Beate Fuhrmann
Mitglied
Ich würde dir Geld geben
„Weißt du, wie ich illegal an eine Waffe kommen kann?“ – „Eh – wie – wie bitte?“ stammelte ich nach einem kurzen Schweigen. Ich war sprachlos. „Weißt du, wie ich illegal an eine Waffe kommen kann?“ wiederholte er seine Frage. „Nein, das weiß ich wirklich nicht“, antwortete ich nach einem erneuten Zögern. „Nur weil ich im Jugendheim arbeite, heißt das doch nicht... Also, wenn du mich fragen würdest, wie du an Drogen kommen könntest, dann könnte ich dir vielleicht weiter helfen…“ Ich sagte das scherzhaft, aber ich war beunruhigt. Verunsichert. Was sollte die Frage? „Warum fragst du das?“ Schweigen. Dann sagte er: „Ist schon gut. War nur ´ne Frage…“ Er wechselte das Thema, und ich ließ mich darauf ein, aber ein seltsamer Nachgeschmack blieb, auch noch, als ich schon lange den Hörer aufgelegt hatte.
Ich kannte ihn noch nicht lange, etwa ein halbes Jahr. Nach meiner Trennung war ich in ein Loch gefallen – Depression hatte mein Arzt das genannt. Ich hatte versucht, da wieder raus zu kommen. Der neue Sportverein war eine der „Maßnahmen“. Ich hatte eine ganze Menge verändert in meinem Leben. Ich wollte ein neues Leben anfangen! Umzug, neue Aktivitäten – bloß nicht in Traurigkeit versinken! Ich brauchte Kontakte in diesem neuen Stadtteil.
Schon beim Probetraining war ich auf ihn aufmerksam geworden, bzw. hinterher, als sie noch auf ein Getränk in die Kneipe gingen. Das Angebot mitzukommen hatte ich gerne angenommen. „Du suchst eine neue Tätigkeit?“ hatte er sich eingemischt und mich fragend angeblickt. Da könne er mir vielleicht weiterhelfen. In seiner Firma suche man gerade Leute - und er hatte mir seine Visitenkarte gegeben. „Ruf mich doch an, wenn du Zeit hast, dann kann ich dir gerne mehr erzählen...“
Ich war neugierig und ich war aufgeregt. Zwei Tage später rief ich ihn an. Es war ein langes Gespräch, zunächst ging es um eine mögliche Bewerbung, dann wurde es privater. Seine Firma suche Leute wie mich, sicher könne er da etwas tun. Ich solle mir doch mal die Webseite anschauen. Ob ich mir den Job zutrauen würde? Dann erzählte er vom Verein, er war schon lange dabei; ja, er war auch geschieden…
Einige Wochen später verabredeten wir uns nach dem Training zum Essen. Es wurde ein schöner Abend, wir erzählten uns unsere Beziehungskisten, ein intensives Gespräch, Vertrauen, Nähe. Ich fühlte mich gut und betrachtete ihn als Freund, wirklich, mehr war da nicht, er war ja auch viel älter als ich…
Er war da, wenn ich einen Rat brauchte. Er war auch da, wenn ich Hilfe brauchte. Ich war da, wenn er jemanden zum Zuhören brauchte. Ich war auch da, als er krank war. Ich fuhr zu ihm hin und kochte etwas. Das war es, was ich unter Freundschaft verstand.
Die Frage nach der Waffe hat mich beschäftigt. Oder soll ich sagen beunruhigt? Er hatte sie gestellt, kurz bevor er in Reha gefahren war. Es waren nicht die Knieprobleme, von denen er unseren Vereinskameraden erzählt hatte. Es waren psychische Probleme. Aber das wusste nur ich. Angeblich.
Was will er mit einer Waffe? Sich an jemandem rächen? Sich selber umbringen? Oder will er nur Aufmerksamkeit? „Mach dir nicht so viele Gedanken“, sagte eine Freundin, die in der Psychiatrie arbeitete. „Er will nur Aufmerksamkeit. Mach dir mal keine Sorgen. Der tut sich schon nichts an.“ Damals wusste ich nichts von dem Selbstmordversuch. Wenn es denn einer war.
