Ich hab dich im Kopf

Anna Czapka

Mitglied
Schon den ganzen Tag muss ich an deine Lippen denken
Seh in Dauerschleife wie sich deine Lider senken
Wenn du kurz Dich sammelnd über was Erlebtes richtest
Und die ganze Zeit dabei noch auf das Z verzichtest

Wenn ich einfach nur da sitze ganz im Plauderton
Zieht die Zeit als ICE und Kurzweil ist der Lohn
Geistig nah und unbewertet muss man niemand schonen
Und dennoch könnten wir in zwei verschiednen Ländern wohnen

Ich vermute du bist ziemlich krass mein Gegenteil
Scheinst sehr rationell zu sein und ich hab keinen Peil
Du drehst ganz dein Ding und du bist nur dir selbst was schuldig
Ich Ertrag die Kids in ihrer Pubertät geduldig

Was auch immer war an diesem Tag
Ich hatte dich im Kopf
Möglicherweise gibt es Gründe
Ist‘n alter Zopf
Wollte so den Tag auf jeden Fall mit dir verbringen
Während andere zur gleichen Zeit an deinen Lippen hingen

Ich ersuche nun das Denken für mich abzustellen
Meinen Geist dafür mit etwas grünem Licht erhellen
Nun bin ich im Out und muss nicht weiter dichten
Auf die Pointe werde ich deshalb nun auch verzichten

Was auch immer war an diesem Tag
Ich hatte dich im Kopf
Möglicherweise gibt es Gründe
Ist‘n alter Zopf
Wollte so den Tag auf jeden Fall mit dir verbringen
Während andere zur gleichen Zeit an deinen Lippen hingen
 

sufnus

Mitglied
Hi Anna!
Wenn es keine Gedichte gäbe, dann wäre die Verliebtheit gar nicht auszuhalten. Ob Menschen, die mit Lyrik überhaupt nichts anfangen können, selbst dann nicht, wenn weit und breit kein Deutschlehrer in Sicht ist, der's verdirbt, ob solche völlig Gedicht-fernen Zeitgenossen sich wohl je verlieben? Wahrscheinlich schon, aber es würd mich echt interessieren, wie sich das dann wohl anfühlt.
Ich stelle mir vor, dass Dein Gedicht nicht so ganz fiktional ist, sondern - zumindest ganz locker - an einen realen Menschen (oder genauer: an die Imagination eines realen Menschen) angelehnt ist. Ganz so vertraut scheint das lyrische Du dabei nicht zu sein, Du vermutest nur, diese Person sei "krass [dein] Gegenteil". Oder kennst Du den betreffenden Menschen ganz gut, bist Dir aber über Dein eigenes Ich nicht so ganz sicher, so dass der Versuch des wechselseitigen Abgleichs auf Vermutungen angewiesen ist?
Insgesamt deutet Dein Text Ungesagtes an, enthält sozusagen ein paar Insider-Informationen, die dem Leser signalisieren, da gibt es eine private Geschichte, die auch privat bleiben soll, etwa in der Zeile "was auch immer war an diesem Tag". Wir, die Leser, haben da natürlich keinen Dunst, um was für einen Tag es sich hier handeln könnte und der Text macht deutlich (das ist gut!), dass dieser Tag ein Geheimnis der Erzählstimme des Gedichts bleiben soll, ein Geheimnis, das allenfalls (selbst das weiß man nicht so genau -und braucht es auch gar nicht zu wissen) mit dem lyrischen Du geteilt wird.
So soll es sein. Wir fragen also hier nicht weiter. :)
Nur an einer Stelle muss ich's doch genauer wissen: Was hat es mit dem Z auf sich? Wenn wir heutzutags von einem Z lesen, sind wir (leider) schnell beim Ukrainekrieg. Das muss man beklagen. Ist das hier doch in irgendeiner Weise gemeint oder dreht es sich um etwas ganz anderes?
LG!
S.
 

