eufemiapursche
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gewidmet Monika und der page99 next generation
Ich-liebe-dich ist krank
Die Worte schliefen. Sie hatten sich auf die Zweige der Bäume gelegt und bewegten sich nicht mehr. Oma und ich gingen vorsichtig über den Sand, um sie nicht zu wecken. Ich lauschte, ob ich sie in ihren Träumen überraschen konnte. Wie gerne würde ich wissen, was im Kopf von Worten vorgeht! Natürlich hörte ich nichts. Nichts außer dem Murmeln des Baches hinter dem Hügel und einen leichten Wind. Vielleicht war das aber auch nur der Atem des Planeten Erde der durch die Nacht schritt.
Wir kamen an ein Gebäude, an dem schwach ein im Lichtschein zitterndes Rotes Kreuz über der Eingangstür zu erkennen war.
"Das ist das Krankenhaus", murmelte Oma.
Ich zitterte. Krankenhaus? Ein Krankenhaus für Worte? Das konnte ich kaum glauben. Scham überkam mich. Irgendwie dämmerte es mir, dass wir Menschen für die Leiden der Worte verantwortlich sind.
In einem Krankenhaus für Worte gibt es weder einen Empfang noch Krankenschwestern. Die Gänge waren leer und nur schwach beleuchtet. Obwohl wir aufpassten, quietschten unsere Sohlen auf dem Boden. Als Antwort vernahmen wir ein schwaches Geräusch. Ein zartes Wimmern. Es entwich unter einer der Türen. Oma entschied, einzutreten.
Er war da, lag unbeweglich auf seinem Bett. Der kleine bekannte Satz:
Ich-liebe-dich.
Drei magere blasse Worte. Die zwölf bleichen Buchstaben hoben sich kaum vom Weiß des Lakens ab. Drei an Schläuchen miteinander verbundene Worte an Infusionsflaschen.
Es kam mir so vor, als ob der kleine Satz uns anlächelte.
Es kam mir so vor, als ob er mit uns sprach: "Ich bin ein wenig müde. Ich glaube, ich habe zuviel gearbeitet. Ich muss mich etwas ausruhen."
"Aber, aber, Ich-liebe-dich", antwortete Oma. "Ich kenne Dich. Seit ewigen Zeiten. Du bist ganz schön robust. Einige Tage ausspannen, und Du bist wieder auf den Beinen."
Oma wiegte ihn ein wenig in all den Sätzen, die man Kranken erzählt. Sie legte Ich-liebe-dich einen feuchten Waschlappen auf die Stirn.
"Nachts ist es ein wenig schwer. Tagsüber leisten mir die anderen Worte Gesellschaft."
Ich-liebe-dich beschwert sich nur halb - 'ein wenig müde', 'ein wenig schwer'; er fügt überall ein 'ein wenig' in seine Sätze ein.
"Sprich nicht weiter", versuchte Oma zu trösten und strich ihm über die Haare. "Ruhe Dich aus. Du hast uns soviel gegeben. Komm wieder zu Kräften, wir brauchen Dich doch."
Dann summte Oma Ich-liebe-dich ein Wiegenlied vor.
"Komm Kind, er schläft. Wir kommen morgen wieder."
"Armer Ich-liebe-dich! Wie können wir ihm helfen, Oma?"
Oma war genauso durcheinander wie ich.
Tränen stiegen mir den Hals hoch, aber sie schafften es nicht, bis in meine Augen hochzusteigen. Manchmal habe ich Tränen in mir, die zu schwer dafür sind. Diese würde ich niemals weinen können.
"Ich liebe dich. Alle sagen und wiederholen 'ich liebe dich', Kind. Wir müssen auf die Worte aufpassen. Sie nicht an jeder Ecke wiederholen. Sie nicht zu Unrecht oder durcheinander verwenden, die einen für die anderen oder mit ihnen lügen. Sonst verbrauchen sich die Worte. Und manchmal ist es dann zu spät, sie zu retten. Möchtest Du die anderen Kranken noch sehen?"
Oma schaute mich an.
"Du wirst mir doch nicht schlapp machen?" Sie nahm mich in den Arm, und wir verließen das Krankenhaus.
