Ich esse meine Tage

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Sammis

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Ich aß meine Tage

Ganz am Anfang schmeckten sie süß und satt,
warm träufelten sie mir direkt in den Mund.

Lange konnte ich sie nicht greifen, nicht zum Mund führen,
musste schlucken, was sich mir bot.

Dann aber verliebte ich mich in sie,
kostete von allen, spuckte manche davon wieder aus.

Eine Weile konnte ich nicht genug bekommen,
gierig verlangte ich nach immer mehr.

Irgendwann aber schmeckten sie fade,
zu oft gekaut, zu viele heruntergeschluckt.

Viele schlang ich von da an hinunter,
aus Angst vor dem lauernden Ekel.

Um zu erfahren, welche mir bekamen,
brauchte es unendlich viele Menüs.

Mit lauter werdender Ahnung, dass sie zur Neige gingen,
wählte ich sorgfältiger, genoss ich bewusster.

Von den letzten aß ich nur mehr wenig, pickend wie ein kleiner Vogel,
der allerletzte verzehrte dann mich.
 
Zuletzt bearbeitet:

petrasmiles

Mitglied
Finde ich gelungen - bis auf die letzten beiden Strophen - da schiebt sich das Bild des Essens vor das des Lebens. Zumindest leuchtet es mir nicht ein, dass die letzten Tage - die man gar nicht benennen kann - genussvoll auf der Zunge zergehen, oder man kaum mehr Tage bräuchte, weil man keinen Lebenshunger mehr hat. Es nimmt dem Text Tiefe, wenn die Kompexität von Reife, Alter und Tod auf die Formel reduziert wird, am Ende wusste ich, was mir schmeckt und konnte es genießen und dann wurde ich langsam satt und brauchte keine mehr.
Aber vielleicht gibt es da ja noch andere Stimmen.

Liebe Grüße
Petra
 

Sammis

Mitglied
@petrasmiles

Etwas Vergleichbares habe ich bisher nicht geschrieben. Der Anfang flog mir Gestern beim Aufwachen zu, über den Tag verteilt gesellten sich weitere Teile hinzu. Spät abends sortierte und feilte ich ein wenig, schusterte eilends ein Ende hinzu. Mit deinen Worten im Ohr legte ich mich schlafen. Heute Morgen erwachte ich mit den Gedanken zum neuen Schluss.

Danke für deinen Kommentar.
 

petrasmiles

Mitglied
Eine interessante Änderung - gefällt mir.
... nur der Deminuitiv beim Vogel nicht - Vögelein ist kindlich, Vögelchen niedlich, warum nicht einfach Vogel?
Dafür finde ich die letzte Zeile richtig gut.

Liebe Grüße
Petra
 

Sammis

Mitglied
Ja, mit der Verniedlichung war ich auch nicht ganz grün, aber Vogel war mir zu allgemein. Gibt ja sehr große und die verzehren demnach auch viel. Dabei ist die Lösung denkbar einfach ...
 

klaatu

Mitglied
Der Anfang flog mir Gestern beim Aufwachen zu
Entweder das oder am Abend zuvor, an dem ich den Text "Ich esse den Tag mit stumpfem Besteck" gepostet habe. Kann natürlich auch ein lustiger Zufall sein. Jedenfalls gefällt mir dein Text, ganz ehrlich, viel besser als meiner.

LG
k
 



 
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