Im Auftrag des Feindes

Liebe Leser,
dies sind die ersten 4-5 Seiten eines Romans, an dem ich mich versuche. Die Geschichte hat sich durchaus schon gut entwickelt, jedoch gefällt mir der Aufhänger nicht mehr so gut, wie anfangs noch... Vielleicht habt ihr ja einige Anregungen zur Änderung :)



Der Markt war überfüllt; die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein. Die meisten Leute empfinden dieses Gedränge als unangenehm, doch für solche wie mich bot es die perfekte Gelegenheit. Niemand würde etwas bemerken; jedenfalls nicht solange ich mich unauffällig verhielt. Ich musste nur auf den richtigen Moment warten. Ein paar Meter vor mir hörte ich ein derbes Gezeter, was mich verwunderte, denn durch die Stimmen der Marktschreier und Men-schenmasse drang äußerst selten ein anderer Laut. Es war eine kleine, rundliche Frau. Sie stand vor dem Bäckersstand und gestikulierte aufgebracht gegen den Verkäufer.
„Ich könnte sie an den Pranger bringen für ihre dreisten Beschuldigungen!“, entfuhr es dem hageren Mann hinter den aufgestapelten Brotleibern und er schüttelte aufgebrahcht den Kopf. Dabei peitschten ihm staubfarbene Haar-strähnen zu beiden Seiten ins Gesicht.
„Soll sie doch die Pest holen!“, schrie die Frau erzürnt, „Wie können sie es eigentlich wagen, den Leuten verdorbenes Brot verkaufen zu wollen?!“
„Verdorbenes Brot? So etwas gibt es bei mir nicht!“
„Ach! Gibt es das nicht? Und was ist dann das?!“ Sie hielt dem Mann ein hal-bes Brot unter die Nase: „Schau’n sie’s sich nur an!“
Gott segne diese Frau! Sie hätte sich keinen günstigeren Zeitpunkt aussuchen können. Gespannt und amüsiert verfolgten umstehende Passanten das Geschehen. Der Verkäufer nahm das Brot entgegen und beäugte es misstrauisch. Höchste Zeit zu handeln. Ich beugte mich über die Leiber als würde ich sie begutachten und verharrte einige Augenblicke. Als ich mich wieder aufrichtete war alles wie gehabt. Die Frau machte den Armen immer noch zur Schnecke, die Leute gafften immer noch und immer noch drängelten sich Einzelne durch die Masse. Nur auf dem Stapel Brote fehlte eines. Man sah es kaum, doch ein guter Beobachter hätte es dennoch bemerkt. Zum Glück waren alle viel zu beschäftigt. Ich verdrückte mich schleunigst, jedoch ohne Aufsehen zu erregen, denn das wäre verhängnisvoll gewesen. In dieser Stadt bezahlte man Diebstahl mit Händen. Und zwar mit den eigenen. Geschickt wand ich mir einen Pfad, hinaus aus dem Getümmel. Ich verließ das Zentrum der Stadt und suchte nach einem geeigneten Plätzchen, um meine Beute zu verzehren. Der Schatten einer Eiche, weit abgelegen von jeder menschlichen Seele hier, schien mir ideal. In meinem Hunger verschlang ich die Hälfte des trockenen Gebäcks. Die verbliebene Hälfte schenkte ich einem Kind im Armenviertel am Rand der Stadt, wo es mich für den restlichen Tag hinzog.

Dämmerung legte sich über die Stadt. Für gewöhnlich verschwanden die Leute zu dieser Zeit in ihren Häusern bei ihren Familien, doch heute hatten sie etwas anderes vor. Heute war der Tag, auf den viele von ihnen schon lange gewartet hatten: die Hinrichtung des hiesig berüchtigten Piratenkäpitäns Blace der Schatten. Das Vergehen: gering, wenn ihr mich fragt, aber mich fragt ja keiner. Er hatte - nicht zum ersten Mal - eine Handelsflotte auf dem Weg in die Haupt-stadt überfallen, wie die meisten Piraten das eben tun. Der Marine konnte er entkommen, seinem zweiten Maat allerdings nicht. Dieser feige Meuterer hatte ihn verraten und ihn in einem Hinterhalt der Marine ausgeliefert und dafür eine stattliche Belohnung und einen Kaperbrief erhalten. Frustrierend, wenn man sich nicht auf die eigenen Männer verlassen kann; ein Guter
Grund, allein zu operieren.
Auf dem Marktplatz war das Schafott schon aufgebaut. Es schien bald zu beginnen, denn die Gaukler hatten gerade ihre Vorstellung beendet und immer mehr Zuschauer strömten ein. Vor allem die besser betuchten der Bevölkerung: Adel in jeglicher Form, Priester, die grundsätzlich alles verteufelten, das anders lebte als sie, Patrizier und Fernhandelsmänner, Baumeister und Söldner. Ich hielt mich bedeckt und Ausschau nach den Ratsherren. Wenn ich mich ge-schickt anstellte, könnte an diesem Abend noch etwas für mich her-ausspringen. Jedoch ließ sich im Moment noch niemand von der Obrigkeit blicken. Vorsichtshalber blieb ich nah der Tribüne, denn dort würden sich die Wohlhabenden während des Spektakels niederlassen. Jetzt mussten sie nur noch erscheinen. Viele Leute hatten Steine und überreife Tomaten in ihren Manteltaschen. Dies diente der Tradition, den Verurteilten zu demütigen. Als wären die Kerle nicht schon gedemütigt genug. Feige und respektlos. Armer Blace…ein wenig Mitleid verspürte ich, dennoch überwog mein Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber den Dummheiten anderer. Er schien mir immer recht sympathisch zu sein, nach allem, was mir von ihm zu Ohren gekommen war. Mutiger, ehrenwerter Mann – in gewissen Kreisen. Schade, dass er zu viel Vertrauen in die Menschen setzte. Für gewöhnlich kann man ja aus seinen Fehlern lernen; ich schätze in Blace’s Fall ist es dafür etwas zu spät. Ah, mon ami, c‘est la vie! Einmal muss jeder gehen und die Besten meistens zu früh.
Langsam, aber sicher wurde ich unruhig. Wo blieben die feinen Herrschaften? Und warum dauerte das so lange? Die Hinrichtung hätte doch längst beginnen müssen. Nicht einmal der Meister Hans, wie der Henker von Unterweltlern liebevoll genannt wurde, war zu sehen. Irgendetwas lief hier gewaltig schief. Inzwischen war es fast stockdunkel und die Fackeln, die auf dem ganzen Platz verteilt aufgestellt waren, erhellten die Umgebung nur spärlich. Aufmerksam blickte ich mich um. Es war nichts Auffälliges zu entdecken, außer…ein Mann wühlte sich durch die Menge und kam genau auf mich zu. Unauffällig für die meisten Menschen, doch mir fiel er sofort ins Auge. Über seinen Kopf hatte er eine Kapuze gezogen, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war. Er schien es un-heimlich eilig zu haben. Seine Bewegungen waren schnell und wendig und bei jedem seiner Schritte war ein leises, hohles Klappern zu hören. Nun war er nur noch gute fünf Meter von mir entfernt. Erst jetzt konnte ich erkennen, dass er eine Hand unter seinem Mantel verborgen hatte. Einige Leute drehten sich nach ihm um, weil er gegen sie stieß, würdigten ihn jedoch keinen genaueren Blickes. Als er mich erreichte, rempelte er mich ebenfalls an. Hätte ich ihn nicht kommen sehen, wäre ich vielleicht ins Straucheln geraten. Ich sah ihn gerade noch hinter der Tribüne verschwinden, da bemerkte ich etwas Schweres in meiner Manteltasche, das sich vorher ganz bestimmt nicht dort befunden hatte. Na toll, jetzt zog mich diese komische Gestalt auch noch in ihre Angelegenheiten hinein!
Neugier ist eine der Eigenschaften, die ich an Menschen verachte; eine Schwä-che, die einen nur in Schwierigkeiten bringt, der ich jedoch soeben gegen mei-nen Willen selbst verfallen war. Vorsichtig ließ ich meine Hand in besagte Ta-sche gleiten. Sofort schnellte ich zurück. Die Marine war auf der anderen Seite der Tribüne aufgetaucht. Ich musste schleunigst verschwinden. Die Frage war, wohin? Ich musste Ruhe bewahren. Das schlimmste, was ich jetzt tun konnte, war durchzudrehen und die Nerven zu verlieren. Das war eigentlich nicht meine Art, aber bei einem ganzen Heer der Marine bekam selbst ich Schweißaus-brüche. Die einzigen Vorteile, die ich hatte, waren zum einen die Dunkelheit und zum anderen meine Fähigkeiten. Eile war geboten, ich brauchte einen Ort, an dem ich mich, wenigstens vorübergehend, verstecken konnte. Hastig blickte ich mich um und hechtete schließlich in die Richtung, in die der Vermummte kurz zuvor geeilt war. Ob dies eine kluge Entscheidung war, würde sich zeigen. Hier war es dunkel; das Licht der Fackeln konnte diese Gasse nicht mehr errei-chen. Ich huschte an den Türen der Häuser vorbei. Zu keiner Zeit dachte ich jedoch daran, mich in einem von ihnen zu verstecken. Dann hätte die Marine leichtes Spiel gehabt; und sie mussten mich zweifellos bemerkt haben. Mein Gesicht war nicht ganz unbekannt in dieser Gegend. Schon bald erreichte ich einen Übergang. Darunter floss ein Kanal, der in den Häusern zu beiden Seiten verschwand. Einer der wenigen Kanäle, die kein Abwasser führten. Hinter mir hallten die Schritte der Soldaten. Leise ließ ich mich ins Wasser hinab. Die Kälte kroch mir sogleich in die Glieder, aber ich hatte keine Wahl. Ich schwamm unter die Brücke und achtete dabei penibel darauf, im Kernschatten zu treiben, denn dem Schein der Fackelträger konnte ich mich dort am besten entziehen. Im Wasser waberten merkwürdige Schatten. Sie rührten wohl von den vorbeiziehenden Lichtern her. Über mir donnerten die eisernen Stiefel, unter mir gluckerte das eisige Wasser. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, waren auch die letzten Schritte der Soldaten in der Ferne verklungen. Ächzend hievte ich mich aus dem Kanal. Ich zitterte. Meine Klamotten waren schwer und hinterließen überall auf dem Boden große Pfützen. Das gefiel mir überhaupt nicht; in zweierlei Hinsicht. Auf diese Weise hinterließ ich Spuren. Wenn auch nur für gewisse Zeit. Und ich riskierte meine Gesundheit. Zwar war es nicht besonders kalt, doch die ganze Nacht klitschnass zu verbringen, konnte ein-fach nicht gesund sein; und was ich mir am wenigsten leisten konnte war eine Grippe oder sonstiges durch Unterkühlung hervorgerufenes Übel. Das würde mich für Wochen außer Gefecht setzen; mir vielleicht sogar den Tod bringen. Für diese Nacht musste ich mir unter allen Umständen ein trockenes und ungestörtes Quartier suchen; und ich hatte auch schon ein geeignetes Gebäude im Sinn. Direkt am Hafen stand ein altes Lagerhaus. Es wurde von niemandem genutzt. Irgendein Kaufmann zahlte Steuern und das alles. Wozu, wusste ich auch nicht, schließlich brachte es ihm Nichts ein. Er vermietete es nicht einmal an Krämer. Umso besser für mich. Hier würde ich die ganze Nacht lang meine Ruhe haben. Nur die Marine konnte mir eventuell gefährlich werden. Obwohl ich keinerlei Respekt vor ihnen hegte, wusste ich wohl, dass es nicht ratsam war die Blaujacken zu unterschätzen. Nichts desto trotz hatte ich wenig Bedenken und Alternativen.
Ich begab mich also in Richtung Hafen, wobei ich einen großen Bogen um Menschensammelorte, wie Gasthäuser und Pubs, schlug. Auf dem Weg fiel mir wieder der Vermummte ein, der mir diese Misere erst eingebrockt hatte und ich griff unwillkürlich an meine Tasche. Es war noch immer da; und noch immer wusste ich nicht, was es war. Ich bog um eine Hausecke. Prompt schlug mir ein salziger, leicht fischiger Geruch entgegen. Zudem roch es nach modrigem Holz und rostigen Eisenketten. Die Straße, auf der ich lief, führte geradewegs zum Hafen. An ihrem Ende konnte ich den Himmel sehn, der durch ein Wetter-leuchten hin und wieder seine bizarren Wolkenformen zeigte. Weiter draußen schien sich ein Sturm zusammenzubrauen; ein starker Wind kam vom Meer her, das Rauschen der Wellen übertönte die gellenden Schreie der letzten Mö-wen. Als ich den Kai erreichte, konnte ich die weiße Gischt über die Mauer schwappen sehen. Schatten? Bald würde es regnen, kein Zweifel.
Endlich erreichte ich das Lagerhaus. Die Tür war verschlossen, doch das über-raschte mich nicht im Geringsten. Wäre auch zu schön gewesen. Die Fenster lagen zu hoch, um sie einzuschlagen und hineinzuklettern. Ich musste mir et-was anderes einfallen lassen. Schnell inspizierte ich die Wände…und hatte Glück. An der Wand, die zum Meer ausgerichtet war, waren zwei Bretter lose. Perfekt! Ich schob sie zur Seite und zwängte mich hindurch, hinein ins Innere. Es dauerte eine Weile bis sich meine Augen an die komplette Dunkelheit ge-wöhnt hatten. Dann erkannte ich, dass es zwei Stockwerke gab. Hier unten war es leer; nur Staub und Spinnenweben. Die Luft war muffig und schwer. Den Boden konnte ich kaum erkennen. Eine Leiter führte durch eine Luke nach oben. Sie machte einen reichlich morschen Eindruck. Es war nicht leicht und gefährlich obendrein, doch irgendwie gelangte ich schließlich nach oben. Ich sah mich um. Das passte mir schon besser. In einer Ecke war Stroh aufgetürmt. Wer weiß wie lange es dort schon lag? Etwas angewidert verzog ich mein Ge-sicht und tastete wiederwillig das Stroh ab. Wenn es bereits faulte, konnte ich ebenso draußen nächtigen, doch es war trocken. Ich zog mich aus und hängte meine Sachen über einen tief hängenden Dachbalken. Danach leerte ich meine Tasche aus, um die Dinge darin ebenfalls trocknen lassen zu können. Die Streichhölzer waren aufgeweicht. Benutzen konnte ich sie auf keinen Fall mehr; ich musste mir schleunigst neue besorgen. Ich verteilte Becher, Kerzen und sonstige Utensilien auf dem Boden. Meinen kleinen Enterhaken mit dem Seil daran und meinen Dolch versuchte ich mit Stroh trockenzuwischen, damit der Rost nicht so leichtes Spiel haben würde. Die Decke wrang ich aus und hängte sie neben meinen Umhang. Na toll…hoffentlich trocknete alles ein we-nig über Nacht. Ich musste in der Morgendämmerung wieder verschwinden. Schlaf konnte ich mir nicht leisten; nicht diese Nacht, in der die Marine die Stadt durchkämmte. Ich hatte vor, meine Zeit anders zu nutzen. Halbnackt bedeckte ich mich mit den harten Halmen. Überall piekten sie mir in die Haut. Dann griff ich erneut in die Tasche meines Umhangs. Meine Finger schlossen sich um einen harten, rauen Gegenstand. Gespannt, aber mit einem gewissen Maß an Vorsicht und zugegeben auch ein wenig Angst barg ich eine längliche, steinerne Figur. Es war sehr dunkel in dem Lagerhaus. Auch von draußen drang kaum Licht herein. Die Wolken verdunkelten den Mond. Eine Kerze konnte ich auch nicht entzünden; die Streichhölzer waren ja zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich hatte Mühe zu erkennen, was dieser Gegenstand darstellte. Er war hart, rau und unglaublich schwer dafür, dass ich ihn mit einer Hand um-schließen konnte. Vermutlich steinern. Aus welchem Gestein er gefertigt war, konnte ich unter den damaligen Umständen nicht sagen. Sorgfältig betastete ich ihn im Dunklen; ließ meine Finger über jede Einzelheit gleiten; immer und immer wieder. Schließlich konnte ich behaupten, dass es sich um eine Art Siegel handeln musste. Es bestand aus einem Zylinder, der nach oben in eine Vo-gelgestalt überging. Unter seinem Fuß war das eigentliche Siegel eingearbeitet. Mehr vermochte ich durch das bloße, sich ständig wiederholende Berühren und Abtasten nicht zu sagen. Wenn ich Glück hatte, würde ich am Tag einen unbe-obachteten Ort finden. Bei Licht würde sich mit Sicherheit mehr erkennen las-sen. Inzwischen war draußen der Sturm losgegangen. Der Donner war ohrenbe-täubend und die zuckenden Blitze schickten in unregelmäßigen Abständen gleißendes Licht durch die Fenster und die winzigen Spalte der Bretterwand. In den Pausen des Donners konnte ich das tosende Meer hören und den prasseln-den Regen, der auf das Wasser, die Hafenmauern und die umliegenden Dächer klatschte. Ich legte mich tiefer in den Strohhaufen. Auch wenn ich nicht schla-fen durfte, musste ich
wenigstens ein bisschen ausruhen.
 
