»Im Pantheon des Schmetterlings«

sufnus

Mitglied
Hey Christopher,
ich habe mich immer gefragt, warum der Schmetterlingseffekt so eine beliebte Chiffre im popkulturellen Unterhaltungsspielraum darstellt.
Vermutlich ist das, was mich etwas zweifelnd vor diesem (Flügel-)Schlagwort stehen lässt, gerade die Eigenschaft, die diesen Sturmentfesselungsfalter so anziehend macht: Das Bild erklärt nichts und steht quasi denkwechselwirkungsfrei für sich selbst, so dass es ein bejahendes Achselzucken ohne bleibende Wirkung hinterlässt.
Wird irgendwie andeutungsweise klar, was ich eigentlich sagen will? Vermutlich nicht. Das einzige, was vermutlich mit Müh und Not aus meinen wirren Zeilen extrahierbar ist: Ich bin kein Fan von diesem speziellen Schmetterling.
Das hat - zweiter Erkläranlauf - im weitesten Sinne etwas mit intellektueller Hygiene zu tun, weil sich in diesem Schmetterling Pseudowissenschaft und Indifferentismus ein letztlich eigentlich denkfeindliches Stelldichein unter dem Kennwort "Chaostheorie" gönnen (nicht, dass chaotische Zustände kein faszinierender Untersuchungsgegenstand sind, das sind sie ohne Zweifel, aber für deren Beschreibung oder Umschreibung braucht es mehr als einen Flattermann).
Also insofern bin ich persönlich jetzt - was den Schmetterlingsaspekt angeht - auch kein ausgesprochener Fan dieses Gedichts. Ohne den Schmetterling (oder mit einer zusätzlichen Ebene jenseits des etwas vordergründigem Chaos-Flirts) könnte ich der Ausgangs-Schwingung (hah!) dieses Textes aber sicher deutlich mehr abgewinnen. :)
LG!
S.
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke für deinen Beitrag! Nach mehrmaligem Lesen glaube ich jetzt verstanden zu haben, was du meinst – und finde, dass deine Kritik genau die Spannung trifft, die ich erzeugen wollte :D

Zum Schmetterling: Mir ging es nie um Chaostheorie. Er ist für mich ein Symbol der paradoxen Nichtlinearität – winzige Handlungen entfesseln Unermessliches, ohne dass der Handelnde es ahnt (vgl. Schluss!). Genau diese Projektionsfläche wollte ich nutzen: Ein bekanntes Klischee, das zu existentiellen Bedrohung mutiert. Dass du ihn als ‚denkfeindlich‘ empfindest, unterstreicht doch die Absicht: Der Schmetterling darf keine Reflexion haben. Seine Unschuld ist der Horror – er raubt uns den Atem, nicht das Nachdenken.

Somit meine Frage an dich: Ist der Schmetterling wirklich Ursache des Sturms... oder nur Platzhalter für jedes Handeln, das unbeabsichtigte Apokalypsen entfesselt? Wie der Maulwurf, der Erdbeben auslöst? Wie der Mensch, der seinen Planeten zerstört... und einfach weiterfliegt?

Beste Grüße
Christopher
 
Sorry ich weiß nicht, wie man den vorherigen Kommentar löscht o_O

Danke für deinen Beitrag! Nach mehrmaligem Lesen glaube ich jetzt verstanden zu haben, was du meinst – und finde, dass deine Kritik genau die Spannung trifft, die ich erzeugen wollte :D

Zum Schmetterling: Mir ging es nie um Chaostheorie. Er ist für mich ein Symbol der paradoxen Nichtlinearität – winzige Handlungen entfesseln Unermessliches, ohne dass der Handelnde es ahnt (vgl. Schluss!). Genau diese Projektionsfläche wollte ich nutzen: Ein bekanntes Klischee, das zu existentiellen Bedrohung mutiert. Dass du ihn als ‚denkfeindlich‘ empfindest, unterstreicht doch die Absicht: Der Schmetterling darf keine Reflexion haben. Seine Unschuld ist der Horror – er raubt uns den Atem und das Nachdenken. Somit hast du den Kern des Gedichts getroffen: Es lässt sich nicht viel dazu sagen. Doch ironischerweise gerade weil sich nicht viel dazu sagen lässt, kann einer wiederum extrem viel dazu sagen, zwar nicht über das Gedicht selbst, aber über die Gedanken und Gefühle die in einem geweckt werden, wenn er dieser kosmologischen Gleichgültigkeit gegenübersteht.

