Im wilden Westen, Kapitel 1

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pol shebbel

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Im wilden Westen, Kapitel 1

Auf gehts. Melde dich. Für Leute, die das echte Leben suchen. Weg von Gruppendruck und Gehirnwäsche, weg von den überfüllten Städten, in die unberührten Weiten des Weltraums. Dorthin, wo der einzelne noch etwas zählt...

Schichtbeginn. Die Lichter im Schlafraum gingen an, und ein elektrisches Sig­nal ertönte. Es war ein nicht einmal besonders lautes, aber aus­ser­or­dent­lich nerv­tö­tendes Quäken, das einen auch aus dem tiefsten Schlum­mer ga­ran­tiert herausriss - auch wenn dieser so tief war wie der von Bernie Bender. Auf der Erde hatte Bernie zeitlebens mit Schlaflosigkeit gekämpft - doch seit er hier auf Juno war, fiel er jeden Abend wie ein Stein auf das Lager und hat­te um­ge­kehrt jeden Mor­gen grosse Schwierigkeiten, wieder hinauszukommen. Das lag natürlich an der harten Montagearbeit - und daran, dass er die ersten drei­und­zwanzig Jahre sei­nes Lebens in einer Umgebung verbracht hatte, in der kör­perliche Tätigkeit nur eine lästige Übung war, die er nur allzu oft ver­nach­lässigt hatte. Und an der ungewohnt geringen Schwerkraft, die die Arbeit paradoxerweise eher noch schwerer zu machen schien... Jedenfalls blieb er auch heu­te nach dem Weckruf zunächst be­we­gungs­los liegen, wäh­rend rund um ihn in den engen Gängen zwischen den Ko­jen ein hek­ti­scher Be­trieb los­ging. Wenn alle gleichzeitig aufstehen wür­den, so pflegte Ber­nie sich zu recht­fer­ti­gen, würden sie sich nur ge­gen­sei­tig ins Gehege kom­men, denn die Platz­ver­hält­nis­se waren immer noch reich­lich be­engt - auch wenn es seit der In­be­trieb­nah­me der zweiten Wohneinheit deut­lich besser ge­wor­den war. Zur Zeit waren sie am Aufbauen der dritten, man konnte also noch hof­fen.
Zu den Ereignissen, die sich ebenfalls praktisch jeden Morgen wiederholten, ge­hör­te, dass es kurz darauf, als Bernie auf die Uhr zu schaute, plötzlich ziem­lich spät war, worauf er überstürzt hochfuhr, mit Schwung aus dem Bett sprang - und sich schmerzhaft den Kopf an der Raumdecke an­stiess, weil er schon wieder nicht auf die hier herrschende geringe Schwer­kraft geachtet hat­te. Überstürzte Hast, die keine Zeit zum Denken liess, bestimmte auch die näch­sten Ver­rich­tun­gen - hygienische Kürzestbehandlung als Morgentoilette, Überstreifen der Kleider, Rennen durch den kahlen Korridor zur Kantine, Hi­nun­terschlingen eines Soja­bri­ketts, Zu­rück­ren­nen zum Schlafraum, Hi­nein­zwän­gen in den Raumanzug, Zu­sammen­su­chen der Ausrüstung für den Tag, Weiterrennen in Richtung Ausgang.
Auf hal­bem Wege zur Luftschleuse kam Bernie der erste von der Routine ab­wei­chende Gedanke dieses Ta­ges - wo­rauf er fluchte und abrupt stoppte, aber­mals die Schwer­kraft falsch ein­schät­zend, was ihm eine weitere schmerz­haf­te Be­kannt­schaft mit der Decke ein­trug. Er hatte die falsche Ausrüstung da­bei! Heute war er ja gar nicht auf Mon­tage eingeteilt, sondern zur Boden­er­kun­dung... Mit einem wei­te­ren Fluch begann Bernie, den Korridor zurück­zu­spur­ten - um knapp hun­dert Meter wei­ter erneut abrupt gestoppt zu werden. Eine Druck-Si­cher­heits­tür im Kor­ri­dor war geschlossen worden - augen­schein­lich gab es wieder ir­gend­wo einen De­fekt in der Sauerstoffversorgung. Im ersten Augenblick ent­fuhr Bernie noch einmal ein Fluch - dann jedoch fiel ihm ein, dass er jetzt ja einen per­fek­ten Grund hatte, zu spät zu kommen. Ge­gen eine Panne konnte man ja nichts machen... Worauf sich Bernie aufatmend gegen die graue Plastikwand des Korridors lehnte und den ersten ruhigen Mo­ment des Tages genoss.
Warum, bei allen grünen Marsmännchen, hatte eigentlich die Weckanlage nie eine Panne? Das wäre doch mal etwas...
 

