Ich, einfach Höllenbrut (Brief an Olaf Scholz)

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Was ich nicht alles sein soll, bloß weil ich mich mit der gelebten Politik nicht immer einverstanden zeige!
Wie hat man mich nicht beschimpft in den jüngst vergangenen Monaten, Jahren, ich will es kurz aufzählen:
Idiot, Querulant, asozial, Egoist, Schwurbler, Wirrkopf, Muffel, Zauderer, Verschwörer, Verlierer, Verweigerer, Schmarotzer, Parasit, Schädling, Terrorist, Staatsfeind, Geiselnehmer der Redlichen, Weichei, Loser, bildungsfern, ungebildet, wissenschaftsfeindlich, dumm, Leugner, Gefährder, Jammerlappen, Abschaum, Bodensatz der Gesellschaft, Lumpenpazifist, mutlos, feig, Putinversteher, Putin-Fan, Troll-Schreiber, Kreml-Propagandist, amoralisch, verkommen, verwirrt, verirrt, irregegangen, Antisemit und immer wieder: Nazi.
Immer findet und fand sich eine andere vermeintliche Notwendigkeit, mich und andere solcherart zu beschimpfen.
Fast schon bin ich dran gewöhnt, von höchster Stelle und von oben herab beschimpft zu werden.

Für die Beschimpfer auf der anderen Seite ist das wiederum frustrierend, wenn ihre Beschimpfungen quasi wirkungslos an mir abprallen.
Die müssen sich dann ja immer neue, noch ärgere Begriffe einfallen lassen, immer schärfere Wortmunition nachladen, damit sie mich vielleicht doch nochmal bis ins Mark treffen.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat das jetzt ganz eindrucksvoll versucht.
Bei einer Wahlkampfveranstaltung in München, wo der SPD-Mann im August 2023 zur Menge sprechen durfte, hat er ganz tief in die Beschimpfungstrickkiste gegriffen, aber ganz tief hinunter. Einer uralten, christlich-religiösen Symbolik hat er sich bedient.
Hat er sich schwer in Rage geredet, der Kanzler, als er im bayrischen München inbrünstig den Kurs der amtierenden Politik gegen etwaige Kritiker verteidigt hat.
Gesagt hat er Folgendes:

„Und die, die hier mit Friedenstauben rumlaufen, sind deshalb vielleicht gefallene Engel, die aus der Hölle kommen, weil sie letztendlich einem Kriegstreiber das Wort reden!“

Schluckschwerenot!
Das war ja mal ein leidenschaftlicher Satz aus dem Munde eines Olaf Scholz.
Ist dir das jetzt spontan eingefallen oder hat sich das jemand im Vorfeld überlegt?
Ich frage dich, Olaf.
Das ist ja schon nochmal eine ganz neue Qualität der Beschimpfung.
„Gefallener Engel, aus der Hölle kommend“: Tiefer und böser geht jetzt aber nicht mehr, zumindest nicht nach der christlichen Glaubenslehre.
Gemäß dieser Lehre ist das nämlich schon das absolut Böse, der Teufel höchstselbst: Satan, der Antichrist, verstoßen aus dem göttlichen Himmelreich, hinabgefallener Engel, der schließlich aus Rache für den brutalen Rausschmiss unten in der Hölle seinen eigenen Laden aufgemacht hat. Alte Geschichte.
Ich weiß ja nicht, warum sich Olaf Scholz hier so intensiv auf diese abgeranzte Kirchensymbolik einschießt; vielleicht, weil er glaubt, das würde im christlich geprägten Bayern besonders gut ziehen, wer weiß.
Nur bei mir zieht das jetzt schon wieder nicht.
Tut mir leid, Olaf.
Vermutlich weißt du es nicht, aber – obwohl aus Bayern stammend – religiös bin ich bedauerlicherweise so gar nicht.
Mit der gottesfürchtigen Schiene kriegst du mich keinesfalls.