Somit meine Frage an dich: Ist der Schmetterling wirklich Ursache des Sturms... oder nur Platzhalter für jedes Handeln, das unbeabsichtigte Apokalypsen entfesselt? Wie der Maulwurf, der Erdbeben auslöst? Wie der Mensch, der seinen Planeten zerstört... und einfach weiterfliegt?

Beste Grüße
Christopher
 

sufnus

Mitglied
Hey Christopher! :)

Dass du ihn als ‚denkfeindlich‘ empfindest, unterstreicht doch die Absicht: Der Schmetterling darf keine Reflexion haben. Seine Unschuld ist der Horror
– er raubt uns den Atem und das Nachdenken.
Irgendwie kommt dieser Impetus bei mir nicht an. Bei mir kann der Schmetterling jedenfalls flattern wie er will, es wird weiter nachgedacht wie sonstwas. ;)

Somit meine Frage an dich: Ist der Schmetterling wirklich Ursache des Sturms... oder nur Platzhalter für jedes Handeln, das unbeabsichtigte Apokalypsen entfesselt? Wie der Maulwurf, der Erdbeben auslöst? Wie der Mensch, der seinen Planeten zerstört... und einfach weiterfliegt?
Ein Schmetterling ist bei mir alles Mögliche, aber im Zusammenhang mit einem Sturm ist er für mich vor allem ein doch ziemlich schematisches Deko-Element.

Ich glaube mein Grundproblem mit diesem Gedicht ist, dass es ein recht typisches Exemplar für "Gedankenlyrik" darstellt, bei dem sich Denken und Bildsprache gegenseitig behindern: Das abgegriffene Bild des Schmetterlings-Effekts stört die Entwicklung eigenständiger Gedanken innerhalb des Gedichts und die gedankliche Position der "Gedichtstimme", die das Geschehen sozusagen von einer hohen Warte aus kommentiert, sorgt nach meinem Dafürhalten für einen wenig berührenden Tonfall. Das Schlüsselwort "atemberaubend" ist somit eher eine Regieanweisung als ein "stimmiges" Element des Gedichts.

Sorry für das skeptische Gesamturteil. Ich habe nach wie vor das Gefühl, dass in dem Gedicht eigentlich noch etwas anderes "drinsteckt", das wesentlich leseergiebiger wäre. :) Aber so - in der jetztigen Form - haut es für mich leider nicht so richtig hin.

LG!

S.
 
Hallo Sufnus :)

Ich finde es spannend, wie unterschiedlich wir an Lyrik herangehen: Während ich nach den existenziellen Implikationen frage (Schmetterling = Mensch?), fokussierst du stark auf formale Kategorien ('Gedankenlyrik', 'Regieanweisung'). Vielleicht liegt hier der eigentliche Reibungspunkt: Soll Lyrik in erster Linie handwerklich 'stimmen' – oder darf sie auch unbequeme Gedankensprünge wagen, selbst auf Risiko des Klischees? Diese Frage mag offen bleiben und einfach weiterfliegen, wie der Schmetterling.

Beste Grüße
Christopher
 

sufnus

Mitglied
Hey! :)

Vielleicht liegt hier der eigentliche Reibungspunkt: Soll Lyrik in erster Linie handwerklich 'stimmen' – oder darf sie auch unbequeme Gedankensprünge wagen, selbst auf Risiko des Klischees? Diese Frage mag offen bleiben und einfach weiterfliegen, wie der Schmetterling.
Kommt m. E. drauf an, was mit "handwerklich 'stimmen' " gemeint ist und inwieweit dies als eine Bedingung aufzufassen ist, die "unbequeme Gedankensprünge" ausschließt (oder zumindest erschwert), so dass man bei Deiner Entweder-oder-Frage landet.
Nach meinem Verständnis hat alles "Handwerkliche" nur eine dienende Funktion für das eigentliche Gedichtanliegen, nämlich eine Denk- und (vielleicht noch wichtiger) Fühl-Erweiterung zu ermöglichen. :)

LG!
S.
 



 
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