Ich gestehe, dass ich parteiisch bin

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Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich gestehe, dass ich parteiisch bin und schon in der Auswahl meiner Quellen einseitig. Ich gestehe, dass ich mir selten zu irgend einem Thema eine Studie oder einen Artikel im Original durchlese, sondern immer nur über die Vermittlung einer zweiten Partei und ich gestehe außerdem, dass ich dennoch zu allen Themen eine Meinung habe und anderen gerne das vorwerfe, was ich selber nicht leisten kann, weil ich zu faul dafür bin. Ich gestehe, dass ich, sobald ich verstanden habe, was jm. sagen will schon zustimme oder widerspreche, obwohl ich mir noch gar keine Gedanken darüber gemacht habe warum ich das eigentlich tue, geschweige denn über das Thema selbst.

Ich gestehe, dass es mir extrem leicht fällt intellektuell und abstrakt anzumerken, dass ich wahrscheinlich sieben Bretter vor dem Kopf habe, von denen ich acht nicht sehe, dass es aber nicht ins Herz sinkt und erst recht nicht in mein Verhalten. Ich gestehe, dass ich mich gerne mit dem solidarisiere, was schlecht wegkommt und dass ich dazu neige oppositionelle Meinungen zu glorifizieren, weil ich keine Autoritäten akzeptieren kann. Ich gestehe, dass ich Hunde manchmal nur deshalb liebe, damit ich auf das schlechte Verhalten ihrer Besitzer hinweisen kann. Ich gestehe, dass ich manchmal eine perverse Lust im hintersten Winkel meines Herzens empfinde, wenn ich Menschen darauf hinweise, dass wir nur Trockennasenaffen in der Untergattung der Schmalnasenlippenaffen in der Obergattung der großen Menschenaffen sind.

Ich gestehe, dass ich weiß, dass die meisten Menschen nur deshalb nicht glauben, dass die Medien einseitig und unfair berichten, weil sie die Meinung, die in den Medien nicht oder nur abgewertet vorkommt für schwachinnig oder gefährlich halten und dass ich es ihnen trotzdem vorwerfe. Ich gestehe, dass mich Wahrheit eigentlich nur in der Naturwissenschaft wirklich interessiert und dass die Motive für die meisten meiner Überzeugungen so trivial und streckenweise erschreckend sind, dass ich sie die meiste Zeit über verdränge.

Ich gestehe, dass ich davon überzeugt bin, dass meine Ansichten besonders klug sind und unbedingt gehört werden müssen. Ich gestehe, dass ich meine eigenen moralischen Überzeugungen für die besten halte und nicht einmal in der Lage bin das wirklich in Frage zu stellen, so sehr ich mich auch bemühe. Ich gestehe, dass ich Leute gerne für klug halte, wenn sie mir zustimmen. Ich gestehe, dass mich vieles von dem antreibt, dass ich anderen so inbrünstig vorwerfe, sei es nun Wut, Neid, Irrationalität oder Verachtung und ich gestehe, dass ich Sklave dieser Gefühle bin.

Ich gestehe, dass ich die meiste Philosophie für Schwätzerei halte und dennoch gerne über sie rede, weil andere es für klug halten. Ich gestehe, dass ich gerne sarkastisch gegenüber Leuten reagiere, weil ich sie damit auf geistreiche Art erniedrige und mich über sie stelle. Ich gestehe, dass ich manchmal zynisch reagiere, um zu verdecken, dass mich eine Sache zutiefst verletzt hat. Ich gestehe, dass ich weiß, dass ich mich ständig belüge, aber genau an dem Punkt, an dem ich ehrlich sein müsste, abbreche und mich etwas anderem zuwende. Ich gestehe, dass ich die Rache nur als Gedanken ablehne wenn ich mit anderen rede, aber eigentlich sehr schätze und es mich im Stillen nicht einmal stört.

Ich gestehe, dass ich die Urteilsfähigkeit der meisten Menschen derart in Frage stelle, dass ich ihnen vorzuschreiben suche, mit was sie sich beschäftigen sollen, indem ich sage dieses oder jenes sei "gefährlich". Ich gestehe, dass ich Positionen manchmal ablehne, weil mir die Leute, die sie vertreten, nicht in den Kram passen. Ich gestehe, dass ich so gerne recht behalte und intelligent dastehen möchte, dass ich mich hauptsächlich mit Menschen auseinandersetze, die man als "tiefhängende Früchte" bezeichnen muss und das ich trotzdem so tue, als habe ich nicht eine dumme Variante einer Position widerlegt, sondern die Position selbst.

