Im Kerker

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Meine Tage sind grau und ereignislos; einer gleicht dem anderen. Dass die Zeit verrinnt, das weiß ich wohl, doch zwischen den dicken Mauern, die mich umschließen, lässt sich davon nicht das Geringste spüren.
Sie müssen mich für überaus gefährlich halten, denn es reicht ihnen nicht, mich der Freiheit zu berauben; sie wollen mich zerstören. Ich bin übrigens recht zuversichtlich, dass ihnen das auch gelingen wird, immerhin treiben sie einen beträchtlichen Aufwand, ihr Ziel zu erreichen. Allein wie sie es geschafft haben, die Wandöffnungen, die es nach meinem Dafürhalten früher einmal gegeben haben muss, mit exakt den gleichen Steinquadern zuzumauern, aus denen das Gebäude vor Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden, errichtet wurde, ist im Grunde genommen bewundernswert. Und dann der Lichtschacht, der so raffiniert konstruiert worden ist, dass ich nicht in ihn hineinschauen kann, obgleich Licht durch ihn hindurch und in meine Zelle hineinfällt. Es ist ein fahles, immer gleiches Licht, das mich kein bisschen Farbe erkennen lässt, und auch nicht, ob draußen Tag ist oder Nacht, Frühling, Sommer, Herbst oder Winter.

Mein Verlies ist fünfeckig. Fünf Wände, jede knapp zwei Meter breit und vielleicht vier Meter hoch. Ob diese eigenartige Anordnung etwas zu bedeuten hat, ich weiß es nicht, obwohl ich gewiss tausende Male darüber nachgedacht habe.
Selbst der Fußboden und die Decke sind aus diesen ungemein harten, grauen und absolut geometrisch geschnittenen Steinen zusammengefügt. Eine Tür oder ein Fenster gibt es nicht. Wie man mich hier hineingebracht hat, ist mir trotz der langen Zeit, die ich mich hier drin befinde, noch immer ein Rätsel. Ungezählte Male habe ich versucht, durch Klopfen herauszuhören, ob einer der Steine vielleicht ein wenig hohler klänge als die anderen, woraus ich dann auf das Vorhandensein eines verborgenen Durchlasses hätte schließen dürfen. Zu einem Ergebnis, das darauf verwiesen hätte, dass die Hoffnung, noch einmal den glühenden Sand der Wüste unter meinen Fußsohlen spüren zu dürfen, nicht völlig ungerechtfertigt wäre, bin ich bis heute nicht gelangt.
Die zierlichen, seltsam geformten Behälter, die den geschmacksfreien, nie seine Beschaffenheit verändernden klebrigen Brei enthalten, von dem ich mich gerade eben so am Leben halten kann, schieben sie in Abständen, die nicht die geringste Regelmäßigkeit erkennen lassen, durch ein, jedenfalls nehme ich das an, aus Bronze gefertigtes Rohr zu mir herein. Der Durchmesser dieser einzigen Verbindung nach draußen ist so gering, dass nicht einmal meine Hand hineinpasst.
Nicht einen Anhaltspunkt gibt es, der mich befähigte zu beurteilen, wie lange sie mich schon weggeschlossen haben. Ganz sicher haben sie ganz genau bedacht, was sie damit anrichten, mir jedweden Maßstab zu verweigern, der dazu dienen könnte, mit der Unermesslichkeit der Zeit, an der ich anfänglich glaubte, bald zugrunde gehen zu müssen, fertig zu werden. Da mir jedoch mittlerweile mein Bart beim Gehen im Wege ist, wandere ich die knappen drei Schritte von einer Wand zur anderen, gestatte ich mir die Mutmaßung, dass es sich um viele, sehr viele Jahre handeln muss.

Seit dem Tag, an dem sie meiner habhaft geworden waren, mich mit ihren Knüppeln geschlagen hatten, bis ich zu Boden gegangen war, und in bewusstlosem Zustand zwischen diesen Mauern abgelegt haben, war es mir nicht mehr vergönnt, mit irgendjemandem ein Wort zu wechseln. Es gibt nicht einmal Geräusche, die ich hören, keine Farben, die ich sehen, und keine Gegenstände, die ich berühren könnte. Außer mir selber ließen sie mir nichts, mit dem sich meine Sinne befassen könnten. In welcher Verfassung sich mein Verstand befinden mag, ist mir unklar, denn um das beurteilen zu können, fehlt mir jedweder Vergleich.

Trotzdem aber habe ich einen Weg gefunden, mich zu beschäftigen. Einen, den sie mir nicht verwehren können, denn sie wissen darüber nichts. Ich arbeite an einem Buch. Einem Buch, das nirgendwo sonst als in meinen Gedanken existiert. An dem Tag, an dem ich anfing, mich mit meinem Los abzufinden, hatte ich daran zu arbeiten begonnen. Heute muss ich zugeben, dass das Werk nicht nur überaus umfänglich ist, sondern bereits auch ein wenig ausufert. Jeden einzelnen seiner Buchstaben kenne ich, und jedes Satzzeichen, das es enthält. Die Figuren, Ereignisse und Landschaftsbeschreibungen, die ich mir ausgedacht habe, stehen mir mitunter so deutlich vor Augen, dass ich meine, sie empfinden, mich in ihnen bewegen oder mich mit ihnen unterhalten zu können.
Zuweilen geschieht es auch, dass ich es nicht mehr wage mich festzulegen, welche der beiden krass sich unterscheidenden Wirklichkeiten, in denen mein Leben sich zuträgt, die Eigentliche, die Wahre ist. Es mag sonderbar erscheinen, aber genau das sind die Momente, in denen ich sehr, sehr glücklich bin.
 

Klaus K.

Mitglied
Hallo Robert,

wo ist das? Ich habe hier drei Jahre wegen versuchten Bankraubs aufgebrummt bekommen. Jetzt gehe ich zum Krafttraining, danach zum Essen, heute nachmittag spielen wir Poker und am Abend gibt's Fußball im Fernsehen. Und mein Kumpel von nebenan macht gerade sein Fachabitur nach. Mit Gruß, klaus k.

P.S.: Die Lösung für ihn in der Ausweglosigkeit seiner Situation - ohne weitere Details zu erwähnen - ist überzeugend nachvollziehbar!
 



 
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