Idyll

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sufnus

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Idyll

Eine Bank an einem Waldrand
sie steht genau im Gedicht
weshalb das Schild fehlt
kein Vandalismus bitte

Die Aussicht ist leer geräumt
der Wald hat seinen Geruch
gerade verlegt und
verschiedene braune Vögel
halten wir für wahrscheinlich

Irgend jemand mag gerade
dabei sein Rehe zu überschätzen
Wölfe fehlen in dieser Gegend
nicht besonders

Der Betrachter auf der Bank
ist fast lebendig man sieht es
an der Brille wir vermuten
einen Menschen oder vielleicht
eine Puppe aus der

Niemand schlüpfen wird
es gibt keine Nachrichten hier unten
keiner ritzt sein Herz in die freie Natur
morgen weht ein anderer Wind
 
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sufnus

Mitglied
... war ein Adhocgedicht, da kommt es immer (bzw. gerade in diesem Moment) mal noch zu Nachbesserungen (vgl. Historie) - in der Hoffnung mit den kleinen Ergänzungen Marens Sterne (Grüße! :) ) nicht verspielt zu haben ;)
 

seefeldmaren

Mitglied
um ehrlich zu sein gefiel mir die umarmende variante 1 mehr.

ob ad hoc oder nicht ist ja irrelevant - schreibdauer ist kein qualitätsmerkmal lieber sufnus!

aber ja, version 1 fand ich schon sehr geil!
 

klausKuckuck

Mitglied
Hey sufnus,
wer sind die Besucher? Fernreisende aus der Galaxie? Eine neue Menschenaffenmutation, die von den Bäumen heruntergeplumpst kam? Verblichene Dichtergestalten, die auf einen geisterhaften Besuch aus ihren Gräbern gestiegen sind? Und die braunen Vögel mit kreuzbemalten Flügelbinden – was deute ich in die hinein? Oder gibt es hier gar nichts zu deuteln?
Ratlos KK
 

Tula

Mitglied
Hallo sufnus
Ich war neulich hier in einem Museum für moderne Kunst. Das meiste sprach mich wenig an, aber beim Anblick der einen oder anderen Kreation hatte ich dann trotzdem ähnliche Gefühle, d.h. verstanden habe ich nicht viel, aber immerhin - idyllisch. Oder genauer - widersprüchlich idyllisch. Eigentlich konfus, gut ... Man könnte auch sagen - realitätsfern, denn wahre Idyllen gibt es nur in den Köpfen von Träumern, allen voran Dichter.

LG Tula
 

sufnus

Mitglied
Hey an alle! :)
Ich freue mich sehr über Eure Einwände, Rückfragen und einordnenden Bedenkungen!

@seefeldmaren
Ich weiss, dass Du grad keine freie Zeit hast - also kannst Du meine Frage auch gerne (erstmal oder überhaupt) ignorieren, falls aber doch Zeit vom Himmel fällt: Was meinst Du mit "umarmend" in der Version 1? :)

