Ich. Darf. Nicht. Denken.

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Spitze Feder

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Es war der Morgen des 7. Januar 2025. Christine erwachte. Schläfrig drehte sie sich um, tastete nach der Person, die neben ihr lag. Erschrocken fuhr sie hoch. Wo war sie? Wer war sie? Und wer war der Mann, der neben ihr im Bett lag? Der Mann erwachte nun ebenfalls.

„Wer sind Sie?“, fragte Christine.

„Ich bin Ben, dein Mann“, sagte der Mann.

„Ben, mein Mann? Und wer, wer bin ich?“, stammelte Christine.

„Du bist Christine, meine Frau. Du bist 40 Jahre alt. Wir haben vor 14 Jahren geheiratet. Vor zwei Jahren hast du einen atypischen Gedächtnisverlust erlitten. Tagsüber speicherst du Informationen. Wenn du dich abends ins Bett legst, vergisst du alles, was am Tag gewesen ist. Wenn du morgens aufwachst, bist du wieder eine 25-jährige Frau. Alles, was du nach deinem 25. Lebensjahr erlebt hast, ist aus deinem Gedächtnis gelöscht. So geht das seit zwei Jahren, Tag für Tag.“

„Das, das ist ja grauenhaft“, stammelte Christine verzweifelt.

Ihr Blick fiel auf einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz, der auf Bens Nachttisch lag.

„Und was ist das? Warum liegt dort ein Mundschutz? Bist du krank?“, fragte Christine erstaunt.

„Nein, das müssen alle Bürger seit fünf Jahren tragen. Wir haben seit fünf Jahren eine Corona-Pandemie“, erklärte Ben.

„Eine Corona-Pandemie?“, echote Christine verwundert. „Seit fünf Jahren?“

„Ja, seit fünf Jahren.“

„Aber“, hakte Christine nach, „gibt es denn keinen Impfstoff gegen dieses Coronavirus?“

„Doch, schon“, sagte Ben. „Aber der Impfstoff wirkt eben nicht so gut, dass er die Pandemie beenden kann. Er wirkt schon gut, sagen sie uns, aber eben nicht so gut, dass er das Virus ausrottet. Sie sagen aber auch, dass es an den Ungeimpften liegt, dass der Impfstoff nicht so gut wirkt.“

„Die Ungeimpften sind schuld, dass der Impfstoff nicht wirkt?“, fragte Christine verwundert. Sie dachte eine Weile nach. Dann fragte sie: „Bist du denn geimpft?“

„Ja und nein“, antwortet Ben.

„Ja und nein?“, fragte Christine erstaunt. „Wie meinst du das?“

„Ich bin sogar dreimal geimpft. Alle Bürger müssen sich dreimal im Jahr impfen lassen. Per Gesetz. Wer das nicht regelmäßig tut, gilt auch als Mehrfachgeimpfter wieder als ungeimpft. Nach der dritten Impfung habe ich weitere Impfungen verweigert. Seither musste ich hohe Geldbußen zahlen, demnächst bin ich von Gefängnis bedroht.“

„Von Gefängnis bedroht? Das ist ja schlimm“, entfuhr es Christine. „Und ich? Bin ich geimpft?“, fragte sie.

„Das ist ja das Problem“, sagte Ben. „Du hast nach der der dritten Impfung nicht Schluss gemacht, sondern dich ein viertes, fünftes und sechstes Mal impfen lassen. Nach dem sechsten Mal kam es dann zu deinem atypischen Gedächtnisverlust. Dieser ist von den Ärzten als Nebenwirkung der Impfung bestätigt worden. Du bist nicht die Einzige, die es getroffen. Es gibt viele Betroffene.“

„Wie furchtbar“, murmelte Christine bestürzt. „Aber für dich ist doch alles viel schlimmer“, sagte Christine und eine Träne rann ihr über die Wange. „Während ich nur einen Tag Corona-Pandemie erleben muss und nachts alles wieder vergessen kann, musst du das schon seit fünf Jahren!“

„Ja“, sagte Ben traurig. „Es ist zermürbend. Tag für Tag immer das Gleiche. Sie erzählen uns immer das Gleiche. Inzidenzen, Krankenhausbelegungen, Intensivbetten, Coronatote. Und impfen. Es geht immer nur ums Impfen. Impfen, impfen, impfen. So geht das schon seit fünf Jahren.“ Traurig senkte Ben den Kopf.

„Wie furchtbar“, sagte Christine und drückte sich tröstend an ihren Mann. „Dann lass uns wenigstens heute einen schönen Tag erleben, solange es möglich ist und sie dich nicht ins Gefängnis stecken.“

Und das taten die beiden, bis sie sich abends müde ins Bett legten.

Am Morgen erwachte Christine.

Schläfrig drehte sie sich um, tastete nach der Person, die neben ihr lag. Erschrocken fuhr sie hoch. Wo war sie? Wer war sie? Und wer war der Mann, der neben ihr im Bett lag? Der Mann erwachte nun ebenfalls.

„Wer sind Sie?“, fragte Christine.

„Ich bin Ben, dein Mann“, sagte der Mann.

Er erklärte ihr dann, dass sie seit fünf Jahren eine Corona-Pandemie haben.
 