jon

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Auf der Erde war es jetzt Januar. Der einundzwanzigste Januar, um genau zu sein. Aber die Erde war weit weg, hundert Millionen Kilometer weit, und die Bedeutung des Wortes "Januar" beschränkte sich hier auf dem Asteroiden Juno im wesentlichen auf die Erinnerung an Temperaturen, die man im Vergleich mit den hiesigen geradezu tropisch nennen müsste... [blue] Das ist mir zu sehr um die Ecke gedacht. Ich musst hier absetzen, um rauszukriegen, was du meinst. Das heißt, du hast mich aus dem Text rausgeschickt, noch bevor ich überhaupt drin war. [/blue]

[blue] Ab hier drösle ich mal auf, was etwas zeigst,also "Film" machst, und wo du dem Leser etwas sagst, ihn informierst. [/blue]
Mitten in einer kahlen Felsenwüste, von einer nur noch sehr schwachen Sonne aus schwarzem Himmel beleuchtet, standen zwei Raumschiffe. [blue] gezeigt, [/blue] Es waren grosse, bauchige Transporter, [blue] Gezeiget [/blue] wie sie für Kolonialisierungsunternehmen verwendet wurden. [blue]Gesagt [/blue] Rund herum waren rund fünfzig Leute in Raumanzügen damit beschäftigt, grosse, spiegelnde Metallflächen auf Gerüsten zu montieren. [blue] Gezeigt [/blue] Es waren spezielle Sonnenzellen, die auch bei dieser Distanz zur Sonne noch funktionierten und Energie für die neu entstehende Kolonie liefern sollten. [blue] gesagt [/blue] Eine ganze Reihe davon war bereits aufgebaut: fünf lange Reihen, mehr oder weniger schief stehend, so dass sie Ähnlichkeit mit einer Armee von Betrunkenen hatten. [blue] gezeigt [/blue] Es war keine gute Arbeit, und man sah auch den Arbeitern an, dass sie nicht besonders geübt waren: [blue] gesagt [/blue] sie bewegten sich ziemlich langsam und ungeschickt in der ungewohnt geringen Schwerkraft. [blue]Gezeigt [/blue] Im Hintergrund, gesäumt von zwei grossen Felsblöcken, war der Eingang zu einer Höhle zu sehen. [blue]Gezeigt[/blue] Auch in der Höhle wurde gearbeitet: [blue] gesagt – Übrigens: damit springst du aus dem nicht fertig gemalten Bild draußen gleich in die Höhle, ohne "Kamerafahrt", die den Leser "mitnehmen" würde [/blue] Unter der Aufsicht von Instruktoren wurden grosse, halbkugelige Strukturen aus dickem, isolierendem Material errichtet, in einer Bauweise, die Ähnlichkeit mit einem Zelt hatte. Innen mit Luft gefüllt, konnte ein solches Zelt als Wohnraum für bis zu hundert Leute dienen, oder als Treibhaus für die Pflanzenkulturen und Bioreaktoren, die Sauerstoff und Nahrung lieferten. [blue] gesagt [/blue]

