Filjanka Seenonne
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Liebe Leser,
dies sind die ersten 4-5 Seiten eines Romans, an dem ich mich versuche. Die Geschichte hat sich durchaus schon gut entwickelt, jedoch gefällt mir der Aufhänger nicht mehr so gut, wie anfangs noch... Vielleicht habt ihr ja einige Anregungen zur Änderung
Der Markt war überfüllt; die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein. Die meisten Leute empfinden dieses Gedränge als unangenehm, doch für solche wie mich bot es die perfekte Gelegenheit. Niemand würde etwas bemerken; jedenfalls nicht solange ich mich unauffällig verhielt. Ich musste nur auf den richtigen Moment warten. Ein paar Meter vor mir hörte ich ein derbes Gezeter, was mich verwunderte, denn durch die Stimmen der Marktschreier und Men-schenmasse drang äußerst selten ein anderer Laut. Es war eine kleine, rundliche Frau. Sie stand vor dem Bäckersstand und gestikulierte aufgebracht gegen den Verkäufer.
„Ich könnte sie an den Pranger bringen für ihre dreisten Beschuldigungen!“, entfuhr es dem hageren Mann hinter den aufgestapelten Brotleibern und er schüttelte aufgebrahcht den Kopf. Dabei peitschten ihm staubfarbene Haar-strähnen zu beiden Seiten ins Gesicht.
„Soll sie doch die Pest holen!“, schrie die Frau erzürnt, „Wie können sie es eigentlich wagen, den Leuten verdorbenes Brot verkaufen zu wollen?!“
„Verdorbenes Brot? So etwas gibt es bei mir nicht!“
„Ach! Gibt es das nicht? Und was ist dann das?!“ Sie hielt dem Mann ein hal-bes Brot unter die Nase: „Schau’n sie’s sich nur an!“
Gott segne diese Frau! Sie hätte sich keinen günstigeren Zeitpunkt aussuchen können. Gespannt und amüsiert verfolgten umstehende Passanten das Geschehen. Der Verkäufer nahm das Brot entgegen und beäugte es misstrauisch. Höchste Zeit zu handeln. Ich beugte mich über die Leiber als würde ich sie begutachten und verharrte einige Augenblicke. Als ich mich wieder aufrichtete war alles wie gehabt. Die Frau machte den Armen immer noch zur Schnecke, die Leute gafften immer noch und immer noch drängelten sich Einzelne durch die Masse. Nur auf dem Stapel Brote fehlte eines. Man sah es kaum, doch ein guter Beobachter hätte es dennoch bemerkt. Zum Glück waren alle viel zu beschäftigt. Ich verdrückte mich schleunigst, jedoch ohne Aufsehen zu erregen, denn das wäre verhängnisvoll gewesen. In dieser Stadt bezahlte man Diebstahl mit Händen. Und zwar mit den eigenen. Geschickt wand ich mir einen Pfad, hinaus aus dem Getümmel. Ich verließ das Zentrum der Stadt und suchte nach einem geeigneten Plätzchen, um meine Beute zu verzehren. Der Schatten einer Eiche, weit abgelegen von jeder menschlichen Seele hier, schien mir ideal. In meinem Hunger verschlang ich die Hälfte des trockenen Gebäcks. Die verbliebene Hälfte schenkte ich einem Kind im Armenviertel am Rand der Stadt, wo es mich für den restlichen Tag hinzog.
Dämmerung legte sich über die Stadt. Für gewöhnlich verschwanden die Leute zu dieser Zeit in ihren Häusern bei ihren Familien, doch heute hatten sie etwas anderes vor. Heute war der Tag, auf den viele von ihnen schon lange gewartet hatten: die Hinrichtung des hiesig berüchtigten Piratenkäpitäns Blace der Schatten. Das Vergehen: gering, wenn ihr mich fragt, aber mich fragt ja keiner. Er hatte - nicht zum ersten Mal - eine Handelsflotte auf dem Weg in die Haupt-stadt überfallen, wie die meisten Piraten das eben tun. Der Marine konnte er entkommen, seinem zweiten Maat allerdings nicht. Dieser feige Meuterer hatte ihn verraten und ihn in einem Hinterhalt der Marine ausgeliefert und dafür eine stattliche Belohnung und einen Kaperbrief erhalten. Frustrierend, wenn man sich nicht auf die eigenen Männer verlassen kann; ein Guter
Grund, allein zu operieren.