Hier, ein späterer Auszug, ein anderer Charakter...

[...]

Er war alt geworden. Das musste er sich eingestehen. Er spürte es in den Glie-dern und sah es in den Glaskolben seines Labors. In ihnen vermochte er vieles zu erschaffen. Ein längeres Leben oder eine neue Jugend jedoch waren ihm unmöglich. Es war an der Zeit sein Wissen weiterzugeben, obwohl er es lieber ganz für sich allein behalten hätte. Doch der Rat hatte ihm bereits einen Lehr-ling zugewiesen. Schon bald würde er eintreffen. Irgendeine Rotzgöre mit mangelndem Talent, da war der Alte sich sicher. Missbilligend seufzend stand er aus seinem geblümten Ohrensessel am Turmfenster auf, durchquerte schlur-fend das Zimmer und wanderte durch die Stockwerke hinab in den Keller. Hier hatte er sein Labor und seine Vorratsschränke. Die meisten Alchimisten legten ihr Laboratorium in den obersten Stock, doch das war ihm seit jeher viel zu unsicher. Das Labor eines Alchimisten war sein Schatz, sein Herz, wertvollstes Gut, Werkzeug und Waffe. Auf der Spitze eines Turmes ein viel zu leichtes Ziel und die Geschichte hatte ihn gelehrt, dass die Alchimisten in einem Krieg vom Feind immer als erstes ausgeschaltet wurden. Zwar befand sich das Land zur Zeit in keinem Krieg, aber das war vermutlich nur eine Frage der Zeit. Herrschaftshäuser hatten eine Blühende Fantasie, wenn es darum ging, einen Grund zu finden, einem anderen Herrschaftshaus den Krieg zu erklären. Und dann war der Alchimist entweder das erste Opfer oder die mächtigste Waffe, wobei das Zweite häufig zum Ersten führte.
Noch ein letztes Mal überprüfte er die Luke des Zwischenbodens. Darunter bewahrte er die gefährlichsten, wertvollsten und seltensten Ingredienzien und Substanzen auf; ebenso wie seine handgeschriebenen Notizen. Insbesondere die eigens erdachten Rezepturen. Gut verschlossen. Fast nicht sichtbar. Alles, wie es sein sollte. Die Küche im Erdgeschoss war noch reichlich ausgestattet. So ein Rotzlöffel würde schon nicht so viel verdrücken. Die Lehrlinge begannen ihre Ausbildung traditionsgemäß kurz nach dem elften Geburtstag und viel passte in so einen kleinen Menschen ja nicht rein; die Vorräte würden noch einige Wochen reichen. Die Bibliothek war verschlossen. Alles, wie es sein sollte.
Das Zimmer für den Jungen war vorbereitet: ein wackeliges, knarzendes Bett mit einer Matratze aus Stroh, einem vergilbten Laken und einer Löchrigen De-cke. Ein mächtig zerschnitzter Tisch, an dem er lernen und schreiben konnte; davor ein kippliger Stuhl. In einer Ecke stand eine leere Kommode, in der einige Holzwürmer hausten. Das musste reichen, der kleine, war ja schließlich nicht zum Vergnügen hier. Dem Alten kroch erneut Unbehagen in die Brust. Er hatte Kinder noch nie besonders leiden können und das war an und für sich nie ein Problem gewesen, da es hier in seinem Turm, abseits der nächsten Stadt, keine Kinder gab. Nun aber sollte eines zu ihm kommen. Er sollte es erziehen, lehren und behüten! Beim Gedanken daran verkniff er vor lauter Widerwillen das Gesicht. Es war doch alles so schön gewesen bisher…Er war einer der Besten im ganzen Land, führte regelmäßige Korrespondenz zu ausländischen Kollegen und hatte eine nicht enden wollende Reihe neuer Rezepturen erfunden, von denen er die raffiniertesten nicht einmal veröffentlicht hatte. Er versorgte in mehreren Meilen Umkreis die Städte mit Tinkturen und Hausmittelchen und war damit immer noch erfolgreicher als diese unsäglichen Hexen mit ihrer Kräuterplörre! Dafür musste er sich nicht einmal anstrengen. Er hatte unendlich viel Zeit zum Forschen und experimentieren, aß, wann ihm danach war und schlief manchmal tagelang nicht. Kinder wollten regelmäßige Mahlzeiten, Aufmerksamkeit und Bespaßung. Sie hatten eine lausige Disziplin und keinerlei geistige Ausdauer, konnten sich nur über kurze Zeitabschnitte auf etwas Kon-zentrieren und wollten immer nur spektakuläre Explosionen und bunte Tränke zusammenmischen, ohne Achtung ihrer Wirkung! Ihm wurde ganz schlecht. Vielleicht würde er nicht gleich morgen sterben, aber leben würde er auch nicht mehr. In dem Moment, in dem es an der Tür klopfte, würde sein Leben vorbei sein. Eines Alchimisten seines Ranges nicht mehr würdig.

