Im wilden Westen, Kapitel 6

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pol shebbel

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Die Hilflosigkeit. Diese verdammte Hilflosigkeit! Sie war in den letzten zwei Monaten das vorherrschende Gefühl gewesen, das ihn fast täglich gepackt hatte. Es war, wie wenn man in einer Prüfung stand, für die man sich nicht im geringsten vorbereitet hatte - nur dass es nicht um gute oder schlechte Noten ging, sondern häufig um das nackte Überleben. Grosse Galaxis, was hatte er sich auf der Erde nur für falsche Vorstellungen vom Weltraum gemacht. Hatte er etwa geglaubt, es werde ihm so ergehen wie dern Astronauten in der Frühgeschichte der Raumfahrt, deren Berichte er so begierig gelesen hatte? Das waren Männer gewesen, die man monate-, wenn nicht jahrelang trainiert, getestet und gedrillt hatte, bis sie jeden Handgriff auswendig wussten und auch im Schlaf automatisch das Richtige taten. Dann hatten sie den Weltraum vergleichsweise entspannt erlebt und ihn natürlich wunderbar finden können. Aber die Leute hier? Kaum einer von ihnen hatte vor zwei Monaten gewusst, wie man sich in Schwerelosigkeit bewegt oder worauf man beim Tragen eines Raumanzugs achten muss - etliche hatten es bereits mit dem Leben bezahlt. Solche Umstände waren für erhabene philosophische Gedanken denkbar schlecht geeignet ...
Die Hilflosigkeit. Auch jetzt war sie da. Zwei eisige Klauen griffen nach seinem Hals, würgten ihn und drohten ihm sämtliche Glieder zu lähmen. "Also was ist jetzt?" hörte er die Stimme seines Taschendolmetschers wie von weit weg. "Du hast also ein Notsignal aufgefangen. Von wem?"
"Ich weiss nicht", murmelte Bender langsam. "Es war keine Stimme, nur so ein Standard-Piepsignal. Ich hab versucht, bei der Zentrale nachzufragen, aber die antwortet noch immer nicht..."
"Na, das wissen wir ja schon", brummte Dupond. "Und was soll ich jetzt hier? Warum weckst du mich?"
Bender biss auf die Zähne. "Gruppe 9 oder sonst jemand sitzt da irgendwo und wartet auf Hilfe!" rief er ungeduldig, "und die Hilfe sollten schliesslich wir sein, oder nicht?"
Dupond sah ihn durchdringend an. Die dunklen Augen in seinem blassen Gesicht sahen aus wie zwei Tunneleingänge. "Du... du willst ihnen zu Hilfe kommen?" fragte er erstaunt. "Aber... ich dachte..."
Bender liess ihn nicht ausreden. "Das Problem ist", fuhr er unbeirrt fort, "dass ich das Signal wieder verloren habe. Ich war zu aufgeregt, um auf die Frequenz zu achten, und als ich versuchte, die Chefs anzurufen, hab ich es wieder verstellt... Du... also du weisst nicht zufällig die Notfrequenz?"
"Ach so", versetzte Dupond trocken, "schon wieder so ein Problem mit Funkfrequenzen... Diesmal kann ich dir aber nicht helfen - wir haben ja kein Lernprogramm mehr, seit du bei deinem Kopfsprung vorhin genialerweise genau auf meinem Speichermodul gelandet bist... Wie wärs mit Ausprobieren? Bei neuntausend möglichen Kanälen dürfte das zwar etwas länger dauern - aber im Moment haben wir hier ja Zeit..."
"Lass den Scheiss - überleg doch mal!" Bender ignorierte die Stichelei. "Die Notfrequenz. Die sollte doch ziemlich einfach zu merken sein. Etwas, das man noch weiss, wenn man alles andere vergessen hat. Null vielleicht, oder 9999..."
"Na, dann versuchs doch", antwortete Dupond.
Bender tat es. Kanal 0. Nichts. Kanal 9999. Nichts. Kanal 100, Kanal 200, Kanal 300. Nichts. "Verdammt!" rief er. "Streng doch mal deine mickrigen Hirnzellen an, du - du langhaariger Pluto-Pavian!"
Dupond sah ihn gelassen an. "Entschuldige", sagte er, "aber ich habe da nur so eine Art Knacken gehört. Mein Übersetzer scheint diese Wörter nicht zu führen..."
"Pfff!" schnaubte Bernie. "Ich weiss noch ganz andere Wörter, die er auch nicht führt! Merkurmacker, Saturnscheisser, Venuswichser, Marsmännchen..."
"Is' ja gut, is' ja gut, grosser Wissender - aber die Frequenz weisst du trotzdem nicht, was?" Dupond grinste kurz (das heisst, er schnitt eine Grimasse, die man mit einiger Phantasie so deuten konnte). "Warte mal", sagte er, "ich glaube, mir fällt was ein. Damals beim Schnellkurs über die Funkregeln hat der Ausbilder irgend was erwähnt... Wie man es sich merken kann... Warte... Dass die Frequenz gleich der Botschaft sei oder so?"
"Ha!" rief Bender. "Genau das wollt ich die ganze Zeit von dir hören! Wie war das? Die Frequenz gleich der Botschaft. Was ist denn die Botschaft? Hmm. Ja - wahrscheinlich SOS. SOS. Welche Frequenz passt dazu? Aber ja - Mensch, ich habs!" Und schon hatte er die Hand am Drehknopf, wählte eine Frequenz und schaltete auf Empfang.
Piep Piep Piep. Pip Pip pip. Piep Piep Piep. "He, warte mal", rief Dupond verdutzt, "was hast du da gemacht?"
"Jaha", lachte Bernie, "hörst du das Signal? SOS. Drei lange Töne, drei kurze, wieder drei lange. SOS in Morsezeichen. Drei mal drei, verstehst du? Kanal 333. So einfach ist das!"
"Na gut", meinte Dupond, "und was gedenkst du jetzt zu tun? Wir können das Signal, von wem immer es kommt, ja nicht verfolgen, weil wir im Moment selber Hilfe brauchen! Also was?"
Bender schwieg. Wieder spürte er die eisigen Klauen der Hilflosigkeit im Nacken. "Na ja..." murmelte er und fuhr sich mit der Hand durch das fahlblonde Haar, "wir können ja mal sehen, ob wir die Raupe wieder flottkriegen... Wenn die Sonne aufgegangen ist, natürlich... Im Moment, hmm... Schlafen. Oder vielleicht was essen?"
"Essen! Aber klar..." Jetzt grinste Dupond richtig. "Das ist seit fünf Stunden der erste vernünftige Satz, den du sagst!" Er sah auf, ihre Augen trafen sich.

"Nur keine Panik. Wir kriegen das schon hin."
 

Doska

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Sehr schön geschrieben, wie sich die beiden so unterschiedlichen Männer näher kommen. Hat mir gefallen.
 



 
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