@klausKuckuck
Ha! Ich stelle mir gerade vor, dass Fragen, wie Du sie stellst, in etwa dem Eischneetest entsprechen: Halten Sie die Schüssel mit dem Eischnee mit der Öffnung nach unten über den Kopf des Küchenjungen (-mädchen, des/der Dichter*in); wenn der Inhalt sich dann über das Haupt der Versuchsperson ergießt, dann war die Zubereitung nicht korrekt. :)
Anders gesagt: Hält das Gedicht diesen Rückfragen stand? Mal sehen... ;)
Also ich würde sagen, wir haben hier nach dem Titel und der ersten Strophe eine Art leere Kulisse vor uns und der normale Job der nächsten Strophen wäre es, ein paar Figürchen auf der Lesebühne zu platzieren und dabei dem Grundthem des Idyllischen Rechnung zu tragen.
Beides wird aber unterlaufen. Die "Mitwirkenden" (Vögel, Rehe und Wölfe) bleiben merkwürdig irreal und interagieren überhaupt nicht und der zuletzt eingeführte Betrachter (der wiederum dem Betrachtungsblick des Lesers angeboten wird) ist vollends schräg.
Soweit so surreal.
Aber was ist nun "die Botschaft"? Da würde ich vermutlich (ohne das zur verbindlichen Vorgabe zu erklären) von der letzten Zeile ausgehend rückwärts lesen. "Ab morgen weht ein anderer Wind" ist im herkömmlichen Reden eine Drohung und üblicherweise der menschlichen Sphäre zuzuordnen. In seiner wortwörtlichen Bedeutung ist es aber ein feiner Naturvorgang und könnte sich auch in einer menschenleeren Umwelt abspielen. Dazu passt dann die (neu eingefügte) vorletzte Strophe, in der gerade die Abwesenheit eines menschlichen Akteurs festgestellt wird. Wäre dieser Akteur übrigens anwesend gewesen, hätte er sich eines typisch "idyllischen" Zeichens, nämlich des Herzsymbpls, bedient, dabei aber die Natur (vermutlich eine Baumrinde) per Ritzzeichnung verletzt. Das menschliche Idyll fällt also aus, das Naturidyll bleibt erhalten. Wobei diese "Rettung" der Natur via Abwesenheit des Menschen, bitte nicht zu eindimensional gelesen werden sollte - wenn der Eischneetest, siehe oben, denn funktioniert (?). Vielleicht gibt es hier ja gar kein Idyll?
Und damit würde ich nun zu @Tula übergehen... muss dies aber noch etwas hintanstellen... die Zeit.. die Zeit... wird aber nachgeholt!!! :)
LG!
S.
 

klausKuckuck

Mitglied
Verehrter Eischneemann, ganz offen: Ich verstehe kein Wort. Es scheint Zeit für mich zu sein, aus der Leselupe auszutreten. Den hier geltenden Ansprüchen bin ich nicht mehr gewachsen. War es vielleicht nie. Habe es nur nicht realisiert. Also denn: Man sieht sich. In irgendeinem Wald vielleicht. Auf einer Bank, die von den braunen Vögel angeflogen wird.
KK
 

Frodomir

Mitglied
Hallo sufnus,

dein Gedicht hinterlässt bei mir ein merkwürdiges Gefühl der Leere, ja, einer gewissen Künstlichkeit. Dies ist keineswegs negativ gemeint, sondern ich finde gerade die Dichotomie zwischen der Erwartung an ein Idyllengedicht und deren Nichterfüllung stark umgesetzt.

Ich will sogar soweit gehen, dass mich diese unemotionale Sachlichkeit deiner Verse beinahe wütend macht, denn dieser Stil entspricht ja gerade nicht dem, was ich mir als Leser von einer romantischen Idylle versprochen hätte. Künstlerisch finde ich das also sehr stark, emotional aber schwer zu verkraften.

Darüberhinaus finde ich einige Verse bemerkenswert, allen voran Vers 2: sie steht genau im Gedicht

Der romantische Gedanke, dass ein menschlicher Beobachter, gleichsam ein Gegenpart zur unberührten Natur, diese wahrnehmen kann und deskriptiv und gleichsam fühlend in seine Lebenswirklichkeit einbezieht, wird hier förmlich aufgelöst - und man bleibt als Leser im Ungewissen. Steht die Bank am Waldesrand als Ausdruck idyllischer Sehnsüchte mitten im Gedicht, also geht von diesem Bild sozusagen das idyllische Gefühlserleben aus - oder steht sie diesem vielmehr im Wege? Dieser Vers ist so aufgeladen mit Poesie und intelligenter Verarbeitung der Geschichte der Naturlyrik, dass ich Schwierigkeiten habe, die richtigen Worte für seine Interpretation zu finden. Ich hoffe, ich konnte mich dennoch ein bisschen verständlich machen, aber letztlich genieße ich auch einfach seine Klasse.