Auf dem Marktplatz war das Schafott schon aufgebaut. Es schien bald zu beginnen, denn die Gaukler hatten gerade ihre Vorstellung beendet und immer mehr Zuschauer strömten ein. Vor allem die besser betuchten der Bevölkerung: Adel in jeglicher Form, Priester, die grundsätzlich alles verteufelten, das anders lebte als sie, Patrizier und Fernhandelsmänner, Baumeister und Söldner. Ich hielt mich bedeckt und Ausschau nach den Ratsherren. Wenn ich mich ge-schickt anstellte, könnte an diesem Abend noch etwas für mich her-ausspringen. Jedoch ließ sich im Moment noch niemand von der Obrigkeit blicken. Vorsichtshalber blieb ich nah der Tribüne, denn dort würden sich die Wohlhabenden während des Spektakels niederlassen. Jetzt mussten sie nur noch erscheinen. Viele Leute hatten Steine und überreife Tomaten in ihren Manteltaschen. Dies diente der Tradition, den Verurteilten zu demütigen. Als wären die Kerle nicht schon gedemütigt genug. Feige und respektlos. Armer Blace…ein wenig Mitleid verspürte ich, dennoch überwog mein Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber den Dummheiten anderer. Er schien mir immer recht sympathisch zu sein, nach allem, was mir von ihm zu Ohren gekommen war. Mutiger, ehrenwerter Mann – in gewissen Kreisen. Schade, dass er zu viel Vertrauen in die Menschen setzte. Für gewöhnlich kann man ja aus seinen Fehlern lernen; ich schätze in Blace’s Fall ist es dafür etwas zu spät. Ah, mon ami, c‘est la vie! Einmal muss jeder gehen und die Besten meistens zu früh.
Langsam, aber sicher wurde ich unruhig. Wo blieben die feinen Herrschaften? Und warum dauerte das so lange? Die Hinrichtung hätte doch längst beginnen müssen. Nicht einmal der Meister Hans, wie der Henker von Unterweltlern liebevoll genannt wurde, war zu sehen. Irgendetwas lief hier gewaltig schief. Inzwischen war es fast stockdunkel und die Fackeln, die auf dem ganzen Platz verteilt aufgestellt waren, erhellten die Umgebung nur spärlich. Aufmerksam blickte ich mich um. Es war nichts Auffälliges zu entdecken, außer…ein Mann wühlte sich durch die Menge und kam genau auf mich zu. Unauffällig für die meisten Menschen, doch mir fiel er sofort ins Auge. Über seinen Kopf hatte er eine Kapuze gezogen, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war. Er schien es un-heimlich eilig zu haben. Seine Bewegungen waren schnell und wendig und bei jedem seiner Schritte war ein leises, hohles Klappern zu hören. Nun war er nur noch gute fünf Meter von mir entfernt. Erst jetzt konnte ich erkennen, dass er eine Hand unter seinem Mantel verborgen hatte. Einige Leute drehten sich nach ihm um, weil er gegen sie stieß, würdigten ihn jedoch keinen genaueren Blickes. Als er mich erreichte, rempelte er mich ebenfalls an. Hätte ich ihn nicht kommen sehen, wäre ich vielleicht ins Straucheln geraten. Ich sah ihn gerade noch hinter der Tribüne verschwinden, da bemerkte ich etwas Schweres in meiner Manteltasche, das sich vorher ganz bestimmt nicht dort befunden hatte. Na toll, jetzt zog mich diese komische Gestalt auch noch in ihre Angelegenheiten hinein!