Zuletzt bearbeitet:

onivido

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So koennte es kommen. Leider ist bis jetzt noch niemand 5 mal geimpft, oder besser Gott sei Dank. Koennte auch in die Rubrik "Horror" passen,
 
Zuletzt bearbeitet:
Liebe Spitze Feder!

Prima, dass du dasjenige Thema so humorig aufarbeitest. Zeit wird’s, dass das jemand tut.
Wirklich amüsant zu lesen.
Erinnert von der Idee her natürlich an diese Komödie mit Drew Barrymore, „50 erste Dates“ - aber gut weitergesponnen und mit der pandemischen Gegenwart verwoben.
Muss schon sagen: Mutig, hier die Impfung mit einer solchen Fiktion in Verbindung zu bringen!


Kleinere logische Ungereimtheiten sind mir aber aufgefallen.
Zum Beispiel erschließt sich nicht ganz, warum das Gedächtnis der Frau ausgerechnet auf ihr 25jähriges Ich zurückgefallen ist.


Dass es sich speziell um das Corona-Virus handelt und dass ein Impfstoff im Spiel ist, kann sich Christine auch nicht unbedingt sofort aus dem Satz:

Wir haben seit fünf Jahren eine Corona-Pandemie
herleiten.
Ihre Reaktion:

"gibt es denn keinen Impfstoff gegen dieses Coronavirus?“
scheint mir jedenfalls nicht ganz plausibel, nachdem sie zuvor doch nur „Corona“ und „Pandemie“ als einzigen Input erhalten hatte.


Stilistisch würde ich vielleicht auch so manche Wortwiederholungen in dem doch relativ kurzen Text vermeiden („stammelte“, „furchtbar“ „fragte erstaunt“, „verwundert“)


Ach ja, und kleiner Tippfehler. Bei dem Satz mit „Nachttisch“ fehlt dir ein „t“ (geht ja wohl nicht um ein Dessert):

Ihr Blick fiel auf einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz, der auf Bens Nachtisch lag.

Sind aber keine großen Sachen, die mich stören.
Insgesamt hast du mich gut und knackig unterhalten und zum Schmunzeln gebracht.
Und das ist doch was, meint jedenfalls:


Erdling
 

Mimi

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Als Vorlage dürfte hier wohl eher S. J. Watsons
"Ich.darf.nicht.schlafen" gedient haben...

Hier wurden die Geschehnisse der Corona-Pandemie miteinbezogen.
Nun, ich finde, für Humor oder Satire fehlt es allerdings am nötigen Biss ... dieser Text jedenfalls liefert für dieses Genre zu wenig.

Gruß
Mimi
 
Ach so, von daher kommt der Titel – danke für die Aufklärung, Mimi!
Ich sehe, sogar der Figurenname „Christine“ stimmt überein.

Mir Banause ist tatsächlich zuerst dieser seichte Blödel-Streifen eingefallen – jetzt geh ich mich erst mal eine Runde schämen…

Ist aber auch Hollywood-verfilmt worden, der „Ich-darf-nicht…“-Titel, wenn ich nicht irre?
Mit Nicole Kidman: Den hab ich nämlich auch schon gesehen.
Da fällt mir auf, vielleicht schau ich einfach zu viel fern… Banause eben (noch nicht ganz fertig mit Schämen)
 

Spitze Feder

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Liebe Spitze Feder!

Prima, dass du dasjenige Thema so humorig aufarbeitest. Zeit wird’s, dass das jemand tut.
Wirklich amüsant zu lesen.
Erinnert von der Idee her natürlich an diese Komödie mit Drew Barrymore, „50 erste Dates“ - aber gut weitergesponnen und mit der pandemischen Gegenwart verwoben.
Muss schon sagen: Mutig, hier die Impfung mit einer solchen Fiktion in Verbindung zu bringen!


Kleinere logische Ungereimtheiten sind mir aber aufgefallen.
Zum Beispiel erschließt sich nicht ganz, warum das Gedächtnis der Frau ausgerechnet auf ihr 25jähriges Ich zurückgefallen ist.


Dass es sich speziell um das Corona-Virus handelt und dass ein Impfstoff im Spiel ist, kann sich Christine auch nicht unbedingt sofort aus dem Satz:



herleiten.
Ihre Reaktion:



scheint mir jedenfalls nicht ganz plausibel, nachdem sie zuvor doch nur „Corona“ und „Pandemie“ als einzigen Input erhalten hatte.


Stilistisch würde ich vielleicht auch so manche Wortwiederholungen in dem doch relativ kurzen Text vermeiden („stammelte“, „furchtbar“ „fragte erstaunt“, „verwundert“)


Ach ja, und kleiner Tippfehler. Bei dem Satz mit „Nachttisch“ fehlt dir ein „t“ (geht ja wohl nicht um ein Dessert):




Sind aber keine großen Sachen, die mich stören.
Insgesamt hast du mich gut und knackig unterhalten und zum Schmunzeln gebracht.
Und das ist doch was, meint jedenfalls:


Erdling
Vielen Dank für das konstruktiv-positive Feedback. Den Rechtschreibfehler habe ich korrigiert. :)
 



 
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