Im Kaufhaus

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Matula

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Neulich um die Mittagszeit erschien im Kaufhaus Ludwig Krempl ein Kunde, der sofort alle Aufmerksamkeit von dem gutsortierten Warenangebot abzog und auf die eigene Person lenkte. Er war von sehr dunkler, fast schwarzer Hautfarbe und nur mit einem grün-roten Bast-Rock bekleidet, der seine Vorderseite bedeckte, während das wohlgeformte Hinterteil wie Gott es schuf in den Raum ragte und die verwirrte Kundschaft auf Abstand hielt. An den Füßen trug er weder Socken noch Schuhe, aber Muschelketten und bunte Bänder um die Knöchel. Quer über der Brust hing ihm ein brauner Lederbeutel und im buschigen schwarzen Haar saß ein Reifen aus gelben Federn und blauen Steinen.

Trotz seiner Blöße und des Tierknochens, den er in der Nasenscheidewand trug, machte der Mann einen ganz und gar unbeschämten Eindruck. Da er groß und seine Haltung aufrecht war, blickte er über die Köpfe der Einkäufer hinweg und schien auch ihr Tuscheln nicht zu hören. In der Parfümerieabteilung blieb er stehen und betrachtete das Angebot. Die Verkäuferinnen zogen sich hinter einer Säule zurück, um ihn zu beobachten.

Er griff nach einer Palette mit Lidschatten, die zu Testzwecken zur Verfügung stand, nahm die Farben mit den Fingern aus, überlegte ein wenig und bestrich dann damit seine Wangen. Bestürzung trat in die Gesichter der Kunden, die sein Tun aus einigem Abstand verfolgten. "Jetzt wird er sich gleich den Hintern anmalen," sagte eine Frau zu ihrer Nachbarin, aber da hatte der fürchterliche Fremde schon einen Spiegel entdeckt, betrachtete wohlgefällig sein Konterfei und schmierte sich den Rest der Farben auf Stirn und Kinn.

Vor dem Verlassen der Abteilung entdeckte er die Parfumflaschen, die zum Ausprobieren auf einem Glasregal standen. Er wählte eine violette und berührte versehentlich den Sprühknopf. Der Duft schien ihm ganz und gar nicht zu gefallen, denn er ließ augenblicklich die Flasche fallen und verzog schmerzhaft das Gesicht. Niemand wagte, ihn auf die Scherben anzusprechen, weil der Filialleiter, Herr Ludwig Krempl junior, persönlich Weisung gegeben hatte, den Fremden gewähren zu lassen, so lange keine Person zu Schaden käme.

Sein nächster Weg führte ihn in die Spielzeugabteilung, wo ihm sofort die weißen Ponys mit den rosafarbenen Mähnen ins Auge stachen. Er hob eines hoch und ließ es durch die Luft galoppieren. Dabei schnalzte er mit der Zunge und wandte sich strahlend an die Traube von Zuschauern, die in einiger Entfernung hinter ihm stand. Man war erleichtert zu sehen, dass er Spielzeugpferde mochte. Noch besser aber gefielen ihm die Kinderkoffer, die es in allen Neonfarben gab, bedruckt mit Bienen, Marienkäfern und Micky Mäusen. Er untersuchte sie ausführlich, schüttelte sie und versuchte, sie aufzubrechen. Niemand wagte es, ihm den Verschlussmechanismus zu zeigen.

"Wahrscheinlich kommt er von den Andamanen," sagte eine Frau.
"Aber nein, der stammt aus Neu-Guinea. Das sieht man doch," erwiderte ein junger Mann.
"Tut mir leid, Sie irren sich beide. Das ist ein Yanomami aus dem Orinoco-Gebiet. Ich war dort letztes Jahr auf Urlaub," belehrte sie ein älterer Herr.
"Also ich tippe auf einen Aborigine aus dem Northern Territory," flüsterte eine Dame, "auf unserer Sightseeing Tour haben wir viele solche Typen gesehen."
Bei diesen Worten duckten sich die Zuschauer immer ein wenig, weil der schreckliche Fremde nun den Verschlussmechanismus durchschaut hatte und einen Koffer nach dem anderen mit wachsender Enttäuschung öffnete und krachend auf einen Stapel schmiss.

Endlich trat ein beherzter junger Verkäufer vor, nahm eines der Köfferchen und befüllte es eilig mit Wachsstiften, einem lustigen Federpennal, einer Jausen-Dose aus grünem Plastik und mehreren Moppel-Poppel-Wuscheltieren von den benachbarten Tischen. Dann klappte er es zu, ging in die Knie und drehte, das Köfferchen schlenkernd, eine Runde. Offenbar wollte er demonstrieren, dass der Behälter für Kinder gedacht war. Dem Fremden gefiel das sehr. Er schlug sich mit den Händen auf die Brust und lachte herzlich. Dann nahm er selbst einen Koffer und befüllte ihn mit dem gleichen Krimskrams. - Ein kurzer Rundblick sagte ihm, dass er nun alles gesehen und das Richtige eingepackt hatte.

Als er dem Ausgang zustrebte, wurden Stimmen laut, die riefen: "He! Und wer wird bezahlen!" und "Sie müssen erst zu den Kassen rechts!" und "Hiergeblieben! Das ist Diebstahl!"
"Lassen Sie nur," beruhigte der junge Verkäufer. "Es ist ein Geschenk des Hauses. Vielleicht ist er ja ein Stammeshäuptling und ein Gast unserer Regierung."
"Wenn ich mir vorstelle, wie alle diese Sachen in einem tropischen Regenwald vergammeln werden," sagte ein alter Herr neben mir, "ist das eigentlich schon recht traurig."
"Ich fürchte, ich weiß nicht genau, was Sie meinen," antwortete ich.
 
Hallo Matula,

was schreib ich denn jetzt politisch Korrektes dazu? ;)

Zum Handwerklichen: Die Geschichte ist richtig gut geschrieben, schon der erste Satz zieht den Leser hinein.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 

Matula

Mitglied
Guten Abend SilberneDelfine,

es freut mich sehr, dass Dir der Text gefallen hat!
Wahrscheinlich siehst Du so wie ich, wie der Kitsch in den Kaufhäusern blüht.

Herzliche Grüße,
Matula
 



 
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