Neugier ist eine der Eigenschaften, die ich an Menschen verachte; eine Schwä-che, die einen nur in Schwierigkeiten bringt, der ich jedoch soeben gegen mei-nen Willen selbst verfallen war. Vorsichtig ließ ich meine Hand in besagte Ta-sche gleiten. Sofort schnellte ich zurück. Die Marine war auf der anderen Seite der Tribüne aufgetaucht. Ich musste schleunigst verschwinden. Die Frage war, wohin? Ich musste Ruhe bewahren. Das schlimmste, was ich jetzt tun konnte, war durchzudrehen und die Nerven zu verlieren. Das war eigentlich nicht meine Art, aber bei einem ganzen Heer der Marine bekam selbst ich Schweißaus-brüche. Die einzigen Vorteile, die ich hatte, waren zum einen die Dunkelheit und zum anderen meine Fähigkeiten. Eile war geboten, ich brauchte einen Ort, an dem ich mich, wenigstens vorübergehend, verstecken konnte. Hastig blickte ich mich um und hechtete schließlich in die Richtung, in die der Vermummte kurz zuvor geeilt war. Ob dies eine kluge Entscheidung war, würde sich zeigen. Hier war es dunkel; das Licht der Fackeln konnte diese Gasse nicht mehr errei-chen. Ich huschte an den Türen der Häuser vorbei. Zu keiner Zeit dachte ich jedoch daran, mich in einem von ihnen zu verstecken. Dann hätte die Marine leichtes Spiel gehabt; und sie mussten mich zweifellos bemerkt haben. Mein Gesicht war nicht ganz unbekannt in dieser Gegend. Schon bald erreichte ich einen Übergang. Darunter floss ein Kanal, der in den Häusern zu beiden Seiten verschwand. Einer der wenigen Kanäle, die kein Abwasser führten. Hinter mir hallten die Schritte der Soldaten. Leise ließ ich mich ins Wasser hinab. Die Kälte kroch mir sogleich in die Glieder, aber ich hatte keine Wahl. Ich schwamm unter die Brücke und achtete dabei penibel darauf, im Kernschatten zu treiben, denn dem Schein der Fackelträger konnte ich mich dort am besten entziehen. Im Wasser waberten merkwürdige Schatten. Sie rührten wohl von den vorbeiziehenden Lichtern her. Über mir donnerten die eisernen Stiefel, unter mir gluckerte das eisige Wasser. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, waren auch die letzten Schritte der Soldaten in der Ferne verklungen. Ächzend hievte ich mich aus dem Kanal. Ich zitterte. Meine Klamotten waren schwer und hinterließen überall auf dem Boden große Pfützen. Das gefiel mir überhaupt nicht; in zweierlei Hinsicht. Auf diese Weise hinterließ ich Spuren. Wenn auch nur für gewisse Zeit. Und ich riskierte meine Gesundheit. Zwar war es nicht besonders kalt, doch die ganze Nacht klitschnass zu verbringen, konnte ein-fach nicht gesund sein; und was ich mir am wenigsten leisten konnte war eine Grippe oder sonstiges durch Unterkühlung hervorgerufenes Übel. Das würde mich für Wochen außer Gefecht setzen; mir vielleicht sogar den Tod bringen. Für diese Nacht musste ich mir unter allen Umständen ein trockenes und ungestörtes Quartier suchen; und ich hatte auch schon ein geeignetes Gebäude im Sinn. Direkt am Hafen stand ein altes Lagerhaus. Es wurde von niemandem genutzt. Irgendein Kaufmann zahlte Steuern und das alles. Wozu, wusste ich auch nicht, schließlich brachte es ihm Nichts ein. Er vermietete es nicht einmal an Krämer. Umso besser für mich. Hier würde ich die ganze Nacht lang meine Ruhe haben. Nur die Marine konnte mir eventuell gefährlich werden. Obwohl ich keinerlei Respekt vor ihnen hegte, wusste ich wohl, dass es nicht ratsam war die Blaujacken zu unterschätzen. Nichts desto trotz hatte ich wenig Bedenken und Alternativen.
Ich begab mich also in Richtung Hafen, wobei ich einen großen Bogen um Menschensammelorte, wie Gasthäuser und Pubs, schlug. Auf dem Weg fiel mir wieder der Vermummte ein, der mir diese Misere erst eingebrockt hatte und ich griff unwillkürlich an meine Tasche. Es war noch immer da; und noch immer wusste ich nicht, was es war. Ich bog um eine Hausecke. Prompt schlug mir ein salziger, leicht fischiger Geruch entgegen. Zudem roch es nach modrigem Holz und rostigen Eisenketten. Die Straße, auf der ich lief, führte geradewegs zum Hafen. An ihrem Ende konnte ich den Himmel sehn, der durch ein Wetter-leuchten hin und wieder seine bizarren Wolkenformen zeigte. Weiter draußen schien sich ein Sturm zusammenzubrauen; ein starker Wind kam vom Meer her, das Rauschen der Wellen übertönte die gellenden Schreie der letzten Mö-wen. Als ich den Kai erreichte, konnte ich die weiße Gischt über die Mauer schwappen sehen. Schatten? Bald würde es regnen, kein Zweifel.
