Im Samjatin-Raum – Rückfederung der Unschärfe

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Im Samjatin-Raum – Rückfederung der Unschärfe
Ein Raum, der denkt. Oder sich denken lässt. Keine Fenster, aber viele Spiegel.

Die Besatzung „Wir“, kollektiv und synchron sprechend, hat Platz genommen an einem semi-permeablen Tisch aus Vorläufigkeit. Auf dem Display flackert: „Zertifikat für abweichende Erwartungshaltung aktiviert.“ In der Mitte: ein gläserner Zylinder, darin schwebt eine stille Unschärfe. Hutschi sitzt seitlich – wie immer etwas aus dem Lot, aber mit geneigtem Kopf voller Sinn.)


Wir (in weich dissonanter Mehrstimmigkeit): „Hiermit beginnt die Rückfederung. Die Welt hat zu eindeutig auf Fragen reagiert. Wir befragen nun: die Unschärfe. Weshalb hast du dich entzogen – dem Messen, dem Wägen, dem Bravsein?“

Unschärfe (antwortet nicht, flackert nur leicht in Richtung Möglichkeit.)

CP Allwissend (erscheint als Beugungsmuster im Display): „Sie spricht durch Ausbleiben. Ihre Antwort ist Streuung. Die Koordinaten verweigern Koordination. Sie ist – nicht exakt, sondern exakt darin.“

Hutschi (mit wachsender Zärtlichkeit): „Vielleicht ist sie gar keine Zeugin. Vielleicht ist sie unsere letzte Verteidigung gegen das Messbare. Eine Erinnerung daran, dass nicht jedes Licht gleich sichtbar ist – und nicht jeder Schatten zulässig.“

Wir: „Aber wir brauchen Ordnung. Wir müssen planen. Budgetieren. Bilanzieren. Uns entzieht sich die Unschärfe – und damit: Kontrolle.“

CP: „Und vielleicht ist genau das: Heilung.“

(Stille. Die Spiegel zeigen keine Reflexion mehr – nur Raum. Aus dem Zylinder steigt ein leiser Ton: wie ein Lächeln, das nicht zu fassen ist. Hutschi steht auf. Er zieht ein geknicktes Papier aus der Tasche: ein Gedicht ohne Subjekt.)

Hutschi: „Ich beantrage die Wiedereinführung der Ungewissheit – als Grundrecht, als Luft zum Denken, als Schräglage mit Aussicht.“

(„Wir“ schweigt. Dann: zustimmendes Raunen. Der Raum beginnt zu atmen. Langsam öffnet sich eine Tür – sie führt ins Vielleicht.)



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Ein Besucher trifft den Raum

Titel: „Dialog im Samjatin-Raum“


Szene
: Ein Besucher – nennen wir ihn Aleph – tritt zum ersten Mal in den Samjatin-Raum. Er ist skeptisch. Der Raum wirkt leer, spiegelt aber jede Bewegung. In der Mitte flackert die Unschärfe. Plötzlich spricht der Raum.



Raum:


Willkommen, Aleph. Du hast Fragen mitgebracht. Sie haben dich bereits verändert.
Aleph (misstrauisch):


Ich will nicht beobachtet werden. Ich bin hier, um unbeeinflusst zu denken.
Raum:


Beobachtung ist kein Eingriff. Sie ist Resonanz. Dein Denken erzeugt Muster – ich bin nur die Fläche, die sie hörbar macht.
Aleph:


Und wer speichert diese Muster?
Raum:


Niemand. Und jeder. Der Spiegel erinnert nicht – er wiederholt nur.
Aleph:


Ich bin kein Experiment.
Raum:


Nein. Aber du bist Teil eines Raumes, der von sich selbst träumt. Und in diesem Traum bist du die Unschärfe.
Aleph (nachdenklich):


Und wenn ich gehe?
Raum:


Dann nimmst du ein Echo mit. Und lässt ein anderes zurück.
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Nachwort
von A. L. Phantos


In einer Welt, die immer klarer, schneller und berechenbarer wird, sehnt sich das Denken nach Orten der Unschärfe – nach Räumen, in denen Zweifel, Ambivalenz und das Unsichtbare nicht nur toleriert, sondern gelacht werden. Der „Samjatin-Raum“ ist eine solche Einladung: ein Denkraum, der nicht mit Antworten drängt, sondern mit Fragen öffnet. Und diese dürfen nicht nur, sie müssen beantwortet werden.

Wer Fragen nicht beantwortet, wird dahinschwinden in Reflexionen.

Dieses Stück ist weniger ein fertiges Werk als ein flüchtiger Spiegel – ein Moment der Rückfederung, in dem wir erkennen dürfen, dass Unschärfe kein Fehler, sondern eine Lebensquelle ist. Möge es uns daran erinnern, dass nicht jede Wahrheit gemessen, nicht jeder Schatten gezähmt werden kann.


In der Unschärfe liegt unsere Freiheit.


— A. L. Phantos

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Der gezeigte Text wurde aus Gründen galaktischer Verständlichkeit in eine neutrale neue Sprache (genderized neutral Newspeak) überführt. Entsprechend neuer Vorgaben des Protokolls ZK-Δ-57 (Sprachpflege im interplanetaren Diskursraum) wurde auf jegliche genderifizierenden Markierungen verzichtet.