Ich gestehe, dass ich bei Positionen, mit denen ich in der Opposition stehe, schnell in die Extreme dieser Position abrutsche. Ich gestehe, dass ich dazu tendiere die Probleme, die mein Gegner anspricht schnell als nichtexistent abzutun, während ich jene, die mir persönlich problematisch erscheinen, schnell als die größten Probleme unserer Zeit wahrnehme, weil dann der Kampf gegen sie besonders bedeutsam ist. Ich gestehe, dass ich so gerne recht habe, dass ich dafür manchmal die Wahrheit über den Haufen werfe. Ich gestehe auch, dass ich, nachdem ich diesen Text geschrieben habe, genau so weiter machen werde wie zuvor. Mit anderen Worten: Ich gestehe, dass ich ein Mensch bin. Und du?
 
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molly

Mitglied
Hallo Patrick,

einiges davon könnte ich auch gestehen, aber ich weiß eines: wir Menschen sind keine Engel. Gut so.
Liebe Grüße
molly
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja, molly. Aber es geht ja auch nicht darum, dass wir keine Engel sind, sondern dass wir uns dessen bewusst werden, vor allem in welchem Ausmaß ;)
 

petrasmiles

Mitglied
Auweia, Patrick, das gilt ja fast alles für mich auch - vielleicht mit Ausnahme des Hundes ... (bekomme ich auch Deine Absolution, Onivido?)
Liebe Grüße
Petra
 
G

Gelöschtes Mitglied 24777

Gast
Ecce homo.

Ein paar kleine Korrekturen:

Ich gestehe, dass ich, sobald ich verstanden habe, was jm. sagen will, schon zustimme oder widerspreche, obwohl ich mir noch gar keine Gedanken darum (besser: darüber) gemacht habe, warum ich das eigentlich tue, geschweige denn über das Thema selbst.
Ich gestehe, dass ich mich gerne mit dem solidarisiere, was schlecht wegkommt
Ich gestehe, dass ich weiß, dass die meisten Menschen nur deshalb nicht glauben, dass die Medien einseitig und unfair berichten, weil sie die Meinung, die in den Medien nicht oder nur abgewertet vorkommt, für schwachinnig oder gefährlich halten und dass ich es ihnen trotzdem vorwerfe.
Ich gestehe, dass mich Wahrheit eigentlich nur in der Naturwissenschaft wirklich interessiert und dass die Motive für die meisten meiner Überzeugungen so trivial und streckenweise erschreckend sind, dass ich sie die meiste Zeit über verdränge.
Ich gestehe, dass ich Leute gerne für klug halte, wenn sie mir zustimmen.
Ich gestehe, dass ich manchmal zynisch reagiere, um zu verdecken, dass mich eine Sache zutiefst verletzt hat.
Ich gestehe, dass ich weiß, dass ich mich ständig belüge, aber genau an dem Punkt, an dem ich ehrlich sein müsste, abbreche und mich etwas anderem zuwende. Ich gestehe, dass ich die Rache nur als Gedanken ablehne, wenn ich mit anderen rede, aber eigentlich sehr schätze und es mich im Stillen nicht einmal stört.
dass ich ihnen vorzuschreiben suche, mit was sie sich beschäftigen sollen
und intelligent dastehen möchte, dass ich mich hauptsächlich mit Menschen auseinandersetze
und dass ich trotzdem so tue, als habe ich nicht eine dumme Variante einer Position widerlegt, sondern die Position selbst.
Ich gestehe, dass ich dazu tendiere die Probleme, die mein Gegner anspricht, schnell als nichtexistent abzutun

Ich gestehe auch, dass ich, nachdem ich diesen Text geschrieben, habe genau so weiter machen werde wie zuvor. Mit anderen Worten: Ich gestehe, dass ich ein Mensch bin. Und du?
Ich gestehe, dass ich dein kleines Manifest des unperfekten Homo sapiens ziemlich gut finde und eigentlich nur aufgrund eines möglicherweise ungesunden Perfektionismus den Rotstift angesetzt habe.

Liebe Grüße
Frodomir
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ah... Danke Frodomir - ich geh mal drüber.
Bei dem Text war es mir persönlich wichtiger, dass der Gedanke ausgedrückt wird und der Leser sich vielleicht auch mal gesteht, dass er parteiisch ist, in welchem Sinne auch immer. Gott, dann würden so einige Diskussionen ruhiger verlaufen ... so wie Petra eben reagiert hat. Leider hätte ich dabei doch etwas mehr auf die Form schauen sollen (Hust)

LG
Patrick
 



 
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