Endlich erreichte ich das Lagerhaus. Die Tür war verschlossen, doch das über-raschte mich nicht im Geringsten. Wäre auch zu schön gewesen. Die Fenster lagen zu hoch, um sie einzuschlagen und hineinzuklettern. Ich musste mir et-was anderes einfallen lassen. Schnell inspizierte ich die Wände…und hatte Glück. An der Wand, die zum Meer ausgerichtet war, waren zwei Bretter lose. Perfekt! Ich schob sie zur Seite und zwängte mich hindurch, hinein ins Innere. Es dauerte eine Weile bis sich meine Augen an die komplette Dunkelheit ge-wöhnt hatten. Dann erkannte ich, dass es zwei Stockwerke gab. Hier unten war es leer; nur Staub und Spinnenweben. Die Luft war muffig und schwer. Den Boden konnte ich kaum erkennen. Eine Leiter führte durch eine Luke nach oben. Sie machte einen reichlich morschen Eindruck. Es war nicht leicht und gefährlich obendrein, doch irgendwie gelangte ich schließlich nach oben. Ich sah mich um. Das passte mir schon besser. In einer Ecke war Stroh aufgetürmt. Wer weiß wie lange es dort schon lag? Etwas angewidert verzog ich mein Ge-sicht und tastete wiederwillig das Stroh ab. Wenn es bereits faulte, konnte ich ebenso draußen nächtigen, doch es war trocken. Ich zog mich aus und hängte meine Sachen über einen tief hängenden Dachbalken. Danach leerte ich meine Tasche aus, um die Dinge darin ebenfalls trocknen lassen zu können. Die Streichhölzer waren aufgeweicht. Benutzen konnte ich sie auf keinen Fall mehr; ich musste mir schleunigst neue besorgen. Ich verteilte Becher, Kerzen und sonstige Utensilien auf dem Boden. Meinen kleinen Enterhaken mit dem Seil daran und meinen Dolch versuchte ich mit Stroh trockenzuwischen, damit der Rost nicht so leichtes Spiel haben würde. Die Decke wrang ich aus und hängte sie neben meinen Umhang. Na toll…hoffentlich trocknete alles ein we-nig über Nacht. Ich musste in der Morgendämmerung wieder verschwinden. Schlaf konnte ich mir nicht leisten; nicht diese Nacht, in der die Marine die Stadt durchkämmte. Ich hatte vor, meine Zeit anders zu nutzen. Halbnackt bedeckte ich mich mit den harten Halmen. Überall piekten sie mir in die Haut. Dann griff ich erneut in die Tasche meines Umhangs. Meine Finger schlossen sich um einen harten, rauen Gegenstand. Gespannt, aber mit einem gewissen Maß an Vorsicht und zugegeben auch ein wenig Angst barg ich eine längliche, steinerne Figur. Es war sehr dunkel in dem Lagerhaus. Auch von draußen drang kaum Licht herein. Die Wolken verdunkelten den Mond. Eine Kerze konnte ich auch nicht entzünden; die Streichhölzer waren ja zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich hatte Mühe zu erkennen, was dieser Gegenstand darstellte. Er war hart, rau und unglaublich schwer dafür, dass ich ihn mit einer Hand um-schließen konnte. Vermutlich steinern. Aus welchem Gestein er gefertigt war, konnte ich unter den damaligen Umständen nicht sagen. Sorgfältig betastete ich ihn im Dunklen; ließ meine Finger über jede Einzelheit gleiten; immer und immer wieder. Schließlich konnte ich behaupten, dass es sich um eine Art Siegel handeln musste. Es bestand aus einem Zylinder, der nach oben in eine Vo-gelgestalt überging. Unter seinem Fuß war das eigentliche Siegel eingearbeitet. Mehr vermochte ich durch das bloße, sich ständig wiederholende Berühren und Abtasten nicht zu sagen. Wenn ich Glück hatte, würde ich am Tag einen unbe-obachteten Ort finden. Bei Licht würde sich mit Sicherheit mehr erkennen las-sen. Inzwischen war draußen der Sturm losgegangen. Der Donner war ohrenbe-täubend und die zuckenden Blitze schickten in unregelmäßigen Abständen gleißendes Licht durch die Fenster und die winzigen Spalte der Bretterwand. In den Pausen des Donners konnte ich das tosende Meer hören und den prasseln-den Regen, der auf das Wasser, die Hafenmauern und die umliegenden Dächer klatschte. Ich legte mich tiefer in den Strohhaufen. Auch wenn ich nicht schla-fen durfte, musste ich
wenigstens ein bisschen ausruhen.
