Ich hatte mich doch bloß bei Baudelaire verlesen

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Ich weiß es jetzt.
Dass er besonders war,
der Augenblick. Fast anfassbar.
Wie du die Hand mit deinem Kuss benetzt,
dein Blick auf mir verletzbar hetzt.
So aufgeregt, als sei ich bis aufs Fleisch verletzt
gewesen.

(Ich hatte mich doch bloß bei Baudelaire verlesen )

Als habest du dich neben mich gesetzt.
Inmitten meiner Epithesen.
(Ein letztes Mal)
Bloß um Mir Lebewohl zu sagen.
Dem Schwerstverletzten,
den man in ein Totenbuch
entlässt.

(Tief in dein Tagebuch verschließt.
Vergisst.)

Und das Fortgeglaubte
kommt zurück.
Stück für Stück.
Das nicht geschaute Glück
im Genick.
Genauso Pflicht, wie das
Unglück in der Sicht
der Tage.

Das sorgenvolle Augenpaar,
im Morgenlicht nun sanft, fast klar.
Alle die aufgesparten Fragen.
Sie alle hier, um zu verzagen
nur noch dies letzte Mal an mir.
An meiner Stummheit, der Manier
schon halb aus dieser Welt zu
ragen.
Immer schon halb fort zu sein.

(Doppelt allein)

Dein hartes Wort war seltsam leicht.
Und das Gefühl, das mich seit dieser Nacht umschleicht,
ist auch in dunklem Blut.
In schwerem Wein.
Es reicht nicht, um dir der zu sein,
den du so in mir wähnst.
Doch ist es rein.
Und das, was du ersehnst, wird
dein.
Vielleicht, wenn du dich grad über
ein altes Foto lehnst.
(Dann schiesst es ein : Es durfte immer Sehnsucht sein).

 
Zuletzt bearbeitet:

Ubertas

Mitglied
Lieber @Dionysos von Enno,

ein wahrhaft sehr gutes, bezauberndes Gedicht, dass sich im wieder und wiederlesen offenbart. Solcher Augenblick und solcher Sehnsucht bedarf es!
Die Vertonung rückt noch ein ganz anderes Licht auf deine Worte. Gefällt mir sehr.
Danke!

Viele Komplimente, ubertas.
 

mondnein

Mitglied
Ganz nett, Dionysos von Enno,

diese Vertonung. Das Ganze verteilt sich auf (wie viele? ich schätze) etwa 30 gleichförmig wiederholte Kadenzen: Tonika, Dominante, parallele Molltonart als beliebter Zwischenschritt zur Subdominante, dann wieder die Tonika, dominante usw., ohne jede impressionistische Verjazzung oder Rhythmusbrechung.
Auf diesem Hintergrund klingen die meisten Verse reichlich abstrakt, z.B.:
Es reicht nicht, um dir der zu sein,
den du so in mir wähnst.
Baudelaire, der angesprochene, schrieb wesentlich dichtere Dichtung; und er war ein Wagnerkenner, d.h. zigmalige Kadenzenwiederholung hätte ihn verstimmt. Da bin ich mir sicher.

grusz, hansz
 
Ganz nett, Dionysos von Enno,

diese Vertonung. Das Ganze verteilt sich auf (wie viele? ich schätze) etwa 30 gleichförmig wiederholte Kadenzen: Tonika, Dominante, parallele Molltonart als beliebter Zwischenschritt zur Subdominante, dann wieder die Tonika, dominante usw., ohne jede impressionistische Verjazzung oder Rhythmusbrechung.
Auf diesem Hintergrund klingen die meisten Verse reichlich abstrakt, z.B.:


Baudelaire, der angesprochene, schrieb wesentlich dichtere Dichtung; und er war ein Wagnerkenner, d.h. zigmalige Kadenzenwiederholung hätte ihn verstimmt. Da bin ich mir sicher.

grusz, hansz
Hi Hans,

danke dir für deine profunde Kritik. Vermutlich hast du Recht und es wäre ihm zu monoton und ungeschickt erschienen. Er liebte ja, wie du schreibst, gerade die dramatische und dynamische Entwicklung in Wagners Werken. Möglicherweise hätte ihm das Thema des Verfalls, der Verlorenheit, Melancholie und spirituellen Einsamkeit dann aber doch noch etwas gefallen. Auch mochte er ja die Verwendung von (dunklen) Symbolen. Schließlich ist das kein "Baudelaire Fangedicht". Mein LI hat sich bei dem Gedicht "Spleen" verlesen und aus "Kerkerwänden", "Kerkerhände" gemacht - das Äußere quasi mit dem Inneren vertauscht.

Wie auch immer. Schön ist, dass Du auch etwas über Deinen persönlichen Eindruck schreibst (Ganz nett).

Deine Baudelaire Replik gefällt mir außerordentlich gut! Bravo!

mes compliments

Dio
 

sufnus

Mitglied
Hey Dio!
Sehr großes Kino und was ich ganz ganz besonders mag, ist das man so einen leicht villonoiden Zech-Laut raushört…
Nur die Strophe "Und das Fortgeglaubte usw." ist zwar in sich stimmig und sinnig, stört aber (auf die falsche Art und Weise) die übrige Spracharchitektur. Soweit als ich bin betroffen. ;)
Das ist aber (fast) ganz egal. Die Sterne her!!! :)

LG!
S.
 



 
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