Identität

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Scal

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Ist es so?
Meine Tochter ist ein Unikat.
Weinend stellte sie sich zur Schau.
"Tut mir leid", hat sie gesagt, "wollte ich nicht".

LG
Scal
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Freedom,

für mich geht der Text nicht gut zusammen, schon die Begriffe nicht.
Die Identität als Unikat
Beide tragen einen Widerpruch in sich, indem Identität auch etwas ist, dass man mit anderen gemein haben kann (und möchte) und gleichzeitig sehr individuell. Und ein Unikat ist auf der menschlichen Ebene eher eine Zuschreibung von außen, wobei der Messbecher das ist, was derjenige selbst kennt. Nur ich kann ich sein, aber ein anderer nennt mich Unikat, wenn er mich mit anderen vergleicht. Aus der Selbstvergewisserung, allein zu sein, nackt und hilflos geboren, entsteht der Drang (und die Notwendigkeit) zum Du.
Was den Menschen dazu bringt, "sich stolz und frohlockend zur Schau" zu stellen, gehört in einen anderen Kontext als dem der Identität, oder eines Unikats.
zeigt sich als Symbol gelassener Einzigartigkeit,
Was soll das heißen? Das Unikat wird durch die Zurschaustellung zum Symbol der Einzigartigkeit? Was ist denn da das Symbol?
tanzt auf dem Boden des Nichts, um alles Gewollte zu sein.
Der nächste innere Widerspruch: Identität und Unikat müssen mit etwas gefüllt sein, um zu sein. Sie brauchen nicht das Nichts, um alles Gewollte zu sein, überhaupt der Wunsch, etwas zu sein, gehört nicht in diesen Kontext.
Was auch immer Du zum Ausdruck bringen wolltest - ist bei mir nicht angekommen.

Was sufnus zu Deinem anderen Gedicht geschrieben hat, trifft es für mein Verständnis sehr gut, warum (auch) dieser Text nicht funktioniert.

Liebe Grüße
Petra
 

sufnus

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Ui Petra, freue mich sehr über Deine Beipflichtung :) , der hinwiederum in Bezug auf diesen Text ich eine Beipflichtungsbeipflichtung zu äußern mich anheischig zeige.
Wobei dieser Text von Dir, lieber Freedom, bereits so sehr ins oxymoronös-verrätselte driftet, dass er mich ein kleines bisschen mehr mit auf die Reise nimmt als Dein anderer Text. Dennoch wäre mir ein bisschen was Konkretes (oder alternativ noch mehr totale Durcheinanderdenke) durchaus sehr willkommen.
LG!
S.
 

Freedom

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Hallo Petra und Sufnus,

danke für eure Auseinandersetzung mit meinem Text.

Sufnus habe ich gerade zum Text "Orientierung" geantwortet. Einleitend kopiere ich davon einen Teil herüber:

"Texte dieser Art schreibe ich aufgrund vorliegender Wörter in sehr kurzer Zeit. Es entsteht dabei nur ein Satz. Auch liegt kein Anspruch auf einen konkreten Sinn oder Inhalt vor. Die Wörter nehme ich also kurz auf und verarbeite sich rasch in derartige Sätze.

Ich wollte diese Form einmal zur Schau und Diskussion stellen. Ich wüsste auch gar nicht, welchem Genre sie entsprechen würden, weil ich mich damit zu wenig auskenne.

Die Vermittlung kluger Einsichten ist nicht meine Intention. Der reine Sprachspaß mit dem Wortmaterial, wie du es genannt hast, trifft es ganz gut.

Dass die Emotion dabei fehlt, ist mir nachvollziehbar, weil ich auch keine beifüge. Aber auch dass ist ein brauchbares Feedback für mich."


Petra, darauf aufbauend gehe ich auf dein Feedback ein. Allfällige Widersprüche werden billigend in Kauf genommen, weil ich den Text keiner "Politur" unterziehe. Damit erklärt sich auch die Irritation zum "Symbol". Mir ging es bisher um das intuitive Verarbeiten von Wörtern. Was heraus kommt ist dann das Ergebnis.

Dass dich und Sufnus diese Zeilen nicht erreichen, kann ich nachvollziehen. Sie sind kalt, roh verarbeitet und emotional nicht aufgeladen. Damit, so wie ihr sagt, erreicht man das Gegenüber kaum bis gar nicht. Das würde ich als Erkenntnis zusammenfassen.