[blue] Außerdem: [/blue] Auch in der Höhle wurde gearbeitet: Unter der Aufsicht von Instruktoren wurden grosse, halbkugelige Strukturen aus dickem, isolierendem Material errichtet, in einer Bauweise, die Ähnlichkeit mit einem Zelt hatte. [blue]Die doppelte Passiv-Form „wurde gearbeitet" und "wurden errichtet" klingt ganz ganz fern vom Geschehen, nicht nur räumlich/zeitlich distanziert sich der Erzähler davon auch emotional. Schon wenn die "Strukturen" (auch so ein distanzierendes Wort) "wachsen" würden, wäre mehr Nähe erreicht.[/blue]


Die Sonne war am Aufgehen [blue]Iiih! Modeformulierung! "Die Sonne ging auf" – einfach so. [/blue] (sie tat das hier alle fünfeinhalb Stunden) [blue]Zusammen mit dem "sie war am Aufgehen" kriegt der Text hier einen ganz ganz krassen Schlenker Richtung Comedy / humoristischer Text [/blue]; es war Zeit für eine Arbeitspause. Die fünfzig Astro-Arbeiter [blue]Moooomet! Welche Arbeiter? Eben waren wir noch in der Höhlöe – also sind da drin 50 Astro-Arbeiter (was immer das sein soll) beschäftigt? Dann streben sie aber dem Ausgang der Höhle zu.[/blue] legten ihre Werkzeuge nieder und strebten langsam, mit vorsichtigen, seltsam hüpfenden Sprüngen, dem Eingang der Höhle mit den Wohnquartieren zu. [blue]Moooomet! Wieso haben wir – als wir von dir vorhin von draußen nach drinnen „gefüphrt“ wurden – sowas Wichtiges wie die Wohnquartiere nicht gesehen? [/blue] Inzwischen übernahm eine frische Gruppe die Arbeit, denn die Anlagen mussten so schnell wie möglich anfangen, zu arbeiten und Energie zu liefern. [blue]Ausgerechnt hier – wo es um Maschinen geht – greifst du zum Aktiv? Wäre es nicht stimmiger: “… Arbeit, denn die Anlagen mussten so schnell wie möglich fertig werden, damit sie Energie liefern konnten." / Außerdem: Der Witz ist nicht, dass sie bald anfangen zu arbeiten, sondern dass sie bald arbeiten. Das mag eine Nuance sein, wirkt hier aber sehr stark auf den Klang.[/blue]