dies sind die ersten 4-5 Seiten eines Romans, an dem ich mich versuche. Die Geschichte hat sich durchaus schon gut entwickelt, jedoch gefällt mir der Aufhänger nicht mehr so gut, wie anfangs noch... Vielleicht habt ihr ja einige Anregungen zur Änderung
Der Markt war überfüllt; die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein. Die meisten Leute empfinden dieses Gedränge als unangenehm, doch für solche wie mich bot es die perfekte Gelegenheit. Niemand würde etwas bemerken; jedenfalls nicht solange ich mich unauffällig verhielt. Ich musste nur auf den richtigen Moment warten. Ein paar Meter vor mir hörte ich ein derbes Gezeter, was mich verwunderte, denn durch die Stimmen der Marktschreier und Men-schenmasse drang äußerst selten ein anderer Laut. Es war eine kleine, rundliche Frau. Sie stand vor dem Bäckersstand und gestikulierte aufgebracht gegen den Verkäufer.
„Ich könnte sie an den Pranger bringen für ihre dreisten Beschuldigungen!“, entfuhr es dem hageren Mann hinter den aufgestapelten Brotleibern und er schüttelte aufgebrahcht den Kopf. Dabei peitschten ihm staubfarbene Haar-strähnen zu beiden Seiten ins Gesicht.
„Soll sie doch die Pest holen!“, schrie die Frau erzürnt, „Wie können sie es eigentlich wagen, den Leuten verdorbenes Brot verkaufen zu wollen?!“
„Verdorbenes Brot? So etwas gibt es bei mir nicht!“
„Ach! Gibt es das nicht? Und was ist dann das?!“ Sie hielt dem Mann ein hal-bes Brot unter die Nase: „Schau’n sie’s sich nur an!“
Gott segne diese Frau! Sie hätte sich keinen günstigeren Zeitpunkt aussuchen können. Gespannt und amüsiert verfolgten umstehende Passanten das Geschehen. Der Verkäufer nahm das Brot entgegen und beäugte es misstrauisch. Höchste Zeit zu handeln. Ich beugte mich über die Leiber als würde ich sie begutachten und verharrte einige Augenblicke. Als ich mich wieder aufrichtete war alles wie gehabt. Die Frau machte den Armen immer noch zur Schnecke, die Leute gafften immer noch und immer noch drängelten sich Einzelne durch die Masse. Nur auf dem Stapel Brote fehlte eines. Man sah es kaum, doch ein guter Beobachter hätte es dennoch bemerkt. Zum Glück waren alle viel zu beschäftigt. Ich verdrückte mich schleunigst, jedoch ohne Aufsehen zu erregen, denn das wäre verhängnisvoll gewesen. In dieser Stadt bezahlte man Diebstahl mit Händen. Und zwar mit den eigenen. Geschickt wand ich mir einen Pfad, hinaus aus dem Getümmel. Ich verließ das Zentrum der Stadt und suchte nach einem geeigneten Plätzchen, um meine Beute zu verzehren. Der Schatten einer Eiche, weit abgelegen von jeder menschlichen Seele hier, schien mir ideal. In meinem Hunger verschlang ich die Hälfte des trockenen Gebäcks. Die verbliebene Hälfte schenkte ich einem Kind im Armenviertel am Rand der Stadt, wo es mich für den restlichen Tag hinzog.
Dämmerung legte sich über die Stadt. Für gewöhnlich verschwanden die Leute zu dieser Zeit in ihren Häusern bei ihren Familien, doch heute hatten sie etwas anderes vor. Heute war der Tag, auf den viele von ihnen schon lange gewartet hatten: die Hinrichtung des hiesig berüchtigten Piratenkäpitäns Blace der Schatten. Das Vergehen: gering, wenn ihr mich fragt, aber mich fragt ja keiner. Er hatte - nicht zum ersten Mal - eine Handelsflotte auf dem Weg in die Haupt-stadt überfallen, wie die meisten Piraten das eben tun. Der Marine konnte er entkommen, seinem zweiten Maat allerdings nicht. Dieser feige Meuterer hatte ihn verraten und ihn in einem Hinterhalt der Marine ausgeliefert und dafür eine stattliche Belohnung und einen Kaperbrief erhalten. Frustrierend, wenn man sich nicht auf die eigenen Männer verlassen kann; ein Guter
Grund, allein zu operieren.