Den Rest des Tages verbrachte der Alte in fast schon trauriger Stimmung. Er schickte noch einige Briefe, unter anderem einen an ein Warenhaus, um im Voraus neue Glaskolben und Gläschen zu bestellen. Der Lehrling würde ihm etliche zerdeppern. Bei der Gelegenheit orderte er auch noch einige Zutaten. Später suchte er sich seine Lieblingsrezepturen zusammen und braute sie unter tiefen Seufzern noch ein letztes Mal. Zwischen Entzückung und Stolz über seine Schöpfungen und Abschiedsschmerz Angesichts der kommenden Um-stände verlor er sich in seiner Arbeit und sah den Flüssigkeiten beim Brodeln zu. Eine hatte es ihm ganz besonders angetan. Ein leuchtend oranger, dickflüssiger Sud, mit dessen Hilfe man Metall und massives Gestein zum Schmelzen bringen konnte! Eine ätzende Säure höchsten Grades. Durch einen besonderen, geheimen Kniff in der Herstellung konnte man es dennoch in gläsernen Behält-nissen aufbewahren. Mit Glas konnte die Substanz dann nicht mehr reagieren. Allerdings konnte man es nur in äußerst geringen Mengen erzeugen, da die Zutaten stark reduziert werden mussten, damit sie ihre Wirkung entfalteten. Er selbst brachte seine Schöpfungen eher selten zum Einsatz. Er verkaufte sie einfach oder stellte sie sogar auf Bestellung her. Zu seinen Kunden gehörten sowohl die Regierung als auch die Märkte des Untergrundes, zum Teil sogar andere Alchimisten aus aller Welt. Im Gegenzug erhielt er Zutaten aus fernen Ländern günstiger als über den öffentlichen Handel oder Zwischenprodukte, die er weiterverarbeiten konnte, deren Herstellung ihm selbst aber nicht möglich war.
Am späten Nachmittag zog er sich in den obersten Teil des Turmes zurück. Ein Brief lag vor der Haustür. Lag der dort schon länger? So oder so konnte er mit Sicherheit noch etwas länger liegen bleiben. Er verspürte kein Verlangen, ihn zu öffnen. Mit einer Kanne schwarzem Tee und einigen Stücken Rosinenkuchen blickte er aus seinem Ohrensessel heraus auf den Wald. Am Horizont zogen schwarze Wolken auf. Die Rauchsäulen der Schornsteine wurden vor diesem Hintergrund nahezu unsichtbar. Dunkel erinnerte sich der Alchimistenmeister an die Bekanntmachung der Hinrichtung des Piratenkapitäns Blace. Heute sollte sie stattfinden; in wenigen Stunden. Vielleicht würde er sich noch auf den Weg dorthin begeben. Ein wenig Ablenkung könnte ihm gut tun.
Der lumineszierende Flakon an der Spitze seines Wanderstocks leuchtete sei-nem Pferd den Weg. In der Luft hing der schwere Geruch nach Regen, doch noch blies der Wind zu stark. Schon bald würde der Alte den Waldrand errei-chen. Er hoffte auf eine spektakuläre Hinrichtung, damit der Weg nicht um-sonst gewesen sei. In der Stadt angekommen, stellte er sein Reittier bei einem befreundeten Lieferanten unter. Er war schon spät dran. Seinen Bart um den linken Zeigefinger wickelnd begab er sich zum Schafott. Doch schon auf hal-bem Weg kam ihm ein Heer der Marine im Laufschritt entgegen. Ein Soldat löste sich aus der Meute und sprach ihn aufgebracht an:
„Werter Kladus, ist Ihnen ein vermummter Mann begegnet? Er trägt eine Ka-puze und ist auf der Flucht.“ Verdattert blickte der Alchemist zurück.
„Tut mir leid, da muss ich sie enttäuschen“, brachte er, immer noch überrum-pelt, hervor.
„Vielen Dank für Ihre Mithilfe, Kladus“, brüllte der Soldat, salutierte und folgte seiner Truppe in die Richtung, aus der der Kladus gekommen war.
Der sah ihnen verdutzt hinterher. Dann kam ihm ein sehr frustrierender Gedan-ke. Der Piratenhund wird doch nicht etwa geflohen sein? Dann würde die Hin-richtung ausfallen und er war umsonst noch einmal losgezogen. Verdammte Marine! Einen solchen Mann ließ man doch nicht entwischen! Als er am Schafottplatz ankam, waren die Massen noch immer versammelt. Offiziell war die Hinrichtung also noch nicht abgeblasen. Die Obrigkeit hatte vermutlich noch Hemmungen zuzugeben, dass der Angeklagte geflohen war. Ob das mit rechten Dingen zuging? Gefangene blieben üblicher Weise keinen Wimpern-schlag unbeobachtet. Ganz davon abgesehen, dass seine Hände gefesselt und seine Füße mit schweren Eisenkugeln versehen waren, um eine Flucht so un-wahrscheinlich und aussichtslos wie irgend möglich zu machen. Irgendetwas stimmte nicht. Ein Mann in edlem Gewand betrat das Schafott. Dass er keinen Schmuck an sich trug, ließ darauf schließen, dass er ein Sprecher der Regierung war, welche sich nicht die Blöße geben wollte, selbst das Malheur zu erklären. Er räusperte sich.
„Werte Bürger dieser Stadt“, begann er, „Ihre Majestät bedauert zu tiefst mit-teilen zu lassen, dass die Hinrichtung auf unbestimmte Zeit verschoben wird.“ Gemurmel und Rufe aus der Menge ertönten. Der Kladus schlug sich die Hand vors Gesicht. Nicht zu fassen!
„Das neuerliche Datum wird in Kürze bekanntgegeben. Das Volk wird ange-halten den Platz zügig zu verlassen.“
Na toll…der Kladus seufzte entnervt und ließ die Schultern hängen. Was für ein Reinfall! Unter verwirrtem und spekulativem Gemurmel kam Bewegung in die Menge. Einige hatten sich unverzüglich auf den Heimweg gemacht, doch die meisten schienen unschlüssig. Entweder mussten sie die Fähigkeiten ihrer Regierung und die der Marine oder deren Ehrlichkeit in Frage stellen. Beides behagte ihnen in ihrem Gehorsam und ihrer gleichzeitigen Angst vor der Will-kür, der sie tagtäglich ausgesetzt waren, nicht. Begleitet von einem erneuten tiefen Seufzer Blickte sich der Kladus unschlüssig um. Dann schlug er den Weg in Richtung Hafen ein und setzte sich in eine urige Kneipe. Wenn er schon einmal in der Stadt war, konnte er sich wenigstens einen Grog gönnen. Natürlich hätte er sich auch gemütlich zu Hause an seinem Turmfenster einen genehmigen können, doch er brauchte einen Grund, nicht umsonst den langen Ritt angetreten zu haben.

Nachdem draußen ein Unwetter losgebrochen war, wurden aus dem einen Grog vier und eine deftige Kartoffelsuppe, sowie etliche Scheiben Brot und Käse. Als der Regen nach Stunden nachließ, holte er sein Pferd und ritt leicht beschwingt nach Hause; versöhnlich gestimmt über die unerwartete Enttäuschung seines Abendprogrammes. Mitten im Wald überkam ihn ein Schluckauf, über den er anfangs noch kicherte, jedoch bald genervt nach jedem hohen Hickser ein raues Knurren von sich gab. Er brauchte einen Augenblick länger am Tür-schloss als gewöhnlich, stolperte über die Türschwelle …Verdammt, er wusste doch, dass dort eine war. Was war so schwer daran, die Füße zu heben? Seinen Stock immer noch fest in der Hand nahm er sich aus der Küche ein paar Stücke trockenes Brot in der Hoffnung, dass sie den Schluckauf dämpfen würden. Mit Erfolg. Dann legte er sich in seinem Turmzimmer ins Bett und blätterte noch einmal versonnen in alten Aufzeichnungen. Ach, da auf der losen Seite hinten in dem abgegriffenen Notizblock stand ein Rezept, das er schon beinahe vergessen hatte. Der ewige Schlummer. Ein Trunk, der richtig dosiert den Tod vortäuschen konnte. Falsch dosiert fiel der Trinker entweder in einen tiefen, traumlosen Schlaf oder wachte nie wieder auf. Je nach dem. Ein teuflisches Gebräu, das in den Falschen Händen oder aus Unachtsamkeit Le-ben kosten konnte. Aus diesem Grund hatte er ihn seit dem ersten Gelingen auch nie wieder verkorkt. Die wichtigste Zutat, die dem Trank seine Kraft verlieh, war eine winzig kleine Blume. Normaler Weise wurde sie aufgekocht und als Einschlafhilfe verkauft; unter strengen Kontrollen selbstverständlich. Nur Personen, die den Titel Kladus trugen, hatten Bestellerlaubnis. Allerdings hielt diese Blume zunehmend in den einheimischen Wäldern Einzug, was von den Behörden wiederum noch nicht bemerkt worden war. Ein Drang erwachte in dem Greis. Es zog ihn in sein Labor. Nur noch ein Mal wollte er den König unter den Tränken erschaffen. Ein einziges Mal. Nur einen winzigen Flakon. Belebt von dieser Erinnerung huschte er in den Keller, suchte die Zutaten zusammen und baute die nötigen Gerätschaften auf. Am allerwichtigsten, bevor man überhaupt den ersten Handgriff tat, war es, die Lüftungsklappen zu öffnen. Andernfalls war es der letzte Fehler, den man beging. Seine Hände zitterten vor Erregung und er ballte sie einige Male zu Fäusten und öffnete sie wieder, um ruhiger zu werden. Routiniert köchelte er alle Substanzen erst getrennt und goss sie dann unter stetigem Schwenken zusammen. Dann musste der Sud abkühlen, bevor er ihn in einen Flakon abfüllte. Nun kam das Wichtigste die Blume. Er fasste sie sorgsam mit einer Pinzette, hielt sie über die Mündung und … fuhr zusammen. Eindringliches Klopfen halte durch das Haus. Erschrocken blickte er sich um. Er lag noch immer in seinem Bett oben im Turm.
 
[...]

Regentropfen prasselten in dichter Scharr gegen das Turmfenster. Vielleicht hatte er sich nur verhört? Ausgeschlossen. Da war es schon wieder! Ein Klopfen von Fingerknöcheln unten an der Turmtür. Wer konnte das nur sein? Mitten in der Nacht? Eine Unverfrorenheit höchsten Grades! Wenn das kein wirklicher Notfall war… Grimmig schwang er die Beine aus dem Bett, schlüpfte in seine flauschigen Pantoffeln und schlappte hinunter zur Haustür. Vorsichtig öffnete er sie einen Spalt und lugte hindurch. Draußen standen ein Pferd und ein Mann in einen bauschigen Regenmantel gehüllt und mit einer Fackel in der einen Hand. Sein Gesicht wirkte abgespannt. Er mochte mittleren Alters sein und trug einen dünnen Bart um den Mund herum.
„Kladus? Verzeihen Sie vielmals die nächtliche Störung. Ich hoffe die Nach-richt des obersten Rates hat sie noch erreicht?“
Was für eine Nachricht? In den letzten Tagen war keine Post angekommen, außer….Oh nein! Der Brief, den er am Abend verschlossen liegen gelassen hatte. Seinem Gesicht musste die Verwirrung anzusehen gewesen sein. Schnell versuchte er, sich zu fangen.
„Eine Nachricht? Nein, ich fürchte nicht.“
„Bitte vielmals um Verzeihung, Kladus. Dann muss ich sie Ihnen mündlich übermitteln.“
Er Begann unter seinem Mantel zu wühlen. Großer Gott, was mochte das für eine Nachricht sein? Dem Alten brach der Schweiß aus.
„Auf Grund eines…behördlichen Fehlers sollte Ihnen Ihr Lehrling bereits ges-tern übergeben worden sein. Ursprünglich lag der Termin in der übernächsten Woche, jedoch hat Vakan Leya einen Zahlendreher in den Unterlagen bezüg-lich des Geburtsdatums entdeckt…“
Im Kopf des Kladus‘ gab es ein Geräusch, als würde eine Wagenladung Phiolen zu Bruch gehen. Unter dem Umhang des späten Besuchers wühlte sich nun ein kleines Gesicht ins Freie.
„Hoch geschätzter Kladus Anathol, im Namen des Rates und seines vollsten Vertrauens übergebe ich Ihnen Ihren Lehrling, Martin, sowie das alleinige Sor-gerecht, die Verantwortung und die Ehre, ihn zu einem vertrauensvollen, ve-rantwortungsbewussten und fähigen Alchemisten auszubilden. Möge Mog Ruith euch auf dem Pfad der Lehre und des Geistes wohl sein.“
Dem alten Anatol setzte für einen kurzen Moment das Herz aus. Während er die Informationen versuchte zu verarbeiten, beäugten ihn zwei kleine Knopfaugen. Sie saßen unter einem fransigen roten Haarschopf in mitten eines Pausbäckigen Gesichts. Zu schüchtern, um unter dem Umhang des Boten hervorzutreten, klammerte sich der Junge in seinem Saum fest. Der Mann hingegen stellte einen Seesack zu Füßen des Kladus.
„Seine Sachen.“
Der Kladus nickte daraufhin abwesend und mit starrem Blick.
„Na komm, Kleiner. Sag deinem Meister Guten Tag und geh in dein neues zu Hause.“
Mit diesen Worten bekam der Junge einen Schubser und stand nun mitten im Regen vor dem weißhaarigen Alten, der immer noch leicht vernebelt drein-schaute.
„G-g-guten Abend Klabus Anathol“, stotterte er hervor und verbeugte sich. „Kladus. Mit D“, flüsterte ihm der Bote zu.
„Ach du Schreck!“, der Junge setzte neu an, „Verzeihung Herr Kla-“
„Schon gut“, schnitt ihm Anathol das Wort ab. Es reichte, wenn der Junge sei-nen Titel einmal verhunzt hatte.
„Nun denn Kladus. Ich begebe mich auf den Heimweg. Gehabt Euch wohl!“ Der Bote schwang sich in den Sattel seines Pferdes und ritt davon in den dunk-len Wald. Der Junge stand immer noch im Regen, Anathol noch immer auf der Türschwelle in seinen plüschigen Schlappen. Der Alte beäugte den Neuling. Alle Alchemistenlehrlinge wurden am Tag nach ihrem elften Geburtstag im Elternhause abgeholt und zu ihrem neuen Meister gebracht. Dieser Knirps dort war für zwölf volle Jahre recht mickrig, dafür aber bemerkenswert rund. Wohl einer, der Rat hatte entschieden und dem würden sie sich fügen müssen. Beide. „Also…Martin. Dann komm mal herein“, sagte der Alte so höflich es ihm möglich war, drehte sich um und verschwand die Treppe hinauf. Martin schnappte fix seinen Seesack, der ihm fast bis ans Kinn reichte und folgte.
„Willst du die Tür so sperrangelweit auf lassen?“ Unsicher sah Martin sich um: „Nein?“, setzte den Seesack wieder ab und schloss die Tür. Schnaufend unter seinem Gepäck stieg er die Treppe empor, wobei er eine Spur aus Tropfen hin-ter sich auf dem Parkett hinterließ. Er sah kaum wohin er lief, weil der Sack ihm die Sicht versperrte.
„Hier hinein“, kam ein entnervter Befehl aus einem Zimmer. Martin stolperte in die Richtung, aus der er die Stimme vernommen hatte. Mit einem kräftigen Rumsen rammte er einen Tisch.
„Pass doch auf!“
„Tschuldigung…“ Er stellte den Sack ab.
„Das ist dein Zimmer. Hier kannst du schlafen und deine Sachen unterbringen. An dem Tisch wirst du lernen.“ Martin blickte sich um, wackelte am Tisch und am Stuhl, sah in den Schrank und aus dem Fenster, ließ die Tür in den Angeln quietschen, was die Geduld von Anathol fast ans Ende brachte und warf sich zu guter Letzt mit viel Schwung aufs Bett.
„Ist das Ihr Ernst?“, fragte er. Der Kladus verdrehte die Augen: „Du musst Entbehrung lernen, um dich voll und ganz-“
„Mein eigenes Zimmer! Klasse!“, rief der Junge und strahlte über die dicken Backen. „Wissen Sie, zu Hause musste ich mir eins mit Becki, Karl und Sarah teilen, nur Evie schlief bei unseren Eltern und richtig eigene Sachen hatte ich auch nicht und-“
„Dir gefällt das Zimmer, das habe ich wohl verstanden“, unterbrach ihn der Kladus. „Schlaf jetzt. Ab morgen beginnt der Unterricht.“ Ohne ein weiteres Wort schloss der Meister die Tür hinter sich und ging in seinem Turmzimmer zu Bett.