Sobald die Luftschleuse am Eingang passiert war, [blue]…und wieder Passiv – wie im Polizeibereicht[/blue] nahmen die Männer und Frauen ihre Weltraumhelme ab. Verwühlte Haare und verschwitzte, erschöpfte Gesichter kamen zum Vorschein. Wer noch nie im Weltraum war, könnte vielleicht die Vorstellung haben, Arbeit bei weniger Schwerkraft sei leichter. Welch ein Irrtum![blue]Wem zum Teufel erzählt der Erzähler das? Wenn du den Leser direkt ansprechen willst, dann tu das – aber durchgehend. Wenn du einen "Film" zeigen willst, dann lass sowas.[/blue] Das Bewegen in dieser von der Natur für den Menschen nicht vorgesehenen Situation erfordert äusserst exakte Koordination aller Muskeln und bleibt auch dem Geübten zeitlebens eine Anstrengung.[blue]…steht im astro-medzinischen Handbuch für Raumkadetten.[/blue]
Die müde, abgekämpfte Schar stolperte die halbfertigen Korridore entlang zu einem grösseren Raum. Kaum einer sprach ein Wort. Die meisten hatten jetzt auch ihre dicken Handschuhe ausgezogen und an den Gürtel gehängt; einige öffneten noch ein paar Verschlüsse mehr. Ganz abzulegen wagte niemand - zu gross war noch die Gefahr einer Panne in der Sauerstoffversorgung. Im grossen Raum [blue]…ist das nun der "größere Raum", in den sie stolperten, oder ein anderer Raum? Lass sie sich einfach setzen – sie sind ja schon in den Raum hineingestolpert. Also einfach so: "Sie setzten sich auf…"[/blue] setzten sich die Arbeiter auf Bänke und begannen, mehrheitlich schweigend [blue]grins: Was genau muss ich tun, um mehrheitlich zu schweigen? Im Ernst: Entweder sie schwiegen (die ein, zwei "Darf ich?" "Bitte!" oder so kann man getrost unterschlagen) oder nicht.[/blue] ein [blue]Eins? Wie groß ist das?! Und wie müssen die die Bänke stehen, dass alle ran kommen?[/blue] Sojabrikett zu essen.
Am anderen Ende [blue]Und was ist das erste Ende?[/blue] de [red]des[/red] Raums erschien ein kleiner, glatzköpfiger Mann mit einem glatten, glänzenden Bulldoggengesicht. Er war einer der etwa 10 [blue]Moooment! Bei einer so kleinen Zahl kann man es genau sagen! So klingt es, als wäre sich der Autor selbst nicht klar darüber, wie "seine" Welt aussieht.[/blue] Vertreter der Firma Belt Colony Enterprises, die diese Kolonie leiteten - die einzigen Leute hier, die schwungvoll auftraten und lautstarken Optimismus zur Schau trugen. "Alle mal herhörn!" brüllte er laut. Die gedrückten Leute [blue]… wer ist das schon wieder? Meinst du die Arbeiter? Die sind doch – so habe ich verstanden, was du du mir gezeigt hast – nicht bedrückt sondern nur fix und fertig.[/blue] schauten auf und schalteten ihre Übersetzungsgeräte ein. Diese tragbaren Übersetzungsgeräte - auch Taschendolmetscher genannt - gehörten zur Standardausrüstung, denn die Mannschaft kam aus allen Ecken der Welt [blue]Welcher Welt? Der Erde? Des Sol-Systems? Des Universums?[/blue] , und kaum einer sprach einer [red]eine[/red] andere Sprache als seine eigene. [blue]Typisches Beispiel von "gesagt statt gezeigt". Erstens: Sag doch einfach nur "Taschendolmetscher" – wir wissen dann schon, dass das ein Übersetzungsgerät und keine Playstation ist. Zweitens: Wenn alle es einschalten, ist klar, dass es zur Standardrausrüstung gehört. Drittens: Wenn alle es einschalten, ist auch klar, dass es ein Sprachpoblem gibt. // Logik-Fehler: Heißt das, die Dinger waren bis jetzt ausgeschaltet und es fand während der Arbeit keine Verständigung statt??[/blue]