Was mir noch unklar ist: Auch in der Musik oder der Malerei gibt es "kalte" Formen. Oder würde mein Text in der Malerei nur das Abspielen von unzusammenhängenden Tönen und in der Malerei nur wilde Pinselstrichen bedeuten - man hört keine Melodie und sieht kein "Bild".

Ich werde weiterhin solche Sätze für mich schreiben, würde mich aber noch über eure Einschätzung freuen.

Danke euch und LG Markus
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Markus,

ich glaube, dass Dein Schreiben - so, wie Du es darlegst - eher etwas für Dich allein ist, spielerischer Selbstausdruck. Du brauchst dafür kein Gegenüber und ich würde mir auch nicht mehr die Mühe machen, einen Sinn in etwas zu sehen - oder zu beklagen, dass ich ihn nicht finde - , den Du absichtsvoll nicht hineinlegst.
Ohne das 'Du' funktioniert es nicht - außer vielleicht Zufallstreffer.

Was Du über Musik und Malerei sagst, ist ein interessanter Gedanke.
Ob das wirklich 'kalte' Formen sind im Sinne von unemotional, ich weiß es nicht.
Nur, im Gegensatz zu Wörtern, deren Sinn der Austausch ist, die Inhalte also offen liegen, funktionieren Musik und Malerei anders.
In der Musik kenne ich mich nicht gut genug aus - mir will scheinen, dass es auch beim Komponieren nicht ohne Emotionalität geht; zumindest das, was man kennt. Und selbst unmelodische Formen scheinen mir doch absichtsvoll zu entstehen, um einen Bruch mit Hörgewohnheiten zu dokumentieren. Was da zufällig, unemotional und absichtslos entsteht, hat vielleicht noch keiner gehört.
In der Malerei ist es ganz anders. Zumindest bei mir, die nicht besonders nach Bildung in diesem Bereich gestrebt hat, sondern alles habe auf mich wirken lassen, entsteht die Verbindung dadurch, was in mir entsteht. Ich sehe einen blauen Strich auf einer ansonsten weißen Leinwand und denke vielleicht, das bin ich. Das kann der Maler nicht gemeint haben. Er dachte vielleicht, so sehe ich die Welt, oder gar, das sei er, vielleicht aber auch nur, ich male mal einen blauen Strich. Den malt er hin und ich nehme ihn mir und mache meinen draus. Das geht - glaube ich - nur in der Malerei.

Liebe Grüße
Petra
 

sufnus

Mitglied
Hey Ihr Lieben!
Interessante Diskussion. :)
Drei Stichworte in Euren Überlegungen, die bei mir gerade haften bleiben sind: Abstraktion - Kälte - Sinnverweigerung.
Ist ein abstraktes Gemälde notwendigerweise "kalt"? Ich würde sagen, keineswegs, obwohl ich bei der Diskussion von Gedichten die Dominanz abstrakter Begriffe imit Kälte (fehlender Emotionalität) assoziiert habe. Der Widerspruch ist insofern keiner, als ich hier unter "abstrakt" verschiedene Dinge verstehen würde.
Abstrakte Gemälde sind nicht Gegenständlich, d. h. sie bilden keine Wirklichkeit ab (ja sie bilden nicht einmal eine Abbildung der Wirklichkeit ab), aber das ist etwas anderes als das, was man mit "abstrakten Begriffen" in der Sprache meint. Abstrakte Begriffe sind wie große Container, in die man mehr oder weniger unterschiedliche Konkreta hineinfüllen kann, sie haben also einen kategorisierenden Sammelcharakter. Und da es in der Sprache Sammelbehälter für Sammelbehälter usw. gibt, lässt sich die "Abstraktheit" (ein wunderbar abstraktes Wort) von Begriffen sogar beinahe stufenlos regeln: "Sein" ist abstrakter als "Lebensform", welches wiederum abstrakter als "Baum" ist, der natürlich von "Pflaumenbaum" hinsichtlich der Abstraktheit unterboten wird, bis man schließlich beim Kletterbaum im Garten meiner Großeltern landet.
Und ich denke in dieser De-Abstraktisierungs-Reihe sieht man schön die Zunahme an Emotionalität. Das ist bei Nichtgegenständlichkeit in abstrakter Malerei anders, weil diese nicht diesen sammelbegrifflichen Charakter besitzt.
LG!
S.
 