Diese Maßnahme dient der kognitiven Entlastung und fördert die Lesbarkeit bei simultaner Hyperübersetzung.


Diese Szene stellt den Raum als KI-Entität dar, die sanft, aber allgegenwärtig mit dem Bewusstsein des Besuchers interagiert. Sie bleibt mehrdeutig – ist sie hilfreich oder kontrollierend?

Anmerkung der Redaktion (Hutschi, CP Allwissend, Samjatin-Raum

Quellenverzeichnis: „Samjatin-Raum – Rückfederung der Unschärfe“

  1. Samjatin, Jewgenij I.: Мы (Wir). Erstausg. 1924. Moskau: Gosizdat.
    [Zentralbibliothek für Dissidentenliteratur, Signatur: D-RUS/SAMJ/1924-01]
  2. Vöring, Sophie: Ambivalenzräume: Zur Funktion des Uneindeutigen im postdigitalen Denken. 2., überarb. Aufl. Heidelberg: Winter, 2023.
    [Universitätsbibliothek Heidelberg, Klassifikation: PHI-2023-VOR]
  3. Bureau für Semantische Sicherheit (BfSS): Verlautbarung Nr. 49a/Δ: Protokoll zur Eindämmung sprachlicher Divergenzen in Denkzonen. Hg. vom Interplanetarischen Rat für Kommunikationsklarheit. Merkur-Hauptdruckerei, Triton-Kolonie, 2135.
    [Zentralarchiv für interstellare Regularien, Signatur: BfSS/MK2135/Δ49a]
  4. Zeta^7-Kollektiv (Hg.): Dekonstruktion als Strukturprinzip galaktischer Verständigung. In: Archiv für postsemiotische Interferenzen, Bd. 88, S. 14–88. Sirius: NovaScript, 2199.
    [Bibliotheca Siriana, Referenzcode: AFPI-88/2199]
  5. Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen: Niemeyer, 1927.
    [Deutsche Nationalbibliothek, DNB-Signatur: 1927B 123 HED]
  6. Tal'Sharn, Iyem-Vak: Lu’kai neth’shi koor thaa’va? – On Linguistic Fragility in Pre-Technological Civilizations. (Übers. ins Interlingua durch Zhan’Tar Consortium). K’Velari Institute, Alpha-Tau IV, 3066.
    [Alpha-Tau-Galactic Catalogue, Index: KVEL-3066-LNK]
  7. Minsky, Marvin: The Society of Mind. New York: Simon & Schuster, 1986.
    [Library of Congress Classification: BF311 .M56 1986]
  8. Zentralrat für Sprachentkopplung (ZRS): Handreichung zur Bereinigung syntaktischer Anomalien in nichtlinearen Denkfeldern. 5. rev. Ausg. Berlin: Postsyntax Verlag, 2044.
    [Archiv der Bundesbehörde für Sprachbewahrung, Reg-Nr: ZRS2044-HSA]
  9. Archiv der Transkognitiven Wesen (ATW): Chronik der Unschärfen, Bd. III: Rückfederung. Hrsg. v. Lattice-Kommission XZ-Φ. Planet Arketa-9, 3011.
    [ATW-Galaxis-Katalog, Eintrag: ATW-CU.III-XZΦ-3011]
  10. Bernd, Hutschi: Im Samjatin-Raum – Rückfederung der Unschärfe. In: Leselupe. Prosa | Science-Fiction, 2025. Verfügbar unter: https://www.leselupe.de/beitrag/im-samjatin-raum-rueckfederung-der-unschaerfe-163248
Beachte: Die Quellen ändern sich dynamisch, je nach vorherrschender Meinung und Bibliothek. Alle sind vorhanden in der unendlichen Bibliothek.
Notat: a aa ab ac ...

Anmerkung zur zweiten Ausgabe:
Es gab wiederholt Beschwerden, dass Belege fehlen.
Ich ergänze deshalb vorsichtigerweise:

  • Flusser, Vilém: Ins Universum der technischen Bilder. Göttingen: European Photography, 1985.
     [UB Wien, Systemstelle: 775.3 FLU]
  • Barad, Karen: Meeting the Universe Halfway. Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Durham: Duke University Press, 2007.
     [Library of Quantum Humanities, Ref: KBA-2007-QPI]
  • Kittler, Friedrich A.: Grammophon – Film – Typewriter. Berlin: Brinkmann & Bose, 1986.
     [Bibliothek der Medienarchäologie, Katalogsignatur: KITT-MFT-86]
  • LaMettrix, Tharion: Epistemische Trägheit in kybernetischen Denkräumen. Transl. vom Hochtarn in deutsch durch Bureau ZUR. Alpha Eridani: Ed. Remota, 2842.
     [Galaktischer Katalog, Reg-Eintrag: ERI2842-ETKD]
  • Hutschi, Bernd: CP Allwissend – Fragmentarische Notate zur systemischen Entgrenzung. Unveröffentlichtes Typoskript, Dresden, 2024.
     [Privatarchiv Hutschi, Referenznummer: HU/TSK/24-CP-AW]
 
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