Anna Czapka

Mitglied
Liebe(r) S,

danke für die Zeit des Lesens und die ausführliche RM. Das weiß ich zu schätzen!
Du sprichst mir aus dem Sinn, denn ich habe mich auch des Öfteren gefragt, was andere mit den Gefühlen und Gedanken anfangen, die einen so bewegen. Sie finden aber wohl Ausdruck in wortlosen Tätigkeiten oder haben eben garnicht das Bedürfnis nach Ausdruck. Die Gefühle die zu Hause gemütlich auf der Couch sitzen, ohne den Drang, nach Draußen zu müssen

Das hast du schon alles soweit richtig interpretiert. Das Z wiederum steht ganz simpel für den Zucker… die Person mit den schönen Lippen ist Diabetiker
Einen ganz wunderschönen Tag für dich,A
 

sufnus

Mitglied
Ah, alles klar! :)
Damit ver"dichtet" sich sozusagen mein Eindruck, dass Du Dich mit Deinem Text relativ nah an der Wirklichkeit bewegst. In der Lyrik hat ja auch die Verschleierung der besungenen Person eine lange und ehrwürdige Tradition.
Und ich finde, es spricht - zumindest in der Lyrik - viel dafür, nicht alles klar zu sagen, was gesagt werden kann. Das ist es sicherlich, was Gedichten manchmal einen schlechten Ruf einträgt. Wirres Zeugs, bestenfalls, mutwillige Verkomplizierung eigentlich klar mitteilbarer Sachverhalte, Wortgeklingel und raunige Gestelztheiten mit wenig Inhalt. Aber wäre unsere Rede nur ja - ja, nein - nein und alles darüber vom Übel, wie es eine der talibaneskeren Stelle des Neuen Testaments suggeriert, gäb es wenig zu lachen, wenig zu träumen und wenig zu hoffen.
In diesem Sinn können Masken, mit denen wir die Traumobjekte im Gedicht listig tarnen, Spiel-Räume schaffen. Vielleicht hat die Maske postpandemisch nicht gerade den besten Ruf, aber die Lyrik würde ich nun gerade nicht zur maskenfreien Zone erklären.
LG!
S.
 

aliceg

Mitglied
Schönen Tag auch!

Also ich kann mit diesen Reimen nicht soviel anfangen, wie Ihr Beiden!

Gute Idee, anregende Gedanken - aber nicht gut genug umgesetzt.
Denn es holpert ordentlich. Kein Versmaß oder Wortrhythmus erkennbar.

Und warum die komplette Wiederholung von Strophe 4 am Schluss? Wirkt eher wie zufällig passiert und nicht wie gewollt ...

lg aliceg
 

sufnus

Mitglied
Eigentlich hab ich gar nicht versucht @aliceg hier eine Kritik oder Würdigung des Textes an sich vorzunehmen, sondern nur versucht, die Haltung von Anna C. zu dem Gedicht für mich nachvollziehbar zu machen. Auf der sozusagen literarischen Seite hätte ich schon auch Kritisches anzumerken, mir scheint aber, dass der Text erstmal sehr bei sich ist und damit nicht unbedingt nach einer Bewertung von außen verlangt. Daher meine Zurückhaltung hier.
Und nur weil Du es schon angesprochen hast: Was den Rhythmus angeht, ist der zwar nicht besonders sinnvoll in einem klassischen Versmaß beschreibbar, aber meines Erachtens in den meisten Strophen sogar sehr ausgeprägt vorhanden, es klingt so ein bisschen Rap-mäßig, Badmómzjay könnte man sich da als Interpretin vorstellen, die Strophe 4 bzw. 6, bei deren Wiederholung ich mir auch nicht ganz 100%ig sicher bin, ob das ein Copy/Paste-Mishap war, könnte dann so eine Art Refrain sein. Bei dieser Strophe habe ich am meisten Schwierigkeiten, mir eine Art "Melodie" vorzustellen, aber machbar wärs wahrscheinlich.
Insofern wenn ich was kritisieren wollte, hätt ich eher sprachliche Anmerkungen.
LG!
S.
 

Mimi

Mitglied
Liebe Anna,
Deinem Gedicht mangelt es definitiv nicht an Wortrhythmus ...
Sufnus schrieb "Rap-mäßig", diesen Eindruck teile ich ebenfalls.
Ich könnte mir Deinen Text durchaus als Poetry Slam vorgetragen vorstellen.
Um ein saubers Versmaß ging es Dir beim Schreiben höchstwahrscheinlich weniger
(Würde ich mal annehmen ...).

Der Inhalt lässt den Leser vielleicht teilweise etwas außen vor, siehe Strophe eins; Zeile vier, dennoch wirkt er nicht hermetisch.

Bezüglich der Wiederholung der vierten Strophe, bin ich auch etwas zwiegespalten ... Wenn diese als Refrain (besser?) funktionieren soll, hättest Du sie vielleicht anders in den Text integrieren können.

Schlecht finde ich die Idee jedenfalls nicht ...

Gruß
Mimi
 



 
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