Freedom

Mitglied
Liebe Petra, lieber sufnus,

ich finde deine Ausführungen sehr interessant. Ich besuche ab und an Ausstellungen. Ähnlich wie mit Texten fesseln mich manche Bilder und andere erzeugen nur Fragezeichen. Mein Highlight zuletzt war eine komplett weiße Leinwand. Ich hab genau hingeschaut - sie wurde auch bemalt (also die Leistung war erkennbar)! Es war keine besondere Struktur darin erkennbar. Einfach weiß, fertig. Ich gehe da also vorbei und denk mir, nicht schlecht, das kostet sicher 25.000€, aber irgendwen wird das schon flashen. Und sicher gibt es welche, die das komplett kunstvoll finden. Ich finde dazu aber keinen Zugang.

Zwischendrin könnte ich fragen: Vielleicht springen du und sufnus nicht auf meine Sätze an, aber andere würden das schon machen? Vielleicht erreicht diese "Kälte" jemanden? Diese Frage ist keine emotionale ( :) ), sondern schlichtweg eine der verschiedenen Geschmäcker.

Dazu stellt sich für mich eine weitere Frage als Neuer in diesem Forum. Welche Qualitätskriterien gibt es denn in der Textproduktion? Bei Kurzgeschichten oder Romanen schätze ich einen großen Teil als Handwerk ein und da gibt es viel Theorie. Bei Lyrik kenne ich mich nicht aus. Wie sieht es mit Texten aus, die etwas freestyle daherkommen - letztlich geht es dabei darum, ob sie dem Gegenüber gefallen oder nicht, oder? Das ist zwar bei anderen Texten auch der Fall. Aber es gibt sowohl in der Musik als auch in der Literatur Werke, die hoch gehandelt sind, aber nicht die breite Masse erreichen. Was ich damit sagen möchte: Was gefällt muss gleichzeitig nicht qualitativ gut sein (und umgekehrt, sufnus ;)).

Jetzt komme ich nach viel Text zur eigentlichen Frage: Bei längeren Texten glaube ich, dass es Kriterien zum Anhalten gibt, die über das reine Gefallen hinaus gehen. Bei Lyrik bzw. Ungereimten wüsste ich nicht, wie ich erkennen könnte, was "gut" ist. Gibt es sowas?

Meine Frage geht von meinen Satzgebilden weg. Ich habe mit den Satz-Gebilden keine Ansprüche. Die machen quasi was sie wollen. Trotzdem stellt sich für mich die Frage, wie man Texte objektiv einschätzen kann? Subjektiv bekommt man es ja meist gut hin. Damit kehre ich wieder zum weißen Bild zurück. Ich denke mir, was für ein Scheiß, aber vielleicht jubelt die Kunstriege und findet´s komplett abgefahren.

Ich hoffe, ich habe das Thema jetzt nicht zu sehr aufgebläht :)

LG Markus
 

sufnus

Mitglied
Hey Markus! :)

Man kann es für frivol oder zumindest weltfremd halten, sich mit Fragen der Qualtität von Gedichten zu beschäftigen, wenn gerade ein neuer Teil der Welt in Flammen aufgeht, nachdem diese Region nun lange genug in einem von (vielen von) uns einigermaßen anstrengungslos ignorierbaren Schwelbrand lag.
Vielleicht ist es aber auch eine gesunde Gegenbewegung, sich einem Kulturthema zuzuwenden. Man kann darüber streiten. Aber lieber in einem anderen Thread würde ich sagen.

Jetzt komme ich nach viel Text zur eigentlichen Frage: Bei längeren Texten glaube ich, dass es Kriterien zum Anhalten gibt, die über das reine Gefallen hinaus gehen. Bei Lyrik bzw. Ungereimten wüsste ich nicht, wie ich erkennen könnte, was "gut" ist. Gibt es sowas?
Ich denke, im Zentrum Deiner Frage steht: Welche handwerklichen Kriterien gibt es, nach denen man bei einem ungereimten Gedicht ohne regelmäßige, metrische Struktur die handwerkliche Qualität beurteilen kann? Tatsächlich ist hier das Stichwort "handwerklich" wichtig, weil oberhalb des Levels vom Kunsthandwerklichen, also da, wo es um Literatur im engeren Sinne geht, die Einhaltung formaler Kriterien bei einem metrisch gebundenen Reimgedicht nicht mehr hinreichend für gehobene Qualität sind (sofern diese Form bedient werden soll, was selbstverständlich auch in der heutigen Zeit "zulässig" ist).

