I'm not proud of my gay son

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Wieder Frühjahr und der Vater schon ein halbes Jahr tot. Manfred plante jetzt eine Kunstreise mit Max durch Franken. Der Freund schien sich neuerdings für sakrale Kunst zu interessieren - oder interessierte sich tatsächlich dafür. Im Juni hatte Max zehn Tage frei, er wollte mit der Ente von seiner kleinen Stadt bei Frankfurt herüberkommen. Als Standquartier fassten sie Haßfurt ins Auge. Von da wollten sie Ebrach, Maria Limbach, den Bamberger Dom ansteuern, und vielleicht auch Maria Bildhausen. Für Haßfurt selbst nahmen sie sich die Ritterkapelle vor und das frühere Kloster in den Wiesen, das jetzt eine Domäne war. Steuern, das heißt fahren würde Max. Manfred besaß nicht einmal einen Führerschein. Von ihm wurden sachkundige Kommentare erwartet, soweit sie sich mit Maxens Sicht der Welt vereinbaren ließen.

Zwei Monate vor dieser Reise besuchte Manfred die Mutter und erwähnte den Haßfurter Plan. Er könne vielleicht zwischendurch für einen halben Tag zu ihr kommen. Nun hätte sie sagen können: Bring den Max doch mit, oder sie hätte insoweit schweigen können. Es wäre ihm beides recht gewesen. Max war nur mäßig interessiert – sie hatten schon kurz darüber gesprochen -, immerhin war es vielleicht die letzte Gelegenheit für ihn, Manfreds Elternhaus noch kennenzulernen; das Grundstück stand bereits zum Verkauf.

Über das Thema aller Themen hatte er zu Hause nie gesprochen. Es war keines für seine Mutter. Der Puritanismus funktionierte bei ihr auch ohne religiöse Basis. Ihre Liebesromane standen dazu nicht im Widerspruch. Was sie gern las, waren sentimentale Werke über Geschöpfe ohne Unterleib. Sein eigener erotischer Lebenslauf hatte sich für sie wie hinter einem dichten Vorhang abgespielt, nur zuletzt war er vielleicht ein wenig durchscheinend geworden. Übrigens gab es im Fall von Max nichts zu entschleiern, weder Sexus noch Eros, nur Logos und die Gewohnheit. Aber er konnte doch nicht dementieren, was für sie gar nicht diskutabel war, und fühlte sich wie Christian aus Buddenbrooks, und die Mama wurde für einen Augenblick zur Konsulin: Assez, Christian, dieses interessiert uns durchaus nicht. Sie wusste, dass er schon häufiger Reisen mit Max unternommen hatte.

Erstaunlich, wie geistesgegenwärtig seine Mutter noch war: „Nein“, sagte sie sofort, „dann komme ich lieber für einen Tag zu dir nach Haßfurt, wenn du dort wieder allein bist.“ - Er sagte ihr, nach Maxens Abreise werde er selbst nach Thüringen fahren und von dort zurück nach Hamburg.

Weiter wurde über den Reiseplan nicht mehr gesprochen. Übersetzt hieß die mütterliche Botschaft: Bring ihn mir bloß nicht hierher. Lieber fahre ich nach Haßfurt, das mich, wie du wohl weißt, gar nicht interessiert. Aber auch dort wünsche ich ihn nicht zu sehen. – Und diese Reaktion schon beim harmlosen, abwesenden Max. Wie erst bei einem realen Liebhaber, der ihr leibhaftig präsentiert würde?
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Schnörkellose Darstellung einer "verstehenden" Mutter. Genauso ist es, genauso ist sie.
Der nüchterne Stil lässt den Schmerz des Sohnes noch mehr durchscheinen.

In meinen Augen gelungen!

LG DS
 
Danke, Doc, für die gute Meinung. Einen Eindruck von "Schmerz" zu vermitteln, war allerdings nicht des Autors Intention. Es ging um eine seltsame Art, wie nahe Verwandte über ein Tabuthema kommunizieren.

Vielleicht klingt der Titel schmerzlich? Er ist nur die ironische Negation eines Slogans, den anders geartete Mütter auf ihrem T-Shirt aufgedruckt bei Demonstrationen spazieren trugen. Man kann so ein Leibchen heute sogar im Internet kaufen, z.B. für Euro 26,95. Happiger Preis, finde ich.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

rothsten

Mitglied
Hallo Arno,

im Großen und Ganzen ist mir Dein Text zu sehr Beschreibung. Es klingt wie eine nüchterne Sachverhaltszusammenfassung mit einigen, schlauen Schlussfolgerungen.

