Ich hör so gerne Verkehrsfunk

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Hagen

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Ich hör so gerne Verkehrsfunk

Ich höre gerne Verkehrsfunk, jetzt, wo ich nicht mehr jeden Tag raus muss auf die Straße. Beim Frühstück, zubereitet für meine Herzensdame, die liebe Ulrike und mich, wenn die Verkehrsmeldungen im Radio kommen, packt mich manchmal ein Hauch von Melancholie. Das versteht die liebe Ulrike nicht, und ich versuchte mal es ihr zu erklären:
Als ich noch Taxifahrer war, musste der Verkehrsfunk natürlich eingeschaltet sein. Er hat mich genervt, dieser Verkehrsfunk, wenn er ein schönes Musikstück unterbrochen hat. Wenn dann von einem Stau die Rede war und ich hatte einen Fahrgast an Bord, fragte ich immer, ob wir da nicht lieber hinfahren wollen, ein wenig mitstauen, mithelfen einen lächerlichen Zweikilometerstau zu einem Zehnkilometerstau zu machen.
Die meisten haben mich dann nur blöde angeguckt oder sich an die Stirn getippt.
Naja, zu wenig Stauerfahrung, aber schön war es doch!
„Und man kommt im Stau endlich mal wieder dazu, was zu lesen“, bemerkte die liebe Ulrike, „eine Tugend, die in der letzten Zeit etwas vernachlässigt wird.“
„In der Tat“, antwortete ich. „Um an einen Stau teilzunehmen, empfahl sich leichte Kleidung und etwas Lektüre. Die Buddenbroks, Der Zauberberg, Der Tod in Venedig, Tauben im Gras oder gar Doktor Faustus waren die ideale Staulektüre für Staus ab zwanzig Kilometer Länge. Für kürzere Staus befürwortete sich Erich Kästner, (Die ersten Menschen waren nicht die letzten Affen, denn Affen machen keinen Stau). Kurt Tucholsky, (Mensch: ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen lässt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot, oder steht im Stau). Joachim Ringelnatz (Manche Leute sind wie Uhren. Wenn man sie aufzieht, gehen sie. Manchmal bleiben sie auch stehen, zum Bespiel im Stau).“
„Oder Bertolt Brecht“, meinte die liebe Ulrike, „Im Stau ist es wie im Sport. Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein.“
„Auch nicht schlecht, bloß soweit war ich damals noch nicht! – Hübsch war natürlich auch, an einem noch nicht gemeldeten Stau teilzunehmen, einem sogenannten ‘Geheimstau‘.“
Ich begann mir ein Brot mit Mascarpone zu bestreichen und fuhr fort: „Naja, leider gibt es heute keine Staus mehr, ich meine richtige Staus, so ab zehn Kilometer.
Damals, als ich noch Vertreter war, bin ich mal bei Helmstedt in einen ernstzunehmenden Stau geraten, sechsunddreißig Kilometer! Alle standen rum wie Frau Lot nach der Sache mit Sodom und Gomorra, als es Feuer und Schwefel vom Himmel regnete und sie sich umdrehte.
Es wurden die wüstesten Mutmaßungen nach der Ursache dieses Superstaus angestellt, von: Bei Braunschweig ist ein UFO gelandet! Bis: Die haben die Grenze wieder zugemacht, nun müssen wir alle in der DDR bleiben!
Eine Frau, die mitstaute, bekam sogar hektische Flecken am Hals und verlangte von ihrem Mann, endlich was gegen den Stau zu tun. Armer Kerl, was hätte er tun sollen?
In Ermangelung einer geeigneten Staulektüre, ich war damals noch nicht so stauerfahren, überlegte ich mir, was ich werden könnte im ‚Arbeiter und Bauernstaat‘, ich entschied mich für Arbeiter, zu ändern war ja doch nix.
Stau.
Ich überlegte mir weiterhin, ob ich mir ein T-Shirt machen sollte, mit der Aufschrift:
Teilnehmer und Überlebender des Megastaus 24.03.1990 bei Helmstedt.
Naja, vorbei die Zeit, kommt nicht mehr wieder.“
„Mach dir nix draus. – Machst du mir auch eine Scheibe mit Mascarpone und ein Paar Tomaten?“
„Aber sicher mein Herzelchen! – Aber Geisterfahrer waren auch schön. Leider gibt’s davon immer weniger. Ich erinnere mich noch an die Zeit, wo es die bronzene Nadel gab, für eine einstündige, unfallfreie Fahrt in Gegenrichtung.
Oder die Silberne für das Durchqueren des Horster Dreiecks in Gegenrichtung zur Hauptverkehrszeit.
Die goldene Nadel gab es, wenn man das Frankfurter Kreuz zur Hauptverkehrszeit auf der Gegenfahrbahn unfallfrei überquert hatte und mindestens drei Mal im Verkehrsfunk erwähnt wurde.
Auch diese Zeiten sind vorbei, es gibt keine Ehrennadeln mehr, die man mit Stolz gewellter Brust zu besonderen Anlässen getragen hat, aber die Witze haben sich gehalten, wie: Fragt einer den Führerscheinanwärter: „Und, wie war die Führerscheinprüfung?“ „Nicht gut!“, antwortet der Führerscheinanwärter, „ich bin durchgefallen.“ „Oh“, sagt der erste Kerl wieder, „warum das denn?“ „Ich habe einen Geisterfahrer überholt!“
„Na, den kenne ich“, sprach die liebe Ulrike, „hättest du dir auch sparen können, ebenso wie die Frage, ob man einen Notarztwagen, der unter Blaulicht fährt, überholen darf.“
„Zuverlässig wie die Verkehrsmeldungen heutzutage, mit dem Maurerkübel, dem Besen, dem Hammer auf der Straße; - Langweilig!“, sagte ich, „so hier hast du dein Mascarpone-Tomatenbrot. Guten Appetit! – Moment mal, es kam soeben die Meldung rein, dass auf der A1 Bremen, Richtung Hamburg, ganz in der Nähe, ein Wildschwein rumliegt. Da sollte ich eigentlich hinfahren und du kannst unsere Freunde schon mal zum Spanferkelessen einladen. Hoffentlich ist noch kein anderer auf den Gedanken gekommen.“
„Vergiss die Warnweste nicht“, sagte die liebe Ulrike, „und bring‘ auf der Rückfahrt etwas Baba Ganush oder eine grobe Gewürzmischung mit rotem und grünem Paprika, Sesam und Zwiebeln zur Innen- und Außenwürzung von Grill- und Bratenspezialitäten mit.“
Verkehrsnachrichten können doch schon ein Segen sein, und sie sind nicht immer langweilig!
 