Im Bereich der Literatur könnte man es vielleicht am kürzesten (aber auch missverständlichsten) mit dem Stichwort der "Originalität" umschreiben. Wenn heute ein(e) Dichter*in daherkommt und Rilkes Panther einen sprachlich ebenso kunstvoll bedichteten Löwen zur Seite stellt, genau in diesem Rilke-Sound, dann ist das zwar kunsthandwerklich beachtlich, aber es ist keine Kunst (ebensowenig, wie wenn heute ein(e) Artist*in ein Gemälde im Stil eines van Gogh malt und von mir aus die Sonnenblumen durch Tulpen ersetzt.

Zurück aber zu Deiner Frage nach dem "Handwerk" bei nicht formgebundener Lyrik.
Ich würde sagen, gutes Handwerk bei einem Gedicht ohne Reim & Metrum zeigt sich in drei Punkten:
1. Kenntnis der Tradition
2. Bewusstsein für Assoziationsräume
3. Vorhandensein eines poetologischen "Programms" (nicht als allgemeine "Bauanleitung" sondern für diese spezielle Gedicht)

Damit ist gemeint:
Ad 1: Wenn ein Gedicht Anspielungen auf frühere Gedichte enthält (Traditionsbewusstsein) ist das eine gute Sache, diese Anspielungen sollten aber weder zufällig zustande gekommen sein noch im Rahmen eines "Ideenklaus", sondern diese Bezüge zu älteren Werken sollten im Gedicht irgend eine Funktion besitzen und ein bewusstes Gestaltungsmittel sein.
Ad 2: Die Lyrikerin oder der Lyriker sollte außerdem ein Gefühl für die aktuelle gesellschaftliche Diskurshöhe besitzen (Assoziationsräume). Selbstverständlich muss sie oder er dann dem "Mainstream" von Influencern und/oder Stammtischen nicht anbiedernd das Wort reden, ganz im Gegenteil: Provokation ist ein handwerklich probates Mittel. Sie sollte aber bewusst eingesetzt werden und dabei etwas mehr bieten als nur plumpe Effekthascherei.
Ad 3: Das Gedicht sollte irgend eine Art von Gestaltungswillen erkennen lassen. Selbst wenn als Technik ein "automatisches Schreiben" gewählt wurde, bei dem frei assoziierend die Wörter aneinander gereiht werden, sollte doch zumindest eine gewisse Kontrolle über den Spannungsbogen (Begriff nicht zu eng fassen) erkennbar sein. Das Gedicht sollte, ähnlich wie ein Musikstück, eine gewisse Struktur besitzen, meinethalben eine Art Paukenschlag zu Beginn, gefolgt von einer leisen, nachdenklichen Passage, dann einem stürmischen Aufbegehren und schließlich einem melancholischen Schlussmotiv (nur mal als Beispiel).

Am Ende dieser drei Punkte steht dann wie oben betont keineswegs ein "Kunstwerk", sondern erst einmal nur ein gut gemachtes Handwerksstück (was nicht zu verachten ist!). Den Sprung zum Kunstwerk folgt dann noch einmal ganz eigenen "Regeln" (naja), aber auch hier gilt keinesfalls: Alles nur Geschmackssache. Es gibt, davon bin ich überzeugt, auch in der Kunst einen objektiven Korridor.

LG!

S.
 

Freedom

Mitglied
Hallo sufnus,

herzlichen Dank für deine Ausführung, die für mich griffig ist und das Nebulöse klarer macht.

Der Punkt mit den Assoziationsräumen spricht mich sehr an. Wenn sich beim Lesen Fragen oder neue Felder auftun, finde ich Texte bewegend und sie werden über das Geschriebene hinaus auf (m)eine Art lebendig.

Dass die Kunst einen objektiven Korridor habe, finde ich beruhigend, weil es mir in der Diskussion des Kunstbegriffs wie ein Handlauf zum Anhalten erscheint.

Danke!

LG Freedom
 



 
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