Weiterhin auffällig ist natürlich das Enjambement in Strophe 3:

Wölfe fehlen in dieser Gegend
nicht besonders


Ein starker Widerspruch, der die große Frage von Wildheit oder Zivilisation aufwirft und beinahe resignativ oder mindestens leger auflöst. Das ist so postmodern, dass es mich schon sauer macht, weil es dieses ungute Gefühl des Belanglosen und Beliebigen, ja sogar Sinnlosen auslöst, welchem ich gerade in der Lyrik zu entfliehen versuche. Und hier finde ich es wieder, bin auf der Gefühlsebene abgeschreckt, aber aus künstlerischer Perspektive mehr als angetan.

Die letzte Strophe setzt dem Ganzen dann die Krone auf. Man könnte sie erneut genau gegensätzlich deuten. Und auch wenn der letzte Vers wie eine Drohung wirkt, könnte es doch auch eine solche sein im Sinne von: Wir lassen uns die Naturentfremdung nicht mehr gefallen und holen uns unsere idyllische Beziehung zu ihr zurück! Oder ist gerade die idyllische Perspektive die Entfremdung?

Ich hoffe, du konntest meinen Gedanken ein bisschen folgen, ich jedenfalls halte dein Gedicht für ein großartiges und kann nur applaudieren!

Viele Grüße
Frodomir

PS: Schreibt man irgendjemand nicht zusammen?
 
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sufnus

Mitglied
Verehrter Eischneemann, ganz offen: Ich verstehe kein Wort. Es scheint Zeit für mich zu sein, aus der Leselupe auszutreten. Den hier geltenden Ansprüchen bin ich nicht mehr gewachsen. War es vielleicht nie. Habe es nur nicht realisiert. Also denn: Man sieht sich. In irgendeinem Wald vielleicht. Auf einer Bank, die von den braunen Vögel angeflogen wird.
KK
Hey KK!
Ich schwanke etwas zwischen Ver- und Zerstörung. Wenn ich jetzt gleich @Tula antworte und der dann schreibt: "Mann, ich kann Dir echt nicht folgen - das Beste wird sein, ich verlasse die LeLu und engagiere mich nur noch im Weißbauchigel-Forum Niedersprockhövel.", ja dann ... wie war noch mal die Adresse von diesem Igel-Dings?
Ansonsten kam vielleicht obig schon rüber, dass meine Ausführungen aus Zeitmangel mit heißer Nadel gekocht (oder so) waren. Allein die teilweise auffällig fehlende Orthographie mag das andeuten. Und andere Vertippsler machen mein Geschreibsel da oben auch nicht grade verständlicher. Nur ein Bsp.: Der obig erwähnte "feine Naturvorgang" sollte latürnich ein "reiner Naturvorgang" werden. Naja...
Insofern ist meine Wirrklärung vielleicht nicht der alleridealste Entscheidungsmaßstab für die Betätigung des Schleudersitzes...
Und falls doch weniger mein Erklär-Kommentar, als vielmehr das zeitgenössisch-ästhetisierte Gedicht selbst bereits einen Fluchtreflex ausgelöst hat: Da Du mich ja häufig genug mit verbalen Bützchen bedacht hast (ich trage sie alle noch in meinem Herzen verwahrt!), brauche ich nicht darauf hinweisen, dass ich außer "schwierigen", postmodernen Lyrizismen auch genug ganz klassische Vertreter der gereimten Normalpoesie produziere und auch ein paar ungereimte Gedichte zur leichtverständlichen Sorte gehören. Ich würde sogar sagen, dass die durchblickbaren Poeme bei meinen Lupenbeiträgen in der Überzahl sind. und jetzt hab ich doch drauf hingewiesen. Also insgesamt steh ich ein wenig ratringend (das sieht komisch aus - ich meinte: Rat-ringend) im Wald.
LG nebst heftiger Verbleibbitte!
S.