Aber schockiert hat es mich schon, dass ein Politiker im Jahr des Herrn 2023 ein derart klerikales und fundamentalistisches Vokabular abspult.
Noch dazu so immens verdreht, dass sich das Höllengewäsch gar noch gegen ein anderes christlich verwurzeltes Symbol, gegen die Friedenstaube wendet.
Denk nochmal drüber nach, Olaf.

Olaf.
Ich war zwar nicht vor Ort in München, aber wohl weiß ich, dass du mit deinen Worten auch mich gemeint hast.
Wiederholt schon stand ich mit dabei bei denen, die „mit Friedenstauben rumlaufen“, wie du sagst. Ich trage die Friedenstaube im Herzen, wo immer ich hingehe.
Deine Politik, Olaf, kann ich von daher nur grundlegend und heftig kritisieren.
Wenn du nun meinst, dass du mich deswegen als ausgemachte Höllenbrut bezeichnen musst, sagt das wohl mehr über dich und diese Zeit als über irgendwas sonst.
Du, Olaf, hältst die Waffen hoch und feuerst hart gegen jene, die eine klügere Antithese zitieren möchten.

Olaf, du weißt:
Sorgen machen musst du dir nicht.
Deine verbalen Ausfälligkeiten werden von den lauteren Medien wohlfeil begleitet, das sieht und hört man selbst hier.
Nicht etwa zeigen diese Medien sich schockiert, wenn du deine Kritiker, also die demokratische Machtkontrolle verfluchst wie ein mittelalterlicher Inquisitor.
Muss an dieser Stelle auch mal gesagt werden:
Gar nicht wahr, dass die Medien immer nur auf Skandale aus sind!
Manche Skandale, etwa, wenn ein Bundeskanzler seine Bürger als Höllenbrut beschimpft, werden oft einfach ausgelassen.
Mehr noch:
Für dein Höllengleichnis, Olaf, darfst du dir einmal mehr zugewandtes Verständnis erwarten.
Die Medien schreiben so beschönigend als möglich in dieser Angelegenheit: „Olaf Scholz begegnet Kriegsgegnern mit deutlichen Worten“*.
Daran anschließend zitieren sie einen Politikwissenschaftler, der christliche Metaphern zwar „meist problematisch findet“, aber diesmal findet er, der Bundeskanzler hätte „mal sowas von recht“ und habe sich dabei „noch ‚nett‘ ausgedrückt“*.
Nebenbei, netter Olaf, sag mal an:
Wenn nun „Kriegsgegner“ jene sind, die dir und deiner Politik diametral gegenüberstehen, denen du laut Medienbericht „mit deutlichen Worten begegnest“ - wo stehst und was bist du dann?
„Kriegsbefürworter“, ganz offiziell?
Möchtest du mich aufklären, Olaf? Wie steht es nun – mit dir, dem Krieg? Wo stehen wir zwei: Du, gottgesandter Kriegskanzler, und ich, dämonischer Friedensfuzzi direkt aus der Hölle?
Doch seltsam, wie Begrifflichkeiten heute gelten und was Medien schreiben.

Olaf, du weißt, auf die Medien ist Verlass.
Bei n-tv heißt es zu deinen Beschimpfungen:
„Scholz bietet rechten Störern Paroli“**, als wärst du, Olaf, das Opfer, welches einem Gegenüber „Paroli“, also Einhalt gebieten muss. Du, der von oben herab Beschimpfende!
Dass das Volk von deiner Politik oft nicht grad angetan ist und diesen Umstand auch zum Ausdruck bringt, umschreiben sie bei n-tv derweil so:
„Begleitet von Applaus aber auch Buh-Rufen und Pfiffen hat Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Münchner Marienplatz die Politik der Bundesregierung gegen Dauerkritik von Rechts verteidigt.
(…)
Scholz hatte sich jüngst immer wieder Pfiffe und Kritik bei öffentlichen Auftritten anhören müssen, so etwa in dieser Woche in Frankfurt oder im brandenburgischen Neuruppin. Die Kritik richtet sich auch hier unter anderem gegen die Energie- und Klimapolitik sowie Waffenlieferungen an die Ukraine.
In München war das Mikrofon von Scholz aber so laut gestellt, dass die Pfiffe und Rufe kaum bis zur Bühne durchdringen konnten. Die Kritiker hatten unter anderem "Kriegstreiber", "Versager" und "Lügner" skandiert…“

