zum Leben und werden jetzt selbstverständlich. Die Kippen kommen auf den Müll. Und die Leibesfülle bleibt begrenzt. Ein sanfter Trainingsplan strafft und lässt die Pfunde gemächlich Purzeln.
Das zweite Drittel vermeidet Rosskuren. Gemütlichkeit ist Trumpf. Die innere Mitte Programm.
Doch Askese wird vermieden.
Stattdessen die Höhepunkte ganz bewusst gesetzt. Das Festival im Sommer. Die Party zum Geburtstag. Der Karriereweg in kleinen Schritten geplant. Und der Festschmaus auf einmal die Woche fokussiert.
Vierzig!
Ein tolles Alter. Während andere immer schneller rennen, komme ich schneller ans Ziel. Während andere immer verbissener suchen, habe ich in aller Ruhe mein Glück gefunden. Das Pendel schwingt im Einklang zwischen Leidenschaft und Vertrautheit, zwischen Antrieb und Ruhe, zwischen Temperament und Beharrlichkeit.
Das zweite Drittel wird anders. Verändert.
Doch noch ist der Weg weit. Aber ich bin entschlossen ihn zu bestreiten.
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Moin Micha,

spannendes Selbstgespräch. Eine Momentaufnahme über eine Selbstfindung und gleichwohl eine kleine Biographie. Möge Dein Protagonist seine Schwächen korrekt bloßgelegt und funktionierende Lösungen gewählt haben.

Ich frag mich zum Beispiel immer, ob meine Eltern sich mit 40 auch so viel jünger fühlten, wie ich heute. Ob es also ein sozialer Trend ist. Vielleicht sind aber auch nur die Jahre kürzer als früher.

Dein Text spricht das alles irgendwie an.

cu
lap
 
R

Rose

Gast
Hallo Michael,

toll geschrieben!! Ich konnte mich so richtig in deinen Text hineinfallen lassen und verstehe ihn gut, da ich um die Vierzig bin.

Blumige Grüße
Rose
 
Hallo Michael,

Dabei ist doch gerade mal das erste Drittel geschafft. Wohin soll das führen?
das ist natürlich amüsant, wenn man um die 40 ist. :)
Aber, wenn der Protagonist so leben wird, wie er sich vorgenommen hat, schafft er vielleicht tatsächlich die 120? Aber, es geht hier ja um die gefühlten Jahre. Da kommt es natürlich hin mit dem ersten Drittel. :)

Dein Text hat es in sich. All diese Gedanken kenne ich auch, obwohl ich leider nicht mehr um die 40 bin. Immerhin fühle ich mich seit etlichen Jahren wie 35 - hat ja auch was. :D Es ist sicher so, dass sich diese Überlegungen, die du sehr gut in Worte gekleidet hast, gerade bei den vollen Jahrzehnten (runden Geburtstagen) wiederholen.

Liebe Grüße,
Estrella
 
Hallo Mandelbaum,

der Text ist eigentlich kein Tagebucheintrag, wenn er auch vielleicht einen solchen Eindruck macht.
Es ist einfach ein Text, der ein wenig mit dem Älterwerden spielt. Manches davon ist natürlich auch persönlich, vieles aber fiktional.

Wenn ihr aber meint, er passt dort besser, kann ich ihn auch verschieben.

Auf jeden Fall an euch alle vielen Dank für die positiven Rückmeldungen, das hat mich sehr gefreut.

Bis bald,
Michael
 

Lio

Mitglied
Hey Michael,

du redest nicht um den heißen Brei und bringst die Dinge auf den Punkt. Das mag ich. Das Ende (die letzten beiden Absätze) passen für mich aber nicht. Es hört sich ein bisschen so an, als würde der Prot. verkrampft versuchen jetzt doch noch etwas Tolles für die Zukunft herauszuwürgen. Würde der Text bei "vierzig" enden, wäre er für mich rund.

Viele Grüße!

