Im Münzwurf der Leidenschaften

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GerRey

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Der Alte war schon ziemlich angetrunken, als er das Wettbüro betrat. Er liebte die Anonymität “in diesem Münzwurf der Leidenschaften”, wie er es nannte. Auf dem Monitor wurde das nächste Fußballspiel angezeigt: Olympiakos Piräus gegen Panathinaikos. Er bestellte ein Bier, bezahlte es und wettete beim Buchmacher 175 Euro auf Sieg von Olympiakos. Das war sein letztes Geld.
Mit dem Bier in der Hand und dem Wettzettel in der Hosentasche setzte er sich an einen freien Tisch unter den Monitor; würde er gewinnen, hätte er 350 Euro, mit denen er sich noch bis in die Nacht hinein herumtreiben konnte.
Viel war nicht los; neben den üblichen Gestalten, die auch ihr Leben verwetten würden, befanden sich kaum Leute in dem Wettbüro. Auf dem Tisch neben ihm saß noch ein junger Mann, der sich auch für das Match zu interessieren schien. Das Spiel der beiden griechischen Mannschaften, das live übertragen wurde, begann unter den starken Schwaden von Nebelgranaten, und der Alte wie auch der Junge folgten interessiert dem rasanten Geschehen. Unter den griechischen Zuschauern im Stadion herrschte Bierzeltstimmung. Sie feierten ein Fußballfest und hofften auf einen Sieg ihrer Mannschaft. Rhythmisches Trommeln und Gesänge waren die ständige Geräuschkulisse, die kein Kommentator störte. Der Alte, der gegen alle Steifheit war, fand das überaus sympathisch. Nach zehn Minuten fiel das erste Tor - für Panathinaikos!
Am Tisch sitzend hatte er gerade einen Schluck Bier genommen. Nachdem er das Glas auf den Tisch zurückgestellt hatte, stieß er laut hervor:
“So eine Scheiße!”
Ungläubig starrte er auf den Monitor. Er hasste die Verliererseite der Münze, die sich ihm in letzter Zeit so oft gezeigt hatte.
“Auf Olympiakos Piräus gesetzt?” fragte der Junge neben ihm.
“Wahrscheinlich”, brummte der Alte.
“Ich nicht”, grinste der Junge überheblich zurück, und wollte damit sagen, dass er schlauer gewesen war und auf Panathinaikos gesetzt hatte.
Olympiakos rannte Angriff auf Angriff, um das Tor des Gegners auszugleichen, aber die Minuten verstrichen und es blieb weiterhin beim 0:1.
“Was bedeutet denn die Tätowierung?” fragte der Junge und zeigte auf die griechischen Buchstaben oberhalb des Handgelenks von dem Alten.
“Das” sagte der Alte, “das ist der Name einer Schlange, die mich vor kurzem gebissen hat.”
Für einen verwirrenden Moment erschien vor dem inneren Auge des Alten das Bild der jungen Frau, in die er sich verliebt hatte. Aber sie hatte von ihm nichts wissen wollen und ihn barsch abgewiesen. Zu Frühlingsbeginn, an einem kalten Morgen. In weiterer Folge hatte man ihn gezwungen, sein Leben zu verändern.
“Es scheint auch jetzt noch nicht besser zu werden”, meinte der Junge grinsend und deutete auf den Monitor.
“Leck mich”, presste der Alte zwischen den Zähnen hervor, mit einem wütenden Seitenblick auf den Jungen. Er war kurz davor, ihm eine zu knallen. Schließlich hob er das Glas vom Tisch und trank in einem Zug den Rest Bier aus, der sich noch darin befand. Dann stand er auf und ging hinaus, um in der anbrechenden Nacht zu verschwinden.
Panathinaikos gewann das Match mit 2:1 - aber diese Seite der Münze, die sich wieder gegen ihn gerichtet hatte, interessierte den Alten schon nicht mehr.
 

GerRey

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Das sind die Zutaten, die man zum Schreiben braucht. Lieber ein paar Tausender Verlust, ein bisschen Trauer und Bedauern um eine schöne Frau, eine kleine Schlägerei, wenn es sein muss - als fortwährender Stillstand und lähmende Eintönigkeit!

Gruß
GerRey
 



 
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