Na, Olaf?
Ist doch alles paletti, wenn sie dir das Mikro einfach so laut aufdrehen, dass du deine Kritiker nachhaltig beschimpfen kannst, ohne sie ihrerseits groß hören zu müssen.
Eine saubere, technische Lösung.
Man lernt ja mit der Zeit.
Kritik musst du dir in München nicht länger anhören wie vielleicht noch in Frankfurt oder in Neuruppin.
Kritik kann sowieso nur rechts und böse sein.
Kritiker, die sind doch nur störend und Störer.
Lass dich nicht irritieren von Buhrufen und Pfiffen, immerhin haben auch ein paar geklatscht, als du auf der Münchner Bühne erschienen bist, das passt schon.

Olaf, vielleicht ahnst du es, der letzte Absatz war jetzt pure Ironie.
Ich sag das nochmal extra dazu, denn vielleicht kennt man das nicht im Olymp der Götter, von woher du zu kommen scheinst.
Hingegen ICH schreibe dir von hier unten, tief unten, wo ich mich befinde – und es tut mir ehrlich alles sehr leid.
Tut mir leid, dass deine fleißigen Beschimpfungen bei mir nichts fruchten.
Tut mir leid, wenn ich dich aus dem Konzept bringe, wenn ich störe.
Ich, in diesem Unten, das dann allerdings doch ein gänzlich anderes ist als dieses eine, das du meinst.
Entschuldige ebenfalls die plumpe und direkte Anrede und das übergriffige, vertrauliche Duzen die ganze Zeit. Vermutlich empfindest du das – zu Recht – als respektlos, aber so reden wir dämonische Höllengeschöpfe nun mal: scharfzüngig, direkt.
Von daher, mit heißem Gruß,

Deine Höllenbrut


* https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/kanzler-scholz-attackiert-kriegsgegner-wer-als-friedenstaube-umherläuft-ist-ein-gefallener-engel-der-aus-der-hölle-kommt/ar-AA1fvvtn

** https://www.n-tv.de/politik/Scholz-bietet-rechten-Stoerern-Paroli-article24336446.html
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Dichter Erdling,

ich finde den Text ein wenig zu lang geraten, und für eine Satire hat er meiner Meinung nach nicht genug Biss.

Reißt mich genauso wenig vom Hocker wie die Rede, von der die Rede ist. Es lohnt sich doch gar nicht, sich darüber aufzuregen.

Ich finde es zwar immer köstlich, wenn Politiker darauf hinweisen, dass wir hier sagen können, was wir wollen, als müssten wir ihnen wer weiß wie dankbar dafür sein. Meinungsfreiheit ist doch ein Grundrecht.

LG SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Günter Wendt!

Ich hoffe, du gestattest, dass ich das Gesamtbild deutlich anders sehe und ob solcher Äußerungen aus dem Mund eines hochrangigen Politikers beunruhigt, bekümmert, betroffen bin.

Liebe Grüße, Erdling
 
Geschätzte Erdling,

formal beurteile ich den Text ähnlich wie die Delfine (#2). Ich wollte mich hier gar nicht melden, denn dass ich den Scholzschen Ausfall inhaltlich so wie du sehe, kannst du dir vielleicht ohnehin denken und mit Textarbeit hat das ja nichts zu tun. Nachdem hier aber einer den Text offenkundig nur aus politischen Gründen mit der Schlechtestbewertung versehen und sich zum Formalen gar nicht geäußert hat, äußere ich mich doch. Gegen diesen Missbrauch der Kommentarfunktion setze ich eine Wertung, die sich allein auf die Textgestalt bezieht.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 



 
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