Ich-liebe-dich ist krank
Die Worte schliefen. Sie hatten sich auf die Zweige der Bäume gelegt und bewegten sich nicht mehr. Oma und ich gingen vorsichtig über den Sand, um sie nicht zu wecken. Ich lauschte, ob ich sie in ihren Träumen überraschen konnte. Wie gerne würde ich wissen, was im Kopf von Worten vorgeht! Natürlich hörte ich nichts. Nichts außer dem Murmeln des Baches hinter dem Hügel und einen leichten Wind. Vielleicht war das aber auch nur der Atem des Planeten Erde der durch die Nacht schritt.
Wir kamen an ein Gebäude, an dem schwach ein im Lichtschein zitterndes Rotes Kreuz über der Eingangstür zu erkennen war.
"Das ist das Krankenhaus", murmelte Oma.
Ich zitterte. Krankenhaus? Ein Krankenhaus für Worte? Das konnte ich kaum glauben. Scham überkam mich. Irgendwie dämmerte es mir, dass wir Menschen für die Leiden der Worte verantwortlich sind.
In einem Krankenhaus für Worte gibt es weder einen Empfang noch Krankenschwestern. Die Gänge waren leer und nur schwach beleuchtet. Obwohl wir aufpassten, quietschten unsere Sohlen auf dem Boden. Als Antwort vernahmen wir ein schwaches Geräusch. Ein zartes Wimmern. Es entwich unter einer der Türen. Oma entschied, einzutreten.
Er war da, lag unbeweglich auf seinem Bett. Der kleine bekannte Satz:
Ich-liebe-dich.
Drei magere blasse Worte. Die zwölf bleichen Buchstaben hoben sich kaum vom Weiß des Lakens ab. Drei an Schläuchen miteinander verbundene Worte an Infusionsflaschen.
Es kam mir so vor, als ob der kleine Satz uns anlächelte.
Es kam mir so vor, als ob er mit uns sprach: "Ich bin ein wenig müde. Ich glaube, ich habe zuviel gearbeitet. Ich muss mich etwas ausruhen."
"Aber, aber, Ich-liebe-dich", antwortete Oma. "Ich kenne Dich. Seit ewigen Zeiten. Du bist ganz schön robust. Einige Tage ausspannen, und Du bist wieder auf den Beinen."
Oma wiegte ihn ein wenig in all den Sätzen, die man Kranken erzählt. Sie legte Ich-liebe-dich einen feuchten Waschlappen auf die Stirn.
"Nachts ist es ein wenig schwer. Tagsüber leisten mir die anderen Worte Gesellschaft."
Ich-liebe-dich beschwert sich nur halb - 'ein wenig müde', 'ein wenig schwer'; er fügt überall ein 'ein wenig' in seine Sätze ein.
"Sprich nicht weiter", versuchte Oma zu trösten und strich ihm über die Haare. "Ruhe Dich aus. Du hast uns soviel gegeben. Komm wieder zu Kräften, wir brauchen Dich doch."
Dann summte Oma Ich-liebe-dich ein Wiegenlied vor.
"Komm Kind, er schläft. Wir kommen morgen wieder."
"Armer Ich-liebe-dich! Wie können wir ihm helfen, Oma?"
Oma war genauso durcheinander wie ich.
Tränen stiegen mir den Hals hoch, aber sie schafften es nicht, bis in meine Augen hochzusteigen. Manchmal habe ich Tränen in mir, die zu schwer dafür sind. Diese würde ich niemals weinen können.
"Ich liebe dich. Alle sagen und wiederholen 'ich liebe dich', Kind. Wir müssen auf die Worte aufpassen. Sie nicht an jeder Ecke wiederholen. Sie nicht zu Unrecht oder durcheinander verwenden, die einen für die anderen oder mit ihnen lügen. Sonst verbrauchen sich die Worte. Und manchmal ist es dann zu spät, sie zu retten. Möchtest Du die anderen Kranken noch sehen?"
Oma schaute mich an.
"Du wirst mir doch nicht schlapp machen?" Sie nahm mich in den Arm, und wir verließen das Krankenhaus.