Und nun... etwas beklommen... ein Antwortversuch für @Tula: Ich finde Du triffst den Nagel genau ins Schwarze: Ein Idyll ist ein soziales Konstrukt und von daher gibt es so wenig Idylle jenseits des Menschen, wie es Lieder jenseit desselben zu singen gibt (nimm dies, Celan!).
Das Fehlen eines menschlichen lyrischen Ichs oder Dus im Gedicht (oder wenigstens einer mimetischen Human-Umsingung in der dritten Person) macht aus dem ganzen Ding so ein bisschen was, wie diese unmöglichen Figuren aus dem Escher-Universum. Da hilft auch dieses höchst ominöse "wir" nicht weiter, das irgendwie deplatziert durch die Zeilen irrlichtert.

LG!

S.

Ha! Und @Frodomir
Du hast hier im Forum ziemlich bald nach meinem Erscheinen eine Pause eingelegt - aber Deine überaus gehaltvollen Beiträge habe ich immer bewundert!
Ich werd mir für Deine Fundgrube an Gedanken zu meinem Gedicht ein bisschen Zeit nehmen - dann gehe ich sehr sehr gerne darauf ein! :)

Irgendwie gibts heut beim lieben Grüßen ein bisschen einen Gesprungeneschallplatte-Effekt (die Älteren unter uns erinnern sich nicht mehr) - aber da müsst Ihr jetzt durch:

LG & bis bald!

S.
 

Ubertas

Mitglied
Fasten your seat-belts oder so ähnlich!
(wo ist hier das Raketen-smiley - not found!)
Lieber sufnus,
kann sein, dass mein Aufschwung ein drehender Helikopterflügel mit Vogelschlag wird! Aber nichtsdestotrotz begegne ich deinem Idyll jetzt mal auf der beta-kappa-alpha-profiler- tiefflug-annäherungs-Äbenä.
Vorhin, prologistisch sei gesagt: Ein Gedicht ist ein Gedicht. Der Leser ein beileibe gewaltiges Holzhirn, was zu verschmerzen sei.
Quid "esset" demonstrandum
Dein Idyll ist für mich kein Idyll, es ist ein Applaus auf alles dagegen.

Eine Bank an einem Waldrand
sie steht genau im Gedicht
weshalb das Schild fehlt
kein Vandalismus bitte
Geht ja schon gut los! Was macht die Bank da? Sie hütet sich vorm Überfall! Da mitten im Gedicht, braucht sie kein Schild mehr, das vor ihr warnt, geschweige denn Banausen, die nächtens auf ihr einbrechen.


Die Aussicht ist leer geräumt
der Wald hat seinen Geruch
gerade verlegt und
verschiedene braune Vögel
halten wir für wahrscheinlich
Schlimmer noch! Es gibt nichts mehr zu bestaunen. Was macht der Wald? Er duftet nicht mehr nach Kölnisch Wasser. Im Gegenteil, er hat sichs gerade anders überlegt und verkriecht sich in Ges-Dur.
Das zoon politikon, wärs ein Vogel trägt in tiefer Trauer braun. Iwo und wo? Aussichtshügel gibts nicht mehr. Waren aus.


Irgend jemand mag gerade
dabei sein Rehe zu überschätzen
Wölfe fehlen in dieser Gegend
nicht besonders
Interessanterweise glaubt noch jemand an Bambi, wer hat sich da wohl verirrt: der gutgläubige Bankvermuter an der ausgelöschten Lichtung? Das böse Wölflein hat sich längst niedergelassen. In eigener Hoffnung.

Der Betrachter auf der Bank
ist fast lebendig man sieht es
an der Brille wir vermuten
einen Menschen oder vielleicht
eine Puppe aus der
Um Gottes Willen! Da sitzt noch einer. Hat man ihn bereits ausgestopft oder braucht er noch die Brille, um zu sehen? Was sind wir da, gestaltet am Abgrund oder bereits Marionetten? Vermuten wir uns noch - sind wir noch da?

