Hey!
Ich habe ja einige Male in früheren Rügenrabentexten die gar schauerlichen Wortumstellungen kritisiert - nomenklatorisch etwas ungenau habe ich da von "Inversionen" gesprochen - das würde ich nicht machen, wenn ich mit einem Linguisten (oder linguistisch interessierten Menschen) rede.

Also um Diskussionen zu vermeiden, schreib ich im Folgenden nur von "Wortumstellungen".
Und an diesem Textbeispiel hier kann ich vielleicht nochmal klarmachen, welche Wortumstellungen ich im Deutschen für gruselig halte und welche durchaus völlig ok sind.
Gruselig sind i. A. im Deutschen Umstellungen (aus Gründen des Reims oder falsch verstandener "Poetisierung" der Sprache), bei denen das Subjekt und das konjugierte Verb in einem Hauptsatz komplett auseinander gerissen werden und das Verb von seiner üblichen Position (sogenannte V2-Position) entfernt wird. Oft wird so eine Umstellung für unproblematisch erklärt, weil im Deutschen doch so eine freie Stellung der Wörter möglich sei. Das ist aber nur bedingt richtig.
Tatsächlich herrscht im sogenannten Satzvorfeld (vereinfacht: Am Anfang eines Satzes) im Deutschen ziemlich viel Freiheit, so lange das konjugierte Verb sich an dieses Vorfeld anschließt (das ist genau diese V2-Position):
(1) Hans-Dieter trinkt gerne selbst angesetzten Eierlikör.
(2) Gerne trinkt Hans-Dieter selbst angesetzten Eierlikör.
(3) Selbst angesetzten Eierlikör trinkt Hans-Dieter gerne.
Wenn aber im Hauptsatz das Subjekt vom Verb dadurch getrennt wird, dass das Verb ans Satzende rückt, wird es schwierig (bedeutet: ist zwar schon irgendwie "erlaubt", aber doch sehr unschön und kann auch mal zu Missverständnissen führen). Das Problem verschärft sich dabei, je länger und komplexer der Hauptsatz ist. Als kurzen Einschub: in Nebensätzen sieht das alles nochmal anders aus

.
Also unschönes (und auch unpoetisches) Deutsch wäre:
Hans-Dieter selbst angesetzten Eierlikör gerne trinkt.
Hintergrund dieser Wortstellungsfreiheitsbeschränkung ist u. a., dass man in vielen Fällen die Positionierung des Verbs nach dem Satzvorfeld und die des Subjekts vor oder hinter dem Verb "braucht", um die Funktion der diversen Satzbestandteile erkennen zu können.
In dem letzten Satzbeispiel (4) ist etwa nicht mehr so eindeutig wie in den Beispielen (1)-(3), welche Funktion das "selbst" hat. Soll es "eigenhändig" bedeuten oder doch eher "sogar". In anderen Fällen kann es noch zu weit schlimmeren Mehr- und Fehldeutigkeiten kommen und der Sinngehalt von Sätzen einigermaßen kollabieren.
Daher sind das also Wortumstellungen, die insgesamt sehr unüblich sind und die daher "schräg" klingen, selbst dann, wenn sie im konkreten Beispiel nicht sinnentstellend sind.
In einem anderen Gedicht vom Rügenraben gab es entsprechend die (kritikwürdige) Wortumstellung:
Der Stein die Wellen bricht.
Hier ist das Verb von seiner V2 Stelle (nach dem Vorfeld) weggerückt und durch das Objekt vom Subjekt getrennt worden. Das ist schlechtes Yoda-Deutsch (und als solches allenfalls in humoristischen Texten zulässig). Einziges ein bisschen schuldminderndes Argument ist die relative Kürze des Satzes.
In diesem Gedicht hier gibt es z. B. die Wortumstellung:
Im Morgengraun der Tag erwacht
Auch hier ist das Verb etwas gegen die Üblichkeit von der V2-Position nach dem Satzvorfeld "Im Morgengraun" weggerückt worden, aber es tritt zumindest noch zusammen mit dem Subjekt (der Tag) auf. Außerdem ist der Satz auch wieder sehr kurz. Hier würde ich also sagen, dass die Umstellung zwar ein bisschen grenzlastig (besonders elegantes Deutsch ist es nicht), aber noch statthaft ist.
Und noch ein Beispiel für eine unproblematische Umstellung aus einem sehr bekannten Gedicht:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.
Hier ist die Umstellung im abhängigen Nebensatz erfolgt und der Hauptsatz "Ich weiß nicht" folgt völlig dem üblichen Aufbau. Da gibt es keine Probleme.
Und um beim selben Dichter zu bleiben:
Dort oben in dem Königssaal Belsazar hielt sein Königsmahl.
Hier ist das Verb "hielt" aus der V2-Stellung herausgerückt worden, da knirschts also schon im Gebälk der Wortstellung, aber es steht zumindest brav an der Seite des Subjekts "Belsazar" und vor allem: Es handelt sich hier um ein Gedicht, das durchaus
auch (obgleich nicht: ausschließlich) komische Elemente bedient, so dass auch etwas "schräge" Formulierungen zum klappernden Geschäft gehören dürfen.
In der Hoffnung, damit der Klarheit gedient zu haben.
LG!
S.