Auf dem Marktplatz war das Schafott schon aufgebaut. Es schien bald zu beginnen, denn die Gaukler hatten gerade ihre Vorstellung beendet und immer mehr Zuschauer strömten ein. Vor allem die besser betuchten der Bevölkerung: Adel in jeglicher Form, Priester, die grundsätzlich alles verteufelten, das anders lebte als sie, Patrizier und Fernhandelsmänner, Baumeister und Söldner. Ich hielt mich bedeckt und Ausschau nach den Ratsherren. Wenn ich mich ge-schickt anstellte, könnte an diesem Abend noch etwas für mich her-ausspringen. Jedoch ließ sich im Moment noch niemand von der Obrigkeit blicken. Vorsichtshalber blieb ich nah der Tribüne, denn dort würden sich die Wohlhabenden während des Spektakels niederlassen. Jetzt mussten sie nur noch erscheinen. Viele Leute hatten Steine und überreife Tomaten in ihren Manteltaschen. Dies diente der Tradition, den Verurteilten zu demütigen. Als wären die Kerle nicht schon gedemütigt genug. Feige und respektlos. Armer Blace…ein wenig Mitleid verspürte ich, dennoch überwog mein Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber den Dummheiten anderer. Er schien mir immer recht sympathisch zu sein, nach allem, was mir von ihm zu Ohren gekommen war. Mutiger, ehrenwerter Mann – in gewissen Kreisen. Schade, dass er zu viel Vertrauen in die Menschen setzte. Für gewöhnlich kann man ja aus seinen Fehlern lernen; ich schätze in Blace’s Fall ist es dafür etwas zu spät. Ah, mon ami, c‘est la vie! Einmal muss jeder gehen und die Besten meistens zu früh.
Langsam, aber sicher wurde ich unruhig. Wo blieben die feinen Herrschaften? Und warum dauerte das so lange? Die Hinrichtung hätte doch längst beginnen müssen. Nicht einmal der Meister Hans, wie der Henker von Unterweltlern liebevoll genannt wurde, war zu sehen. Irgendetwas lief hier gewaltig schief. Inzwischen war es fast stockdunkel und die Fackeln, die auf dem ganzen Platz verteilt aufgestellt waren, erhellten die Umgebung nur spärlich. Aufmerksam blickte ich mich um. Es war nichts Auffälliges zu entdecken, außer…ein Mann wühlte sich durch die Menge und kam genau auf mich zu. Unauffällig für die meisten Menschen, doch mir fiel er sofort ins Auge. Über seinen Kopf hatte er eine Kapuze gezogen, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war. Er schien es un-heimlich eilig zu haben. Seine Bewegungen waren schnell und wendig und bei jedem seiner Schritte war ein leises, hohles Klappern zu hören. Nun war er nur noch gute fünf Meter von mir entfernt. Erst jetzt konnte ich erkennen, dass er eine Hand unter seinem Mantel verborgen hatte. Einige Leute drehten sich nach ihm um, weil er gegen sie stieß, würdigten ihn jedoch keinen genaueren Blickes. Als er mich erreichte, rempelte er mich ebenfalls an. Hätte ich ihn nicht kommen sehen, wäre ich vielleicht ins Straucheln geraten. Ich sah ihn gerade noch hinter der Tribüne verschwinden, da bemerkte ich etwas Schweres in meiner Manteltasche, das sich vorher ganz bestimmt nicht dort befunden hatte. Na toll, jetzt zog mich diese komische Gestalt auch noch in ihre Angelegenheiten hinein!