Lio
 
Ich bin unentschlossen. Und das ist gar nicht so einfach.
Es ist eine Zeit des Umbruchs. Mein Jahr der Veränderung.
Ich bin Vierzig!
Man stelle sich das mal vor. Es ist noch nicht lange her, da habe ich den Führerschein gemacht. Mich mühselig dem Ernst des Lebens gestellt. Habe aufgehört zu wachsen.
Gefühlt ist das gestern gewesen. Geschätzt bin ich vielleicht Mitte Zwanzig. Natürlich selbstgeschätzt.
Vierzig!
Das ist das Alter, in dem Profifußballer spätestens zurücktreten sollten. Die Ausnahmen haben es versaut: Klaus „Tanne“ Fichtel war nur noch schlecht, aber der war schon 43. Lothar Matthäus konnte auch nicht aufhören und blamierte sich entsprechend. Besser ist es bei ihm nicht geworden. Die schöne Begleiterin bleibt immer gleich alt. Doch Loddar, die Illusion täuscht. Bei dir selbst tickt die Uhr.
Die Erkenntnis trifft mich. Auch meine Uhr tickt.
Die gefühlte „Mitte Zwanzig“ kann ich knicken. Der verheilte Bänderriss schmerzt noch nach einem Jahr. Das durchzechte Wochenende beschränkt sich auf einen Tag und die Erholungsphase dauert bis zur nächsten Woche. Die Sehkraft rettet eine Brille. Nur der Gürtel wird immer enger.
Alle Andeutungen scheinen es zu bewahrheiten: Der Gipfel ist überschritten, es geht bergab. Langsam, aber stetig.
Dabei ist doch gerade mal das erste Drittel geschafft. Wohin soll das führen?
Es trifft mich wie ein Schlag!
Ich muss mich ändern.
Die Ruhephasen werden länger. Also muss ich mir die Auszeit gönnen. Mich schonen. Mich zurücklehnen. Eine Langsamkeit nimmt Einzug. Kein Leben auf der Überholspur. Sonst ist der Crash vorhersehbar.
Wie überall im Leben fällt dies schwer.
Die Wirtschaft will auch immer wachsen, selbst wenn sie eine hohe Reife erlangt hat. Weib, Wein und Gesang reizen auch jenseits der Vierzig. Auch der Beruf fordert nicht weniger, nur weil ich älter bin. Und dem sollen noch dreißig Jahre Dauerstress folgen?
Alle Ausreden helfen nichts. Die Realität ist wie sie ist. Und Schönfärberei und Ignoranz führen nur schneller in den Abgrund.
Es muss gehaushaltet werden. Ewige Jugend ist Illusion. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Im Kopf!

Ich bin entschlossen.
Ich bin erfahren. Vermeide Stress, da er nicht gut tut. Durchzechte Nächte werden reduziert. Die Ernährung ist wichtig und ausgewogen ab sofort. Auch Bewegung und frische Luft gehören zum Leben und werden jetzt zur Selbstverständlichkeit. Die Kippen kommen auf den Müll. Und die Leibesfülle bleibt begrenzt. Ein sanfter Trainingsplan strafft und lässt die Pfunde gemächlich Purzeln. Das zweite Drittel vermeidet Rosskuren. Gemütlichkeit ist Trumpf. Die innere Mitte Programm. Doch Askese wird vermieden.
Stattdessen die Höhepunkte ganz bewusst gesetzt. Das Festival im Sommer. Die Party zum Geburtstag. Der Karriereweg in kleinen Schritten geplant. Und der Festschmaus auf einmal die Woche fokussiert.
Vierzig!
Die Hürde ist genommen. Packen wir es an!
 

Lio

Mitglied
Jetzt gefällt es mir richtig gut.

Obwohl sich das motivierende "Packen wir´s an", am Ende für mich nicht in die wehmütige Grundstimmung einfügt. Für mich wäre "und es muss weiter gehen" oder etwas ähnliches logischer. Der Prot. stellt sich ja auf ein maßvolleres Leben ein. Wenn er sein jugendliches Leben zuvor genossen hat, wird er wohl nicht voller Motivation in diese Lebensphase starten ... Aber wie gesagt, das ist nur meine Lesart.

Viele Grüße!

