Im Supermarkt

Naciye

Mitglied
Ich bin mit einem Schädel um 11 Uhr erwacht... Der Blick aus dem Fenster offenbart mir einen grauenhaft trüben, feuchtkalten Endsommertag.

Ich hüpfe also in die Jeans, binde die Haare zusammen und klatsche mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht (stelle fest, ich sehe ziemlich fertig aus). Ab in den Supermarkt...

Überall gestylte Menschen, es ist Samstag!!!! Warum machen die das?... Ich, im Lotterlook, angele mir ein Abendblatt, starre auf den Boden, damit nicht jeder meine geröteten, noch nicht richtig geöffneten Augen, sieht. Was brauche ich eigentlich außer der Zeitung? Ich schlendere durch die Gänge und bereits in der Kosmetikabteilung (könnte mir ja die Haare färben) sehe ich den ersten umwerfend gut aussehenden Typen. Scheiße, denke ich, warum heute Lotterlook?? Ich pirsche mich mit gesenktem Kopf an ihm vorbei; vielleicht ist der ja nächsten Samstag wieder hier, da brezel ich mich dann richtig auf. Vitamine wären gut, schießt es mir durch das noch nicht voll funktionstüchtige Gehirn. Auf in die "Slim Fast"-Abteilung! Neben diversen Molkeprodukten, Pulverdosen, Müsliriegeln (schweineteuer!), Rittersport für Diabetiker, entdecke ich das Magnesium-, Vitamin C-, Calcium-Präparat, von dem ich total angetan bin. Voll versunken im Lesen der Packungsbeilage (die lese ich immer im Geschäft) merke ich gar nicht, daß sich drei körperbewußte Männer neben mich gestellt haben. Ich stecke die Packungsbeilage wieder in die Verpackung, probiere es zumindest. Meine Feinmotorik ist mir leider abhanden gekommen und das verfluchte Ding will da nicht wieder rein. Na schön, denke ich, knülle das Papier zusammen und lege es mit der Packung in den Wagen. Als ich aufschaue, sehe ich drei Muskelprotze, die eigentlich auch ganz schön schmucke aussehen (obwohl ich mal gehört habe, je mehr Muskeln, desto weniger Potenz). Jetzt weiß ich warum. Warum die Frauen sich alles schick gemacht haben. Ich reihe mich wieder in die träge schleichende Schlange von Einkaufswagen ein. Überall Pärchen, der Typ aus der Kosmetikabteilung ist auch nicht allein. Eine blonde, fabelhaft angezogene Guccitaschenträgerin hält besitzergreifend seine Hand und steht samt Traummann vor dem Weinregal. Einkaufswagen sind gefüllt mit Putzmittelchen, Waschpulver und Weichspüler. Ich komme mir mickrig vor mit meinem Abendblatt und den Vitaminen. Der ganze Supermarktstress für die zwei Teile? Ich beschließe, heute zu kochen und mir ein paar Videos zu leihen. Gar keine schlechte Idee bei dem Dreckswetter. Rotwein könnte da auch nicht schaden. Ich nehme den gleichen aus dem Regal, den auch der Supermän ausgewählt hat (billig! 4,99) und fühle mich etwas glücklicher. Ich nehme mir vor, an ihn zu denken, wenn ich ihn trinke und sehe ihm nach, wie er samt Blondie aus der Weinabteilung rauscht.

Die Schlange der Einkaufswagen bringt mich zur Softdrinkabteilung. Wunderbar, etwas Wasser brauch ich auch. Also stelle ich meinen Wagen ab und versuche, an die mit Menschen besiedelte Europalette zu gelangen. Ich frage mich, warum die alle genau das Wasser haben wollen, das ich will und sehe, dass es heute 5 Pfennig weniger kostet als sonst. Also alles Schnäppchenjäger. Ich frage eine alte Dame, ob sie nicht weiß, womit ich heute noch so ein tolles Schnäppchen reißen könnte. Sie berichtet mir von Mozartkugeln für nur 2,99 und rückt etwas von der Palette ab. Ich nutze die Gelegenheit und schnappe mir einen Sechser-Träger, bedanke mich bei der Grauhaarigen und ziehe ab. In der Gemüseabteilung, die ist relativ übersichtlich, stelle ich fest, dass der Supermarkt nicht nur eine Auswahl an Äpfeln und Zucchinis, sondern auch an attraktiven Männer bereithält. Ich komme immer wieder an den Punkt: Ich sehe einfach nicht supermarktgemäß aus. Die meisten Männer, die ich interessant finde, haben eine Frau im Schlepptau (oder ist es umgekehrt?) und machen einen schleimig glücklichen Eindruck. "Du Schatz, schau mal was für tolle Strauchtomaten die heute haben!" oder: "Wollen wir lieber den Mittelalten oder den Maigouda nehmen?" Mir wird schlecht beim Anblick all dieser glücklichen Menschen. Dafür habe ich aber eine tolle Katze zuhause, die zeigt mir nicht quer durch die Gemüseabteilung Fleischtomaten und fragt mich dann beim Wiegen, welche Nummer die noch mal hatten. Ich begrabe den Gedanken, für mich zu kochen; das ist sowiso bescheuert, für sich alleine kochen! Ich schüttel allein beim Gedanken den Kopf und gehe zum
Fleischtresen.