Neugier ist eine der Eigenschaften, die ich an Menschen verachte; eine Schwä-che, die einen nur in Schwierigkeiten bringt, der ich jedoch soeben gegen mei-nen Willen selbst verfallen war. Vorsichtig ließ ich meine Hand in besagte Ta-sche gleiten. Sofort schnellte ich zurück. Die Marine war auf der anderen Seite der Tribüne aufgetaucht. Ich musste schleunigst verschwinden. Die Frage war, wohin? Ich musste Ruhe bewahren. Das schlimmste, was ich jetzt tun konnte, war durchzudrehen und die Nerven zu verlieren. Das war eigentlich nicht meine Art, aber bei einem ganzen Heer der Marine bekam selbst ich Schweißaus-brüche. Die einzigen Vorteile, die ich hatte, waren zum einen die Dunkelheit und zum anderen meine Fähigkeiten. Eile war geboten, ich brauchte einen Ort, an dem ich mich, wenigstens vorübergehend, verstecken konnte. Hastig blickte ich mich um und hechtete schließlich in die Richtung, in die der Vermummte kurz zuvor geeilt war. Ob dies eine kluge Entscheidung war, würde sich zeigen. Hier war es dunkel; das Licht der Fackeln konnte diese Gasse nicht mehr errei-chen. Ich huschte an den Türen der Häuser vorbei. Zu keiner Zeit dachte ich jedoch daran, mich in einem von ihnen zu verstecken. Dann hätte die Marine leichtes Spiel gehabt; und sie mussten mich zweifellos bemerkt haben. Mein Gesicht war nicht ganz unbekannt in dieser Gegend. Schon bald erreichte ich einen Übergang. Darunter floss ein Kanal, der in den Häusern zu beiden Seiten verschwand. Einer der wenigen Kanäle, die kein Abwasser führten. Hinter mir hallten die Schritte der Soldaten. Leise ließ ich mich ins Wasser hinab. Die Kälte kroch mir sogleich in die Glieder, aber ich hatte keine Wahl. Ich schwamm unter die Brücke und achtete dabei penibel darauf, im Kernschatten zu treiben, denn dem Schein der Fackelträger konnte ich mich dort am besten entziehen. Im Wasser waberten merkwürdige Schatten. Sie rührten wohl von den vorbeiziehenden Lichtern her. Über mir donnerten die eisernen Stiefel, unter mir gluckerte das eisige Wasser. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, waren auch die letzten Schritte der Soldaten in der Ferne verklungen. Ächzend hievte ich mich aus dem Kanal. Ich zitterte. Meine Klamotten waren schwer und hinterließen überall auf dem Boden große Pfützen. Das gefiel mir überhaupt nicht; in zweierlei Hinsicht. Auf diese Weise hinterließ ich Spuren. Wenn auch nur für gewisse Zeit. Und ich riskierte meine Gesundheit. Zwar war es nicht besonders kalt, doch die ganze Nacht klitschnass zu verbringen, konnte ein-fach nicht gesund sein; und was ich mir am wenigsten leisten konnte war eine Grippe oder sonstiges durch Unterkühlung hervorgerufenes Übel. Das würde mich für Wochen außer Gefecht setzen; mir vielleicht sogar den Tod bringen. Für diese Nacht musste ich mir unter allen Umständen ein trockenes und ungestörtes Quartier suchen; und ich hatte auch schon ein geeignetes Gebäude im Sinn. Direkt am Hafen stand ein altes Lagerhaus. Es wurde von niemandem genutzt. Irgendein Kaufmann zahlte Steuern und das alles. Wozu, wusste ich auch nicht, schließlich brachte es ihm Nichts ein. Er vermietete es nicht einmal an Krämer. Umso besser für mich. Hier würde ich die ganze Nacht lang meine Ruhe haben. Nur die Marine konnte mir eventuell gefährlich werden. Obwohl ich keinerlei Respekt vor ihnen hegte, wusste ich wohl, dass es nicht ratsam war die Blaujacken zu unterschätzen. Nichts desto trotz hatte ich wenig Bedenken und Alternativen.
Ich begab mich also in Richtung Hafen, wobei ich einen großen Bogen um Menschensammelorte, wie Gasthäuser und Pubs, schlug. Auf dem Weg fiel mir wieder der Vermummte ein, der mir diese Misere erst eingebrockt hatte und ich griff unwillkürlich an meine Tasche. Es war noch immer da; und noch immer wusste ich nicht, was es war. Ich bog um eine Hausecke. Prompt schlug mir ein salziger, leicht fischiger Geruch entgegen. Zudem roch es nach modrigem Holz und rostigen Eisenketten. Die Straße, auf der ich lief, führte geradewegs zum Hafen. An ihrem Ende konnte ich den Himmel sehn, der durch ein Wetter-leuchten hin und wieder seine bizarren Wolkenformen zeigte. Weiter draußen schien sich ein Sturm zusammenzubrauen; ein starker Wind kam vom Meer her, das Rauschen der Wellen übertönte die gellenden Schreie der letzten Mö-wen. Als ich den Kai erreichte, konnte ich die weiße Gischt über die Mauer schwappen sehen. Schatten? Bald würde es regnen, kein Zweifel.