Niemand schlüpfen wird
es gibt keine Nachrichten hier unten
keiner ritzt sein Herz in die freie Natur
morgen weht ein anderer Wind
Und dann dieser Abschluss, ich bitte Sie, Herr sufnus!!
Wo geht es denn hin, wenn niemand mehr herausschlüpft, aufsteht, von und aus der Bank? Dann schwirrt der Helikopter im downfall, plumpst und schlägt auf Grund.
Keiner, so ist es, ritzt sein Herz. Niemand nimmt die Wunde in Kauf und die freie Natur? Sie nimmt nimmer Lauf.
Morgen weht der andere Wind, den das Gestern bereits kannte. Es saß mit auf der Bank, die es niemals gab in diesem "Idyll".

Molto bene, Tiefenanalyse completto,
uberretto. Basta! I like<3
 

fee_reloaded

Mitglied
Ein Text über Veränderung und Vergänglichkeit, wie ich es lese, lieber sufnus.

Vielleicht gehört auch neu definiert, was ein Idyll ist. Zeiten ändern sich. Wir ändern uns.
Wir neigen dazu, Dinge zu verklären, die uns an unsere unbeschwerten Kindertage erinnern. Interessanterweise waren uns diese Dinge aber in Kindertagen eine Selbstverständlichkeit und wir haben sie nicht als Idyll sondern als gegeben angenommen. Natur um uns zu haben, in der Natur zu sein.

Das Draußen von damals steht im extremen Kontrast zu der Verpuppung (dem Cocooning, dem Rückzug) der heutigen Zeit.
Aber der Text deutet auch Metamorphose an. Wer weiß, in welcher Gestalt (und Gesinnung) wir uns aus unseren Kokons befreien, wenn wir wieder hinaus in die Natur streben...

Liebe Grüße,
fee
 

seefeldmaren

Mitglied
@sufnus - viele deiner werke sind ein ironiegebiet. die moderne erwartung von informationsfluss wird suspendiert und die ironie zeigt die wunden auf. die zwei dreizeiler gaben für mich beim lesen balance, es war auch ein schöner einstieg -zwei strophen mit drei besonderen zeilen und dann kam da so ein groove und verweigert alles, was traditionell zum idyll gehört.
also das komplette konträr von "ich hasse die scheiß wälder, ich verachte die beschissenen bäume". dein gedicht zieht für mich eine ganz andere emotionale bilanz. und trotzdem war es für meine begriffe in sich rund und gesund.

version zwei wirkt mit seiner form zu erzogen.

Maren

(jetzt länger weg)


und irgendwo geht unsichtbar
ein schritt durch das gehölz
ich weiß nicht, ob er zu mir will
oder sich im eignen hall verläuft
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

Mitglied
Hey Ihr Lieben!

Das ist jetzt wirklich so viel Input, Feedback und (wunderbar gemischte) Resonanz von Euch, dass ich etwas brauchen werde, um da auf die vielen spannenden Punkte einzugehen! Ich fühle mich wirklich gesegnet von Eurem vielstimmigen Reaktionen und werde sie sehr genau lesen und bedenken!

Ich will da zunächst wirklich nochmal zuvörderst Deine Befremdung, lieber KK, hervorheben: Es klingt jetzt blöd und total missverständlich, wenn ich schreibe, dass mir an der besonders viel liegt. ;) Was ich damit dann sicher nicht meine, ist, dass ich Dich (oder sonstwen) mit meinen Gedichten gerne provozieren möchte - das will ich gerade nicht. Es ist aber wertvoll, wenn ich ein Echo erhalte, dass meine Zeilen eine Abwehrreaktion oder Irritation ausgelöst haben, weil mich das dann motiviert, nochmal doppelt und dreifach kritisch über den Schrieb drüber zu gehen, wobei ich gutmöglicherweise (wenn auch nicht zwingend) zu dem Ergebnis komme, dass mit dem Text irgendwas schief gelaufen ist, das soll ja passieren. :)
In der Hinsicht liegt dieses Gedicht jetzt nochmal mit allerlei Sonden und Endoskopen gespickt im Untersuchungslabor.