Mehr als zwei Monate vergingen, bis ich ihn wiedersah. Ich hatte den Eindruck, es ging ihm noch schlechter als zuvor. Ich wollte mich kümmern, da sein für ihn. Stundenlang hörte ich ihm zu, am Telefon. Dann hatten wir eine Verabredung zum Essen. „Warum hast du mich das gefragt, damals“, fragte ich ihn, als wir auf das Essen warteten. „Was denn?“ – „Na, ob ich wüsste, wie man illegal eine Waffe kommen kann.“ Verwundert schaute er mich an. „Das habe ich dich gefragt?“ Ich starrte ihn an. „Ja – weißt du das denn nicht mehr?“ Er verneinte, strich sich über seinen Bart und lenkte vom Thema ab. Ich war fassungslos. Da mache ich mir wochenlang Gedanken und er - er erinnert sich noch nicht mal an die Frage – meine Freundin hatte Recht, er wollte sich nur wichtig tun.
Ich fragte mich, warum ich mich auf Treffen mit ihm einließ. Ich konnte mich selber nicht verstehen. Mutter-Theresa-Syndrom oder so etwas? Holte ich meine Befriedigung daraus, gebraucht zu werden? Ich habe nie darüber nachgedacht, ob er in mir mehr sehen könne als eine Freundin, ehrlich. Ich habe mir nie die Frage gestellt, ob er mich attraktiv fände. Ich fand es schön, einen Freund zu haben, ganz ohne Hintergedanken. Dann bemerkte ich, dass er sich immer mehr in meine Angelegenheiten einmischte. Auch ungefragt. Das störte mich dann doch. Und er war so negativ; es war schwer, in aufzumuntern.
Und dann kam es zum endgültigen Bruch.
„Lass uns essen gehen“, hatte ich ihm gesagt. „Komm raus aus deiner Bude, sonst kriegst du noch mehr trübe Gedanken!“ Er war krank geschrieben. Nach einer Weile und nach all meinen Überredungskünsten hatte er zugesagt. Aber er wolle unbedingt chinesisch essen und ich solle mir etwas überlegen. Als er mich dann abholte, hatte ich mir auch etwas überlegt – konnte ich denn wissen, dass das thailändische Restaurant montags geschlossen war? Also landeten wir doch beim Italiener, aber seine Laune hatte sich verschlechtert. Es war zu laut, wir mussten zu lange warten… An allem hatte er etwas auszusetzen. Wir sprachen über die Vereinskameraden, über seine Gesundheit, über eine neue Freundin, die er in der Reha kennengelernt hatte, aber an Einzelheiten unseres Gesprächs kann ich mich nicht mehr erinnern. Es ging um Beziehungen, ja, und ganz unvermittelt sagte er dann: „Ich würde dir Geld geben, damit du mit mir ins Bett gehst!“ Ich starrte ihn an. Ich konnte nicht glauben, was ich da gehört hatte. Ich stand nicht auf. Ich bin nicht gegangen. Ich wünschte, ich hätte es getan. Stattdessen brach ich ihn Tränen aus. „Was ist denn los? Rede mit mir!“ sagte er. Aber ich hatte keine Worte. Als er zahlte, bestand ich darauf, meinen Anteil zu übernehmen. „Was ist denn los? Was habe ich falsch gemacht?“ fragte er wieder. Ich ließ mich von ihm nach Hause bringen. Er tat immer noch verwundert. Ich konnte es nicht glauben. Nicht, was ich da gehört hatte und nicht, wie er jetzt reagierte. Ich war verwirrt. Ich war verletzt. Ich hatte mir das doch nicht eingebildet! Und er tat so, als sei nichts geschehen, als erinnere er sich nicht an seine Worte. Wie damals, als er mich nach der Waffe gefragt hatte…
Ich sah ihn weiterhin beim Training. Aber er kam nur noch selten. Die Knieprobleme, versteht sich…
„Weißt du, wie ich illegal an eine Waffe kommen kann?“ – „Eh – wie – wie bitte?“ stammelte ich nach einem kurzen Schweigen. Ich war sprachlos. „Weißt du, wie ich illegal an eine Waffe kommen kann?“ wiederholte er seine Frage. „Nein, das weiß ich wirklich nicht“, antwortete ich nach einem erneuten Zögern. „Nur weil ich im Jugendheim arbeite, heißt das doch nicht... Also, wenn du mich fragen würdest, wie du an Drogen kommen könntest, dann könnte ich dir vielleicht weiter helfen…“ Ich sagte das scherzhaft, aber ich war beunruhigt. Verunsichert. Was sollte die Frage? „Warum fragst du das?“ Schweigen. Dann sagte er: „Ist schon gut. War nur ´ne Frage…“ Er wechselte das Thema, und ich ließ mich darauf ein, aber ein seltsamer Nachgeschmack blieb, auch noch, als ich schon lange den Hörer aufgelegt hatte.