"Wir brauchen noch mehr Mannschaften zur Erkundung der Bodenschätze auf Juno", rief der Leiter, "es ist wieder eine Gruppe ausgefallen. Freiwillige melden sich!"
Es blieb still. Niemand meldete sich. Der glatzköpfige Mann trat von einem Fuss auf den andern. "Na, was ist?" rief er. "Ihr wollt doch auch Bodenschätze finden. Dann seid ihr reich! Stellt euch vor, es gibt Gold hier..." [blue]Mooooment Wieso das denn? Bis jetzt sind das einfach nur Astro-Tagelöhner. Wären es "Golducher", würden sie wol auf eigene Faust Bodenschätze suchen, oder? Und vor allem: Was haben die Tagelöhner davon, wenn die Firma Gold etc. findet?? Vor allem, da es offenbar ein gefählicher Job ist, das "schon wieder eine Gruppe ausgefallen" ist [/blue]
Sein ganzes Gesicht verformte sich[blue]Ach nö! Ein Knetkopf gehört in ein Cartoon, nicht in einen Roman.[/blue], als er sich das ausmalte. Aber es meldete sich immer noch niemand. Der Mann drehte den Kopf hin und her und grinste angestrengt. "Na los!" rief er. "Na hört doch mal: das ist doch ein guter Job! Ihr müsst bloss in der Karre sitzen und herumfahren, und von Zeit zu Zeit ein paar Steinchen aufsammeln. Wirklich, viel bequemer als Spiegel aufbauen! Also, wer meldet sich?" Jetzt gingen zögernd ein paar Hände hoch. Der Instruktor [blue]Mooooment! Wer ist das? Ist der Glatzkopf, den du eben noch als "Leiter" bezeichnet hast? Oder einer der Instruktoren von draußen? Aber die sind doch nicht mit rein gekommen – jedenfalls war nicht die Rede davon.[/blue] liess sie in einer Reihe antreten und ihren Namen angeben. "Ruiz Guzman, Maria." "Bender, Bernard." "Al Assad, Magit..." "Antreten beim nächsten Sonnenaufgang in fünf Stunden, und zwar in Korridor sechs, mit folgender Ausrüstung:..." [blue]Warum um Himmels willen machst du es so halb-bildlich? Entweder du zeigst die ganze Szene des Anstellens und Einschreibens oder du verkneifst dir diesen Pseudo-Dialog und sagst einfach, was passiert – so wie du die Szene ja auch zu Ende führst.[/blue]Es folgten noch einige Erläuterungen, dann waren sie entlassen und gesellten sich wieder der Schar der anderen zu, die jetzt aufstanden, um ihre Sauerstoffflaschen aufzufüllen und sich dann für ein paar kurze Stunden auszuruhen.[blue]…Das ist so verknappt und zusammengefasst, dass ich mich frage, wieso du das Ganze überhaupt als Szene angelegt hast. Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, könntest du das Ganze mit Bender und Beaumains anfangen lassen und die nötigen Infos dort unterbringen… [/blue]
 

Doska

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Lieber Pol!
Heute habe ich mir deinen Text noch mal durchgelesen. Du hast wohl inzwischen einiges daran verbessert. Es ist alles noch lebhafter und lebensechter geworden! Werde darum gleich das zweite Kapitel lesen.
 

jon

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Teammitglied
Hallo pol shebbel, würdest du bitte mal die Silbenzeichen aus den geänderten Textstellen entfernen?!
 

pol shebbel

Mitglied
Vielen Dank für die Reviews! Es ist gut zu hören, dass die Umarbeitung doch etwas bewirkt hat...
@Jon: Ich verstehe nicht ganz - was für Silbenzeichen? Ich habe das erste Kapitel noch mal durchgesehen, aber nichts gefunden, was wie ein Silbenzeichen aussieht - ausser vielleicht "Druck-Si­cher­heits­tür". Ist es das, was du meinst?
 

jon

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Teammitglied
Haargenau das meine ich – dieses optisch-lesetechnische Problem zieht sich durch den ganzen Text (auch im 2. Kapitel).
 

pol shebbel

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Auf gehts. Melde dich. Für Leute, die das echte Leben suchen. Weg von Gruppendruck und Gehirnwäsche, weg von den überfüllten Städten, in die unberührten Weiten des Weltraums. Dorthin, wo der einzelne noch etwas zählt...