Am nächsten Morgen kam Kladus Anathol bei Sonnenaufgang ohne zu klop-fen in Martins Zimmer, stellte ihm ein Brett mit zwei dicken Scheiben Brot, Wurst, Käse und einen Pott Milch auf den Tisch und verschwand mit den Worten: „In einer viertel Stunde will ich dich in der Bibliothek sehen. Erdge-schoss.“ Martin schreckte leicht aus dem Schlaf und murmelte: „Jawoll, Meister…“, schlief jedoch augenblicklich wieder ein. Später fuhr er hoch, wie an einen schlechten Traum erinnert, stürzte die Milch hinunter und rannte mit den Broten hinab in die Bibliothek. Kauend und keuchend stürzte er in den Raum.
„Du kommst reichlich spät“, stellte Kladus Anathol unverhohlen fest und sah von seiner Zeitung auf. „Hast du etwa noch die Brote im Mund?! Iss sie gefäl-ligst draußen. Was meinst du, wieso ich sie dir ins Zimmer gebracht habe? Es-sen in der Bibliothek, also wirklich!“ Martin machte erschrocken kehrt und mampfte auf dem Flur weiter.
„Und wasch dir danach deine Fettpfoten gründlich!“, drang es dumpf durch die Tür. Gerade als er fragen wollte, wo denn das Bad überhaupt sei, kam auch schon wirsch die ergänzende Information: „Zweiter Stock. Neben der Küche.“ Während der Junge durchs Treppenhaus hetzte, griff sich Anathol an die Stirn und zwang sich zur Nachsicht. Immerhin hatte er ihm das Bad gestern Nacht nicht gezeigt. Allerdings hätte der Bursche wenigstens pünktlich aufstehen können. Nun waren sie eine Stunde im Verzug! Eins war sicher: die kommen-den sechs Jahre würden die härtesten seines Lebens werden. Ade, gemütlicher Lebensabend. Seit er nicht mehr der Jüngste war, hatte er befürchtet, eines Ta-ges doch noch einen Lehrling zu bekommen. So viele Jahre war es gut gegan-gen und nun hatte es ihn doch noch getroffen. Ärgerlich…doch die Entschei-dung des Rates hatte er nicht zu hinterfragen oder zu kritisieren.
Die Klinke bog sich nach unten und Martin quetschte sich durch den Türspalt.
„Nimm bitte dort Platz.“ Anathol verwies den Jungen mit einer erhabenen Handbewegung auf einen Tisch in der Mitte des Raumes. Auf ihm lag ein Sta-pel Papier und eine Feder. In einer eigens vorgesehenen Vertiefung stand ein Tintenfässchen. Der Kladus wartete bis sich sein Lehrling gesetzt hatte und begann schleunigst mit dem Unterricht, bevor der Bengel auf die Idee kam, mit allem Möglichen herumzuspielen oder gar die Bücher anzufassen.
„Dies ist meine Bibliothek“, begann er bedeutungsvoll, „Dein Lehrzimmer. Hier wirst du alles erfahren, was du wissen musst, um ein tadelloser Alchemist zu werden. Zunächst nur durch mich. Ich werde dir vermitteln, auf was es wirklich ankommt, was zu beachten ist bevor du dein erstes Reagenzglas zu Gesicht bekommst. Später wirst du selbst die Bücher studieren, um stetig mehr Wissen und Kenntnisse in dich aufzusaugen. Wenn du soweit bist, und das werde ich allein entscheiden, werde ich dich nach und nach in die Laborarbeit einführen. Doch das wird noch einige Jahre dauern.“ Beim letzten Satz lachte Anathol etwas verächtlich. Er rechnete nicht damit, dass der kleine Klops vor ihm je-mals ein alchimistisches Labor von innen sehen würde.
„Von nun an treffen wir uns jeden Tag hier zur achten Stunde – am Morgen!“, fügte er mit Nachdruck hinzu. „Schreibe stets fleißig mit, damit du das Gehörte abends lernen kannst. Für die Ausarbeitung stelle ich dir die Bücher in diesem Regal“, der Alte deutete auf ein kleines Möbel mit vier Reihen Büchern, „zur Verfügung. Darin kannst du Lesen, um deine Mitschriften zu vervollständigen und dir Hintergrundwissen anzueignen. Die anderen Regale gehen dich nichts an, bevor du mit ins Labor...Würdest du das bitte unterlassen?“ Er blickte den Jungen streng an. Dieser saß immer noch brav auf seinem Stuhl und hörte auf-merksam zu. Soweit nichts Verwerfliches. Wäre da nur nicht sein rechter Zei-gefinger in seiner Nase! Er popelte ganz ungeniert, während er, sein Meister und Lehrer, ihn über seine Ausbildung aufklärte!
„Entschuldigung, aber der pfeift beim Atmen. Da kann ich mich nicht konzent-rieren“, erklärte sich Martin, ganz so als ob es sich um eine Selbstverständlich-keit handelte. „Na schön, aber benutz wenigstens ein Taschentuooooaaach!“ Anathol kniff die Augen zusammen und schlug sich die offene Hand ins Ge-sicht. Martin hatte den erbeuteten Popel so eben an der Tischplatte abge-schmiert.
„Was soll ich machen?“, fragte er unschuldig, „Ich habe kein Taschentuch und in meine Kleider schmiere ich den bestimmt nicht, das hat Mama immer verbo-ten.“
„Und statt dessen klebst du das Ding lieber auf deinen Arbeitsplatz? Pfui Teu-fel!“ Eine kurze Pause trat ein, in der keiner von beiden etwas sagte oder tat. Dann mit einem Seufzer griff der Meister in seine Tasche: „Nimm meins. Darfst es auch behalten.“ Er hielt dem Jungen ein zerknittertes Stück Stoff hin. Dieser verzog das Gesicht: „Iiih, nein, danke. Ich weiß ja nicht, wo sie damit schon waren.“ Dem Alchemisten platzte fast der Kragen vor Unglauben. „Herrgott, dann hol dir eins aus dem Bad. Der kleine Schrank links hinter der Tür.“ Mit einem Blick auf den zögernden Martin setzte er hinzu: „Die sind alle frisch gewaschen.“
 
Liebe Leser,
dies sind die ersten 4-5 Seiten eines Romans, an dem ich mich versuche. Die Geschichte hat sich durchaus schon gut entwickelt, jedoch gefällt mir der Aufhänger nicht mehr so gut, wie anfangs noch... Vielleicht habt ihr ja einige Anregungen zur Änderung :)