Ich kannte ihn noch nicht lange, etwa ein halbes Jahr. Nach meiner Trennung war ich in ein Loch gefallen – Depression hatte mein Arzt das genannt. Ich hatte versucht, da wieder raus zu kommen. Der neue Sportverein war eine der „Maßnahmen“. Ich hatte eine ganze Menge verändert in meinem Leben. Ich wollte ein neues Leben anfangen! Umzug, neue Aktivitäten – bloß nicht in Traurigkeit versinken! Ich brauchte Kontakte in diesem neuen Stadtteil.
Schon beim Probetraining war ich auf ihn aufmerksam geworden, bzw. hinterher, als sie noch auf ein Getränk in die Kneipe gingen. Das Angebot mitzukommen hatte ich gerne angenommen. „Du suchst eine neue Tätigkeit?“ hatte er sich eingemischt und mich fragend angeblickt. Da könne er mir vielleicht weiterhelfen. In seiner Firma suche man gerade Leute - und er hatte mir seine Visitenkarte gegeben. „Ruf mich doch an, wenn du Zeit hast, dann kann ich dir gerne mehr erzählen...“
Ich war neugierig und ich war aufgeregt. Zwei Tage später rief ich ihn an. Es war ein langes Gespräch, zunächst ging es um eine mögliche Bewerbung, dann wurde es privater. Seine Firma suche Leute wie mich, sicher könne er da etwas tun. Ich solle mir doch mal die Webseite anschauen. Ob ich mir den Job zutrauen würde? Dann erzählte er vom Verein, er war schon lange dabei; ja, er war auch geschieden…
Einige Wochen später verabredeten wir uns nach dem Training zum Essen. Es wurde ein schöner Abend, wir erzählten uns unsere Beziehungskisten, ein intensives Gespräch, Vertrauen, Nähe. Ich fühlte mich gut und betrachtete ihn als Freund, wirklich, mehr war da nicht, er war ja auch viel älter als ich…
Er war da, wenn ich einen Rat brauchte. Er war auch da, wenn ich Hilfe brauchte. Ich war da, wenn er jemanden zum Zuhören brauchte. Ich war auch da, als er krank war. Ich fuhr zu ihm hin und kochte etwas. Das war es, was ich unter Freundschaft verstand.
Die Frage nach der Waffe hat mich beschäftigt. Oder soll ich sagen beunruhigt? Er hatte sie gestellt, kurz bevor er in Reha gefahren war. Es waren nicht die Knieprobleme, von denen er unseren Vereinskameraden erzählt hatte. Es waren psychische Probleme. Aber das wusste nur ich. Angeblich.
Was will er mit einer Waffe? Sich an jemandem rächen? Sich selber umbringen? Oder will er nur Aufmerksamkeit? „Mach dir nicht so viele Gedanken“, sagte eine Freundin, die in der Psychiatrie arbeitete. „Er will nur Aufmerksamkeit. Mach dir mal keine Sorgen. Der tut sich schon nichts an.“ Damals wusste ich nichts von dem Selbstmordversuch. Wenn es denn einer war.
