Im Kakodrom

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XRay

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Im Kakodrom
oder
Wandernde Haufen

Ich sah den grünen Beutel sofort.
Um zum Fürstenberg zu gelangen musste ich ein Stück auf dieser Strasse gehen, die für die Hunde und Hundebesitzer von X. so etwas wie die Croisette in Cannes ist.
Das Säckchen lag verknotet auf dem Radweg neben dem Bürgersteig. 20 m weiter vorn stand ein Laternenmast, an dem eine grüne Box mit der Aufschrift „Hu-Klo“ befestigt war. Dort gab es kostenlos Plastikbeutel zum Aufsammeln der Hundehaufen.
Ich ärgerte mich.
Wie leicht konnte ein Radfahrer darüber fahren und vielleicht ins Schleudern kommen. Oder das Ding platzte auf.
Ich nahm das Bündel und legte es auf den Rasenstreifen neben dem Bürgersteig.
Auf dem Rückweg vom „Berg“ begegnete mir Siegfried van H., ein alter Schulkamerad, der seinen Hund ausführte. Wir kamen ins Gespräch und ich erzählte ihm von dem Beutel, den ich auf der Straße gefunden hatte.
„Hoffentlich hat dich meine Frau nicht dabei beobachtet, als du den da hingelegt hast; wir wohnen ja da unten. Mindestens zwei- bis dreimal pro Woche schmeisst sie einen weggeworfenen Kacksack in die Mülltonne. Da ist mehr Scheiße von fremden Hunden drin als von unserem eigenen.“
„Falls sie mich gesehen hat, sag ihr bitte, warum ich das gemacht habe. Ich selbst hab´ ja gar keinen Hund.“
„Werd´ ich machen!“
Als ich zu dem Laternenmast mit dem „Hu-Klo“ zurück kam, lag das Ding wieder auf dem Radweg. Ich warf einen forschenden Blick hinüber auf das Haus von Siegfried. Ich sah niemand, fühlte ich mich aber trotzdem beobachtet, als ich zum „Hu-Klo" ging, ein Stück von der Rolle abriss und den vollen Beutel von der Strasse hinein steckte. Der nächste Abfalleimer konnte nicht weit sein, ich schob ihn deshalb in meine Manteltasche ohne ihn zu verknoten. In der Hand herumtragen wollte ich ihn nicht, denn falls ich Bekannten begegnete sähe es doch merkwürdig aus, wenn ich ohne Hund aber mit einem Sack voller Köttel über die Strasse lief!
Von der „Croisette“ bog ich nach links in eine Seitenstraße, die am Friedhof entlang führt. Dort sah ich einige Schritte vor mir meinen Bruder, der seinen Nylo an der Leine hatte. Auf meinen Ruf hin wartete er und fragte:
„Willst du mir beim Tragen der Päckchen helfen?“
„?“
Er öffnete eine Jackentasche in der zwei grüne Plastiktütchen steckten.
„Nylo war zweimal brav heute.“
„Ich war auch schon brav heute!“
„?“
Ich zeigte ihm, was ich in meiner Manteltasche hatte.
„Wo hast du das denn her?“
„Gefunden.“
„?“
Ich erzählte ihm, wie es dazu gekommen war.
„Zeig mal her“.
Ich reichte ihm die beiden Säckchen. Er zog das verknotete am Zipfel halb aus der Hülle und betrachtete es mit einem diagnostischen Blick.
„Eine ordentliche Portion. Wahrscheinlich ein grosser Hund“ murmelte er.
Dann:
„Dieser Sack ist übrigens nicht neu. Die neuen sind viel dunkler in der Farbe und haben einen Stempel von der Stadt. Kann sein, dass der second-hand ist oder von Ebay. Manche waschen sie auch nach dem Leeren in der Waschmaschine: Vermeidung von Plastikmüll“.
Er gab mir das „Päckchen“ zurück, das ich wieder in die Tasche gleiten liess.
Zusammen gingen wir weiter am Friedhof entlang und unterhielten uns. Dabei fiel mir auf, dass mein Bruder, der aussen ging, immer die Spitze eines seiner Beutelchen kurz aus der Manteltasche zog wenn uns ein anderer Hundebesitzer begegnete. Dieser „antwortete" auf die gleiche Weise. Es war eine Geste ähnlich der, mit der Motorradfahrer durch leichtes Heben der Hand sich auf der Strasse grüßen.
Kurz vor dem Kreisverkehr, wo sich unsere Wege trennten, bat er mich, einen Moment Nylo zu übernehmen, weil er seine vollen Beutel im Mülleimer auf dem Friedhof entsorgen wollte.
Während ich wartete überholte mich eine Frau mit einem großen Hund, etwa in meinem Alter. Sie grüsste freundlich, blieb stehen und fragte, ob der Doktor krank sei. Ich erklärte ihr die Situation, und sie beugte sich zu Nylo hinunter und streichelte ihn.
„Warst du denn heute schon brav, Nylo?“
„Zweimal schon.“ sagte ich.
„Artus war auch schon brav heute“, antwortete sie und tätschelte ihren Mischling.
Dann erkundigte sie sich, ob ich öfters diese Runde ginge und erklärte mir genau die Strecke, die sie immer mit Artus lief.
„Immer rechts auf der Strasse da hinten,“ sie deutete zurück zur „Croisette“, „dann zum Parkplatz unten am Berg und wieder zurück.“
In diesem Moment kam mein Bruder vom Friedhof zurück und übernahm wieder seinen kleinen weißen Pudel.
Ich verabschiedete mich von ihm und ging über den Friedhof zurück nach Hause. Die Frau hatte ein Stück lang den gleichen Weg und so gingen wir zusammen.
Als wir an den Mülleimer kamen, zog ich den verknoteten hellgrünen Beutel aus der Hülle in meiner Tasche und warf ihn hinein. Die Hülle behielt ich, die konnte ich zu Hause noch für Abfälle verwenden.
Der Blick, den mir die Frau zuwarf, bevor wir weiter gingen, irritierte mich, und auch ihre offensichtliche Verlegenheit, als sie beim Abschied sagte: „Vielleicht treffen wir ja uns noch einmal wieder“ verstand ich nicht.
 



 
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