Mach aus Manfred doch mal wirklich einen Schwulen, lass die Mutter sich vor Abscheu doch ihre Kleingeistigkeit aus dem Leib kotzen, als sie die beiden inflagranti erwischt, außerdem bekomme sie bald einen Enkel, ein Adoptiv-Baby aus Schwarzafrika ...

Und, und, und. Wenn Spießbürgertum stärker scheint als Mutterliebe - da ist doch soviel Knallgas drinne, Mensch!

Aber er konnte doch nicht dementieren, was für sie gar nicht diskutabel war, und fühlte sich [blue]wie Christian aus Buddenbrooks[/blue]
Aha, sehr lebhaft. Ich kann seine Qualen fühlen, als wären es die eigenen. *Ironie off*

Die Idee taugt, das ist der Stoff, aus dem große Geschichten gemacht sind - gemacht sein könnten. Wenn Du mich fragst: Aufriffeln, ran an den Webstuhl und neu machen. Du schaffst das! Viel Erfolg! ;-)

lg
 
A

aligaga

Gast
Die stille Grausamkeit, die im gezielten Nichthingucken liegt, kann tausendmal lauter und schrecklicher sein als jedes aufgedonnerte Melodram. Die Verständnislosigkeit, besser: Lieblosigkeit einer Mutter ihrem Sohn gegenüber lässt sich kaum noch subtiler ausdrücken, als du es hier tust, @Arno.

Schade, dass du den Lesern nicht zutraust, selbst zu erkennen, dass sich hier jemand schämt. Tipp: Ändere den Titel. Mach doch aus [blue]dem da[/blue] etwa ein "Walking in Haßfurt" - das fände ich dem Schmerz, der in diesem Stückchen ruht, angemessener als den überschriftlichen Nasenstüber. Den braucht's doch gar nicht.

Gruß

aligaga
 
Für die weiteren Meinungsäußerungen bedanke ich mich artig.

rothsten, du möchtest mir eine Erzählweise und -struktur nahelegen, die mir nicht gemäß ist und die ich auch als Leser fremder Texte nicht allzu sehr schätze. Nur so viel noch: Die hier nur aufscheinende Mutter-Sohn-Problematik wurde von mir bereits in größerem Rahmen abgehandelt und an anderem Ort publiziert. (Eigenreklame ist natürlich tabu.)

An aligaga: Mag schon sein, dass Titel und Textgestaltung nicht sehr gut zusammenpassen. Aber "Walking in Haßfurt" finde ich als Alternative auch nicht wirklich überzeugend. Außerdem glaube ich, eine Titeländerung würde hier bei der LL gar nicht so einfach zu machen sein.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Außerdem glaube ich, eine Titeländerung würde hier bei der LL gar nicht so einfach zu machen sein.
Hallo Arno,

Titeländerungen sind bei uns ganz einfach: Redakteur kontaktieren, um Änderung bitten - fertig.

Ich halte deinen Titel allerdings für gelungen - er ermöglicht von Anfang an einen Blick auf die handelnden Personen.

Grüße von Zeder
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
@Arno:
Einen Eindruck von "Schmerz" zu vermitteln, war allerdings nicht des Autors Intention. Es ging um eine seltsame Art, wie nahe Verwandte über ein Tabuthema kommunizieren.
Das war mir schon klar, die nüchterne Schreibweise verstärkt ja den Umgang der Mutter mit dem Thema noch. Allerdings schien für mich noch Schmerz des abgelehnten Sohnes durch. Macht ja nichts, wenn das von Dir nicht beabsichtigt war. :)


Wenn Du den Titel geändert haben möchtest, kein Problem, wie Zeder schon sagte.


@rothsten:
Mach aus Manfred doch mal wirklich einen Schwulen, lass die Mutter sich vor Abscheu doch ihre Kleingeistigkeit aus dem Leib kotzen, als sie die beiden inflagranti erwischt, außerdem bekomme sie bald einen Enkel, ein Adoptiv-Baby aus Schwarzafrika ...
Was jetzt "wirklich" ein Schwuler ist, wäre zu klären (?)... bei den von Dir angeführten "Beispielen" greifst Du tief in die Klischeekiste. Passt gar nicht!

LG Doc
 
Bei Zeder und Doc bedanke ich mich ausdrücklich für den nützlichen Hinweis, wie Titel geändert werden können. Dies kann ja schon dann notwendig werden, wenn man sich bei der Ersteingabe des Titels vertippt und es nicht rechtzeitig bemerkt hat. Ich habe da hier schon Seltsames gesehen ...