Auf Deine Bedenken, liebe Maren, die eine spannende Brücke von der Textstruktur zur "Aussage" schlagen, will ich später noch ausführlicher eingehen. Ebenso auf Eure Angänge, Fee und Ubertas, die mir auf coole Weise komplementär vorkommen. :)

Daher zunächst erst noch mal vielleicht der Aspekt der Abwehrhaltung, die der Text ja nicht nur bei Dir, KK, sondern eben auch (mit allerdings anderem "Outcome") bei Dir, Frodomir, geweckt hat. Und vielleicht auch bei Dir, lieber Tula, denn aus dem Vergleich mit modernistischen Musealexponaten kann man zumindest eine gewisse distanzierte Belustigung herauslesen, die ja wiederum als ein (sehr milder) Vorbehalt deutbar ist.
Ich habe zu diesen Lesereaktionen noch keinerlei "Theorie", aber sie interessieren mich wirklich sehr, denn offen gestanden habe ich bei diesem Gedicht damit überhaupt nicht gerechnet. Ich war zwar der Meinung, dass die Zeilen einen unstrittigen Häh?-Faktor besitzen, weil sie keine kohärente Geschichte erzählen und die verwendeten Bilder ziemlich mehrdeutig sind, ich hätte aber gedacht, dass ich hier auf der Lupe schon weitaus Sperrigeres verzapft habe (beim gerade stattgehabten schnellen Zurückblättern wären etwa blüt, süßes Fleisch und Normung nach meinem Eindruck Kandidaten für deutlich "drüberere" Lyrik).

Also mein noch hüftschüssiger Erklärungsansatz ist daher erstmal, dass bei diesem Poem hier die schiere Unverständlichkeit gerade noch nicht so groß ist, dass man als Leser*in auf einen Unernstmodus umschaltet, dass sie aber doch ausreicht, um am Ende einen innerliches Kreuzschlagen auszulösen.
Wobei, wenn ich mir Deine Analyse, lieber Frosomir, nochmal durchlese, geht es Dir wohl doch eher um die Haltung, die der Text zu "Fragen des Idylls" einnimmt, weniger aber um einen möglichen pseudoavantgardistischen Blendgranateneffekt aus dem Geist der Unverständlichkeit.
Also... ich bin noch am Schwimmen... aber dennoch guter Uferhoffnung!

Lieben Dank erstmal bis dahin!!!

S.

P.S.
Zu Deinem Hinweis bzgl. irgendjemand vs, irgend jemand, lieber Frodomir: Obwohl ich mir direkt sicher war, dass Du da richtig liegst, hab ich nochmal nachgeguckt und dabei gelernt, dass ich eine Schreibweise aus dem letzten Jahrhundert bemüht habe (bis zur Rechtschreibreform in den 1990ern wäre sie korrekt gewesen). Also irgendwie mag ich jetzt diesen Atavismus. Ich würde es wohl daher (obwohl unkorrekt) vorziehen, dass getrennt geschrieben zu lassen, lege aber Wert auf die Selbsteinschätzungskundtuung, dass ich mich dennoch nicht für einen auffällig sturen Hund bei Hinweisen zu Fehlern und Verbesserungswürdigkeiten halte. :)
 