Mehr als zwei Monate vergingen, bis ich ihn wiedersah. Ich hatte den Eindruck, es ging ihm noch schlechter als zuvor. Ich wollte mich kümmern, da sein für ihn. Stundenlang hörte ich ihm zu, am Telefon. Dann hatten wir eine Verabredung zum Essen. „Warum hast du mich das gefragt, damals“, fragte ich ihn, als wir auf das Essen warteten. „Was denn?“ – „Na, ob ich wüsste, wie man illegal eine Waffe kommen kann.“ Verwundert schaute er mich an. „Das habe ich dich gefragt?“ Ich starrte ihn an. „Ja – weißt du das denn nicht mehr?“ Er verneinte, strich sich über seinen Bart und lenkte vom Thema ab. Ich war fassungslos. Da mache ich mir wochenlang Gedanken und er - er erinnert sich noch nicht mal an die Frage – meine Freundin hatte Recht, er wollte sich nur wichtig tun.
Ich fragte mich, warum ich mich auf Treffen mit ihm einließ. Ich konnte mich selber nicht verstehen. Mutter-Theresa-Syndrom oder so etwas? Holte ich meine Befriedigung daraus, gebraucht zu werden? Ich habe nie darüber nachgedacht, ob er in mir mehr sehen könne als eine Freundin, ehrlich. Ich habe mir nie die Frage gestellt, ob er mich attraktiv fände. Ich fand es schön, einen Freund zu haben, ganz ohne Hintergedanken. Dann bemerkte ich, dass er sich immer mehr in meine Angelegenheiten einmischte. Auch ungefragt. Das störte mich dann doch. Und er war so negativ; es war schwer, in aufzumuntern.
Und dann kam es zum endgültigen Bruch.
„Lass uns essen gehen“, hatte ich ihm gesagt. „Komm raus aus deiner Bude, sonst kriegst du noch mehr trübe Gedanken!“ Er war krank geschrieben. Nach einer Weile und nach all meinen Überredungskünsten hatte er zugesagt. Aber er wolle unbedingt chinesisch essen und ich solle mir etwas überlegen. Als er mich dann abholte, hatte ich mir auch etwas überlegt – konnte ich denn wissen, dass das thailändische Restaurant montags geschlossen war? Also landeten wir doch beim Italiener, aber seine Laune hatte sich verschlechtert. Es war zu laut, wir mussten zu lange warten… An allem hatte er etwas auszusetzen. Wir sprachen über die Vereinskameraden, über seine Gesundheit, über eine neue Freundin, die er in der Reha kennengelernt hatte, aber an Einzelheiten unseres Gesprächs kann ich mich nicht mehr erinnern. Es ging um Beziehungen, ja, und ganz unvermittelt sagte er dann: „Ich würde dir Geld geben, damit du mit mir ins Bett gehst!“ Ich starrte ihn an. Ich konnte nicht glauben, was ich da gehört hatte. Ich stand nicht auf. Ich bin nicht gegangen. Ich wünschte, ich hätte es getan. Stattdessen brach ich ihn Tränen aus. „Was ist denn los? Rede mit mir!“ sagte er. Aber ich hatte keine Worte. Als er zahlte, bestand ich darauf, meinen Anteil zu übernehmen. „Was ist denn los? Was habe ich falsch gemacht?“ fragte er wieder. Ich ließ mich von ihm nach Hause bringen. Er tat immer noch verwundert. Ich konnte es nicht glauben. Nicht, was ich da gehört hatte und nicht, wie er jetzt reagierte. Ich war verwirrt. Ich war verletzt. Ich hatte mir das doch nicht eingebildet! Und er tat so, als sei nichts geschehen, als erinnere er sich nicht an seine Worte. Wie damals, als er mich nach der Waffe gefragt hatte…
Ich sah ihn weiterhin beim Training. Aber er kam nur noch selten. Die Knieprobleme, versteht sich…