Lio
 
Ich bin unentschlossen.
Und das ist gar nicht so einfach.
Es ist eine Zeit des Umbruchs. Mein Jahr der Veränderung.
Ich bin Vierzig!
Man stelle sich das mal vor. Es ist noch nicht lange her, da habe ich den Führerschein gemacht. Mich mühselig dem Ernst des Lebens gestellt. Habe aufgehört zu wachsen.
Gefühlt ist das gestern gewesen. Geschätzt bin ich vielleicht Mitte Zwanzig. Natürlich selbstgeschätzt.
Vierzig!
Das ist das Alter, in dem Profifußballer spätestens zurücktreten sollten. Die Ausnahmen haben es versaut: Klaus „Tanne“ Fichtel war nur noch schlecht, aber der war schon 43. Lothar Matthäus konnte auch nicht aufhören und blamierte sich entsprechend. Besser ist es bei ihm nicht geworden. Die schöne Begleiterin bleibt immer gleich alt. Doch Loddar, die Illusion täuscht. Bei dir selbst tickt die Uhr.
Die Erkenntnis trifft mich. Auch meine Uhr tickt.
Die gefühlte „Mitte Zwanzig“ kann ich knicken. Der verheilte Bänderriss schmerzt noch nach einem Jahr. Das durchzechte Wochenende beschränkt sich auf einen Tag und die Erholungsphase dauert bis zur nächsten Woche. Die Sehkraft rettet eine Brille. Nur der Gürtel wird immer enger.
Alle Andeutungen scheinen es zu bewahrheiten: Der Gipfel ist überschritten, es geht bergab. Langsam, aber stetig.
Dabei ist doch gerade mal das erste Drittel geschafft. Wohin soll das führen?
Es trifft mich wie ein Schlag!
Ich muss mich ändern.
Die Ruhephasen werden länger. Also muss ich mir die Auszeit gönnen. Mich schonen. Mich zurücklehnen. Eine Langsamkeit nimmt Einzug. Kein Leben auf der Überholspur. Sonst ist der Crash vorhersehbar.
Wie überall im Leben fällt dies schwer.
Die Wirtschaft will auch immer wachsen, selbst wenn sie eine hohe Reife erlangt hat. Weib, Wein und Gesang reizen auch jenseits der Vierzig. Auch der Beruf fordert nicht weniger, nur weil ich älter bin. Und dem sollen noch dreißig Jahre Dauerstress folgen?
Alle Ausreden helfen nichts. Die Realität ist wie sie ist. Und Schönfärberei und Ignoranz führen nur schneller in den Abgrund.
Es muss gehaushaltet werden. Ewige Jugend ist Illusion. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Im Kopf!

Ich bin entschlossen.
Ich bin erfahren. Vermeide Stress, da er nicht gut tut. Durchzechte Nächte werden reduziert. Die Ernährung ist wichtig und ausgewogen ab sofort. Auch Bewegung und frische Luft gehören zum Leben und werden jetzt zur Selbstverständlichkeit. Die Kippen kommen auf den Müll. Und die Leibesfülle bleibt begrenzt. Ein sanfter Trainingsplan strafft und lässt die Pfunde gemächlich Purzeln. Das zweite Drittel vermeidet Rosskuren. Gemütlichkeit ist Trumpf. Die innere Mitte Programm. Doch Askese wird vermieden.
Stattdessen die Höhepunkte ganz bewusst gesetzt. Das Festival im Sommer. Die Party zum Geburtstag. Der Karriereweg in kleinen Schritten geplant. Und der Festschmaus auf einmal die Woche fokussiert.
Vierzig!
Die Hürde ist genommen.
Ich bin entschlossen.
 
S

suzah

Gast
hallo michael,

nun die überlegungen deines prot sind wohl richtig, aber
der beginn stimmt nicht so ganz:

"Ich bin unentschlossen.
Und das ist gar nicht so einfach."

ich denke, nichts ist einfacher als unentschlossen zu sein, da brauche ich mir kaum etwas richtig zu überlegen, die gedanken kommen und gehen, ich setz mich nicht richtig damit auseinander.

aber einen entschluß zu fassen, da muss man sich wirklich alles abwägen, um dann das bestmögliche zu tun, was dein prot dann ja macht.

lg suzah
 

moersmaus

Mitglied
ABER

... wenn man unentschlossen ist, obwohl man sich gerne entschließen würde aber nicht kann - dann wird es echt schwierig... :)

LG
 
Danke moermaus. So war es natürlich auch gemeint. Es kann nämlich auch schön sein, unentschlossen zu sein.
Aber ich lass mir den Anfang trotzdem nochmal durch den Kopf gehen.
 
D

Donkys Freund

Gast
Willkommen im Club! (an den Protagonisten gerichtet).
Offene Gedanken. Eine Selbsterkenntnis, die sehr erfrischend und ehrlich rüberkommt. Bis zum Punkt, als der Rationalist mit strengen Vorgaben für das "Vierzig-sein" zuschlägt, wie die Hürde zu meistern ist.

Nun ist die "Botschaft" durch den (eventuell) persönlichen Bezug schwer zu bewerten. Ich persönlich empfinde sie zur Meisterung der aufkeimenden Midlifecrisis, zur Ordnung des "neuen" Lebens, wie ein Pfeifen im Walde und deshalb unglaubwürdig. Die "innere Mitte" klingt sehr gebaut... Ist aber rein subjektiv.
 



 
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