Dämmerung legte sich über die Stadt. Für gewöhnlich verschwanden die Leute zu dieser Zeit in ihren Häusern bei ihren Familien, doch heute hatten sie etwas anderes vor. Heute war der Tag, auf den viele von ihnen schon lange gewartet hatten: die Hinrichtung des hiesig berüchtigten Piratenkäpitäns Blace der Schatten.
Das Vergehen: gering, wenn ihr mich fragt, aber mich fragt ja keiner. Er hatte - nicht zum ersten Mal - eine Handelsflotte auf dem Weg in die Hauptstadt überfallen, wie die meisten Piraten das eben tun. Der Marine konnte er entkommen, seinem zweiten Maat allerdings nicht. Dieser feige Meuterer hatte ihn verraten und ihn in einem Hinterhalt der Marine ausgeliefert und dafür eine stattliche Belohnung und einen Kaperbrief erhalten. Frustrierend, wenn man sich nicht auf die eigenen Männer verlassen kann; ein Guter Grund, allein zu operieren.
Auf dem Marktplatz war das Schafott schon aufgebaut. Es schien bald zu beginnen, denn die Gaukler hatten gerade ihre Vorstellung beendet und immer mehr Zuschauer strömten ein. Vor allem die besser betuchten der Bevölkerung: Adel in jeglicher Form, Priester, die grundsätzlich alles verteufelten, das anders lebte als sie, Patrizier und Fernhandelsmänner, Baumeister und Söldner.
Ich hielt mich bedeckt und Ausschau nach den Ratsherren. Wenn ich mich geschickt anstellte, könnte an diesem Abend noch etwas für mich herausspringen. Jedoch ließ sich im Moment noch niemand von der Obrigkeit blicken. Vorsichtshalber blieb ich nah der Tribüne, denn dort würden sich die Wohlhabenden während des Spektakels niederlassen. Jetzt mussten sie nur noch erscheinen. Viele Leute hatten Steine und überreife Tomaten in ihren Manteltaschen. Dies diente der Tradition, den Verurteilten zu demütigen. Als wären die Kerle nicht schon gedemütigt genug. Feige und respektlos. Armer Blace…ein wenig Mitleid verspürte ich, dennoch überwog mein Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber den Dummheiten anderer. Er schien mir immer recht sympathisch zu sein, nach allem, was mir von ihm zu Ohren gekommen war. Mutiger, ehrenwerter Mann – in gewissen Kreisen. Schade, dass er zu viel Vertrauen in die Menschen setzte. Für gewöhnlich kann man ja aus seinen Fehlern lernen; ich schätze in Blace’s Fall ist es dafür etwas zu spät. Ah, mon ami, c‘est la vie! Einmal muss jeder gehen und die Besten meistens zu früh.
Langsam, aber sicher wurde ich unruhig. Wo blieben die feinen Herrschaften? Und warum dauerte das so lange? Die Hinrichtung hätte doch längst beginnen müssen. Nicht einmal der Meister Hans, wie der Henker von Unterweltlern liebevoll genannt wurde, war zu sehen. Irgendetwas lief hier gewaltig schief. Inzwischen war es fast stockdunkel und die Fackeln, die auf dem ganzen Platz verteilt aufgestellt waren, erhellten die Umgebung nur spärlich. Aufmerksam blickte ich mich um. Es war nichts Auffälliges zu entdecken, außer…
Ein Mann wühlte sich durch die Menge und kam genau auf mich zu. Unauffällig für die meisten Menschen, doch mir fiel er sofort ins Auge. Über seinen Kopf hatte er eine Kapuze gezogen, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war. Er schien es unheimlich eilig zu haben. Seine Bewegungen waren schnell und wendig und bei jedem seiner Schritte war ein leises, hohles Klappern zu hören. Nun war er nur noch gute fünf Meter von mir entfernt. Erst jetzt konnte ich erkennen, dass er eine Hand unter seinem Mantel verborgen hatte. Einige Leute drehten sich nach ihm um, weil er gegen sie stieß, würdigten ihn jedoch keinen genaueren Blickes. Als er mich erreichte, rempelte er mich ebenfalls an. Hätte ich ihn nicht kommen sehen, wäre ich vielleicht ins Straucheln geraten. Ich sah ihn gerade noch hinter der Tribüne verschwinden, da bemerkte ich etwas Schweres in meiner Manteltasche, das sich vorher ganz bestimmt nicht dort befunden hatte. Na toll, jetzt zog mich diese komische Gestalt auch noch in ihre Angelegenheiten hinein!
Neugier ist eine der Eigenschaften, die ich an Menschen verachte; eine Schwäche, die einen nur in Schwierigkeiten bringt, der ich jedoch soeben gegen meinen Willen selbst erlegen war. Vorsichtig ließ ich meine Hand in besagte Tasche gleiten. Sofort schnellte ich zurück. Die Marine war auf der anderen Seite der Tribüne aufgetaucht. Ich musste schleunigst verschwinden. Die Frage war, wohin? Ich musste Ruhe bewahren. Das schlimmste, was ich jetzt tun konnte, war durchzudrehen und die Nerven zu verlieren. Das war eigentlich nicht meine Art, aber bei einem ganzen Heer der Marine bekam selbst ich Schweißausbrüche. Mein Gesicht war in der Gegend nicht unbekannt, ein Zeichen dafür, dass ich schon zu lange hier verweilte.
Die einzigen Vorteile, die ich hatte, waren zum einen die Dunkelheit und zum anderen meine Fähigkeiten. Eile war geboten, ich brauchte einen Ort, an dem ich mich, wenigstens vorübergehend, verstecken konnte. Hastig blickte ich mich um und hechtete schließlich in die Richtung, in die der Vermummte kurz zuvor geeilt war. Ob dies eine kluge Entscheidung war, würde sich zeigen. Hier war es dunkel; das Licht der Fackeln konnte diese Gasse nicht mehr erreichen. Ich huschte an den Türen der Häuser vorbei. Zu keiner Zeit dachte ich jedoch daran, mich in einem von ihnen zu verstecken. Dann hätte die Marine leichtes Spiel gehabt und sie mussten mich zweifellos bemerkt haben. Schon bald erreichte ich einen Übergang. Darunter floss ein Kanal, der in den Häusern zu beiden Seiten verschwand. Einer der wenigen Kanäle, die kein Abwasser führten. Hinter mir hallten die Schritte der Soldaten. Leise ließ ich mich ins Wasser hinab gleiten. Die Kälte kroch mir sogleich in die Glieder, aber ich hatte keine Wahl. Ich schwamm unter die Brücke und achtete dabei penibel darauf, im Kernschatten zu treiben, denn dem Schein der Fackelträger konnte ich mich dort am besten entziehen. Im Wasser waberten merkwürdige Schatten. Sie rührten wohl von den vorbeiziehenden Lichtern her. Über mir donnerten die eisernen Stiefel, unter mir gluckerte das eisige Wasser. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, waren auch die letzten Schritte der Soldaten in der Ferne verklungen.
Ächzend hievte ich mich aus dem Kanal. Ich zitterte. Meine Klamotten waren schwer und hinterließen überall auf dem Boden große Pfützen. Das gefiel mir überhaupt nicht; in zweierlei Hinsicht. Auf diese Weise hinterließ ich Spuren. Wenn auch nur für gewisse Zeit. Und ich riskierte meine Gesundheit. Zwar war es nicht besonders kalt, doch die ganze Nacht klitschnass zu verbringen, konnte einfach nicht gesund sein und was ich mir am wenigsten leisten konnte war eine Grippe oder sonstiges durch Unterkühlung hervorgerufenes Übel. Das würde mich für Wochen außer Gefecht setzen, mir vielleicht sogar den Tod bringen.
Für diese Nacht musste ich mir unter allen Umständen ein trockenes und ungestörtes Quartier suchen und ich hatte auch schon ein geeignetes Gebäude im Sinn. Direkt am Hafen stand ein altes Lagerhaus. Es wurde von niemandem genutzt. Irgendein Kaufmann zahlte Steuern und das alles. Wozu, wusste ich auch nicht, schließlich brachte es ihm Nichts ein. Er vermietete es nicht einmal an Krämer. Umso besser für mich. Hier würde ich die ganze Nacht lang meine Ruhe haben.
Ich begab mich also in Richtung Hafen, wobei ich einen großen Bogen um Menschensammelorte, wie Gasthäuser und Pubs, schlug. Auf dem Weg fiel mir wieder der Vermummte ein, der mir diese Misere erst eingebrockt hatte und ich griff unwillkürlich an meine Tasche. Es war noch immer da und noch immer wusste ich nicht, was es war. Ich bog um eine Hausecke. Prompt schlug mir ein salziger, leicht fischiger Geruch entgegen. Zudem roch es nach modrigem Holz und rostigen Eisenketten. Die Straße, auf der ich lief, führte geradewegs zum Hafen. An ihrem Ende konnte ich den Himmel sehn, der durch ein Wetterleuchten hin und wieder seine bizarren Wolkenformen zeigte. Weiter draußen schien sich ein Sturm zusammenzubrauen. Ein starker Wind kam vom Meer her, das Rauschen der Wellen übertönte die gellenden Schreie der letzten Möwen. Als ich den Kai erreichte, konnte ich die weiße Gischt über die Mauer schwappen sehen. Schatten? Bald würde es regnen, kein Zweifel.
Endlich erreichte ich das Lagerhaus. Ich schob zwei lose Bretter einer Außenwand beiseite und zwängte mich hindurch, hinein ins Innere. Es dauerte eine Weile bis sich meine Augen an die komplette Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann erkannte ich, dass es zwei Stockwerke gab. Hier unten war es leer, nur Staub und Spinnenweben. Die Luft war muffig und schwer. Eine Leiter führte durch eine Luke nach oben. Sie machte einen reichlich morschen Eindruck.
Oben angelangt, sah mich um. Das passte mir schon besser. In einer Ecke war Stroh aufgetürmt. Wer weiß wie lange es dort schon lag? Etwas angewidert verzog ich mein Gesicht und tastete wiederwillig das Stroh ab. Wenn es bereits faulte, konnte ich ebenso draußen nächtigen, doch es war trocken. Ich zog mich aus, hängte meine Sachen über einen tief hängenden Dachbalken und leerte ich meine Tasche aus, um die Dinge darin ebenfalls trocknen lassen zu können. Die Streichhölzer waren aufgeweicht. Benutzen konnte ich sie auf keinen Fall mehr. Ich verteilte Becher, Kerzen und sonstige Utensilien auf dem Boden. Meinen kleinen Enterhaken mit dem Seil daran und meinen Dolch versuchte ich mit Stroh trockenzuwischen, damit der Rost nicht so leichtes Spiel haben würde. Die Decke wrang ich aus und hängte sie neben meinen Umhang. Na toll…hoffentlich trocknete alles über Nacht ein wenig. Schlaf konnte ich mir nicht leisten; nicht diese Nacht, in der die Marine die Stadt durchkämmte.
Halbnackt bedeckte ich mich mit den harten Halmen. Überall piekten sie mir in die Haut. Dann griff ich erneut in die Tasche meines Umhangs. Meine Finger schlossen sich um einen harten, rauen Gegenstand. Gespannt, aber mit einem gewissen Maß an Vorsicht und zugegeben auch ein wenig Angst barg ich eine längliche, steinerne Figur. Es war sehr dunkel in dem Lagerhaus, auch von draußen drang kaum Licht herein. Die Wolken verdunkelten den Mond. Eine Kerze konnte ich auch nicht entzünden; die Streichhölzer waren ja zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich hatte Mühe zu erkennen, was dieser Gegenstand darstellte. Er war hart, rau und unglaublich schwer. Vermutlich steinern. Aus welchem Gestein er gefertigt war, konnte ich unter den damaligen Umständen nicht sagen. Sorgfältig betastete ich ihn im Dunklen, ließ meine Finger über jede Einzelheit gleiten, immer und immer wieder. Schließlich konnte ich behaupten, dass es sich um eine Art Siegel handeln musste. Es bestand aus einem Zylinder, der nach oben in eine Vogelgestalt überging. Unter seinem Fuß war das eigentliche Siegel eingearbeitet. Mehr vermochte ich durch das bloße, sich ständig wiederholende Berühren und Abtasten nicht zu sagen. Wenn ich Glück hatte, würde ich am Tag einen unbeobachteten Ort finden. Bei Licht würde sich mit Sicherheit mehr erkennen lassen.
Inzwischen war draußen der Sturm losgegangen. Der Donner war ohrenbetäubend und die zuckenden Blitze schickten in unregelmäßigen Abständen gleißendes Licht durch die Fenster und die winzigen Spalte der Bretterwand. In den Pausen des Donners konnte ich das tosende Meer hören und den prasselnden Regen, der auf das Wasser, die Hafenmauern und die umliegenden Dächer klatschte. Ich legte mich tiefer in den Strohhaufen. Auch wenn ich nicht schlafen durfte, musste ich wenigstens ein bisschen ausruhen.
 
Liebe Leser,
dies sind die ersten 4-5 Seiten eines Romans, an dem ich mich versuche. Die Geschichte hat sich durchaus schon gut entwickelt, jedoch gefällt mir der Aufhänger nicht mehr so gut, wie anfangs noch... Vielleicht habt ihr ja einige Anregungen zur Änderung :)