Endlich erreichte ich das Lagerhaus. Die Tür war verschlossen, doch das über-raschte mich nicht im Geringsten. Wäre auch zu schön gewesen. Die Fenster lagen zu hoch, um sie einzuschlagen und hineinzuklettern. Ich musste mir et-was anderes einfallen lassen. Schnell inspizierte ich die Wände…und hatte Glück. An der Wand, die zum Meer ausgerichtet war, waren zwei Bretter lose. Perfekt! Ich schob sie zur Seite und zwängte mich hindurch, hinein ins Innere. Es dauerte eine Weile bis sich meine Augen an die komplette Dunkelheit ge-wöhnt hatten. Dann erkannte ich, dass es zwei Stockwerke gab. Hier unten war es leer; nur Staub und Spinnenweben. Die Luft war muffig und schwer. Den Boden konnte ich kaum erkennen. Eine Leiter führte durch eine Luke nach oben. Sie machte einen reichlich morschen Eindruck. Es war nicht leicht und gefährlich obendrein, doch irgendwie gelangte ich schließlich nach oben. Ich sah mich um. Das passte mir schon besser. In einer Ecke war Stroh aufgetürmt. Wer weiß wie lange es dort schon lag? Etwas angewidert verzog ich mein Ge-sicht und tastete wiederwillig das Stroh ab. Wenn es bereits faulte, konnte ich ebenso draußen nächtigen, doch es war trocken. Ich zog mich aus und hängte meine Sachen über einen tief hängenden Dachbalken. Danach leerte ich meine Tasche aus, um die Dinge darin ebenfalls trocknen lassen zu können. Die Streichhölzer waren aufgeweicht. Benutzen konnte ich sie auf keinen Fall mehr; ich musste mir schleunigst neue besorgen. Ich verteilte Becher, Kerzen und sonstige Utensilien auf dem Boden. Meinen kleinen Enterhaken mit dem Seil daran und meinen Dolch versuchte ich mit Stroh trockenzuwischen, damit der Rost nicht so leichtes Spiel haben würde. Die Decke wrang ich aus und hängte sie neben meinen Umhang. Na toll…hoffentlich trocknete alles ein we-nig über Nacht. Ich musste in der Morgendämmerung wieder verschwinden. Schlaf konnte ich mir nicht leisten; nicht diese Nacht, in der die Marine die Stadt durchkämmte. Ich hatte vor, meine Zeit anders zu nutzen. Halbnackt bedeckte ich mich mit den harten Halmen. Überall piekten sie mir in die Haut. Dann griff ich erneut in die Tasche meines Umhangs. Meine Finger schlossen sich um einen harten, rauen Gegenstand. Gespannt, aber mit einem gewissen Maß an Vorsicht und zugegeben auch ein wenig Angst barg ich eine längliche, steinerne Figur. Es war sehr dunkel in dem Lagerhaus. Auch von draußen drang kaum Licht herein. Die Wolken verdunkelten den Mond. Eine Kerze konnte ich auch nicht entzünden; die Streichhölzer waren ja zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich hatte Mühe zu erkennen, was dieser Gegenstand darstellte. Er war hart, rau und unglaublich schwer dafür, dass ich ihn mit einer Hand um-schließen konnte. Vermutlich steinern. Aus welchem Gestein er gefertigt war, konnte ich unter den damaligen Umständen nicht sagen. Sorgfältig betastete ich ihn im Dunklen; ließ meine Finger über jede Einzelheit gleiten; immer und immer wieder. Schließlich konnte ich behaupten, dass es sich um eine Art Siegel handeln musste. Es bestand aus einem Zylinder, der nach oben in eine Vo-gelgestalt überging. Unter seinem Fuß war das eigentliche Siegel eingearbeitet. Mehr vermochte ich durch das bloße, sich ständig wiederholende Berühren und Abtasten nicht zu sagen. Wenn ich Glück hatte, würde ich am Tag einen unbe-obachteten Ort finden. Bei Licht würde sich mit Sicherheit mehr erkennen las-sen. Inzwischen war draußen der Sturm losgegangen. Der Donner war ohrenbe-täubend und die zuckenden Blitze schickten in unregelmäßigen Abständen gleißendes Licht durch die Fenster und die winzigen Spalte der Bretterwand. In den Pausen des Donners konnte ich das tosende Meer hören und den prasseln-den Regen, der auf das Wasser, die Hafenmauern und die umliegenden Dächer klatschte. Ich legte mich tiefer in den Strohhaufen. Auch wenn ich nicht schla-fen durfte, musste ich
wenigstens ein bisschen ausruhen.