Ich kenne die Menschen

Papiertiger

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Ich kenne das Mädchen. Ihre Mutter hat mir erzählt, wie sehr sie hofft, dass sie bald auszieht. Aktuell ist sie arbeitslos, leidet an einer depressiven Phase, hat ihren schlecht bezahlten Bürojob aufgegeben und will nun etwas kreatives machen.

Ich kenne das Mädchen. Von ihrem Social-Media-Profil. Sie ist bildhübsch. Bilder lässt sie nur in schicker Kleidung, perfekt gestylt und am liebsten im Urlaub machen. Wenn sie mal nicht verreist ist, also ziemlich genau an 350 Tagen im Jahr, darf es auch mal ein Foto aus ihrer Heimatstadt sein. Vor irgendeinem Kaufhaus liegt bestimmt Marmorfußboden oder es gibt ein altes, repräsentatives Gebäude.

Ich kenne die Leute, die solchen Mädchen folgen, ihnen Kommentare schicken, ihnen Werbedeals anbieten.

Ich kenne mich, ich war und bin noch immer voller unrealistischer Wünsche, Bedürfnisse und Träume. Werbung, der Vergleich mit anderen. Dabei suche ich eine hübsche, liebe Frau, mit der ich mich aber auch wirklich unterhalten kann, eine Zukunft habe und nicht vor allem dazu gut sein soll, Reisen, Handtaschen und neue Schuhe zu finanzieren.

Ich kenne die Menschen, die anderen Leuten in einflussreichen Positionen schmeicheln, sich ihren ganz persönlichen Vorteil erarbeiten und das alles mehr oder weniger gut tarnen. Ich mag das nicht.

Ich will das Mädchen erreichen. Ihr einen guten Rat geben. Einen Rat, den ich selbst nicht folgen konnte: Studiere etwas, das Dir liegt und das auch wirklich realistische Chancen bieten, um davon leben zu können. Lieber sieben Jahre zurückstecken und danach als Jurist, Betriebswirtin, Journalistin oder Ärztin durchstarten. Aber wie schwer ist es den Verlockungen zu widerstehen, wer will schon dauerhaft verzichten und zurückstecken.

Ich kenne die Menschen.

Sie sind immer für Überraschungen gut.







Sie sind immer für Überraschungen gut.
 



 
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