Dämmerung legte sich über die Stadt. Für gewöhnlich verschwanden die Leute zu dieser Zeit in ihren Häusern bei ihren Familien, doch heute hatten sie etwas anderes vor. Heute war der Tag, auf den viele von ihnen schon lange gewartet hatten: die Hinrichtung des hiesig berüchtigten Piratenkäpitäns Blace der Schatten.
Das Vergehen: gering, wenn ihr mich fragt, aber mich fragt ja keiner. Er hatte - nicht zum ersten Mal - eine Handelsflotte auf dem Weg in die Hauptstadt überfallen, wie die meisten Piraten das eben tun. Der Marine konnte er entkommen, seinem zweiten Maat allerdings nicht. Dieser feige Meuterer hatte ihn verraten und ihn in einem Hinterhalt der Marine ausgeliefert und dafür eine stattliche Belohnung und einen Kaperbrief erhalten. Frustrierend, wenn man sich nicht auf die eigenen Männer verlassen kann; ein Guter Grund, allein zu operieren.
Auf dem Marktplatz war das Schafott schon aufgebaut. Es schien bald zu beginnen, denn die Gaukler hatten gerade ihre Vorstellung beendet und immer mehr Zuschauer strömten ein. Vor allem die besser betuchten der Bevölkerung: Adel in jeglicher Form, Priester, die grundsätzlich alles verteufelten, das anders lebte als sie, Patrizier und Fernhandelsmänner, Baumeister und Söldner.
Ich hielt mich bedeckt und Ausschau nach den Ratsherren. Wenn ich mich geschickt anstellte, könnte an diesem Abend noch etwas für mich herausspringen. Jedoch ließ sich im Moment noch niemand von der Obrigkeit blicken. Vorsichtshalber blieb ich nah der Tribüne, denn dort würden sich die Wohlhabenden während des Spektakels niederlassen. Jetzt mussten sie nur noch erscheinen. Viele Leute hatten Steine und überreife Tomaten in ihren Manteltaschen. Dies diente der Tradition, den Verurteilten zu demütigen. Als wären die Kerle nicht schon gedemütigt genug. Feige und respektlos. Armer Blace…ein wenig Mitleid verspürte ich, dennoch überwog mein Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber den Dummheiten anderer. Er schien mir immer recht sympathisch zu sein, nach allem, was mir von ihm zu Ohren gekommen war. Mutiger, ehrenwerter Mann – in gewissen Kreisen. Schade, dass er zu viel Vertrauen in die Menschen setzte. Für gewöhnlich kann man ja aus seinen Fehlern lernen; ich schätze in Blace’s Fall ist es dafür etwas zu spät. Ah, mon ami, c‘est la vie! Einmal muss jeder gehen und die Besten meistens zu früh.
Langsam, aber sicher wurde ich unruhig. Wo blieben die feinen Herrschaften? Und warum dauerte das so lange? Die Hinrichtung hätte doch längst beginnen müssen. Nicht einmal der Meister Hans, wie der Henker von Unterweltlern liebevoll genannt wurde, war zu sehen. Irgendetwas lief hier gewaltig schief. Inzwischen war es fast stockdunkel und die Fackeln, die auf dem ganzen Platz verteilt aufgestellt waren, erhellten die Umgebung nur spärlich. Aufmerksam blickte ich mich um. Es war nichts Auffälliges zu entdecken, außer…
Ein Mann wühlte sich durch die Menge und kam genau auf mich zu. Unauffällig für die meisten Menschen, doch mir fiel er sofort ins Auge. Über seinen Kopf hatte er eine Kapuze gezogen, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war. Er schien es unheimlich eilig zu haben. Seine Bewegungen waren schnell und wendig und bei jedem seiner Schritte war ein leises, hohles Klappern zu hören. Nun war er nur noch gute fünf Meter von mir entfernt. Erst jetzt konnte ich erkennen, dass er eine Hand unter seinem Mantel verborgen hatte. Einige Leute drehten sich nach ihm um, weil er gegen sie stieß, würdigten ihn jedoch keinen genaueren Blickes. Als er mich erreichte, rempelte er mich ebenfalls an. Hätte ich ihn nicht kommen sehen, wäre ich vielleicht ins Straucheln geraten. Ich sah ihn gerade noch hinter der Tribüne verschwinden, da bemerkte ich etwas Schweres in meiner Manteltasche, das sich vorher ganz bestimmt nicht dort befunden hatte. Na toll, jetzt zog mich diese komische Gestalt auch noch in ihre Angelegenheiten hinein!
Neugier ist eine der Eigenschaften, die ich an Menschen verachte; eine Schwäche, die einen nur in Schwierigkeiten bringt, der ich jedoch soeben gegen meinen Willen selbst erlegen war. Vorsichtig ließ ich meine Hand in besagte Tasche gleiten. Sofort schnellte ich zurück. Die Marine war auf der anderen Seite der Tribüne aufgetaucht. Ich musste schleunigst verschwinden. Die Frage war, wohin? Ich musste Ruhe bewahren. Das schlimmste, was ich jetzt tun konnte, war durchzudrehen und die Nerven zu verlieren. Das war eigentlich nicht meine Art, aber bei einem ganzen Heer der Marine bekam selbst ich Schweißausbrüche. Mein Gesicht war in der Gegend nicht unbekannt, ein Zeichen dafür, dass ich schon zu lange hier verweilte.
Die einzigen Vorteile, die ich hatte, waren zum einen die Dunkelheit und zum anderen meine Fähigkeiten. Eile war geboten, ich brauchte einen Ort, an dem ich mich, wenigstens vorübergehend, verstecken konnte. Hastig blickte ich mich um und hechtete schließlich in die Richtung, in die der Vermummte kurz zuvor geeilt war. Ob dies eine kluge Entscheidung war, würde sich zeigen. Hier war es dunkel; das Licht der Fackeln konnte diese Gasse nicht mehr erreichen. Ich huschte an den Türen der Häuser vorbei. Zu keiner Zeit dachte ich jedoch daran, mich in einem von ihnen zu verstecken. Dann hätte die Marine leichtes Spiel gehabt und sie mussten mich zweifellos bemerkt haben. Schon bald erreichte ich einen Übergang. Darunter floss ein Kanal, der in den Häusern zu beiden Seiten verschwand. Einer der wenigen Kanäle, die kein Abwasser führten. Hinter mir hallten die Schritte der Soldaten. Leise ließ ich mich ins Wasser hinab gleiten. Die Kälte kroch mir sogleich in die Glieder, aber ich hatte keine Wahl. Ich schwamm unter die Brücke und achtete dabei penibel darauf, im Kernschatten zu treiben, denn dem Schein der Fackelträger konnte ich mich dort am besten entziehen. Im Wasser waberten merkwürdige Schatten. Sie rührten wohl von den vorbeiziehenden Lichtern her. Über mir donnerten die eisernen Stiefel, unter mir gluckerte das eisige Wasser. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, waren auch die letzten Schritte der Soldaten in der Ferne verklungen.
Ächzend hievte ich mich aus dem Kanal. Ich zitterte. Meine Klamotten waren schwer und hinterließen überall auf dem Boden große Pfützen. Das gefiel mir überhaupt nicht; in zweierlei Hinsicht. Auf diese Weise hinterließ ich Spuren. Wenn auch nur für gewisse Zeit. Und ich riskierte meine Gesundheit. Zwar war es nicht besonders kalt, doch die ganze Nacht klitschnass zu verbringen, konnte einfach nicht gesund sein und was ich mir am wenigsten leisten konnte war eine Grippe oder sonstiges durch Unterkühlung hervorgerufenes Übel. Das würde mich für Wochen außer Gefecht setzen, mir vielleicht sogar den Tod bringen.
Für diese Nacht musste ich mir unter allen Umständen ein trockenes und ungestörtes Quartier suchen und ich hatte auch schon ein geeignetes Gebäude im Sinn. Direkt am Hafen stand ein altes Lagerhaus. Es wurde von niemandem genutzt. Irgendein Kaufmann zahlte Steuern und das alles. Wozu, wusste ich auch nicht, schließlich brachte es ihm Nichts ein. Er vermietete es nicht einmal an Krämer. Umso besser für mich. Hier würde ich die ganze Nacht lang meine Ruhe haben.
Ich begab mich also in Richtung Hafen, wobei ich einen großen Bogen um Menschensammelorte, wie Gasthäuser und Pubs, schlug. Auf dem Weg fiel mir wieder der Vermummte ein, der mir diese Misere erst eingebrockt hatte und ich griff unwillkürlich an meine Tasche. Es war noch immer da und noch immer wusste ich nicht, was es war. Ich bog um eine Hausecke. Prompt schlug mir ein salziger, leicht fischiger Geruch entgegen. Zudem roch es nach modrigem Holz und rostigen Eisenketten. Die Straße, auf der ich lief, führte geradewegs zum Hafen. An ihrem Ende konnte ich den Himmel sehn, der durch ein Wetterleuchten hin und wieder seine bizarren Wolkenformen zeigte. Weiter draußen schien sich ein Sturm zusammenzubrauen. Ein starker Wind kam vom Meer her, das Rauschen der Wellen übertönte die gellenden Schreie der letzten Möwen. Als ich den Kai erreichte, konnte ich die weiße Gischt über die Mauer schwappen sehen. Schatten? Bald würde es regnen, kein Zweifel.
Endlich erreichte ich das Lagerhaus. Ich schob zwei lose Bretter einer Außenwand beiseite und zwängte mich hindurch, hinein ins Innere. Es dauerte eine Weile bis sich meine Augen an die komplette Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann erkannte ich, dass es zwei Stockwerke gab. Hier unten war es leer, nur Staub und Spinnenweben. Die Luft war muffig und schwer. Eine Leiter führte durch eine Luke nach oben. Sie machte einen reichlich morschen Eindruck.
Oben angelangt, sah mich um. Das passte mir schon besser. In einer Ecke war Stroh aufgetürmt. Wer weiß wie lange es dort schon lag? Etwas angewidert verzog ich mein Gesicht und tastete wiederwillig das Stroh ab. Wenn es bereits faulte, konnte ich ebenso draußen nächtigen, doch es war trocken. Ich zog mich aus, hängte meine Sachen über einen tief hängenden Dachbalken und leerte ich meine Tasche aus, um die Dinge darin ebenfalls trocknen lassen zu können. Die Streichhölzer waren aufgeweicht. Benutzen konnte ich sie auf keinen Fall mehr. Ich verteilte Becher, Kerzen und sonstige Utensilien auf dem Boden. Meinen kleinen Enterhaken mit dem Seil daran und meinen Dolch versuchte ich mit Stroh trockenzuwischen, damit der Rost nicht so leichtes Spiel haben würde. Die Decke wrang ich aus und hängte sie neben meinen Umhang. Na toll…hoffentlich trocknete alles über Nacht ein wenig. Schlaf konnte ich mir nicht leisten; nicht diese Nacht, in der die Marine die Stadt durchkämmte.
Halbnackt bedeckte ich mich mit den harten Halmen. Überall piekten sie mir in die Haut. Dann griff ich erneut in die Tasche meines Umhangs. Meine Finger schlossen sich um einen harten, rauen Gegenstand. Gespannt, aber mit einem gewissen Maß an Vorsicht und zugegeben auch ein wenig Angst barg ich eine längliche, steinerne Figur. Es war sehr dunkel in dem Lagerhaus, auch von draußen drang kaum Licht herein. Die Wolken verdunkelten den Mond. Eine Kerze konnte ich auch nicht entzünden; die Streichhölzer waren ja zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich hatte Mühe zu erkennen, was dieser Gegenstand darstellte. Er war hart, rau und unglaublich schwer. Vermutlich steinern. Aus welchem Gestein er gefertigt war, konnte ich unter den damaligen Umständen nicht sagen. Sorgfältig betastete ich ihn im Dunklen, ließ meine Finger über jede Einzelheit gleiten, immer und immer wieder. Schließlich konnte ich behaupten, dass es sich um eine Art Siegel handeln musste. Es bestand aus einem Zylinder, der nach oben in eine Vogelgestalt überging. Unter seinem Fuß war das eigentliche Siegel eingearbeitet. Mehr vermochte ich durch das bloße, sich ständig wiederholende Berühren und Abtasten nicht zu sagen. Wenn ich Glück hatte, würde ich am Tag einen unbeobachteten Ort finden. Bei Licht würde sich mit Sicherheit mehr erkennen lassen.
Inzwischen war draußen der Sturm losgegangen. Der Donner war ohrenbetäubend und die zuckenden Blitze schickten in unregelmäßigen Abständen gleißendes Licht durch die Fenster und die winzigen Spalte der Bretterwand. In den Pausen des Donners konnte ich das tosende Meer hören und den prasselnden Regen, der auf das Wasser, die Hafenmauern und die umliegenden Dächer klatschte. Ich legte mich tiefer in den Strohhaufen. Auch wenn ich nicht schlafen durfte, musste ich wenigstens ein bisschen ausruhen.
 
Liebe Leser,
dies sind die ersten 4-5 Seiten eines Romans, an dem ich mich versuche. Die Geschichte hat sich durchaus schon gut entwickelt, jedoch gefällt mir der Aufhänger nicht mehr so gut, wie anfangs noch... Vielleicht habt ihr ja einige Anregungen zur Änderung :)