"Eine kleine Putenbrust für meine Katze bitte." (Ich hoffe er schenkt sie mir, aber nichts) Der Fleischfachverkäufer spießt eine auf und hält sie mir hin:
"So etwa?" "Nein, die ist zu groß, ich sagte doch für meine Katze! Die ist kleiner als das Stück, das sie da hochhalten."
"Die Hälfte ?"
Ich sage ja und wenig später liegt die tote Pute in meinem Wagen. Plötzlich tippt mir jemand auf die Schulter. Ich frage mich, wer das wohl sein könnte und will mich umdrehen, da ertönt bereits eine wichtigtuerische Stimme:
"Wissen Sie, was auf Einkaufswagenklau für eine Strafe steht?"
Meine Leitung ist ziemlich lang und ich überlege für den Bruchteil einer Sekunde, welcher Gesetzwidrikeiten ich mich heute schuldig gemacht habe. Ok, mein Auto steht auf dem
Mitarbeiterparkplatz, da steht's aber immer und ich bin krank geschrieben, aber da darf man ja wohl mal einkaufen gehen.
"Hallo," ertönt es wieder. Ich drehe mich um und stammele ein "Waaas??"
"Die Strafe gute Frau, ob sie wissen welche?"
Der ältere Mann (ca. 95) hinter mir fuchtelt mit zwei Bananen vor meinem Gesicht rum. Ich frage mich, warum um Gottes Willen, der nicht in der Woche einkauft, warum der überhaupt alleine raus darf.
"Was für 'ne Strafe?"
"Ich sag's Ihnen. Zwei Bananen"
Der Mann legt mir die zwei Bananen in meinen Wagen.
"Was wollen sie eigentlich von mir. Ich brauche keine Bananen."
"Ich aber!" sagt der als ob es das Natürlichste der Welt ist. "Das ist nämlich mein Wagen und es ist anstrengend, in meinem Alter einem Wagenklau hinterherrennen zu müssen, zumal ich ihn als Stütze brauche. Kann ich ihn wieder haben?" Das ist mir dann doch peinlich. Ich werde rot, entschuldige mich, greife zur toten Pute und verdünnisiere mich. Wär' eigentlich eine gute Anmache, denke ich. Aber ich Pechvogel mußte natürlich den Wagen eines rüstigen Rentners nehmen. Meiner steht seelenruhig beim Mineralwasser und grinst mich schäbig an.
Für heute reicht's. Ich gehe direkt zur Kasse und habe endlich einmal Glück. Nur zwei andere Wagen vor mir, die anderen Schlangen sind sehr viel länger. Ich stelle mich also an und schaue mich interessiert um. Neben mir, an einer der ganz langen Schlangen (und die Einkaufswagen sind alle gefüllt bis zum Rand), steht ein Mann mit seinem Kind, das im Wagen sitzt. Toastbrot, diverse Süßigkeiten und Fischstäbchen liegen um dieses süße rothaarige Geschöpf herum. Wie niedlich, denke ich. Auf der anderen Seite steht eine elegant gekleidete Frau, die ihren kompletten Wagen mit Mozartkugeln gefüllt hat. Im Kopf überschlage ich, was die bezahlen muß. 2,99 mal ca. 70 macht 210,- .

Hinter mir hat sich eine Schlange gebildet. Jetzt haben die anderen entdeckt, wie kurz meine Schlange doch ist. Ich starre also Löcher in die Luft und hänge meinen Gedanken nach. Der Mann mit dem rothaarigen Kind legt bereits seine Fischstäbchen auf's Band. Warum dauert das bloß so lange? Die Schlange hinter mir löst sich nach und nach auf. Tolle Wurst! denke ich, als ich sehe, daß ich mich an die einzige Kasse mit männlicher Besetzung angestellt habe. Händeringend fuchtelt diese mit einer Salami rum und ruft einer anderen Kassiererin etwas zu. (Der Strichcode sei nicht lesbar und was in so einem Fall zu tun sei) Genervt drehe ich mich um und schaue in wundervoll atlantisblaue Augen. Ein Mann, nein ein Gott!, steht hinter mir und schaut in seinen Einkaufswagen. Ich starre in meinen und überlege, was ich sagen könnte.
"Da haben wir uns ja eine ganz tolle Kasse ausgesucht. Die einzige, an der ein Mann kassiert."
Während ich das sage, schaue ich dem Traummann direkt ins Gesicht und schmelze vor seinen Augen.
"Dann stellen sie sich doch an einer anderen Kasse an," bekomme ich zur Antwort.
(Sehr nett!) "Nö, nö," sage ich... "ich find's ganz interessant, die Leute anzuschauen und was sie so einkaufen."
"Ja, da haben sie wohl recht, aber wenn's hier tatsächlich so lange dauert, stelle ich mich woanders an."
Enttäuscht schaue ich diesem Klassemann hinterher.

Kleider machen verdammt noch mal Leute. Nächstes Mal ziehe ich für den Supermarkt mein kleines Schwarzes an und gehe vorher zum Friseur. Das steht fest!
 
S

Silvi Degree

Gast
Hi, Naciye, einfach klasse -es ist so als erlebe man alles mit.Weiter so!
Schöne Wochenendgrüße
Silvi
 



 
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