Karl Feldkamp
Mitglied
Peter Liebenau mochte mittelalterliche Kirchen. Besonders romanische. Ihre mächtigen, nahezu schnörkellosen Säulen trugen sichtbar die ehrliche Last eines nur von kleinen Fenstern unterbrochenen Mauerwerks. Und drinnen herrschte jenes Dämmerlicht, das ihn förmlich zur Andacht zwang, obwohl er vor Jahren aus der katholischen Kirche austrat.
Er hatte sich nach zehn Jahren Ehe von Selma scheiden lassen und ein paar Jahre später Kathrin geheiratet. Geschiedene Wiederverheiratete waren nicht zur Kommunion zugelassen. Was sollte er in einer Kirche, in der das Hauptgebot der Liebe angeblich über allem stand, die ihm aber das Liebesmahl verweigerte?
Gotische Kirchen gefielen ihm weniger. Baumeister, die dem Mauerwerk unter anderem durch möglichst viele und riesige bunt verglaste Fenster Lasten nehmen wollten, um himmelstrebender Schwerelosigkeit willen, bewunderte er zwar, überzeugen konnten sie ihn aber nicht mit dem umgrenzten Raum, der zugleich grenzenlos wirken sollte.
Da viele bunte Glasfenster dem zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen und durch einfaches Glas ersetzt wurden, war die der heiligen Elisabeth geweihte Hauptkirche ihrer Stadt eine lichtdurchflutete spätgotische Hallenkirche.
Gestern stieg er einmal mehr mit Kathrin die Treppen zu ihrem Hauptportal hinauf. Auf der Treppe links vor der Kirchentür kauerte eine Frau, barfuß, den Blick gesenkt. Mit der rechten Hand hielt sie sich ein in Lumpen gewickeltes Bündel vor die Brust, während sie die linke Hand den vorbeikommenden Kirchenbesuchern entgegenstreckte. „Kind hat Hunger!“ murmelte sie unablässig. Und ihre Stimme klang wie die Computerstimme auf einer Endlosschleife eines Telefonservices, nur depressiver.
„Jetzt kommen diese Zigeunerinnen auch schon hierhin!“ Kathrin, bei Peter eingehakt, zog ihn an sich. „Oft haben die gar kein Kind sondern eine Puppe im Arm.“
Die Abendsonne wärmte Peter den Rücken und die offenbar noch sehr junge Frau auf der Treppe saß in seinem Schatten. Für einen Moment zog sie ihre linke verschmutzte Hand zurück, nestelte an ihrem Busen, entblößte eine nicht sonderlich saubere Brust und schob sie dort in das Lumpenbündel, wo der Kopf des Säuglings zu vermuten war.
„Man sollte das Jugendamt verständigen“, empörte sich Katrin leise.
Peter nickte, holte sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche und nahm einen Zehn-Euro-Schein heraus.
Kathrin zischte ihn an. „Diese Kinder lernen von Geburt an zu betteln. Und später werden sie von den Eltern zum Klauen abgerichtet.“
Die junge Frau sah kurz auf und streckte ihm die Hand hin. Peter bückte sich. Kathrin wollte ihm das Geld aus der Hand nehmen. Die Frau am Boden war schneller, riss den Schein aus seiner Hand und ließ ihn irgendwo in ihrem faltenreichen blauroten Lumpenkleid verschwinden.
Kathrin stieß ihm heftig den Ellenbogen in die Seite. „Du bist sentimental, dumm und dem Kind hilfst du auch nicht wirklich!“
Als sie in der Elisabeth-Kirche unweit vom Hochaltar standen, drehte sich Peter um. Die riesige Rosette über der Orgel, von der Abendsonne beleuchtet, schimmerte effektheischend rot und blau. „Sieht toll aus!“ befand Kathrin.
Dann gingen sie hinüber ins rechte Seitenschiff. Peter sah zu dem filigranen Gewölbe hinauf.
Kathrin blieb vor einem von vielen Kerzen beleuchteten Marienaltar stehen, in deren Zentrum eine Statue der Gottesmutter mit jenem Himmelwärtsblick stand, der nicht nur Gottvater schwach machen konnte.
Grinsend ging Peter voraus. Als er aus dem Hauptportal kam, saß die junge Mutter noch immer auf der Treppe, blickte kurz zu ihm auf, lachte und schob ein wenig die Lumpen von jenem Bündel zurück, das sie an ihre bloße Brust drückte. Für einen Augenblick konnte Peter den braunen abgeschabten Zelluloidkopf einer Puppe erkennen. Die Frau, ein Mädchen noch, sah ihm ins Gesicht. Er zuckte mit den Schultern und lächelte zurück.