wirena

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Guten Morgen Hagen
Herrlich dein farbenfrohes, erlebnisreiches Schreiben -
…..dies ist mehr als nur ein 12 Kilometer langer Stau vor dem Gotthard…. Zum Auto aussteigen und Tanzen, wäre m.E. auch eine gute Sache :)
 

hein

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Hagen,

ich höre immer noch was in meiner früheren Firma so läuft und freue mich, dass jetzt mein Nachfolger den Sch.... am Hals hat.

LG
hein
 

Hagen

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Hallo Wirena,
Danke für Dein Lob; - es ging mir runter wie Heidehonig.
Was das Tanzen betrifft; - das haben meine Herzensdame und ich auch schon gemacht, allerdings ohne Stau, auf einem Rastplatz als wir die Alleenstraße entlang fuhren … schön war's nach Boogie Woogie Piano Scott Joplins, den Maple Leaf Rag z. B. den meine Herzensdame besonders schätzt ...
schön war's.
Naja, wir lesen uns!
Herzlichst
yours Hagen


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Und wir tanzen - bis wir vergessen, welcher Tag ist.
Und wir tanzen - bis wir vergessen, was wahr ist.
Und wir tanzen - bis wir vergessen, wie man still steht.
Tanzen - bis wir vergessen, wie man still lebt. -
 

Hagen

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Hallo Hein,
ja, bei mir kommen, seit ich in Rente bin, auch nostalgische Gefühle auf. Leider kann ich meine Ex-Kollegen nicht besuchen, weil entweder zu weit weg oder die Firma hat zugemacht.
Tja, aber wie sagt Al Murphy so schön:
Wenn alles auf einmal schiefgeht, und man freut sich, dass man sich nur einmal ärgern muss,
stellt man immer fest, dass es noch nicht alles war.
In diesem Sinne,
wir lesen uns!
Herzlichst
yours Hagen
 



 
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