Dämmerung legte sich über die Stadt. Für gewöhnlich verschwanden die Leute zu dieser Zeit in ihren Häusern bei ihren Familien, doch heute hatten sie etwas anderes vor. Heute war der Tag, auf den viele von ihnen schon lange gewartet hatten: die Hinrichtung des hiesig berüchtigten Piratenkäpitäns Blace der Schatten.
Das Vergehen: gering, wenn ihr mich fragt, aber mich fragt ja keiner. Er hatte - nicht zum ersten Mal - eine Handelsflotte auf dem Weg in die Hauptstadt überfallen, wie die meisten Piraten das eben tun. Der Marine konnte er entkommen, seinem zweiten Maat allerdings nicht. Dieser feige Meuterer hatte ihn verraten und ihn in einem Hinterhalt der Marine ausgeliefert und dafür eine stattliche Belohnung und einen Kaperbrief erhalten. Frustrierend, wenn man sich nicht auf die eigenen Männer verlassen kann; ein Guter Grund, allein zu operieren.
Auf dem Marktplatz war das Schafott schon aufgebaut. Es schien bald zu beginnen, denn die Gaukler hatten gerade ihre Vorstellung beendet und immer mehr Zuschauer strömten ein. Vor allem die besser betuchten der Bevölkerung: Adel in jeglicher Form, Priester, die grundsätzlich alles verteufelten, das anders lebte als sie, Patrizier und Fernhandelsmänner, Baumeister und Söldner.
Ich hielt mich bedeckt und Ausschau nach den Ratsherren. Wenn ich mich geschickt anstellte, könnte an diesem Abend noch etwas für mich herausspringen. Jedoch ließ sich im Moment noch niemand von der Obrigkeit blicken. Vorsichtshalber blieb ich nah der Tribüne, denn dort würden sich die Wohlhabenden während des Spektakels niederlassen. Jetzt mussten sie nur noch erscheinen. Viele Leute hatten Steine und überreife Tomaten in ihren Manteltaschen. Dies diente der Tradition, den Verurteilten zu demütigen. Als wären die Kerle nicht schon gedemütigt genug. Feige und respektlos. Armer Blace…ein wenig Mitleid verspürte ich, dennoch überwog mein Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber den Dummheiten anderer. Er schien mir immer recht sympathisch zu sein, nach allem, was mir von ihm zu Ohren gekommen war. Mutiger, ehrenwerter Mann – in gewissen Kreisen. Schade, dass er zu viel Vertrauen in die Menschen setzte. Für gewöhnlich kann man ja aus seinen Fehlern lernen; ich schätze in Blace’s Fall ist es dafür etwas zu spät. Ah, mon ami, c‘est la vie! Einmal muss jeder gehen und die Besten meistens zu früh.
Langsam, aber sicher wurde ich unruhig. Wo blieben die feinen Herrschaften? Und warum dauerte das so lange? Die Hinrichtung hätte doch längst beginnen müssen. Nicht einmal der Meister Hans, wie der Henker von Unterweltlern liebevoll genannt wurde, war zu sehen. Irgendetwas lief hier gewaltig schief. Inzwischen war es fast stockdunkel und die Fackeln, die auf dem ganzen Platz verteilt aufgestellt waren, erhellten die Umgebung nur spärlich. Aufmerksam blickte ich mich um. Es war nichts Auffälliges zu entdecken, außer…
Ein Mann wühlte sich durch die Menge und kam genau auf mich zu. Unauffällig für die meisten Menschen, doch mir fiel er sofort ins Auge. Über seinen Kopf hatte er eine Kapuze gezogen, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war. Er schien es unheimlich eilig zu haben. Seine Bewegungen waren schnell und wendig und bei jedem seiner Schritte war ein leises, hohles Klappern zu hören. Nun war er nur noch gute fünf Meter von mir entfernt. Erst jetzt konnte ich erkennen, dass er eine Hand unter seinem Mantel verborgen hatte. Einige Leute drehten sich nach ihm um, weil er gegen sie stieß, würdigten ihn jedoch keinen genaueren Blickes. Als er mich erreichte, rempelte er mich ebenfalls an. Hätte ich ihn nicht kommen sehen, wäre ich vielleicht ins Straucheln geraten. Ich sah ihn gerade noch hinter der Tribüne verschwinden, da bemerkte ich etwas Schweres in meiner Manteltasche, das sich vorher ganz bestimmt nicht dort befunden hatte. Na toll, jetzt zog mich diese komische Gestalt auch noch in ihre Angelegenheiten hinein!
Neugier ist eine der Eigenschaften, die ich an Menschen verachte; eine Schwäche, die einen nur in Schwierigkeiten bringt, der ich jedoch soeben gegen meinen Willen selbst erlegen war. Vorsichtig ließ ich meine Hand in besagte Tasche gleiten. Sofort schnellte ich zurück. Die Marine war auf der anderen Seite der Tribüne aufgetaucht. Ich musste schleunigst verschwinden. Die Frage war, wohin? Ich musste Ruhe bewahren. Das schlimmste, was ich jetzt tun konnte, war durchzudrehen und die Nerven zu verlieren. Das war eigentlich nicht meine Art, aber bei einem ganzen Heer der Marine bekam selbst ich Schweißausbrüche. Mein Gesicht war in der Gegend nicht unbekannt, ein Zeichen dafür, dass ich schon zu lange hier verweilte.
Die einzigen Vorteile, die ich hatte, waren zum einen die Dunkelheit und zum anderen meine Fähigkeiten. Eile war geboten, ich brauchte einen Ort, an dem ich mich, wenigstens vorübergehend, verstecken konnte. Hastig blickte ich mich um und hechtete schließlich in die Richtung, in die der Vermummte kurz zuvor geeilt war. Ob dies eine kluge Entscheidung war, würde sich zeigen. Hier war es dunkel; das Licht der Fackeln konnte diese Gasse nicht mehr erreichen. Ich huschte an den Türen der Häuser vorbei. Zu keiner Zeit dachte ich jedoch daran, mich in einem von ihnen zu verstecken. Dann hätte die Marine leichtes Spiel gehabt und sie mussten mich zweifellos bemerkt haben. Schon bald erreichte ich einen Übergang. Darunter floss ein Kanal, der in den Häusern zu beiden Seiten verschwand. Einer der wenigen Kanäle, die kein Abwasser führten. Hinter mir hallten die Schritte der Soldaten. Leise ließ ich mich ins Wasser hinab gleiten. Die Kälte kroch mir sogleich in die Glieder, aber ich hatte keine Wahl. Ich schwamm unter die Brücke und achtete dabei penibel darauf, im Kernschatten zu treiben, denn dem Schein der Fackelträger konnte ich mich dort am besten entziehen. Im Wasser waberten merkwürdige Schatten. Sie rührten wohl von den vorbeiziehenden Lichtern her. Über mir donnerten die eisernen Stiefel, unter mir gluckerte das eisige Wasser. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, waren auch die letzten Schritte der Soldaten in der Ferne verklungen.
Ächzend hievte ich mich aus dem Kanal. Ich zitterte. Meine Klamotten waren schwer und hinterließen überall auf dem Boden große Pfützen. Das gefiel mir überhaupt nicht; in zweierlei Hinsicht. Auf diese Weise hinterließ ich Spuren. Wenn auch nur für gewisse Zeit. Und ich riskierte meine Gesundheit. Zwar war es nicht besonders kalt, doch die ganze Nacht klitschnass zu verbringen, konnte einfach nicht gesund sein und was ich mir am wenigsten leisten konnte war eine Grippe oder sonstiges durch Unterkühlung hervorgerufenes Übel. Das würde mich für Wochen außer Gefecht setzen, mir vielleicht sogar den Tod bringen.
Für diese Nacht musste ich mir unter allen Umständen ein trockenes und ungestörtes Quartier suchen und ich hatte auch schon ein geeignetes Gebäude im Sinn. Direkt am Hafen stand ein altes Lagerhaus. Es wurde von niemandem genutzt. Irgendein Kaufmann zahlte Steuern und das alles. Wozu, wusste ich auch nicht, schließlich brachte es ihm Nichts ein. Er vermietete es nicht einmal an Krämer. Umso besser für mich. Hier würde ich die ganze Nacht lang meine Ruhe haben.
Ich begab mich also in Richtung Hafen, wobei ich einen großen Bogen um Menschensammelorte, wie Gasthäuser und Pubs, schlug. Auf dem Weg fiel mir wieder der Vermummte ein, der mir diese Misere erst eingebrockt hatte und ich griff unwillkürlich an meine Tasche. Es war noch immer da und noch immer wusste ich nicht, was es war. Ich bog um eine Hausecke. Prompt schlug mir ein salziger, leicht fischiger Geruch entgegen. Zudem roch es nach modrigem Holz und rostigen Eisenketten. Die Straße, auf der ich lief, führte geradewegs zum Hafen. An ihrem Ende konnte ich den Himmel sehn, der durch ein Wetterleuchten hin und wieder seine bizarren Wolkenformen zeigte. Weiter draußen schien sich ein Sturm zusammenzubrauen. Ein starker Wind kam vom Meer her, das Rauschen der Wellen übertönte die gellenden Schreie der letzten Möwen. Als ich den Kai erreichte, konnte ich die weiße Gischt über die Mauer schwappen sehen. Schatten? Bald würde es regnen, kein Zweifel.
Endlich erreichte ich das Lagerhaus. Ich schob zwei lose Bretter einer Außenwand beiseite und zwängte mich hindurch, hinein ins Innere. Es dauerte eine Weile bis sich meine Augen an die komplette Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann erkannte ich, dass es zwei Stockwerke gab. Hier unten war es leer, nur Staub und Spinnenweben. Die Luft war muffig und schwer. Eine Leiter führte durch eine Luke nach oben. Sie machte einen reichlich morschen Eindruck.
Oben angelangt, sah mich um. Das passte mir schon besser. In einer Ecke war Stroh aufgetürmt. Wer weiß wie lange es dort schon lag? Etwas angewidert verzog ich mein Gesicht und tastete wiederwillig das Stroh ab. Wenn es bereits faulte, konnte ich ebenso draußen nächtigen, doch es war trocken. Ich zog mich aus, hängte meine Sachen über einen tief hängenden Dachbalken und leerte ich meine Tasche aus, um die Dinge darin ebenfalls trocknen lassen zu können. Die Streichhölzer waren aufgeweicht. Benutzen konnte ich sie auf keinen Fall mehr. Ich verteilte Becher, Kerzen und sonstige Utensilien auf dem Boden. Meinen kleinen Enterhaken mit dem Seil daran und meinen Dolch versuchte ich mit Stroh trockenzuwischen, damit der Rost nicht so leichtes Spiel haben würde. Die Decke wrang ich aus und hängte sie neben meinen Umhang. Na toll…hoffentlich trocknete alles über Nacht ein wenig. Schlaf konnte ich mir nicht leisten; nicht diese Nacht, in der die Marine die Stadt durchkämmte.
Halbnackt bedeckte ich mich mit den harten Halmen. Überall piekten sie mir in die Haut. Dann griff ich erneut in die Tasche meines Umhangs. Meine Finger schlossen sich um einen harten, rauen Gegenstand. Gespannt, aber mit einem gewissen Maß an Vorsicht und zugegeben auch ein wenig Angst barg ich eine längliche, steinerne Figur. Es war sehr dunkel in dem Lagerhaus, auch von draußen drang kaum Licht herein. Die Wolken verdunkelten den Mond. Eine Kerze konnte ich auch nicht entzünden; die Streichhölzer waren ja zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich hatte Mühe zu erkennen, was dieser Gegenstand darstellte. Er war hart, rau und unglaublich schwer. Vermutlich steinern. Aus welchem Gestein er gefertigt war, konnte ich unter den damaligen Umständen nicht sagen. Sorgfältig betastete ich ihn im Dunklen, ließ meine Finger über jede Einzelheit gleiten, immer und immer wieder. Schließlich konnte ich behaupten, dass es sich um eine Art Siegel handeln musste. Es bestand aus einem Zylinder, der nach oben in eine Vogelgestalt überging. Unter seinem Fuß war das eigentliche Siegel eingearbeitet. Mehr vermochte ich durch das bloße, sich ständig wiederholende Berühren und Abtasten nicht zu sagen. Wenn ich Glück hatte, würde ich am Tag einen unbeobachteten Ort finden. Bei Licht würde sich mit Sicherheit mehr erkennen lassen.
Inzwischen war draußen der Sturm losgegangen. Der Donner war ohrenbetäubend und die zuckenden Blitze schickten in unregelmäßigen Abständen gleißendes Licht durch die Fenster und die winzigen Spalte der Bretterwand. In den Pausen des Donners konnte ich das tosende Meer hören und den prasselnden Regen, der auf das Wasser, die Hafenmauern und die umliegenden Dächer klatschte. Ich legte mich tiefer in den Strohhaufen. Auch wenn ich nicht schlafen durfte, musste ich wenigstens ein bisschen ausruhen.
 