Nur noch an Doc wegen Schmerz-Problematik: Selbstverständlich hat jeder Leser das Recht, sich selbst ein eigenes Bild vom Text und dessen Hintergründen zu formen. Manchmal ist es klarer, zutreffender als dasjenige des Autors von seinem Stoff.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 
A

aligaga

Gast
Einen Eindruck von "Schmerz" zu vermitteln, war allerdings nicht des Autors Intention. Es ging um eine seltsame Art, wie nahe Verwandte über ein Tabuthema kommunizieren.
Welche - mitunter oft wechselnden - Intentionen ein Schriftsteller bei Abfassen eines Textes hatte (oder ob er überhaupt welche hatte), spielt für den Leser eigentlich nie eine Rolle, es sei denn, es handelte sich um Waschmaschinengebrauchsanweisungen, Schulbücher oder die zehn Gebote.

Der aufmerksame Leser ahnt hier jedenfalls den Schmerz eines Protagonisten, der erkennen muss, dass sich die Mutter seiner schämt oder ihn verachtet, und er ahnt die Angst der beiden, sich damit auseinanderzusetzen.

Weder die "Hilfestellung" im Titel noch der Hinweis auf die "Buddenbrooks" ist sinnvoll und notwendig. Die Überschrift (deren Doppelsinn wirklich niemand verstehen kann) verwehrt dem Leser, sich der Essenz des Stückes selbst zu nähern, und der Literaturhinweis, der die Mutter gleich miterklärt, tötet jede eigene Vorstellung, die bis dahin bei einem sensiblen Leser keimen mochte. Vielleicht sollte der Protagonist (wenn überhaupt) nur sagen, dass er sich seiner Mutter gegenüber oft fühlte wie Christian von den Buddenbrooks und es dabei belassen - wer damit nichts anfangen kann, soll in Gottes Namen danach guhgeln. Da würde er geholfen.

Gruß

aligaga
 

rothsten

Mitglied
@Arno

Behalte Deine Schreibweise, ich will Dich gar nicht beeinflussen. Ich habe Dir nur geschildert, was Dein Text bei als Leser verursacht. Ich werde weiterhin Deine Texte lesen, auch wenn wir hier nicht überein kommen. No prob. ;)

@Doc

Ich schrieb, dass mir Manfred zu seicht daherkommt, er mehr Handlungen machen solle, die den Konflikt weiter schürten. Die Beispiele sind Klischees, richtig, aber ich hatte mir jetzt nicht die Zeit genommen, in einem Kommentar noch originelle Bilder oder Vergleiche zu konstruieren. Diese Energie brauche ich für meine eigenen Texte, da ist sie auch eher nötig als hier. ;-)

Ob mein Kommentar jetzt passt oder nicht, soll der Autor entscheiden. Ihm schrieb ich ja.

lg
 
rothsten, das habe ich schon verstanden, dass du dir eine anders strukturierte Geschichte mit vergleichbarem Hintergrund gewünscht hättest. Aber was ist denn der Kern meiner Geschichte - eben dass gerade nichts "geschürt" wird, sondern möglichst alles unterm Teppich bleibt, wo man sich mit Andeutungen verständigt. Diese Art der Kommunikation, auch bei ganz anderen Differenzen, ist, glaube ich, in Familien nicht selten anzutreffen. Manfred würde gern fragen: Mutti, kann ich mal mit Max vorbeikommen - wagt es aber nicht. Und Mutti, wenn sie ehrlich und offen wäre, würde sich so anhören: Auf gar keinen Fall! Stattdessen halten sie an sich und sind hinterher insgeheim verletzt.

Persönlich finde ich diese verdrucksten Dialoge viel interessanter als die künstlich zugespitzten à la teutsches Fernsehspiel, wo man immer an Luther denken muss: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Das Demonstrative, Überdeutliche, in die äußere Handlung Verlegte ist insofern eine Zumutung für den intelligenten Zuschauer oder Leser, als es ihn unterfordert.

Hier müsste ich übrigens nach deinem Rat alles ändern, nicht nur Dialog und Handlung, sondern auch die Personen und ihre Stellung zueinander gleich mit. Diese Mutti hier kann diesen Manfred und diesen Max eben nicht "in flagranti", wie du formulierst, erwischen, da diesen beiden nichts ferner liegt. Das ist ja der Witz: Mutti, überängstlich in ihrer Abwehr, wittert etwas, wo gar nichts ist.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
S

steky

Gast
Hallo, @Arno Abendschön!

Die von dir gezeichnete Mutter wirkt auf mich geradezu panisch und hysterisch, es ist, als würde der Leser ihre Gedanken lesen können.
Ich finde, diese Panik verleiht dem Text etwas Komisches.

Die Gedankenstriche sind nicht alle als solche durchgegangen.

Toller Text!

LG Steky
 
Steky, ich bedanke mich für die positive Reaktion und dafür, dass du auf die untergründige Komik der Situation aufmerksam machst. In der Tat kann man das so empfinden, da Reaktion und Anlass im Missverhältnis stehen.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 



 
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