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Ubertas

Mitglied
Lieber sufnus,
ohne hier der Absicht zu frönen, einen längeren Anwortwulst zu erschaffen, so wollte ich doch nach diverser rotierender Umkreisung noch einmal unverblümt zum Ausdruck bringen, was mich an deinem Gedicht fasziniert - ohne nochmalige Strophenherauszitierung.#ich versuchs;-)
Mir gefällt die Entfremdung des Idylls. Es wimmelt ja nur von Wäg- und Wegbarkeiten, dieses jenes zu finden: eine Bank, die nicht mehr im Wald steht, sondern im Gedicht. Verlorene Gerüche. Braune Vögel - natürlich fliegen da einige ziemlich braun - aber letztendlich, mit Naturbetrachtung, schillern die Federn mal weiß, mal schwarz, mal rotbäuchig rötlich, gesprenkelt, doch niemals so einheitlich braun über oder unter dem Himmel. Eine weitere Zu-Tat: Rehe, die wir gern mit einer fast arglosen Sanftheit bedenken, dem gegenüber ein nicht besonderes Fehlen des Vertilgers, des Wölfischen, auf der gleichen Lichtung. Subtil eingebracht. Als stünde das Böse dem Guten schon fast mit jahrtausendelangem Atem gegenüber. Es wirkt friedlich und doch ist es ein Zusammenwurf, den wir nicht gerne glauben wollen. Zumindest nicht in guten Zeiten;-)
Damit ist es aber noch nicht genug. Ein puppenartiges Wesen wird wahrgenommen. Mit Ahnung und Wahrnehmung menschlicher Fehlsichtigkeit. Ein imperfektes Etwas, aus Innensicht und Draufsicht. Der Spalt bleibt offen, ganz und gar.
In der letzten Strophe dann der feine Ritz, der wieder zurückführt in einen wahrnehmbaren Schmerz oder ich nenne es, in ein Gefühl, in eine Möglichkeit des Ausdrucks, des Herzens vielleicht? Wie ein Aufrütteln, Erwachen, doch es betrachtet von unten, was über seiner Anwesenheit (gerade nicht) schlüpft. Ein anderer Wind weht (im) Morgen - ist es die Loslösung aus der Entfremdung? Ein Beibehalten?
Gottseidank bin ich keine Drohne, trotz massivem Flügelschlag.
Mein Resümee zu deinem Gedicht:
Absolut spannend, weil es mit so einer Genialität geschrieben ist, nichts daran ist sperrig im weiteren Blick, im Gegenteil: gerade das zunächst Ungreifbare öffnet die Phantasie des Lesers. Und damit beginnt die Reise zu jedermanns eigenem "Idyll".
Nachhaltig beeindruckt, ubertas
Kann man ein Gedicht lieben: JA!!!
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Sufnus,

vielen Dank für deine Antwort. Kein Problem, die Sache mit der alten Rechtschreibung, ich sehe dich deshalb nicht als kritikresistent an.

Was deine Erläuterungen betrifft, muss ich gestehen, dass es, mit Verlaub, ein bisschen danach klingt, als würdest du um den heißen Brei herumreden oder als wäre dir das Ziel deines lyrischen Textes nicht bewusst. Das muss es freilich auch nicht, aber es fällt mir deshalb ein bisschen schwer, aus deiner Antwort meine Schlüsse oder Anknüpfungspunkte für die Diskussion zu finden. Ich hoffe, das kommt nicht allzu hart rüber, so ist es nicht gemeint, aber ich wollte dir den Eindruck schildern, den ich beim Lesen deiner Antwort hatte.

Viele Grüße
Frodomir

Hart soll es allerdings an dich rüberkommen, mondnein: Wie seit jeher - ich halte nichts von dir und deiner Pseudointellektualität, also belästige mich nicht!
 

Rachel

Mitglied
Lieber Sufnus, kurz mein Eindruck, ich hoffe, er fügt dem Inhalt Hilfreiches dazu. :)

Ich lese Bewusstsein durchs Gedicht ver-rückt wie - eine Bank an einem Waldrand:

Ich saß mal vor Jahren auf einer Aussichtsbank, müde, satt und froh um Nichts, höchstens um den gezackten Rand zwischen Waldgrün und Himmelblau.

... weshalb das Schild fehlt ... kein Vandalismus bitte ... die Aussicht ist leer geräumt ...

