im Paradies

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Tula

Mitglied
im Paradies

Die lang ersehnte Gnade. Soweit das Auge reicht,
ein Blau wie auf den Fresken von Knossos.

Schon bin ich drin und salbe mir Leib und Seele.
Plötzlicher Kitzel am Bein. Ein Fisch, ohne Zweifel.
Ich will nach ihm schnappen, doch er ist pfiffig! Ehe ich ihn
zu Gesicht bekomme, hat er sich in einem Tetrapack versteckt.
Vergnügt schaukelt er weiter.

Sein natürlicher Feind lässt nicht lange auf sich warten: gierig
zittert ein Rochen hinterher. Auf seinem Rücken prangt
in großen Lettern "Shopping is fun". Kurios, denke ich.
Die Windungen der Evolution sind unergründlich.

Noch etwas tiefer hinein ... ein Stoß und ich gleite stolz wie eine
Trireme durch das Mare Nostrum. Immer wieder will ein Fisch mit
mir spielen. Nun ja, den Trick mit dem Tetrapack kenne ich bereits.
Bei einer Riesenqualle ändere ich dann lieber den Kurs.
Majestätisch schwebt sie vorüber. Erstaunlich wie sie sich ebenfalls
angepasst hat. In ihrer absolut perfekten Tarnung ist sie einer
vollgesaugten Windel zum Verwechseln ähnlich.

Das Wasser brodelt vor Leben. Den größeren Wesen weiche ich
respektvoll aus, schließlich bin ich Eindringling in ihrem Reich.
Den Kampf mit dem elfarmigen Kraken hätte ich ohnehin verloren.

Auf dem Rückweg trete ich aus Versehen auf eine Seeschnecke.
Ein höllischer Schmerz! Reste ihres Gehäuses stecken in meinem
Fußballen und erinnern entfernt an eine zerfetzte Cola-Dose.

Das Blut ist kaum zu stillen.
So ein Pech aber auch, gleich am ersten Urlaubstag. Warum
ich so albern im Zickzack geschwommen bin, willst du wissen.

Irgendwo kichert Darwin.
 
G

Gelöschtes Mitglied 13736

Gast
Moin Tula,
gefallen mir sehr, deine Begegnungen in Neptuns Welt. Macht Lust auf Wasser und Meer.
Werde gleich am Kanal spazieren gehen.
Aber...wäre dein Beitrag nicht doch mehr was für Kurzlyrik?
LG
Oscarchen
 

Mimi

Mitglied
Hallo Tula,
ich denke der Titel ist bewusst ein kleiner Seitenhieb in Richtung der Ignoranz vieler Menschen, die die Vermüllung der Meere und das daraus resultierende Meeressterben konsequent ignorieren oder verharmlosen...
"Die Windungen der Evolution sind unergründlich."
Ja, das hast Du sehr zynisch beschrieben.

Aktuelles Beispiel:
Die Corfo-Lagune im Süden Argentiniens ist pink gefärbt, durch abgeleitete Chemikalien...

Grüße
Mimi
 

Tula

Mitglied
Moin in die Runde

Liebe Mimi,
Genau wie du es sofort gedeutet hast, der Mensch hat eine besondere Gabe, sich selbst die Augen zu verschließen, sei es drohendes Unheil oder die Vermüllung der Meere. Eigentlich müsste man bei diesem Thema ja heulen, wie bei vielen anderen.
Die größte Müllinsel, Effekt der Meeresströmungen, wabbert irgendwo zwischen Hawaii und der amerikanischen Küste und soll etwa die vierfache Fläche Deutschlands haben. Unglaublich, aber wahr.

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Moin Oscarchen

Auf Urlaub hätte ich jetzt auch schon wieder Lust. Wirklich sauberes Wasser hätten wir da am ehesten in der Badewanne. Hier geht es ja ums Mittelmeer, als Beispiel wenigstens, und auch durch dieses scheppert allerhand Müll.

Stilistisch würde ich das hier selbst als lyrische Prosa ansehen, reine Prosa nicht, denn es hat ja lyrische Sprache und Elemente. In ganzen Sätzen zu schreiben ist sogar ziemlich häufig. Bei diesem geschilderten Erlebnis schien mir das so "lebhafter".

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Hallo Isbahan

So ist es. Von natürlicher Auslese kann ja schon lange keine Rede mehr sein. Wir vernichten mehr als wir erhalten und Punkt.

LG
Tula
 

Trist

Mitglied
Ja, Tula, die Paradiese sind zugemüllt.
Das hast du mit scharfem Witz gut dargestellt.
Zu Recht, denn es treibt wirklich riesiger Plastikmüll in den Ozeanen.
Die Weltmeere sind verseucht.
Ich fürchte nur, dass dem niemand mehr Herr wird.
Vielleicht können wir den Schaden irgendwann begrenzen.
Wenn ich an das Endlager auf dem Meeresgrund denke - empfehle ich dir nicht zu tief zu tauchen ...
Mal schauen wann ich endlich wieder mal vor den großen Teich stehe.
Ich bin ja auch so ein Meeresfan.

Liebe Grüße
Trist
 
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Tula

Mitglied
Hallo Trist
Danke für deine Gedanken zum Gedicht. Nicht zu vergessen, dass der Text hier nicht nur den Tatbestand an sich behandelt, sondern die Blindheit des Menschen. Dummerweise sehnt sich ein solcher in der Regel nur nach Personen und Dingen, die ihm in der Erinnerung sind. An das in der Vergangenheit Verlorene eher nicht. Wer nur die Wüste kennt, wird nicht von Wäldern träumen, selbst wenn es Generationen vor ihm welche gab, d.h. dort wo heute Wüste ist. Der Mensch gewöhnt sich an die Umwelt in die er hineingeboren wird. Wenn wir also heute alles kaputt machen, zerstören bzw. mindern wir unter anderem das Verlangen zukünftiger Generationen, das wieder zu ändern. Denen reicht dann der Eisbär im Panoptikum. Interessantes Tier - wird er denken und sich im Urlaub in Grönland an den Strand legen. Dort ist die Hitze ja noch auszuhalten ...

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Hallo Tanja

Danke für die Bewertung. Nun würde ich gern erfahren, was dir weniger gefällt und was du Idee und Thema entsprechend anders schreiben würdest.
Danke im voraus
LG
Tula
 



 
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