Als Kathrin kurz darauf aus der Kirche kam, blickte die junge Frau wieder zu Boden und streckte ihr eine Hand entgegen, während sie mit der anderen das Bündel gegen die Brust drückte.
Er hatte sich nach zehn Jahren Ehe von Selma scheiden lassen und ein paar Jahre später Kathrin geheiratet. Geschiedene Wiederverheiratete waren nicht zur Kommunion zugelassen. Was sollte er in einer Kirche, in der das Hauptgebot der Liebe angeblich über allem stand, die ihm aber das Liebesmahl verweigerte?
Gotische Kirchen gefielen ihm weniger. Baumeister, die dem Mauerwerk unter anderem durch möglichst viele und riesige bunt verglaste Fenster Lasten nehmen wollten, um himmelstrebender Schwerelosigkeit willen, bewunderte er zwar, überzeugen konnten sie ihn aber nicht mit dem umgrenzten Raum, der zugleich grenzenlos wirken sollte.
Da viele bunte Glasfenster dem zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen und durch einfaches Glas ersetzt wurden, war die der heiligen Elisabeth geweihte Hauptkirche ihrer Stadt eine lichtdurchflutete spätgotische Hallenkirche.
Gestern stieg er einmal mehr mit Kathrin die Treppen zu ihrem Hauptportal hinauf. Auf der Treppe links vor der Kirchentür kauerte eine Frau, barfuß, den Blick gesenkt. Mit der rechten Hand hielt sie sich ein in Lumpen gewickeltes Bündel vor die Brust, während sie die linke Hand den vorbeikommenden Kirchenbesuchern entgegenstreckte. „Kind hat Hunger!“ murmelte sie unablässig. Und ihre Stimme klang wie die Computerstimme auf einer Endlosschleife eines Telefonservices, nur depressiver.
„Jetzt kommen diese Zigeunerinnen auch schon hierhin!“ Kathrin, bei Peter eingehakt, zog ihn an sich. „Oft haben die gar kein Kind sondern eine Puppe im Arm.“
Die Abendsonne wärmte Peter den Rücken und die offenbar noch sehr junge Frau auf der Treppe saß in seinem Schatten. Für einen Moment zog sie ihre linke verschmutzte Hand zurück, nestelte an ihrem Busen, entblößte eine nicht sonderlich saubere Brust und schob sie dort in das Lumpenbündel, wo der Kopf des Säuglings zu vermuten war.
„Man sollte das Jugendamt verständigen“, empörte sich Katrin leise.
Peter nickte, holte sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche und nahm einen Zehn-Euro-Schein heraus.
Kathrin zischte ihn an. „Diese Kinder lernen von Geburt an zu betteln. Und später werden sie von den Eltern zum Klauen abgerichtet.“
Die junge Frau sah kurz auf und streckte ihm die Hand hin. Peter bückte sich. Kathrin wollte ihm das Geld aus der Hand nehmen. Die Frau am Boden war schneller, riss den Schein aus seiner Hand und ließ ihn irgendwo in ihrem faltenreichen blauroten Lumpenkleid verschwinden.
Kathrin stieß ihm heftig den Ellenbogen in die Seite. „Du bist sentimental, dumm und dem Kind hilfst du auch nicht wirklich!“
Als sie in der Elisabeth-Kirche unweit vom Hochaltar standen, drehte sich Peter um. Die riesige Rosette über der Orgel, von der Abendsonne beleuchtet, schimmerte effektheischend rot und blau. „Sieht toll aus!“ befand Kathrin.
Dann gingen sie hinüber ins rechte Seitenschiff. Peter sah zu dem filigranen Gewölbe hinauf.
Kathrin blieb vor einem von vielen Kerzen beleuchteten Marienaltar stehen, in deren Zentrum eine Statue der Gottesmutter mit jenem Himmelwärtsblick stand, der nicht nur Gottvater schwach machen konnte.
Grinsend ging Peter voraus. Als er aus dem Hauptportal kam, saß die junge Mutter noch immer auf der Treppe, blickte kurz zu ihm auf, lachte und schob ein wenig die Lumpen von jenem Bündel zurück, das sie an ihre bloße Brust drückte. Für einen Augenblick konnte Peter den braunen abgeschabten Zelluloidkopf einer Puppe erkennen. Die Frau, ein Mädchen noch, sah ihm ins Gesicht. Er zuckte mit den Schultern und lächelte zurück.
Als Kathrin kurz darauf aus der Kirche kam, blickte die junge Frau wieder zu Boden und streckte ihr eine Hand entgegen, während sie mit der anderen das Bündel gegen die Brust drückte.