Schichtbeginn. Die Lichter im Schlafraum gingen an, und ein elektrisches Signal ertönte. Es war eigentlich nicht besonders laut, man konnte sich sogar vorstellen, dass es dem englischen Arbeitsgesetz genügte – ein Gedanke, der etwas Surreales hatte, denn im Umkreis von etlichen Millionen Kilometern gab es hier keine Behörde, die irgend ein Gesetz hätte durchsetzen können. Und die mässige Lautstärke wurde in jedem Fall mehr als wettgemacht durch eine besondere Nervigkeit des Tons, ein elektrisches Quäken, das einen auch aus dem tiefsten Schlummer garantiert herausriss. Der Schlaf von Bernie Bender war allerdings in letzter Zeit auch besonders tief. Auf der Erde hatte er zeitlebens mit Schlaflosigkeit gekämpft, doch seit er hier auf Juno war, fiel er jeden Abend wie ein Stein auf das Lager und hatte umgekehrt jeden Morgen grosse Schwierigkeiten, wieder hinauszukommen. Daraus war kaum zu folgern, der Asteroid Juno hätte irgend eine besondere Eigenschaft, die in Zukunft vielleicht Scharen von an Schlaflosigkeit leidenden Kurgästen anlocken würde. (Der Gedanke, dass jemand hierher käme, um sich zu erholen, war auch ziemlich surreal, geradezu schwarzer Humor.) Nein, Bernies Müdigkeit hatte einen viel simpleren Grund: die harte Montagearbeit - und den Umstand, dass körperliche Betätigung in den ersten dreiundzwanzig Jahren seines Lebens nur eine lästige Übung gewesen war, die er nur allzu oft vernachlässigt hatte. Früher hatte er übrigens geglaubt, Arbeit in geringerer Schwerkraft sei leichter – eine von mehreren Illusionen, die in den vergangenen zwei Monaten nachhaltig zerstört worden waren... Jedenfalls blieb er auch heute nach dem Weckruf zunächst bewegungslos liegen, während rund um ihn in den engen Gängen zwischen den Kojen ein hektischer Betrieb losging. Wenn alle gleichzeitig aufstehen würden, so pflegte Bernie sich zu rechtfertigen, würden sie sich nur gegenseitig ins Gehege kommen, denn die Platzverhältnisse waren immer noch reichlich beengt - auch wenn es seit der Inbetriebnahme der zweiten Wohneinheit deutlich besser geworden war. Zur Zeit waren sie am Aufbauen der dritten, man konnte also noch hoffen.
Zu den Ereignissen, die sich ebenfalls praktisch jeden Morgen wiederholten, gehörte, dass es kurz darauf, als Bernie auf die Uhr zu schaute, plötzlich ziemlich spät war, worauf er überstürzt hochfuhr, mit Schwung aus dem Bett sprang - und sich schmerzhaft den Kopf an der Raumdecke anstiess, weil seine Reflexe immer noch auf irdische Schwerkraft geeicht waren. Überstürzte Hast, die keine Zeit zum Denken liess, bestimmte auch die nächsten Verrichtungen - hygienische Kürzestbehandlung als Morgentoilette, Überstreifen der Kleider, Rennen durch den kahlen Korridor zur Kantine, Hinunterschlingen eines Sojabriketts, Zurückrennen zum Schlafraum, Hineinzwängen in den Raumanzug, Zusammensuchen der Ausrüstung für den Tag, Weiterrennen in Richtung Ausgang.
Auf halbem Wege zur Luftschleuse kam Bernie der erste von der Routine abweichende Gedanke dieses Tages – worauf er fluchte und abrupt stoppte, abermals die Schwerkraft falsch einschätzend, was ihm eine weitere Begegnung mit der Decke eintrug. Er hatte die falsche Ausrüstung dabei! Heute war er ja gar nicht auf Montage eingeteilt, sondern zur Bodenerkundung... Sofort begann Bernie, den Korridor zurückzuspurten – um knapp hundert Meter weiter erneut abrupt gestoppt zu werden. Eine Druck-Sicherheitstür im Korridor war geschlossen worden. Augenscheinlich gab es wieder irgendwo einen Defekt in der Sauerstoffversorgung. Im ersten Augenblick entfuhr Bernie noch einmal ein Fluch – dann jedoch fiel ihm ein, dass er jetzt ja einen perfekten Grund hatte, zu spät zu kommen. Gegen eine Panne konnte man ja nichts machen... Worauf sich Bernie aufatmend gegen die graue Plastikwand des Korridors lehnte und den ersten ruhigen Moment des Tages genoss.
Warum, bei allen grünen Marsmännchen, hatte eigentlich die Weckanlage nie eine Panne? Das wäre doch mal etwas...
 



 
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