Ich weiß noch.....

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Josi

Mitglied
Ich weiß noch….

Ich weiß noch, dass die Bäcker einmal Liebeknochen, Schillerlocken und Negerküsse verkauften und sich niemand etwas böses dabei dachte.
Ich weiß noch, als es die Sahne dort lose gab, sie mit einem durchsichtigen Blättchen belegt wurde und sie immer platt Zuhause ankam.
Ich weiß noch, dass meist im Herbst die Kohlenhändler die Kohlen über entsprechende Rutschen in den Keller schütteten. Die Angestellten mussten mit Kohlesäcke oder Briketts manche Treppenhäuser erklimmen. Sie waren schwärzer als die Schornsteinfeger, die ich auch noch auf dem Dach ihr Werk verrichten sah. Glück brachte es ihn, den Schornsteinfeger, zu berühren.
Ich weiß noch, als Milchkannen nicht nur als Schirmständer dienten, sondern ich die Milch noch lose kaufen konnte. Die Kaffeekannen trugen noch wärmende Mützen und fast jeder Haushalt besaß einen Wellensittich der Hansi oder Peter hieß.
Ich weiß noch, wie wir Kinder im Winter mit Gleitschuhe über verschneite Wege fuhren und sie wirkliche Konkurrenz zum Schlitten waren.
Ich weiß noch, dass gefärbte Haare als schamlos galten und Nachbarn zum Plausch vorbei kamen. Sonntags gab es Schweinebraten, der am Montag aufgegessen wurde. In der Woche wurde Eintopf für zwei Tage gekocht und Ketchup kannte niemand.
Männer trugen Hüte und zogen sie zum Gruß mit angedeuteter Verbeugung, Mädchen machten einen Knicks und Buben, auch ein Wort aus vergangenen Tagen, machten einen Diener.
Ich weiß noch, dass ich Kinderfunk im Radio hörte und am Sonntagmorgen mit den Eltern, Opa Piepenbrink. Ich sah das Westsandmännchen und liebte das Ostsandmännchen mit Pittiplatsch und Schnatterinchen, den Fuchs und die Elster.
In meiner Jugend trug ich einen Bananenrock, oder bestickte Schlaghosen. Farbige Schlappstrohhüte zierten nicht selten meinen Kopf.
Ich weiß noch, als es in den Straßenbahnen Schaffner gab und im Kino Platzanweiser.
Überhaupt gab es an jeder Ecke ein Kino und eine Heißmangel.
Die Bettwäsche wurde gezockelt und vorher auf den Hof zum trocknen gehängt.
Ich weiß noch, dass einige Haushalte keine Badewanne hatten und die Bewohner sich in der Küche in eine Art Sitzwanne säuberten. Es gab Öfen und wer modern war, besaß einen Dauerbrandofen. Die Mülltonnen hießen noch Aschentonnen und dampften nicht selten wenn Glut in sie geschüttet wurde.
Ich weiß noch, dass man sich Liebesbriefe auf Papier schrieb, dass man schöne Worte in Poesiealben schrieb und „in allen vier Ecken Liebe drin stecken“ sollte.
Ich weiß noch, wie ich in einer langen Schlange vor dem Autokino stand und bei Nebel die Vorstellung abgebrochen wurde.
Ich weiß noch, wie kleine Mädchen ihren Puppenwagen schoben und Jungen immer mit einem Fußball unter dem Arm zu sehen waren. Oft knallten die Platzpatronen wenn Räuber und Gendarm gespielt wurde, oder eine ganze Schar von Indianer die Straße unsicher machte. Mädchen spielten Gummitwist auch auf dem Pausenhof.
Ich weiß noch, als die Postleitzahlen noch Vierstellig waren und die Wohnung mit Bohnerwachs gereinigt wurde. Meine Eltern tranken Bohnenkaffee und ich bekam Muckefuck, den ich nie machte.
Die Hundemode beschränkte sich auf Spitz, Dackel, Pudel, Schäferhund und Boxer und in meiner Stadt gab es noch mehre Pelzgeschäfte, die ich nie mochte.
Den Kaffee trank man Zuhause oder im Cafè aber nicht auf der Straße.
Ältere Damen „lagen“ mit einem Kissen im Fenster und warteten auf „Vater“ der mit seiner Aktentasche erwartet wurde. Manchmal brachte er „Hasenbrote“ wieder von der Arbeit mit.
Telefonhäuser gab es in jeder Straße und man konnte sie gut bei Regen als Unterstand nutzen, in den Haushalten waren Telefone noch nicht die Regel.
Manchmal verweile ich gerne und denke über diese alte Zeit nach, die allmählich verloren geht. Manchmal möchte ich noch vom Knallerbsenstrauch die Erbsen zertreten und mich über Kinder freuen die eine Butze bauen. Manchmal möchte ich noch die Kaffeebohnen mit der Hand mahlen.
Manchmal sind Erinnerungen so schön….!
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

und deine mutter könnte noch wehmütig von der zeit sprechen, als man noch selber gesungen hat und nicht einfach den knopf am radio drückte . . .
ein anrührender bericht ohne gejammer, der zu herzen geht. gern gelesen.
lg
 

Maribu

Mitglied
Hallo Josi,

ICH WEIß NOCH - da kommen einem ja fast die Tränen bei so viel Nostalgie!

Ich weiß noch, wie wir im Keller unter unserem Wohnblock saßen
(der "Luftschutzwart" hat ihn stets als sicheren Bunker bezeichnet) und wir gemeinsam beteten, dass die feindlichen Bomber weiterflögen und wie erleichtert wir waren, wenn die Sirene die "Entwarnung" verkündete.
Ich weiß noch, wie wir unser wenig Eßbares teilten. Ich weiß noch, wann es echte Nachbarschaft gab ohne Neid. Ich weiß noch... Und heute?

Liebe Grüße
Maribu
 

Josi

Mitglied
Liebe flammarion,

ich danke Dir sehr für Deine netten Worte.
Ich denke auch, dass jede Generation ihre eigene Geschichte zu
erzählen hat und ich höre so gerne zu.
Leider gehen viele Erinnerungen verloren. Einige Erinnerungen meiner Eltern habe ich aufgeschrieben und sie meinem Sohn gegeben.
Liebe Grüße aus dem verschneiten Hannover!
Josi
 

Josi

Mitglied
Hallo Maribu,

ich freue mich, dass Du einen Kommentar geschrieben hast und auch eine Erinnerung hinzugefügt hast.
Deine Erinnerungen aus dem Krieg sind sicher sehr fest verankert in Deinem Leben.
Mein Vater hat mir auch viel erzählt aus dieser so schweren Zeit.
Er war damals noch ein Kind als er und seine Familie den Bunker nach einem Bombenalarm verließen und das Zuhause in einem Bombenkrater verschwunden war.

Ich schicke Dir gerne verschneite Grüße aus Hannover!
Josi
 



 
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