... was "Ich" zuletzt sah, war ein Gebilde, das sich bewegt und nicht mehr als Wolke bezeichnet - zog. Dann fluteten sich unbestimmbare Reste in mir mit Licht vollends weg, mein euphorisierter Schädel weiß und leer ... bis Neugierde (leider) wissen wollte: Was ist das? - und alles ... vorbei.

Keiner ritzt sein Herz in die freie Natur.

Danke für dieses Gedicht!

LG, Rachel
 

sufnus

Mitglied
Hey Ihr!

Also weiter im Text :)

ein bisschen danach klingt, als würdest du um den heißen Brei herumreden oder als wäre dir das Ziel deines lyrischen Textes nicht bewusst.
Mit dem "heißen Brei" hast Du, was meinen letzten Beitrag betrifft total recht, Frodomir! ;) Mein Geschwafel war Ausdruck der Verwirrung, dass gerade dieses Gedicht einiges an emotionaler Abwehrreaktion auslöst. Für mich wäre ein Gedicht, dass ein Idyll im Titel anmoderiert und dann, ohne vom geringsten Idyllzweifel befallen zu sein, den Alles-ist-gut-Gestus knallhart durchzieht, weitaus provokanter.
Das Idyll in meinen Zeilen als etwas Bedrohtes, womöglich in Teilen gar Bedrohliches (?) zu "schildern" und die Rolle des Menschen in einem Idyll zur Diskussion zu stellen, ist in gewisser Weise durchaus der Versuch, über diese Relativierungen eine Idyll-Teilrettung in dieser so unidyllischen Menschenwelt zu bewerkstelligen.
Ich hätte das für sehr mehrheitsfähig gehalten (das tue ich eigentlich immer noch).
Obig eiere ich also bei meinen Berlegungen ziemlich herum zwischen (1) der Möglichkeit, dass die Idyll-Infragestellung Ursache des Missbehagens ist oder (2) die Machart des Gedichts dafür sorgt. Und da bin ich noch nicht so recht weitergekommen - aber jetzt doch eher mit Tendenz zu Zweiterem.

Zugegebenermaßen gibt es ja von Euch auch noch ganz andere Reaktionen und wenn ich da Deinen Lesezugang, liebe Ubertas, mit dem von Dir, liebe Fee, vergleiche, dann scheint mir die etwas unterschiedliche "Methode" des Zugangverschaffens von Euch beiden sehr spannend, nämlich m. E. analytisch (Ubertas) vs. synthetisch (Fee). Will sagen, einerseits die Analye, aus welchen Bildelementen der Text sich zusammensetzt und andererseits die Synthese, wie sich der Text in ein größer zu denkendes "Wir" einfügt. Zwei Einzelaspekte dieser Betrachtungen will ich herausgreifen: Erstens die Frage, inwieweit man "braune Vögel" in dem Textgefüge auch politisch lesen kann oder soll: Also ich hab mir dabei, zumindest bewusst, nichts Politisches gedacht (so eine Frage gab es schon mal bei einem Frühlingsgedicht von mir und interessanterweise gab es damals, wenn ich mich korrekt erinnere, auch eine etwas wacklige Verpuppungsmetapher). Unabhängig aber von meiner politischen Naivität (was den Einsatz der Farbe braun im Gedicht betrifft), ist diese Lesart schon sehr stimmig. :) Und der zweite Punkt betrifft Deine Frage (wohl weniger an das Gedicht als vielmehr an "uns" alle), welche Entschlüpfungen wohl am Ende der Cocooning-Phase erwartbar sein könnten. Es scheint mir eine hoffnungsvolle und zugleich doch auch bange Frage zu sein. Das ist in meinem Verständnis auch so etwa das "Seelenleben" des Gedichts. :)

To be continued... hoffentlich ohne Euch allzusehr totzulabern. Ich weiß... ich schreib zu viele Wörter hintereinander... :oops:

LG!

S.
 



 
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