Liebe Leser,
dies sind die ersten 4-5 Seiten eines Romans, an dem ich mich versuche. Die Geschichte hat sich durchaus schon gut entwickelt, jedoch gefällt mir der Aufhänger nicht mehr so gut, wie anfangs noch... Vielleicht habt ihr ja einige Anregungen zur Änderung :)



Dämmerung legte sich über die Stadt. Für gewöhnlich verschwanden die Leute zu dieser Zeit in ihren Häusern bei ihren Familien, doch heute hatten sie etwas anderes vor. Heute war der Tag, auf den viele von ihnen schon lange gewartet hatten: die Hinrichtung des hiesig berüchtigten Piratenkäpitäns Blace der Schatten.
Das Vergehen: gering, wenn ihr mich fragt, aber mich fragt ja keiner. Er hatte - nicht zum ersten Mal - eine Handelsflotte auf dem Weg in die Hauptstadt überfallen, wie die meisten Piraten das eben tun. Der Marine konnte er entkommen, seinem zweiten Maat allerdings nicht. Dieser feige Meuterer hatte ihn verraten und ihn in einem Hinterhalt der Marine ausgeliefert und dafür eine stattliche Belohnung und einen Kaperbrief erhalten. Frustrierend, wenn man sich nicht auf die eigenen Männer verlassen kann; ein Guter Grund, allein zu operieren.
Auf dem Marktplatz war das Schafott schon aufgebaut. Es schien bald zu beginnen, denn die Gaukler hatten gerade ihre Vorstellung beendet und immer mehr Zuschauer strömten ein. Vor allem die besser betuchten der Bevölkerung: Adel in jeglicher Form, Priester, die grundsätzlich alles verteufelten, das anders lebte als sie, Patrizier und Fernhandelsmänner, Baumeister und Söldner.
Ich hielt mich bedeckt und Ausschau nach den Ratsherren. Wenn ich mich geschickt anstellte, könnte an diesem Abend noch etwas für mich herausspringen. Jedoch ließ sich im Moment noch niemand von der Obrigkeit blicken. Vorsichtshalber blieb ich nah der Tribüne, denn dort würden sich die Wohlhabenden während des Spektakels niederlassen. Jetzt mussten sie nur noch erscheinen. Viele Leute hatten Steine und überreife Tomaten in ihren Manteltaschen. Dies diente der Tradition, den Verurteilten zu demütigen. Als wären die Kerle nicht schon gedemütigt genug. Feige und respektlos. Armer Blace…ein wenig Mitleid verspürte ich, dennoch überwog mein Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber den Dummheiten anderer. Er schien mir immer recht sympathisch zu sein, nach allem, was mir von ihm zu Ohren gekommen war. Mutiger, ehrenwerter Mann – in gewissen Kreisen. Schade, dass er zu viel Vertrauen in die Menschen setzte. Für gewöhnlich kann man ja aus seinen Fehlern lernen; ich schätze in Blace’s Fall ist es dafür etwas zu spät. Ah, mon ami, c‘est la vie! Einmal muss jeder gehen und die Besten meistens zu früh.
Langsam, aber sicher wurde ich unruhig. Wo blieben die feinen Herrschaften? Und warum dauerte das so lange? Die Hinrichtung hätte doch längst beginnen müssen. Nicht einmal der Meister Hans, wie der Henker von Unterweltlern liebevoll genannt wurde, war zu sehen. Irgendetwas lief hier gewaltig schief. Inzwischen war es fast stockdunkel und die Fackeln, die auf dem ganzen Platz verteilt aufgestellt waren, erhellten die Umgebung nur spärlich. Aufmerksam blickte ich mich um. Es war nichts Auffälliges zu entdecken, außer…
Ein Mann wühlte sich durch die Menge und kam genau auf mich zu. Unauffällig für die meisten Menschen, doch mir fiel er sofort ins Auge. Über seinen Kopf hatte er eine Kapuze gezogen, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war. Er schien es unheimlich eilig zu haben. Seine Bewegungen waren schnell und wendig und bei jedem seiner Schritte war ein leises, hohles Klappern zu hören. Nun war er nur noch gute fünf Meter von mir entfernt. Erst jetzt konnte ich erkennen, dass er eine Hand unter seinem Mantel verborgen hatte. Einige Leute drehten sich nach ihm um, weil er gegen sie stieß, würdigten ihn jedoch keinen genaueren Blickes. Als er mich erreichte, rempelte er mich ebenfalls an. Hätte ich ihn nicht kommen sehen, wäre ich vielleicht ins Straucheln geraten. Ich sah ihn gerade noch hinter der Tribüne verschwinden, da bemerkte ich etwas Schweres in meiner Manteltasche, das sich vorher ganz bestimmt nicht dort befunden hatte. Na toll, jetzt zog mich diese komische Gestalt auch noch in ihre Angelegenheiten hinein!
Neugier ist eine der Eigenschaften, die ich an Menschen verachte; eine Schwäche, die einen nur in Schwierigkeiten bringt, der ich jedoch soeben gegen meinen Willen selbst erlegen war. Vorsichtig ließ ich meine Hand in besagte Tasche gleiten. Sofort schnellte ich zurück. Die Marine war auf der anderen Seite der Tribüne aufgetaucht. Ich musste schleunigst verschwinden. Die Frage war, wohin? Ich musste Ruhe bewahren. Das schlimmste, was ich jetzt tun konnte, war durchzudrehen und die Nerven zu verlieren. Das war eigentlich nicht meine Art, aber bei einem ganzen Heer der Marine bekam selbst ich Schweißausbrüche. Mein Gesicht war in der Gegend nicht unbekannt, ein Zeichen dafür, dass ich schon zu lange hier verweilte.
Die einzigen Vorteile, die ich hatte, waren zum einen die Dunkelheit und zum anderen meine Fähigkeiten. Eile war geboten, ich brauchte einen Ort, an dem ich mich, wenigstens vorübergehend, verstecken konnte. Hastig blickte ich mich um und hechtete schließlich in die Richtung, in die der Vermummte kurz zuvor geeilt war. Ob dies eine kluge Entscheidung war, würde sich zeigen. Hier war es dunkel; das Licht der Fackeln konnte diese Gasse nicht mehr erreichen. Ich huschte an den Türen der Häuser vorbei. Zu keiner Zeit dachte ich jedoch daran, mich in einem von ihnen zu verstecken. Dann hätte die Marine leichtes Spiel gehabt und sie mussten mich zweifellos bemerkt haben. Schon bald erreichte ich einen Übergang. Darunter floss ein Kanal, der in den Häusern zu beiden Seiten verschwand. Einer der wenigen Kanäle, die kein Abwasser führten. Hinter mir hallten die Schritte der Soldaten. Leise ließ ich mich ins Wasser hinab gleiten. Die Kälte kroch mir sogleich in die Glieder, aber ich hatte keine Wahl. Ich schwamm unter die Brücke und achtete dabei penibel darauf, im Kernschatten zu treiben, denn dem Schein der Fackelträger konnte ich mich dort am besten entziehen. Im Wasser waberten merkwürdige Schatten. Sie rührten wohl von den vorbeiziehenden Lichtern her. Über mir donnerten die eisernen Stiefel, unter mir gluckerte das eisige Wasser. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, waren auch die letzten Schritte der Soldaten in der Ferne verklungen.
Ächzend hievte ich mich aus dem Kanal. Ich zitterte. Meine Klamotten waren schwer und hinterließen überall auf dem Boden große Pfützen. Das gefiel mir überhaupt nicht; in zweierlei Hinsicht. Auf diese Weise hinterließ ich Spuren. Wenn auch nur für gewisse Zeit. Und ich riskierte meine Gesundheit. Zwar war es nicht besonders kalt, doch die ganze Nacht klitschnass zu verbringen, konnte einfach nicht gesund sein und was ich mir am wenigsten leisten konnte war eine Grippe oder sonstiges durch Unterkühlung hervorgerufenes Übel. Das würde mich für Wochen außer Gefecht setzen, mir vielleicht sogar den Tod bringen.
Für diese Nacht musste ich mir unter allen Umständen ein trockenes und ungestörtes Quartier suchen und ich hatte auch schon ein geeignetes Gebäude im Sinn. Direkt am Hafen stand ein altes Lagerhaus. Es wurde von niemandem genutzt. Irgendein Kaufmann zahlte Steuern und das alles. Wozu, wusste ich auch nicht, schließlich brachte es ihm Nichts ein. Er vermietete es nicht einmal an Krämer. Umso besser für mich. Hier würde ich die ganze Nacht lang meine Ruhe haben.
Ich begab mich also in Richtung Hafen, wobei ich einen großen Bogen um Menschensammelorte, wie Gasthäuser und Pubs, schlug. Auf dem Weg fiel mir wieder der Vermummte ein, der mir diese Misere erst eingebrockt hatte und ich griff unwillkürlich an meine Tasche. Es war noch immer da und noch immer wusste ich nicht, was es war. Ich bog um eine Hausecke. Prompt schlug mir ein salziger, leicht fischiger Geruch entgegen. Zudem roch es nach modrigem Holz und rostigen Eisenketten. Die Straße, auf der ich lief, führte geradewegs zum Hafen. An ihrem Ende konnte ich den Himmel sehn, der durch ein Wetterleuchten hin und wieder seine bizarren Wolkenformen zeigte. Weiter draußen schien sich ein Sturm zusammenzubrauen. Ein starker Wind kam vom Meer her, das Rauschen der Wellen übertönte die gellenden Schreie der letzten Möwen. Als ich den Kai erreichte, konnte ich die weiße Gischt über die Mauer schwappen sehen. Schatten? Bald würde es regnen, kein Zweifel.
Endlich erreichte ich das Lagerhaus. Ich schob zwei lose Bretter einer Außenwand beiseite und zwängte mich hindurch, hinein ins Innere. Es dauerte eine Weile bis sich meine Augen an die komplette Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann erkannte ich, dass es zwei Stockwerke gab. Hier unten war es leer, nur Staub und Spinnenweben. Die Luft war muffig und schwer. Eine Leiter führte durch eine Luke nach oben. Sie machte einen reichlich morschen Eindruck.
Oben angelangt, sah mich um. Das passte mir schon besser. In einer Ecke war Stroh aufgetürmt. Wer weiß wie lange es dort schon lag? Etwas angewidert verzog ich mein Gesicht und tastete wiederwillig das Stroh ab. Wenn es bereits faulte, konnte ich ebenso draußen nächtigen, doch es war trocken. Ich zog mich aus, hängte meine Sachen über einen tief hängenden Dachbalken und leerte ich meine Tasche aus, um die Dinge darin ebenfalls trocknen lassen zu können. Die Streichhölzer waren aufgeweicht. Benutzen konnte ich sie auf keinen Fall mehr. Ich verteilte Becher, Kerzen und sonstige Utensilien auf dem Boden. Meinen kleinen Enterhaken mit dem Seil daran und meinen Dolch versuchte ich mit Stroh trockenzuwischen, damit der Rost nicht so leichtes Spiel haben würde. Die Decke wrang ich aus und hängte sie neben meinen Umhang. Na toll…hoffentlich trocknete alles über Nacht ein wenig. Schlaf konnte ich mir nicht leisten; nicht diese Nacht, in der die Marine die Stadt durchkämmte.
Halbnackt bedeckte ich mich mit den harten Halmen. Überall piekten sie mir in die Haut. Dann griff ich erneut in die Tasche meines Umhangs. Meine Finger schlossen sich um einen harten, rauen Gegenstand. Gespannt, aber mit einem gewissen Maß an Vorsicht und zugegeben auch ein wenig Angst barg ich eine längliche, steinerne Figur. Es war sehr dunkel in dem Lagerhaus, auch von draußen drang kaum Licht herein. Die Wolken verdunkelten den Mond. Eine Kerze konnte ich auch nicht entzünden; die Streichhölzer waren ja zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich hatte Mühe zu erkennen, was dieser Gegenstand darstellte. Er war hart, rau und unglaublich schwer. Vermutlich steinern. Aus welchem Gestein er gefertigt war, konnte ich unter den damaligen Umständen nicht sagen. Sorgfältig betastete ich ihn im Dunklen, ließ meine Finger über jede Einzelheit gleiten, immer und immer wieder. Schließlich konnte ich behaupten, dass es sich um eine Art Siegel handeln musste. Es bestand aus einem Zylinder, der nach oben in eine Vogelgestalt überging. Unter seinem Fuß war das eigentliche Siegel eingearbeitet. Mehr vermochte ich durch das bloße, sich ständig wiederholende Berühren und Abtasten nicht zu sagen. Wenn ich Glück hatte, würde ich am Tag einen unbeobachteten Ort finden. Bei Licht würde sich mit Sicherheit mehr erkennen lassen.
Inzwischen war draußen der Sturm losgegangen. Der Donner war ohrenbetäubend und die zuckenden Blitze schickten in unregelmäßigen Abständen gleißendes Licht durch die Fenster und die winzigen Spalte der Bretterwand. In den Pausen des Donners konnte ich das tosende Meer hören und den prasselnden Regen, der auf das Wasser, die Hafenmauern und die umliegenden Dächer klatschte. Ich legte mich tiefer in den Strohhaufen. Auch wenn ich nicht schlafen durfte, musste ich wenigstens ein bisschen ausruhen.
 



 
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